Kritik der Polizei bei Walter Benjamin und Giorgio Agamben: Unterschied zwischen den Versionen

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[http://de.wikipedia.org/wiki/Honneth Axel Honneth] bemängelt beispielsweise, dass Benjamins Ausführungen zur rechtserhaltenden Gewalt und somit auch seine Polizeikritik auf problematischen Grundlagen beruhen würden (vgl. Honneth 2011: 203). Bei Benjamins Kritik handle es sich um die „Verallgemeinerung von historischen Erfahrungen“ (ebd.), argumentiert Honneth. Die theoretische Einschätzung dieser Erfahrungen verdanke „sich ganz offensichtlich lebhaftesten Eindrücken vom Machtmißbrauch der Polizeibehörden“ (Honneth 2011: 202) zu Beginn der 1920er Jahre in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik Weimarer Republik]. Am meisten verstört Honneth hierbei Benjamins These über die Polizei in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie Demokratie] als die „denkbar größte Entartung der Gewalt“ (Benjamin 1991: 190; vgl. 1.3.3): „Daß [sic!] es vielleicht auch ganz anders sein könnte, daß [sic!] nämlich gerade demokratische Gesellschaften mit der Zeit zivile Ressourcen der Bindung von Polizei und Militär entwickeln könnten, liegt außerhalb seines [Benjamins] Vorstellungshorizonts.“ (Honneth 2011: 202)
[http://de.wikipedia.org/wiki/Honneth Axel Honneth] bemängelt beispielsweise, dass Benjamins Ausführungen zur rechtserhaltenden Gewalt und somit auch seine Polizeikritik auf problematischen Grundlagen beruhen würden (vgl. Honneth 2011: 203). Bei Benjamins Kritik handle es sich um die „Verallgemeinerung von historischen Erfahrungen“ (ebd.), argumentiert Honneth. Die theoretische Einschätzung dieser Erfahrungen verdanke „sich ganz offensichtlich lebhaftesten Eindrücken vom Machtmißbrauch der Polizeibehörden“ (Honneth 2011: 202) zu Beginn der 1920er Jahre in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik Weimarer Republik]. Am meisten verstört Honneth hierbei Benjamins These über die Polizei in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie Demokratie] als die „denkbar größte Entartung der Gewalt“ (Benjamin 1991: 190; vgl. 1.3.3): „Daß [sic!] es vielleicht auch ganz anders sein könnte, daß [sic!] nämlich gerade demokratische Gesellschaften mit der Zeit zivile Ressourcen der Bindung von Polizei und Militär entwickeln könnten, liegt außerhalb seines [Benjamins] Vorstellungshorizonts.“ (Honneth 2011: 202)
Auch Agambens Äußerungen – und damit verbunden die Interpretation seiner verwendeten Beispiele im Text ''Souveräne Polizei'', der [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweite Golfkrieg] oder die [http://de.wikipedia.org/wiki/Judenvernichtung Judenvernichtung] – gilt es kritisch zu hinterfragen. Daniel Loick äußert beispielsweise Bedenken über die historische Stimmigkeit der Überlegungen Agambens (vgl. Loick 2012: 232; 3.3). Dennoch betont er aber auch den positiven Aspekt, dass Agamben „Funktionsweisen und Zusammenhänge, die von der traditionellen Theorie der Souveränität gar nicht in den Blick genommen wurden“ (Loick 2012: 232) exponiert habe. Weiterführende Kritik an Agamben, die oftmals auf das Fehlen einer in sich geschlossenen Rechtstheorie insistiert, formulieren Fabian Steinhauer (vgl. Steinhauer 2010: 220-224) oder [http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Frankenberg Günter Frankenberg] (vgl. Frankenberg 2010: 148f.; 3.3).
Auch Agambens Äußerungen – und damit verbunden die Interpretation seiner verwendeten Beispiele im Text ''Souveräne Polizei'', der [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweite Golfkrieg] oder die [http://de.wikipedia.org/wiki/Judenvernichtung Judenvernichtung] – gilt es kritisch zu hinterfragen. Daniel Loick äußert beispielsweise Bedenken über die historische Stimmigkeit der Überlegungen Agambens (vgl. Loick 2012: 232; 3.3). Dennoch betont er aber auch den positiven Aspekt, dass Agamben „Funktionsweisen und Zusammenhänge, die von der traditionellen Theorie der Souveränität gar nicht in den Blick genommen wurden“ (Loick 2012: 232) exponiert habe. Weiterführende Kritik an Agamben, die oftmals auf das Fehlen einer in sich geschlossenen Rechtstheorie insistiert, formulieren Fabian Steinhauer (vgl. Steinhauer 2010: 220-224) oder [http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Frankenberg Günter Frankenberg] (vgl. Frankenberg 2010: 148f.; 3.3).


=== ''' Weiterführungen''' ===
=== ''' Weiterführungen''' ===
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==== '''Rezeption von Benjamins Essay Zur Kritik der Gewalt''' ====  
==== '''Rezeption von Benjamins Essay ''Zur Kritik der Gewalt'' ''' ====  
Erst mit den 1970er Jahren setzte in der Literatur eine intensivere Rezeption des Essays Zur Kritik der Gewalt ein (vgl. Honneth 2011: 193). Benjamins radikale Kritik an der Rechtsordnung diente unter anderem Herbert Marcuse als Grundlage für seine Rechtskritik und revolutionstheoretischen Überlegungen (vgl. Marcuse 1975). Auch Jacques Derrida (vgl. Derrida 1991) und Giorgio Agamben (vgl. Agamben 2001; 2002; 2004) bauten auf Benjamin als „Basis für den Entwurf von eigenen Theorien über das Verhältnis von Recht, Gerechtigkeit und Politik“ (Honneth 2011: 193) auf.  
Erst in den 1970er Jahren setzte in der Literatur eine intensivere Rezeption des Essays ''Zur Kritik der Gewalt'' ein (vgl. Honneth 2011: 193). Benjamins radikale Kritik an der Rechtsordnung dient unter anderem [http://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Marcuse Herbert Marcuse] als Grundlage für seine Rechtskritik und revolutionstheoretischen Überlegungen (vgl. Marcuse 1975). Auch [http://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Derrida Jacques Derrida] (vgl. Derrida 1991) und Giorgio Agamben (vgl. Agamben 2001; 2002; 2004) bauen ihre Argumentationen auf Benjamin als „Basis für den Entwurf von eigenen Theorien über das Verhältnis von Recht, Gerechtigkeit und Politik“ (Honneth 2011: 193).  
Wissenschaftler_innen wie Judith Butler, Christoph Menke oder Daniel Loick beziehen sich in den letzten Jahren auf einzelne Aspekte von Benjamins Essay. Butler setzt sich dabei vor allem mit Benjamins Begriffen von Kritik, Rechtszwang und dem „Satz von der Heiligkeit des Lebens“ (vgl. Benjamin 1991: 201) auseinander (vgl. Butler 2006). Christoph Menke hingegen führt Benjamin als Teil seiner Argumentation für ein selbstreflexives Recht ein (vgl. Menke 2012). Im Kern geht es Menke um das Verhältnis von Recht und Nicht-Recht beziehungweise Gewalt (vgl. Menke 2012: 10) sowie der Möglichkeit eines anderen Rechts, dass über seine eigenen konstitutiven Gewaltmomente reflektiert (vgl. Menke 2012: 102). Mit Benjamin und der Interpretation von Passagen aus unterschiedlichen Werken und Texten wie Wolokolamsker Chaussee 1: Russisch Eröffnung, Sophokles' König Ödipus oder Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist versucht Menke diese Gedankengänge zu plausibilisieren. Daniel Loicks kritische Theorie der Souveränität bringt stattdessen „die Vermutung in Anschlag, dass nur durch eine grundsätzliche Überwindung konventioneller Formen staatlicher Herrschaft das gesellschaftliche Gewaltaufkommen reduziert, politische Ausgrenzung und Repression vermindert werden können“ (Loick 2012: 22). Als ein Moment dieses Programms rekonstruiert Loick Benjamins Kritik der rechtserhaltenden Gewalt in Gestalt der Polizei (vgl. Loick 2012: 181-197). Ferner verweist er auf weitere, von Loius Althusser inspirierte, kritische Theorien der Polizei in den Werken von Michel Foucault und Jacques Ranciére (vgl. Loick 2012: 196f.).
Wissenschaftler_innen wie [http://de.wikipedia.org/wiki/Judith_Butler Judith Butler], [http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Menke Christoph Menke] oder Daniel Loick beziehen sich in den vergangenen Jahren auf einzelne Aspekte aus Benjamins Essay. Butler setzt sich dabei vor allem mit Benjamins Begriffen von Kritik, Rechtszwang und dem „Satz von der Heiligkeit des Lebens“ (vgl. Benjamin 1991: 201) auseinander (vgl. Butler 2006). Christoph Menke hingegen führt Benjamin als Teil seiner Argumentation für ein selbstreflexives Recht ein (vgl. Menke 2012). Im Kern geht es Menke um das Verhältnis von Recht und Nicht-Recht beziehungweise Gewalt (vgl. Menke 2012: 10), sowie der Möglichkeit eines anderen Rechts, das über seine eigenen konstitutiven Gewaltmomente reflektiert (vgl. Menke 2012: 102). Mit Benjamin und der Interpretation von Passagen aus unterschiedlichen Werken und Texten wie ''Wolokolamsker Chaussee 1: Russisch Eröffnung'', [http://de.wikipedia.org/wiki/Sophokles Sophokles'] ''König Ödipus'' oder ''Der zerbrochne Krug'' von [http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_von_Kleist Heinrich von Kleist] versucht Menke, diese Gedankengänge zu plausibilisieren. Daniel Loicks kritische Theorie der Souveränität bringt stattdessen „die Vermutung in Anschlag, dass nur durch eine grundsätzliche Überwindung konventioneller Formen staatlicher Herrschaft das gesellschaftliche Gewaltaufkommen reduziert, politische Ausgrenzung und Repression vermindert werden können“ (Loick 2012: 22). Als einen Moment dieses Programms rekonstruiert Loick Benjamins Kritik der rechtserhaltenden Gewalt in Gestalt der Polizei (vgl. Loick 2012: 181-197). Ferner verweist er auf weitere, von [http://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Althusser Louis Althusser] inspirierte, kritische Theorien der Polizei in den Werken von [[Michel Foucault]] und [http://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Ranci%C3%A8re Jacques Rancière] (vgl. Loick 2012: 196f.).


==== '''Die Thematisierung des Ausnahmezustandes''' ====
==== '''Die Thematisierung des Ausnahmezustandes''' ====
Zu Agambens Konzeption des Ausnahmezustandes findet sich eine Vielzahl an Sekundärliteratur (vgl. Geulen 2005; Loick 2012: 214-232; Steinhauer 2010, Frankenberg 2010). Günter Frankenberg beispielsweise untersucht mit rechtstheoretischer Perspektive das Verhältnis von liberaler, rechtstaatlicher Staatstechnik, Gewalt sowie Ausnahmezustand (vgl. Frankenberg 2010). Er arbeitet dabei vor allem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Agamben und Carl Schmitt in ihren Vorstellungen vom Ausnahmezustand auf (vgl. Frankenberg 2010: 145-149).
Zu Agambens Konzeption des Ausnahmezustandes findet sich eine Vielzahl an Sekundärliteratur (vgl. Geulen 2005; Loick 2012: 214-232; Steinhauer 2010, Frankenberg 2010). Günter Frankenberg beispielsweise untersucht mit rechtstheoretischer Perspektive das Verhältnis von liberaler, rechtstaatlicher Staatstechnik, Gewalt sowie Ausnahmezustand (vgl. Frankenberg 2010). Er arbeitet dabei vor allem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Agamben und [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt Carl Schmitt] in ihren Vorstellungen vom Ausnahmezustand aus (vgl. Frankenberg 2010: 145-149).
 
 
 


==Literatur==
==Literatur==
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== Verwandte Artikel ==
== Verwandte Artikel ==
'''Personen'''
'''Personen'''
* [[Carl Schmitt]]
* [[Giorgio Agamben]]
* [[Giorgio Agamben]]
* [[Michel Foucault]] (Neben Benjamin eine der Hauptquellen für Agamben)
* [[Michel Foucault]]
* [[Walter Benjamin]]
* [[Walter Benjamin]]


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