Kritik der Polizei bei Walter Benjamin und Giorgio Agamben: Unterschied zwischen den Versionen

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== '''Giorgio Agamben''' ==
== '''Giorgio Agamben''' ==


=== '''Formales, Zeit- und theoretischer Kontext''' ===
=== '''Zeit- und theoretischer Kontext''' ===
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Agambens Text ''Souveräne Polizei'' wurde 2001 in seinem Sammelband Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik im diaphanes-Verlag publiziert (vgl. Agamben 2001). Die italienische Erstausgabe des Bandes (Mezzi senza fine – Note sulla politica) erschien fünf Jahre zuvor im Verlag Bolla Boringhieri. In den zum großen Teil fragmentarisch gehaltenen Texten in Mittel ohne Zweck formuliert Agamben „eine radikale Kritik von Politik im Zeitalter entleerter Kategorien“ (Agamben 2001: Klappentext). Als Grundlage hierfür analysiert er mit Rückbezug auf Theorien von [http://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt Hannah Arendt], [[Carl Schmitt]], [[Michel Foucault]] und [[Walter Benjamin]] aktuelle politische Ereignisse. Damit zeigt Agamben neue Perspektiven und Fragestellungen auf das Politische im 21. Jahrhundert auf (Agamben 2001: 9, Vorbemerkungen von Mittel ohne Zweck).  
Giorgio Agambens Text ''Souveräne Polizei'' wurde 2001 in seinem Sammelband ''Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik'' im diaphanes-Verlag publiziert (vgl. Agamben 2001). Die italienische Erstausgabe des Bandes ''Mezzi senza fine – Note sulla politica'' erschien fünf Jahre zuvor im Verlag Bolla Boringhieri. In den zum großen Teil fragmentarisch gehaltenen Texten in ''Mittel ohne Zweck'' formuliert Agamben „eine radikale Kritik von Politik im Zeitalter entleerter Kategorien“ (Agamben 2001: Klappentext). Als Grundlage hierfür analysiert er mit Rückbezug auf Theorien von [http://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt Hannah Arendt], [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt Carl Schmitt], [[Michel Foucault]] und [[Walter Benjamin]] aktuelle politische Ereignisse. Damit zeigt Agamben neue Perspektiven und Fragestellungen auf das Politische im 21. Jahrhundert auf (Agamben 2001: 9, Vorbemerkungen von Mittel ohne Zweck).  
 
Die Kritik an zeitgenössischen politischen Vorstellungen und Ereignissen durchzieht das gesamte Werk Agambens (vgl. Steinhauer 2010: 207). Auch in ''Souveräne Polizei'' nimmt er gleich zu Beginn des Textes Bezug auf eine konkrete politische Situation: Das Verhältnis von Souverän und Polizei im Rahmen des [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweiten Golfkriegs] (1990/91) und die von [http://de.wikipedia.org/wiki/George_H._W._Bush George H. W. Bush Senior] proklamierte [http://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Weltordnung New World Order] nach Ende des [http://de.wikipedia.org/wiki/Kalter_Krieg Kalten Krieges] sind der historische Gegenstand, den Agamben zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht (vgl. Agamben 2001: 99).
Die Kritik an zeitgenössischen politischen Vorstellungen und Ereignissen durchzieht das gesamte Werk Agambens (vgl. Steinhauer 2010: 207). Auch in Souveräne Polizei nimmt er gleich zu Beginn des Textes Bezug auf eine konkrete politische Situation: Das Verhältnis von Souverän und Polizei im Rahmen des [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweiten Golfkriegs] (1990/91) und die von George H. W. Bush Senior proklamierte [http://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Weltordnung New World Order] nach Ende des [http://de.wikipedia.org/wiki/Kalter_Krieg Kalten Krieges] sind der historische Gegenstand, den Agamben zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen nimmt (vgl. Agamben 2001: 99).


=== '''Die Stellung des Texts im Werk Agambens''' ===
=== '''Die Stellung des Texts im Werk Agambens''' ===
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Bei den Texten in Agambens Sammelband Mittel ohne Zwecke handelt es sich um Vorarbeiten, Skizzen und Bruchstücke für sein [http://de.wikipedia.org/wiki/Homo_sacer Homo-Sacer-Projekt] (vgl. Agamben 2001: 10, Vorbemerkungen von Mittel ohne Zweck). Dementsprechend sind auch seine Gedankengänge in dem Text Souveräne Polizei weder abgeschlossen noch isoliert vom übrigen Werk zu betrachten. Vielmehr bezieht sich Agamben im Verlauf des Texts auf die zentralen Motive und Topoi seiner gesamten theoretischen Überlegungen. Neben seiner originären Theorie der Souveränität (vgl. Agamben 2001: 99) verweist er vor allem auf seine Idee des Ausnahmezustands als „Zone der Unterscheidungslosigkeit zwischen Gewalt und Recht“ (vgl. Agamben 2001: 100). Am ausführlichsten erläutert er diese Konzepte, Theorien und Ideen im Rahmen seiner Homo-Sacer-Reihe.  
Bei den Texten in Agambens Sammelband ''Mittel ohne Zwecke'' handelt es sich um Vorarbeiten, Skizzen und Bruchstücke für sein [http://de.wikipedia.org/wiki/Homo_sacer Homo-Sacer-Projekt] (vgl. Agamben 2001: 10, Vorbemerkungen von ''Mittel ohne Zweck''). Dementsprechend sind auch seine Gedankengänge in dem Text Souveräne Polizei weder abgeschlossen noch isoliert vom übrigen Werk zu betrachten. Vielmehr bezieht sich Agamben im Verlauf des Texts auf die zentralen Motive und Topoi seiner gesamten theoretischen Überlegungen. Neben seiner originären Theorie der Souveränität (vgl. Agamben 2001: 99) verweist er vor allem auf seine Idee des Ausnahmezustands als „Zone der Unterscheidungslosigkeit zwischen Gewalt und Recht“ (vgl. Agamben 2001: 100). Am ausführlichsten erläutert er diese Konzepte, Theorien und Ideen im Rahmen seiner Homo-Sacer-Reihe.  


=== '''Kritik der Polizei''' ===
=== '''Kritik der Polizei''' ===
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==== '''Der Eingang des Souveräns in die Gestalt der Polizei''' ====
==== '''Der Eingang des Souveräns in die Gestalt der Polizei''' ====
Giorgio Agambens untersuchungsleitende These ist „der endgültige Eingang der Souveränität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 2001: 99). Er formuliert sie gleich zu Beginn seines Textes Souveräne Polizei. Diese Entwicklung glaubt er an der historischen Gegebenheit des [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweiten Golfkriegs] auszumachen. Demnach sei das [http://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsv%C3%B6lkerrecht Kriegsrecht] als „Polizeioperation“ (ebd.) ausgeübt worden. Dabei stellt diese konkrete Situation für ihn im Bezug auf das Verhältnis von Souverän und Polizei keine Ausnahme sondern vielmehr ein wesentliches und strukturelles Merkmal dar. Agamben stellt fest, dass die Polizei, entgegen der allgemeinen Ansicht, „die in ihr eine rein administrative Funktion der Vollstreckung des Rechts sieht“ (Agamben 2001: 99), vielmehr ein Ort ist, an dem Gewalt und Recht vertauscht würden/zusammen fielen? Am Beispiel der Figur des im [http://de.wikipedia.org/wiki/Altes_Rom Alten Rom] regierenden Konsuls und des [http://de.wikipedia.org/wiki/Liktor Liktors], dem Vollstrecker der Todesurteile, zeigt er die nicht zufällige Nähe zwischen Souverän und Gewalt auf (ebd.). Da der Souverän das Recht setzt – notfalls auch mit Gewalt – manifestiert sich in seiner Person der Zusammenhang von Recht und Gewalt.  
Giorgio Agambens untersuchungsleitende These ist „der endgültige Eingang der Souveränität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 2001: 99). Er formuliert sie gleich zu Beginn seines Textes ''Souveräne Polizei''. Diese Entwicklung glaubt er an der historischen Gegebenheit des [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweiten Golfkriegs] auszumachen. Demnach sei das [http://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsv%C3%B6lkerrecht Kriegsrecht] als „Polizeioperation“ (ebd.) ausgeübt worden. Dabei stellt diese konkrete Situation für ihn im Bezug auf das Verhältnis von Souverän und Polizei keine Ausnahme sondern vielmehr ein wesentliches und strukturelles Merkmal dar. Agamben stellt fest, dass die Polizei, entgegen der allgemeinen Ansicht, „die in ihr eine rein administrative Funktion der Vollstreckung des Rechts sieht“ (Agamben 2001: 99), vielmehr ein Ort sei, an dem Gewalt und Recht zusammen fielen. Am Beispiel der Figur des im [http://de.wikipedia.org/wiki/Altes_Rom Alten Rom] regierenden Konsuls und des [http://de.wikipedia.org/wiki/Liktor Liktors], dem Vollstrecker der Todesurteile, zeigt er die seiner Ansicht nach nicht zufällige Nähe zwischen Souverän und Gewalt auf (ebd.). Da der Souverän das Recht setzt – notfalls auch mit Gewalt – manifestiert sich in seiner Person der Zusammenhang von Recht und Gewalt.  
Eine gleiche Nähe sieht er zwischen Souverän und Polizei: Um die [http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffentliche_Sicherheit_und_Ordnung öffentliche Sicherheit und Ordnung] zu wahren, unterscheide die Polizei in jedem Einzelfall neu, wie sie handelt und setzt so selbst Recht. Dadurch bilde sich eine "Zone der Unterscheidungslosigkeit zwischen Gewalt und Recht“(vgl. Agamben 2001: 100). Herrscht kein Unterschied mehr zwischen Gewalt und Recht, spricht Agamben vom Ausnahmezustand, "die Polizei bewegt sich sozusagen immer in einem solchen >Ausnahmezustand<"(ebd.).   
Eine strukturell ähnliche Nähe sieht er zwischen Souverän und Polizei: Um die [http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffentliche_Sicherheit_und_Ordnung öffentliche Sicherheit und Ordnung] zu wahren, unterscheide die Polizei in jedem Einzelfall neu, wie sie handelt und setzt so selbst Recht. Dadurch bilde sich eine "Zone der Unterscheidungslosigkeit zwischen Gewalt und Recht“(vgl. Agamben 2001: 100). Herrscht kein Unterschied mehr zwischen Gewalt und Recht, spricht Agamben vom "Ausnahmezustand"(ebd.), "die Polizei bewegt sich sozusagen immer in einem solchen »Ausnahmezustand«"(ebd.).   


Unter Bezugnahme auf Benjamin unterstützt Agamben seine Kritik an der Polizei (vgl. Agamben 2001: 100). Er greift Benjamins Äußerungen zum Polizeirecht auf (vgl. 1.3.2), um seine These, dass das Operieren im Ausnahmezustand konstitutiv für die Institution der Polizei sei, zu verdeutlichen (vgl. Agamben 2001: 100; Benjamin 1991: 189). Ausnahmezustand und Polizeirecht bilden nach Agamben einen Bereich außerhalb der staatlichen Rechtsordnung. Dennoch bleiben sie aber weiterhin mit der Rechtsordnung verbunden.  
Agamben stützt seine Kritik an der Polizei auf Benjamin (vgl. Agamben 2001: 100). Er greift dessen Äußerungen zum Polizeirecht auf (vgl. 1.3.2), um seine These, dass das Operieren im Ausnahmezustand konstitutiv für die Institution der Polizei sei, zu verdeutlichen (vgl. Agamben 2001: 100; Benjamin 1991: 189). Ausnahmezustand und Polizeirecht bilden nach Agamben einen Bereich außerhalb der staatlichen Rechtsordnung. Dennoch bleiben sie aber weiterhin mit der Rechtsordnung verbunden.  
Ergänzt werden diese theoretischen Überlegungen durch die Darstellung einer Reihe von historischen Beispielen. Anhand dieser versucht Agamben seinen Thesen zu dem Verhältnis von Souverän und Polizei sowie die damit einhergehende Beunruhigung (vgl. Agamben 2001: 101) weiter zu belegen. Als sehr streitbares Beispiel führt er die [http://de.wikipedia.org/wiki/Judenvernichtung Judenvernichtung] im Dritten Reich an: Nur weil diese von Anfang bis Ende als Polizeioperation geplant worden sei, habe sie so mörderisch und methodisch sein können (vgl. Agamben 2001: 101). Abgesehen von der [http://de.wikipedia.org/wiki/Wannseekonferenz Wannseekonferenz] sei nie „auch nur ein einziges Dokument gefunden worden, das den [http://de.wikipedia.org/wiki/Genozid Genozid] als Entscheidung eines souveränen Organs beglaubigen würde“ (ebd.), argumentiert Agamben.  
Ergänzt werden diese theoretischen Überlegungen durch die Darstellung einer Reihe von historischen Beispielen. Anhand dieser versucht Agamben seinen Thesen zu dem Verhältnis von Souverän und Polizei sowie die damit einhergehende Beunruhigung (vgl. Agamben 2001: 101) weiter zu belegen. Als sehr streitbares Beispiel führt er die [http://de.wikipedia.org/wiki/Judenvernichtung Judenvernichtung] im Dritten Reich an: Nur weil diese von Anfang bis Ende als Polizeioperation geplant worden sei, habe sie so mörderisch und methodisch sein können (vgl. Agamben 2001: 101). Abgesehen von der [http://de.wikipedia.org/wiki/Wannseekonferenz Wannseekonferenz] sei nie „auch nur ein einziges Dokument gefunden worden, das den [http://de.wikipedia.org/wiki/Genozid Genozid] als Entscheidung eines souveränen Organs beglaubigen würde“ (ebd.), argumentiert Agamben.  


==== '''Der drohende Charakter der Polizei''' ====
==== '''Der drohende Charakter der Polizei''' ====
Agamben kritisiert weiterhin den drohenden Charakter der Polizei. Das „offene Vorzeigen der Waffen“ (Agamben 2001: 100) kennzeichne die Polizei zu allen Zeiten. Entscheidend ist für ihn dabei, dass Waffen an den „allerfriedlichsten öffentlichen Orten und im besonderen während der öffentlichen Zeremonien“ (ebd.) getragen würden. – die Drohung also keineswegs eine Ausnahme gegenüber Gesetzesberecher_Innen ist. Diese ständige „Ausstellung der souveränen Gewalt“ (ebd.) geht für ihn einher mit der Annahme, dass die Polizei sich ständig im Ausnahmezustand befinde. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung rechtfertige somit auch den drohenden Charakter der Polizei.  
Agamben kritisiert zudem den drohenden Charakter der Polizei. Das „offene Vorzeigen der Waffen“ (Agamben 2001: 100) kennzeichne die Polizei zu allen Zeiten. Entscheidend ist für ihn dabei, dass Waffen an den „allerfriedlichsten öffentlichen Orten und im besonderen während der öffentlichen Zeremonien“ (ebd.) getragen würden - die Drohung also keineswegs eine Ausnahme gegenüber Gesetzesberecher_Innen sei. Diese ständige „Ausstellung der souveränen Gewalt“ (ebd.) geht für ihn einher mit der Annahme, dass die Polizei sich ständig im Ausnahmezustand befinde. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung rechtfertige somit auch den drohenden Charakter der Polizei.  
Auch Walter Benjamin attestiert in seinem Essay der rechtserhaltenden Gewalt – und damit implizit der Polizei – einen drohenden Charakter (vgl. Benjamin 1991: 188). Er differenziert dabei zwischen Drohung und Abschreckung. Im Gegensatz zur Abschreckung, zu der eine Bestimmtheit gehöre, sei die Drohung der rechtserhaltenden Gewalt unbestimmt und in diesem Sinne allgegenwärtig (ebd.).  
 
Schon Walter Benjamin attestierte in seinem Essay der rechtserhaltenden Gewalt – und damit implizit der Polizei – einen drohenden Charakter (vgl. Benjamin 1991: 188). Er differenziert dabei zwischen Drohung und Abschreckung. Im Gegensatz zur Abschreckung, zu der eine Bestimmtheit gehöre, sei die Drohung der rechtserhaltenden Gewalt unbestimmt und in diesem Sinne allgegenwärtig (ebd.).  


==== '''Die Kriminalisierung des Souveräns''' ====
==== '''Die Kriminalisierung des Souveräns''' ====
Der „endgültige Eingang der Souverenität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 20012: 99) macht für Agamben neben dem drohenden Charakter auch die „Kriminalisierung des Gegners“ erforderlich. Zur Veranschaulichung seines Aspektes unterscheidet er zwischen der Situation vor Ende des Ersten Weltkrieges und die Zeit danach. Dabei bezieht er sich bei der Beschreibung der Zustands bis Ende des Ersten Weltkrieges auf [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt Carl Schmitt]. Demnach sei es nich möglich gewesen, über die Herrscher eines verfeindeten Staates als Kriminelle zu urteilen. Dieses Prinzip par in par non habet iurisdictionem sieht Schmitt im [http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4isches_Recht Europäischen Recht] verankert.So habe auch eine Kriegserklärung bis dahin nicht die Aufhebung dieses Prinzips bedeutet – somit fand der Konflikt gegen einen „als gleichwertig anerkannten Feind nach präzisen Regeln“ statt (Agamben 2001: 101).  
Der „endgültige Eingang der Souverenität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 20012: 99) macht für Agamben neben dem drohenden Charakter auch die „Kriminalisierung des Gegners“ erforderlich. Zur Veranschaulichung seines Aspektes unterscheidet er zwischen der Situation vor Ende des Ersten Weltkrieges und den Entwicklungen in der Zeit danach. Dabei bezieht er sich bei der Beschreibung des Zustands bis Ende des Ersten Weltkrieges auf [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt Carl Schmitt]. Demnach sei es nich möglich gewesen, über die Herrscher eines verfeindeten Staates als Kriminelle zu urteilen. Dieses Prinzip "par in par non habet iurisdictionem" („Ein souveräner Staat kann nicht über einen anderen zu Gericht sitzen“ (Agamben 2001: 139)) sieht Schmitt im [http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4isches_Recht Europäischen Recht] verankert. So habe auch eine Kriegserklärung bis dahin nicht die Aufhebung dieses Prinzips bedeutet – dadurch fand ein Konflikt gegen einen „als gleichwertig anerkannten Feind nach präzisen Regeln“ statt (Agamben 2001: 101).
Konnte demnach also kein „souveräner Staat über einen anderen zu Gericht sitzen“ (ebd.)
Das änderte sich nach dem Ende des [http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg Ersten Weltkriegs]: Von nun an sei eine Entwicklung zu beobachten gewesen, die es einem souveränen Staat ermöglichte, über einen anderen [http://de.wikipedia.org/wiki/Souver%C3%A4n Souverän] zu richten (Vgl. Agamben 2001: 101f), beschreibt Agamben. Dazu werde der gegnerische Souverän zunächst als Feind deklariert, aus der zivilisierten Menschheit ausgeschlossen und als kriminell abgestempelt. Diese Kriminalisierung des gegnerischen Souveräns als Feind, ermögliche es, diesen in einem zweiten Schritt mittels einer Polizeioperation zu vernichten. Diese unterliege dann keinen Rechten und Regeln mehr (ebd.).
Das änderte sich nach dem Ende des [http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg Ersten Weltkriegs]: Von nun an sei eine Entwicklung zu beobachten gewesen, die es einem souveränen Staat ermöglichte, über einen anderen [http://de.wikipedia.org/wiki/Souver%C3%A4n Souverän] zu richten (Vgl. Agamben 2001: 101f). Dazu wird nach Agamben der Feind zunächst deklariert, aus der zivilisierten Menschehiet ausgeschlossen und als kriminell abgestempelt. In einem zweiten Schritt werde der Feind in einer Polizeioperation, die keinen Rechten und Regeln mehr unterliegt, vernichtet. Dabei könne sich die Kriminalisierung des Feindes aber auch jederzeit gegen den Souverän selbst richten, schreibt Agamben (Vgl. Agamben 2001: 102). „Heute gibt es auf der Welt nicht ein Staatsoberhaupt, das nicht in diesem Sinne potentiell ein Verbrecher wäre“ (ebd.). (SOLL HIER NOCH DIE VERBRECHER NÄHE HIN?)
Agamben merkt an, dass sich ebendiese Kriminalisierung des Souveräns jederzeit auch gegen den richtenden Souverän selbst wenden könne. Er bezeichnet dies als einen "positiven Aspekt" (ebd.) der vielen Regierenden nicht klar sei. „Heute gibt es auf der Welt nicht ein Staatsoberhaupt, das nicht in diesem Sinne potentiell ein Verbrecher wäre“ (ebd.).  
In Benjamins ''Zur Kritik der Gewalt'' lassen sich zu diesem Kritikpunkt Agambens keine Gedanken finden.


== '''Fazit, Kritik und Weiterführungen''' ==
== '''Fazit, Kritik und Weiterführungen''' ==
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==== '''Kritik der Polizei als Kritik der Rechtsordnung''' ====
==== '''Kritik der Polizei als Kritik der Rechtsordnung''' ====
Sowohl Walter Benjamin in seinem Essay Zur Kritik der Gewalt als auch Giorgio Agamben in dem Text Souveräne Polizei formulieren keine für sich allein stehende Kritik an der Polizei. In beiden Fällen ist diese eingebettet in den Rahmen einer fundamentalen Kritik an der Rechtsordnung. Obwohl die Beispiele, auf die Benjamin und Agamben Bezug nehmen, aus unterschiedlichen Zeitkontexten stammen, ermöglicht ihre grundlegende Kritik ein gemeinsam geteiltes pessimistisches Fazit.  
Sowohl Walter Benjamin in seinem Essay ''Zur Kritik der Gewalt'' als auch Giorgio Agamben in ''Souveräne Polizei'' formulieren keine für sich alleinstehende Kritik an der Polizei. In beiden Fällen ist diese eingebettet in den Rahmen einer fundamentalen Kritik an der Rechtsordnung. Obwohl die Beispiele, auf die Benjamin und Agamben Bezug nehmen, aus unterschiedlichen Zeitkontexten stammen, ermöglicht ihre grundlegende Kritik ein gemeinsames pessimistisches Fazit.  
In seinem Essay bestätigt Benjamin mithilfe der Überlegungen zur Polizei seine Hauptthese im Bereich der rechtserhaltenden Gewalt. Auf diese Weise verfolgt er sein Ziel einer „Kritik des Rechts im Ganzen“ (Honneth 2011: 209, vgl. Saar 2006; Marcuse 1975). Benjamins radikale Kritik der Rechtsordnung geht in seiner Argumentation über in eine grundsätzliche „Infragestellung der gesellschaftlichen und geschichtlichen Mächte“ (Saar 2006: 116) seiner Zeit. Auch Agambens Polizeikritik ist ein einzelnes Fragment seiner grundlegenden Kritik an der Souveränität. Er stellt in seinem Text die strukturellen und wesentlichen Zusammenhänge zwischen Souverän und Polizei sowie Recht und Gewalt dar. Gegenstand seiner Kritik ist dementsprechend bereits deren strukturelle und latente Beziehung – nicht erst ihr Zusammenfallen in der Ununterscheidbarkeit des Ausnahmezustandes (vgl. Loick 2012: 230).
Anhand seiner Überlegungen zur Polizei, bestätigt Benjamin in seinem Essay seine Hauptthese im Bereich der rechtserhaltenden Gewalt. Auf diese Weise verfolgt er sein Ziel einer „Kritik des Rechts im Ganzen“ (Honneth 2011: 209, vgl. Saar 2006; Marcuse 1975). Benjamins radikale Kritik der Rechtsordnung geht in seiner Argumentation in eine grundsätzliche „Infragestellung der gesellschaftlichen und geschichtlichen Mächte“ (Saar 2006: 116) seiner Zeit über. Auch Agambens Polizeikritik ist ein einzelnes Fragment seiner grundlegenden Kritik an der Souveränität. Er stellt in seinem Text die strukturellen und wesentlichen Zusammenhänge zwischen Souverän und Polizei sowie Recht und Gewalt dar. Gegenstand seiner Kritik ist dementsprechend bereits deren strukturelle und latente Beziehung – nicht erst ihr Zusammenfallen in der Ununterscheidbarkeit des Ausnahmezustandes (vgl. Loick 2012: 230).


==== '''Maßstab der Kritik und Geschichtsphilosophie''' ====
==== '''Maßstab der Kritik und Geschichtsphilosophie''' ====
Auch bezüglich des Maßstabs und der Verwendung von Beispielen lassen sich Gemeinsamkeiten bei Benjamin und Agamben ausmachen. Beide argumentieren geschichtsphilosophisch und beziehen sich auf historische Gegebenheiten. Benjamin verweist explizit darauf, dass die Kritik der Gewalt „die Philosophie ihrer Geschichte“ (Benjamin 1991: 202) sei. Nach Abschluss seiner immanenten Kritik des Rechts versucht er mithilfe dieser geschichtsphilosophischen Perspektive einen externen, transzendierenden Standpunkt der Kritik außerhalb der Rechtsordnung einzunehmen (vgl. Honneth 2011: 206; 209). Agamben wiederum arbeitet mit historischen Beispielen aus dem Alten Rom und der Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Ferner verweist er auf seine Konzeption des Ausnahmezustandes als „Zone der Unterscheidungslosigkeit zwischen Gewalt und Recht“ (Agamben 2001: 100). Diese Zone beschreibt Agamben in seinem Werk auch als Schwelle der Ordnung. Schwelle bezeichnet dabei den Punkt, „an dem sich die Ordnung mit dem berührt, was nicht mehr zu dieser Ordnung gehört“ (Geulen 2005: 62). Mit diesem räumlichen Bild der Schwelle verbindet Agamben zugleich die zeitliche Vorstellung vom Anfang oder Ursprung der Ordnung (vgl. Geulen 2005: 62) und gibt folglich auch Hinweise auf eine geschichtsphilosophische Perspektive. Im Gegensatz zu Benjamins verbleibt Agambens Kritik aber innerhalb der Rechts- respektive Polizeiordnung – verzichtet also auf einen externen Maßstab.
Auch bezüglich des Maßstabs und der Verwendung von Beispielen lassen sich Gemeinsamkeiten bei Benjamin und Agamben ausmachen. Beide argumentieren geschichtsphilosophisch und beziehen sich auf historische Gegebenheiten. Benjamin verweist explizit darauf, dass die Kritik der Gewalt „die Philosophie ihrer Geschichte“ (Benjamin 1991: 202) sei. Nach Abschluss seiner immanenten Kritik des Rechts versucht er mithilfe dieser geschichtsphilosophischen Perspektive einen externen, transzendierenden Standpunkt der Kritik außerhalb der Rechtsordnung einzunehmen (vgl. Honneth 2011: 206; 209). Agamben wiederum arbeitet mit historischen Beispielen aus dem Alten Rom und der Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Ferner verweist er auf seine Konzeption des Ausnahmezustandes als „Zone der Unterscheidungslosigkeit zwischen Gewalt und Recht“ (Agamben 2001: 100). Diese Zone beschreibt Agamben in seinem Werk auch als Schwelle der Ordnung. Schwelle bezeichnet dabei den Punkt, „an dem sich die Ordnung mit dem berührt, was nicht mehr zu dieser Ordnung gehört“ (Geulen 2005: 62). Mit diesem räumlichen Bild der Schwelle verbindet Agamben zugleich die zeitliche Vorstellung vom Anfang oder Ursprung der Ordnung (vgl. Geulen 2005: 62) und gibt folglich auch Hinweise auf eine geschichtsphilosophische Perspektive. Im Gegensatz zu Benjamin verbleibt Agambens Kritik aber innerhalb der Rechts- respektive Polizeiordnung – er verzichtet also auf einen externen Maßstab.


=== '''Kritik an der Kritik: Das Verhältnis von Theorie und Empirie''' ===
=== '''Kritik an der Kritik: Das Verhältnis von Theorie und Empirie''' ===
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Benjamin in Zur Kritik der Gewalt und Agamben in Souveräne Polizei bedienen sich historischer Beispiele um ihre theoretischen Gedankengänge zu illustrieren/unterstützen. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob diese empirischen Befunde zu gültigen theoretischen Aussagen verallgemeinert werden können.  
In''Zur Kritik der Gewalt'' und ''Souveräne Polizei'' bedienen Benjamin und Agamben sich historischer Beispiele, um ihre theoretischen Gedankengänge zu illustrieren und unterstützen. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob diese empirischen Ergebnisse zu gültigen theoretischen Aussagen verallgemeinert werden können.  
Axel Honneth bemängelt beispielsweise, dass Benjamins Ausführungen zur rechtserhaltenden Gewalt und somit auch seine Polizeikritik auf problematischen Grundlagen beruhen würden (vgl. Honneth 2011: 203). Bei Benjamins Kritik handle es um die „Verallgemeinerung von historischen Erfahrungen“ (ebd.) argumentiert Honneth. Die theoretische Einschätzung dieser Erfahrungen verdanke „sich ganz offensichtlich lebhaftesten Eindrücken vom Machmißbrauch der Polizeibehörden“ (Honneth 2011: 202) zu Beginn der 1920er Jahre in der Weimarer Republik. Am meisten verstört Honneth hierbei Benjamins These über die Polizei in der Demokratie als die „denkbar größte Entartung der Gewalt“ (Benjamin 1991: 190; vgl. 1.3.3):  
[http://de.wikipedia.org/wiki/Honneth Axel Honneth] bemängelt beispielsweise, dass Benjamins Ausführungen zur rechtserhaltenden Gewalt und somit auch seine Polizeikritik auf problematischen Grundlagen beruhen würden (vgl. Honneth 2011: 203). Bei Benjamins Kritik handle es sich um die „Verallgemeinerung von historischen Erfahrungen“ (ebd.), argumentiert Honneth. Die theoretische Einschätzung dieser Erfahrungen verdanke „sich ganz offensichtlich lebhaftesten Eindrücken vom Machtmißbrauch der Polizeibehörden“ (Honneth 2011: 202) zu Beginn der 1920er Jahre in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik Weimarer Republik]. Am meisten verstört Honneth hierbei Benjamins These über die Polizei in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie Demokratie] als die „denkbar größte Entartung der Gewalt“ (Benjamin 1991: 190; vgl. 1.3.3): „Daß [sic!] es vielleicht auch ganz anders sein könnte, daß [sic!] nämlich gerade demokratische Gesellschaften mit der Zeit zivile Ressourcen der Bindung von Polizei und Militär entwickeln könnten, liegt außerhalb seines [Benjamins] Vorstellungshorizonts.“ (Honneth 2011: 202)
„Daß es vielleicht auch ganz anders sein könnte, daß nämlich gerade demokratische Gesellschaften mit der Zeit zivile Ressourcen der Bindung von Polizei und Militär entwickeln könnten, liegt außerhalb seines [Benjamins] Vorstellungshorizonts.“ (Honneth 2011: 202)
Auch Agambens Äußerungen – und damit verbunden die Interpretation seiner verwendeten Beispiele im Text ''Souveräne Polizei'', der [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweite Golfkrieg] oder die [http://de.wikipedia.org/wiki/Judenvernichtung Judenvernichtung] – gilt es kritisch zu hinterfragen. Daniel Loick äußert beispielsweise Bedenken über die historische Stimmigkeit der Überlegungen Agambens (vgl. Loick 2012: 232; 3.3). Dennoch betont er aber auch den positiven Aspekt, dass Agamben „Funktionsweisen und Zusammenhänge, die von der traditionellen Theorie der Souveränität gar nicht in den Blick genommen wurden“ (Loick 2012: 232) exponiert habe. Weiterführende Kritik an Agamben, die oftmals auf das Fehlen einer in sich geschlossenen Rechtstheorie insistiert, formulieren Fabian Steinhauer (vgl. Steinhauer 2010: 220-224) oder [http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Frankenberg Günter Frankenberg] (vgl. Frankenberg 2010: 148f.; 3.3).
Auch Agambens Äußerungen – und damit verbunden die Interpretation seiner verwendeten Beispiele, im Text Souveräne Polizei der Zweite Golfkrieg oder die Judenvernichtung – gilt es kritisch zu hinterfragen. Daniel Loick äußert beispielsweise Bedenken über die historische Stimmigkeit der Überlegungen Agambens (vgl. Loick 2012: 232; 3.3). Dennoch betont er aber auch den positiven Aspekt, dass Agamben „Funktionsweisen und Zusammenhänge, die von der traditionellen Theorie der Souveränität gar nicht in den Blick genommen wurden“ (Loick 2012: 232) exponierte. Weiterführende Kritik an Agamben, die oftmals auf das Fehlen einer in sich geschlossenen Rechtstheorie insistiert, formulieren Fabian Steinhauer (vgl. Steinhauer 2010: 220-224) oder Günter Frankenberg (vgl. Frankenberg 2010: 148f.; 3.3).




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