Lebensunwertes Leben: Unterschied zwischen den Versionen

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Für Singer gibt es eine „Unverfügbarkeit“ über menschliches Leben nicht. Ein Recht auf Leben gebe es für niemanden. „Der Unterschied zwischen der Tötung eines behinderten und eines normalen Säuglings liegt nicht in irgendeinem vorausgesetzten Recht auf Leben, das der letztere hätte und der erstere nicht, [...] der Unterschied [liegt] in den Einstellungen der Eltern [...]“ (Singer 1994, S. 233 f.). Singer stellt das „Glück“ der Eltern und des Kindes und seine Beeinträchtigung in den Mittelpunkt. Die Behinderung eines Kindes stelle eine Bedrohung dar. „In diesem Fall kann die Wirkung, die der Tod des Kindes auf seine Eltern haben wird, eher ein Grund dafür als dagegen sein, das Kind zu töten.“ (Singer 1994, S. 234). Unter der Überschrift „Wie man in Deutschland mundtot gemacht wird“ unternimmt Singer im Anhang der 1994 erschienenen Ausgabe „Praktische Ethik“ den Versuch einer Abgrenzung zur NS-Ideologie.
Für Singer gibt es eine „Unverfügbarkeit“ über menschliches Leben nicht. Ein Recht auf Leben gebe es für niemanden. „Der Unterschied zwischen der Tötung eines behinderten und eines normalen Säuglings liegt nicht in irgendeinem vorausgesetzten Recht auf Leben, das der letztere hätte und der erstere nicht, [...] der Unterschied [liegt] in den Einstellungen der Eltern [...]“ (Singer 1994, S. 233 f.). Singer stellt das „Glück“ der Eltern und des Kindes und seine Beeinträchtigung in den Mittelpunkt. Die Behinderung eines Kindes stelle eine Bedrohung dar. „In diesem Fall kann die Wirkung, die der Tod des Kindes auf seine Eltern haben wird, eher ein Grund dafür als dagegen sein, das Kind zu töten.“ (Singer 1994, S. 234). Unter der Überschrift „Wie man in Deutschland mundtot gemacht wird“ unternimmt Singer im Anhang der 1994 erschienenen Ausgabe „Praktische Ethik“ den Versuch einer Abgrenzung zur NS-Ideologie.
In diesem Zusammenhang sei noch auf den Buchtitel „Muß dieses Kind am Leben bleiben?“ (Fischerverlag 1993) hingewiesen. Helga Kuhse und Peter Singer beschreiben Fälle aus der medizinischen Praxis und plädieren für eine Aufhebung des Tötungsverbotes behinderter Kinder.
In diesem Zusammenhang sei noch auf den Buchtitel „Muß dieses Kind am Leben bleiben?“ (Fischerverlag 1993) hingewiesen. Helga Kuhse und Peter Singer beschreiben Fälle aus der medizinischen Praxis und plädieren für eine Aufhebung des Tötungsverbotes behinderter Kinder.
 
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'''6. Exkurs Sterbehilfe und der ‚Fall Roger Kusch’'''
Exkurs Sterbehilfe und der ‚Fall Roger Kusch''''  
Im Dezember 2008 und Januar 2009 debattierte der Bundestag über eine neue gesetzliche Regelung bezüglich der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen; also über die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Recht auf Selbstbestimmung auch den Verzicht auf ein Weiterleben umfasst. Drei Entwürfe wurden eingebracht. Der sogenannte “Stünker-Entwurf“, der „Bosbach-Entwurf“ und der „Zöller-Entwurf“ (Die Texte finden sich unter http://www.1000fragen.de/dialog/diskussion).  
Im Dezember 2008 und Januar 2009 debattierte der Bundestag über eine neue gesetzliche Regelung bezüglich der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen; also über die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Recht auf Selbstbestimmung auch den Verzicht auf ein Weiterleben umfasst. Drei Entwürfe wurden eingebracht. Der sogenannte “Stünker-Entwurf“, der „Bosbach-Entwurf“ und der „Zöller-Entwurf“ (Die Texte finden sich unter http://www.1000fragen.de/dialog/diskussion).  
Gegner einer Neuregelung führen ins Feld, dass die konkrete Behandlung eines sterbenden Patienten individuell entschieden werden müsse und dass ein Gesetz nicht weiterhelfe. Die Bundesärztekammer (BÄK) und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund unterstützen diese Position. Schon jetzt sei der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille grundsätzlich verbindlich. Die Annahme, dass eine solche Verfügung alle denkbaren Fälle abdecken kann, sei illusorisch: „Sterben ist nicht normierbar.“  
Gegner einer Neuregelung führen ins Feld, dass die konkrete Behandlung eines sterbenden Patienten individuell entschieden werden müsse und dass ein Gesetz nicht weiterhelfe. Die Bundesärztekammer (BÄK) und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund unterstützen diese Position. Schon jetzt sei der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille grundsätzlich verbindlich. Die Annahme, dass eine solche Verfügung alle denkbaren Fälle abdecken kann, sei illusorisch: „Sterben ist nicht normierbar.“  
Oliver Tolmein, ein auf Antidiskriminierungsrecht spezialisierter Rechtsanwalt, setzt sich in seinen Publikationen u.a. mit den historischen Hintergründen zur aktuellen Debatte um eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe auseinander. In seinem Artikel „Tödliches Mitleid, Sterbehilfe und Rechtsprechung in der Bundesrepublik“ warnt er, dass, „das Projekt „Entkriminalisierung“, das in Bereichen wie Betäubungsmitteldelikten, Sachbeschädigung und Ladendiebstahl seit Jahren und auch für die nähere Zukunft keinerlei Erfolgsaussichten hat, [...] nun ausgerechnet bei den Tötungsdelikten in erheblichem Maße [greife]. Dabei bedarf es, um weitreichende Folgen zu erzielen, nicht einmal einer Gesetzesänderung, es reicht ein allgemeines gesellschaftliches Übereinkommen, bestimmte Formen von Leben als ‚lebensunwert’ zu betrachten.“ In der juristischen Literatur, die sich auf einschlägige BGH-Urteile beziehen, kritisiert Tolmein qualitative Bewertungen von Leben. Wer kein Lebensinteresse mehr habe, habe auch kein normatives Recht auf Leben, „die Tötung eines ‚interessenlosen’ Menschen auch gegen seinen geäußerten Willen erfüllt damit keinen Straftatbestand mehr (...). (ebd).
Oliver Tolmein, ein auf Antidiskriminierungsrecht spezialisierter Rechtsanwalt, setzt sich in seinen Publikationen u.a. mit den historischen Hintergründen zur aktuellen Debatte um eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe auseinander. In seinem Artikel „Tödliches Mitleid, Sterbehilfe und Rechtsprechung in der Bundesrepublik“ warnt er, dass, „das Projekt „Entkriminalisierung“, das in Bereichen wie Betäubungsmitteldelikten, Sachbeschädigung und Ladendiebstahl seit Jahren und auch für die nähere Zukunft keinerlei Erfolgsaussichten hat, [...] nun ausgerechnet bei den Tötungsdelikten in erheblichem Maße [greife]. Dabei bedarf es, um weitreichende Folgen zu erzielen, nicht einmal einer Gesetzesänderung, es reicht ein allgemeines gesellschaftliches Übereinkommen, bestimmte Formen von Leben als ‚lebensunwert’ zu betrachten.“ In der juristischen Literatur, die sich auf einschlägige BGH-Urteile beziehen, kritisiert Tolmein qualitative Bewertungen von Leben. Wer kein Lebensinteresse mehr habe, habe auch kein normatives Recht auf Leben, „die Tötung eines ‚interessenlosen’ Menschen auch gegen seinen geäußerten Willen erfüllt damit keinen Straftatbestand mehr (...). (ebd).


6.1.
 
Roger Kusch, ehemaliger Hamburger Justizsenator der Koalition aus CDU, Schill-Partei und FDP, gründete 2006 die Partei HeimatHamburg. Die Liberalisierung der Sterbehilfe war eine seiner zentralen Forderungen im Hamburger Wahlkampf 2008.
Roger Kusch, ehemaliger Hamburger Justizsenator der Koalition aus CDU, Schill-Partei und FDP, gründete 2006 die Partei HeimatHamburg. Die Liberalisierung der Sterbehilfe war eine seiner zentralen Forderungen im Hamburger Wahlkampf 2008.
2007 stellte er erstmals in einem Seniorenheim einen "Sterbehilfe-Automaten" vor und gründete den "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.". Kusch startete eine Volksinitiative, mit der er mittels Volksentscheid ein eigenes Hamburgisches Sterbehilfe-Gesetz erreichen wollte.
2007 stellte er erstmals in einem Seniorenheim einen "Sterbehilfe-Automaten" vor und gründete den "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.". Kusch startete eine Volksinitiative, mit der er mittels Volksentscheid ein eigenes Hamburgisches Sterbehilfe-Gesetz erreichen wollte.
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