Labeling Approach: Unterschied zwischen den Versionen

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== 2. Definition ==
== 2. Definition ==


Der Begriff L.A. umschreibt eine in den 50er-Jahren im angloamerikanischen Raum populär gewordene und heute fest etablierte kriminalsoziologische Strömung, deren Vertreter in Abgrenzung zu früheren Erklärungsversuchen abweichendes Verhalten nicht als Merkmal individueller Anlagen oder als die Qualität einer bestimmten Handlung, sondern als das Produkt gesellschaftlicher Definitions- und Zuschreibungsprozesse qualifizieren. In den Labeling-Ansätzen wird also nicht mehr nach täter- oder situationsspezifischen Ursachen für "abweichendes" bzw. "kriminelles" Verhalten gefragt, sondern das Augenmerk darauf gerichtet, durch wen und auf welche Weise eben diese Attribute an bestimmte Personen (-gruppen) herangetragen werden und welche Bedeutung dies für den (weiteren) Verlauf einer kriminellen Karriere hat (vgl.  auch >[[Kriminalisierung]]). <br>Sehr unterschiedlich wird dabei auf makrosoziologischer Ebene mit der Definitions- und Selektionsmacht der Kontrollinstanzen wie z.B. Polizei und Justiz und/oder mikrosoziologisch mit der Erfahrung von Etikettierung und Stigmatisierung als Ursache für die Verfestigung devianter Verhaltensmuster (vgl. >[[Devianz]]) argumentiert. Allen gemein ist insofern nur, dass sie die Reaktionen des sozialen Umfeldes auf bestimmte Verhaltensweisen als maßgebend für das Auftreten von Kriminalität in der Gesellschaft problematisieren und den Blick damit auf die Wirkung und den Einfluss der [[sozialen Kontrolle]] lenken, die in all ihren Erscheinungsformen und Ausprägungen zum Gegenstand der Überprüfung gemacht wird.<br>
Der Begriff L.A. umschreibt eine in den 50er-Jahren im angloamerikanischen Raum populär gewordene und heute fest etablierte kriminalsoziologische Strömung, deren Vertreter in Abgrenzung zu früheren Erklärungsversuchen [[abweichendes Verhalten]] nicht als Merkmal individueller Anlagen oder als die Qualität einer bestimmten Handlung, sondern als das Produkt gesellschaftlicher Definitions- und Zuschreibungsprozesse qualifizieren. In den Labeling-Ansätzen wird also nicht mehr nach täter- oder situationsspezifischen Ursachen für "abweichendes" bzw. "kriminelles" Verhalten gefragt, sondern das Augenmerk darauf gerichtet, durch wen und auf welche Weise eben diese Attribute an bestimmte Personen (-gruppen) herangetragen werden und welche Bedeutung dies für den (weiteren) Verlauf einer kriminellen Karriere hat (vgl.  auch >[[Kriminalisierung]]). <br>Sehr unterschiedlich wird dabei auf makrosoziologischer Ebene mit der Definitions- und Selektionsmacht der Kontrollinstanzen wie z.B. Polizei und Justiz und/oder mikrosoziologisch mit der Erfahrung von Etikettierung und Stigmatisierung als Ursache für die Verfestigung devianter Verhaltensmuster (vgl. >[[Devianz]]) argumentiert. Allen gemein ist insofern nur, dass sie die Reaktionen des sozialen Umfeldes auf bestimmte Verhaltensweisen als maßgebend für das Auftreten von Kriminalität in der Gesellschaft problematisieren und den Blick damit auf die Wirkung und den Einfluss der [[sozialen Kontrolle]] lenken, die in all ihren Erscheinungsformen und Ausprägungen zum Gegenstand der Überprüfung gemacht wird.<br>
Mit der Prämisse dieser Perspektive, „Abweichung“ und „Kriminalität“ nicht länger als etwas Feststehendes, anhand objektiver Kriterien Bestimmbares, sondern als das Resultat eines (gesellschafts-) dynamischen Prozesses zu betrachten, und dem Ziel, eben dessen Verlauf aufzudecken und zu analysieren, grenzen sich die Vertreter des L.A. deutlich zum Selbstverständnis der traditionellen Kriminologie ab, in welchem die Objektivität von Normen bzw. des Rechts allgemein nie wirklich in Frage gestellt worden ist (vgl. auch >[[kritische Kriminologie]]). Angesprochen ist mit diesem Perspektivenwechsel insofern auch ein Theorienstreit in den Sozialwissenschaften allgemein, der sich mit Thomas Wilson auf die Begriffe normatives vs. interpretatives Paradigma bringen lässt (vgl. 1973, 95ff.). <br>
Mit der Prämisse dieser Perspektive, „Abweichung“ und „Kriminalität“ nicht länger als etwas Feststehendes, anhand objektiver Kriterien Bestimmbares, sondern als das Resultat eines (gesellschafts-) dynamischen Prozesses zu betrachten, und dem Ziel, eben dessen Verlauf aufzudecken und zu analysieren, grenzen sich die Vertreter des L.A. deutlich zum Selbstverständnis der traditionellen Kriminologie ab, in welchem die Objektivität von Normen bzw. des Rechts allgemein nie wirklich in Frage gestellt worden ist (vgl. auch >[[kritische Kriminologie]]). Angesprochen ist mit diesem Perspektivenwechsel insofern auch ein Theorienstreit in den Sozialwissenschaften allgemein, der sich mit ''Thomas Wilson'' auf die Begriffe ''normatives vs. interpretatives Paradigma'' bringen lässt (vgl. 1973, 95ff.). <br>
Die Vielzahl an Variationen bzw. unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in den Ansätzen macht es nahezu unmöglich, eine Argumentationslinie nachzuzeichnen, die alle der im Rahmen dieser Perspektive aufgezeigten Aspekte und Problemstellungen umfassen würde.
Die Vielzahl an Variationen bzw. unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in den Ansätzen macht es nahezu unmöglich, eine Argumentationslinie nachzuzeichnen, die alle der im Rahmen dieser Perspektive aufgezeigten Aspekte und Problemstellungen umfassen würde.
Insofern hier nur in den wesentlichen Grundzügen beschrieben, wird zunächst die Auffassung vertreten, dass „Abweichung“ in einer Gesellschaft erst dadurch entsteht, als dass bestimmte Verhaltensweisen von den formellen wie auch den informellen Kontrollinstanzen als abweichend“ definiert werden (Fokussierung der Normsetzungsebene) und diese Definition dann personen- bzw. gruppenspezifisch unterschiedlich angewendet, das Merkmal „Abweichung“ insofern nur bestimmten Personen (-kreisen) zugeschrieben wird (Fokussierung der Normanwendungsebene). Relevant werden in diesem Zusammenhang schichtspezifische Unterschiede und Aspekte politischer bzw. allgemein gesellschaftlicher Macht, die es bestimmten Personen(-gruppen) überhaupt erst ermöglicht, andere „erfolgreich“ als abweichend definieren und behandeln zu können. <br>
Insofern hier nur in den wesentlichen Grundzügen beschrieben, wird zunächst die Auffassung vertreten, dass „Abweichung“ in einer Gesellschaft erst dadurch entsteht, als dass bestimmte Verhaltensweisen von den formellen wie auch den informellen Kontrollinstanzen als abweichend definiert werden (Fokussierung der Normsetzungsebene) und eben diese Definition dann personen- bzw. gruppenspezifisch unterschiedlich angewendet, das Merkmal „Abweichung“ also nur bestimmten Personen (-kreisen) zugeschrieben wird (Fokussierung der Normanwendungsebene). Relevant werden in diesem Zusammenhang schichtspezifische Unterschiede und Aspekte politischer bzw. allgemein gesellschaftlicher Macht, die es bestimmten Personen(-gruppen) überhaupt erst ermöglicht, andere „erfolgreich“ als abweichend definieren und behandeln zu können. <br>
An diese durch bestimmte Instanzen bzw. Personen vorgenommene Etikettierung anderer als "kriminell" knüpfen wiederum weitere Vertreter an, die in ihren Ansätzen die Wirkung eben dieser Zuschreibung auf individueller Ebene problematisieren. Hervorgehoben werden hier die Schwierigkeiten und Probleme, die sich für die Betroffenen daraus ergeben, öffentlich als abweichend oder kriminell abgestempelt worden zu sein. <br>
An diese durch bestimmte Instanzen bzw. Personen vorgenommene Etikettierung anderer als "kriminell" knüpfen wiederum weitere Vertreter an, die in ihren Ansätzen die [[Wirkung]] eben dieser Zuschreibung ''auf individueller Ebene'' problematisieren. Hervorgehoben werden hier die Schwierigkeiten und Probleme, die sich für die Betroffenen daraus ergeben, öffentlich als abweichend oder kriminell abgestempelt worden zu sein. <br>
Je nachdem, wo der Schwerpunkt der Argumentation liegt, wird der L.A. auch als Definitions-, Etikettierungs- bzw. Reaktionsansatz oder aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem früher vorherrschenden ätiologischen (vgl. >Ätiologie) Bezugsrahmen in der Kriminologie z.T. auch als Kontrollparadigma bezeichnet (zum Paradigmenstreit vgl. u.a. Keckeisen 1976, 23ff. ; Lamnek 1997, 25ff.).  
Je nachdem, wo der Schwerpunkt der Argumentation in den Ansaetzen liegt, wird der L.A. auch als Definitions-, Etikettierungs- bzw. Reaktionsansatz oder aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem früher vorherrschenden ätiologischen (vgl. >Ätiologie) Bezugsrahmen in der Kriminologie z.T. auch als Kontrollparadigma bezeichnet (zum Paradigmenstreit vgl. u.a. Keckeisen 1976, 23ff. ; Lamnek 1997, 25ff.).


== 3. Entwicklung des Ansatzes / Hauptakzentuierungen ==
== 3. Entwicklung des Ansatzes / Hauptakzentuierungen ==
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