Kritik der Polizei bei Walter Benjamin und Giorgio Agamben: Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''Kritik der Polizei''' thematisieren sowohl [[Walter Benjamin]] als auch [[Giorgio Agamben]] in ihren Werken. Der deutsche Philosoph und kritische Theoretiker Walter Benjamin beschäftigt sich in seinem Essay ''Zur Kritik der Gewalt'' von 1920/1921 mit der Rolle der Polizei innerhalb der [http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsordnung Rechtsordnung] und hinterfragt ihr Verhältnis zur Gewalt. Er kritisiert, dass die Polizei Gewalt nicht nur als Mittel zur Rechtserhaltung anwende, sondern innerhalb von Ermessungsspielräumen durch Gewaltanwendung Recht auch selber setze. Rund siebzig Jahre später veröffentlicht der italienische Sozialphilosoph Giorgio Agamben 1995 seinen Text ''Souveräne Polizei''. Unter Bezugnahme auf Benjamins Schrift beschreibt er den „Eingang der Souveränität in die Polizei“ – das Zusammenfallen von Recht und Gewalt, was er als Ausnahmezustand bezeichnet, innerhalb dessen die Polizei eigenmächtig handle und keinen gesetzlichen Einschränkungen unterliege. 


Die '''Kritik der Polizei''' thematisieren sowohl [[Walter Benjamin]] als auch [[Giorgio Agamben]] in ihren Werken. Der deutsche Philosoph und kritische Theoretiker Walter Benjamin beschäftigt sich in seinem Essay ''Zur Kritik der Gewalt'' von 1920/1921 mit der Rolle der Polizei innerhalb der [http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsordnung Rechtsordnung] und hinterfragt ihr Verhältnis zur Gewalt. Er kritisiert, dass die Polizei Gewalt nicht nur als Mittel zur Rechtserhaltung anwende, sondern innerhalb von Ermessungsspielräumen durch Gewaltanwendung Recht auch selber setze. Rund siebzig Jahre später veröffentlicht der italienische Sozialphilosoph Giorgio Agamben 1995 seinen Text ''Souveräne Polizei''. Unter Bezugnahme auf Benjamins Schrift beschreibt er den „Eingang der Souveränität in die Polizei“ – das Zusammenfallen von Recht und Gewalt, was er als Ausnahmezustand bezeichnet. Innerhalb dieses dürfe die Polizei eigenmächtig handeln und unterliege keinen gesetzlichen Einschränkungen.
Walter Benjamin hat Giorgio Agamben sowohl inhaltlich als auch stilistisch geprägt (vgl.[http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&ved=0CCUQFjAA&url=http%3A%2F%2Fwww.phil-fak.uni-duesseldorf.de%2Fagamben%2FInhalte%2FPlakat_web_pdf.pdf&ei=-MxAUKiKA8SytAag8oCICg&usg=AFQjCNHG7ln-vun5_wlDCrlcxNA3rqOqTA Benjamin – Agamben. Symposium über das Politische im 21. Jahrhundert] ). Der 1942 geborene Italiener editierte bislang unbekannte Manuskripte des deutschen Philosophen, ist Mitherausgeber der italienischen Gesamtausgabe Benjamins und Verfasser mehrerer Aufsätze. Während seine Rezeption des Werkes Walter Benjamins in den vergangenen Jahren große internationale Aufmerksamkeit auf sich zog (vgl. Geulen 2005: 138-142; Steinhauer 2010: 206; Borsó/Morgenroth/Solibakke/Witte 2010), wurde den Gemeinsamkeiten der Polizeikritiken Benjamins und Agambens bislang nur wenig Beachtung geschenkt.  


Walter Benjamin hat Giorgio Agamben sowohl inhaltlich als auch stilistisch geprägt (vgl. Flyer für Symposium: Benjamin – Agamben. Symposium über das Politische im 21. Jahrhundert). Der 1942 geborene Italiener editierte bislang unbekannte Manuskripte des deutschen Philosophen, ist Mitherausgeber der italienischen Gesamtausgabe Benjamins und Verfasser mehrerer Aufsätze. Während seine Rezeption des Werkes Walter Benjamins in den vergangenen Jahren große internationale Aufmerksamkeit auf sich zog (vgl. Geulen 2005: 138-142; Steinhauer 2010: 206; Borsó / Morgenroth / Solibakke / Witte 2010), haben Wissenschaftler_Innen den Gemeinsamkeiten der  Polizeikritiken Benjamins und Agambens in der Literatur bislang nur wenig Beachtung geschenkt.


'''Inhaltsverzeichnis'''
== '''Walter Benjamin''' ==
== '''Walter Benjamin''' ==


=== '''Zeit- und theoretischer Kontext''' ===
=== '''Zeit- und theoretischer Kontext''' ===
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Walter Benjamin verfasste den Essay ''Zur Kritik der Gewalt'' während der Jahreswende 1920/21 (vgl. Honneth 2011: 193). Die bekannteste und am häufigsten zitierte Version des Textes befindet sich in Band 2.1 von Walter Benjamins Gesammelten Schriften, die 1991 von Rolf Tiedemann und Hermann Schwepenhäuser im Frankfurter Suhrkamp Verlag publiziert wurden (vgl. Benjamin 1991). Vermutlich plante Benjamin, der sich Anfang der 1920er Jahre verstärkt mit politischen Fragen auseinandersetzte, den Essay als Teil einer längeren Abhandlung über Politik, die aber unausgeführt blieb (vgl. Honneth 2011: 193; Saar 2006: 113). Wenige Jahre nach Ende des [http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg Ersten Weltkriegs] und der [http://de.wikipedia.org/wiki/Novemberrevolution Novemberrevolution] im [http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Reich Deutschen Reich] (1918) sowie den russischen Revolutionen und dem darauf folgenden [http://de.wikipedia.org/wiki/Russischer_B%C3%BCrgerkrieg Bürgerkrieg] (1917-1921) befand sich „das europäische Modell der bürgerlichen, liberalen und parlamentarischen Demokratie“ (Derrida 1991: 66) und die damit verbundene Vorstellung von einem [http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsstaat Rechtsstaat] in einer tiefen Krise. Neben der Analyse dieses Zustandes forderte zu dieser Zeit insbesondere die Frage nach der rechtlichen Legitimität außerstaatlicher, revolutionärer Gewalt die Rechtstheoretiker_Innen, Politiker_Innen und politischen Philosoph_Innen heraus (vgl. Honneth: 193; 200). Auch Walter Benjamin reflektierte in seinem Text, mit Rückgriff auf die Schriften der politischen Theoretiker_Innen [http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_P%C3%A9guy Charles Péguy], [http://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Sorel Georges Sorel] und Ernst Unger, über diese besondere gesellschaftliche Konstellation (vgl. Honneth 2011: 193f.). Das zeigt sich unter anderem bei der Auswahl der von ihm verwendeten Beispiele des [http://de.wikipedia.org/wiki/Streikrecht#Streikrecht_in_Deutschland Streikrechts] und des revolutionären [http://de.wikipedia.org/wiki/Generalstreik Generalstreiks] oder seiner scharfen Kritik an der damaligen Polizei. Am deutlichsten tritt es am Ende des Essays hervor, wo Benjamin die eigentliche Fragestellung des Essays diskutiert:
Walter Benjamin verfasste den Essay ''Zur Kritik der Gewalt'' während der Jahreswende 1920/21 (vgl. Honneth 2011: 193). Die bekannteste und am häufigsten zitierte Version des Textes befindet sich in Band 2.1 von Walter Benjamins Gesammelten Schriften, die 1991 von Rolf Tiedemann und [http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Schweppenh%C3%A4user Hermann Schwepenhäuser] im Suhrkamp Verlag publiziert wurden (vgl. Benjamin 1991). Vermutlich plante Benjamin, der sich Anfang der 1920er Jahre verstärkt mit politischen Fragen auseinandersetzte, den Essay als Teil einer längeren Abhandlung über Politik, die aber unausgeführt blieb (vgl. Honneth 2011: 193; Saar 2006: 113). Wenige Jahre nach Ende des [http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg Ersten Weltkriegs] und der [http://de.wikipedia.org/wiki/Novemberrevolution Novemberrevolution] im [http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Reich Deutschen Reich] (1918) sowie den russischen Revolutionen und dem darauf folgenden [http://de.wikipedia.org/wiki/Russischer_B%C3%BCrgerkrieg Bürgerkrieg] (1917-1921) befand sich „das europäische Modell der bürgerlichen, liberalen und parlamentarischen Demokratie“ (Derrida 1991: 66) und die damit verbundene Vorstellung von einem [http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsstaat Rechtsstaat] in einer tiefen Krise. Neben der Analyse dieses Zustandes forderte zu dieser Zeit insbesondere die Frage nach der rechtlichen Legitimität außerstaatlicher, revolutionärer Gewalt die Rechtstheoretiker_Innen, Politiker_Innen und politischen Philosoph_Innen heraus (vgl. Honneth: 193; 200). Auch Walter Benjamin reflektierte in seinem Text, mit Rückgriff auf die Schriften der politischen Theoretiker_Innen [http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_P%C3%A9guy Charles Péguy], [http://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Sorel Georges Sorel] und Ernst Unger, diese besondere gesellschaftliche Konstellation (vgl. Honneth 2011: 193f.). Das zeigt sich unter anderem bei der Auswahl der von ihm verwendeten Beispiele des [http://de.wikipedia.org/wiki/Streikrecht#Streikrecht_in_Deutschland Streikrechts] und des revolutionären [http://de.wikipedia.org/wiki/Generalstreik Generalstreiks] oder seiner scharfen Kritik an der damaligen Polizei.
„Sein [Benjamins] eigentliches Thema ist ersichtlich nicht das der Stellung der Gewalt im modernen Recht; auch widmet er sich im weiteren nicht einfach der Frage nach der Gewalt des Rechts, die er vielmehr wie selbstverständlich für positiv beantwortet hält; ihn beschäftigt letztlich eine Quelle und Form von Gewalt, die von so umstürzlerischer Art ist, daß [sic!] sie der gewaltsamen Institution des Rechts im Ganzen ein Ende bereiten kann.“ (Honneth 2011: 193)
 
Am deutlichsten tritt dies am Ende des Essays hervor, wo Benjamin die eigentliche Fragestellung des Essays diskutiert:
<blockquote>„Sein [Benjamins] eigentliches Thema ist ersichtlich nicht das der Stellung der Gewalt im modernen Recht; auch widmet er sich im weiteren nicht einfach der Frage nach der Gewalt des Rechts, die er vielmehr wie selbstverständlich für positiv beantwortet hält; ihn beschäftigt letztlich eine Quelle und Form von Gewalt, die von so umstürzlerischer Art ist, daß [sic!] sie der gewaltsamen Institution des Rechts im Ganzen ein Ende bereiten kann.“ (Honneth 2011: 193)</blockquote>


=== '''Die Argumentation im Essay''' ===
=== '''Die Argumentation im Essay''' ===
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==== '''Die Kriminalisierung des Souveräns''' ====
==== '''Die Kriminalisierung des Souveräns''' ====
Der „endgültige Eingang der Souverenität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 20012: 99) macht für Agamben neben dem drohenden Charakter auch die „Kriminalisierung des Gegners“ erforderlich. Zur Veranschaulichung seines Aspektes unterscheidet er zwischen der Situation vor Ende des Ersten Weltkrieges und den Entwicklungen in der Zeit danach. Dabei bezieht er sich bei der Beschreibung des Zustands bis Ende des Ersten Weltkrieges auf [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt Carl Schmitt]. Demnach sei es nich möglich gewesen, über die Herrscher eines verfeindeten Staates als Kriminelle zu urteilen. Dieses Prinzip "par in par non habet iurisdictionem" („Ein souveräner Staat kann nicht über einen anderen zu Gericht sitzen“ (Agamben 2001: 139)) sieht Schmitt im [http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4isches_Recht Europäischen Recht] verankert. So habe auch eine Kriegserklärung bis dahin nicht die Aufhebung dieses Prinzips bedeutet – dadurch fand ein Konflikt gegen einen „als gleichwertig anerkannten Feind nach präzisen Regeln“ statt (Agamben 2001: 101).   
Der „endgültige Eingang der Souveränität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 20012: 99) macht für Agamben neben dem drohenden Charakter auch die „Kriminalisierung des Gegners“ erforderlich. Zur Veranschaulichung seines Aspektes unterscheidet er zwischen der Situation vor Ende des Ersten Weltkrieges und den Entwicklungen in der Zeit danach. Dabei bezieht er sich bei der Beschreibung des Zustands bis Ende des Ersten Weltkrieges auf [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt Carl Schmitt]. Demnach sei es nich möglich gewesen, über die Herrscher eines verfeindeten Staates als Kriminelle zu urteilen. Dieses Prinzip "par in par non habet iurisdictionem" („Ein souveräner Staat kann nicht über einen anderen zu Gericht sitzen“ (Agamben 2001: 139)) sieht Schmitt im [http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4isches_Recht Europäischen Recht] verankert. So habe auch eine Kriegserklärung bis dahin nicht die Aufhebung dieses Prinzips bedeutet – dadurch fand ein Konflikt gegen einen „als gleichwertig anerkannten Feind nach präzisen Regeln“ statt (Agamben 2001: 101).   
Das änderte sich nach dem Ende des [http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg Ersten Weltkriegs]: Von nun an sei eine Entwicklung zu beobachten gewesen, die es einem souveränen Staat ermöglichte, über einen anderen [http://de.wikipedia.org/wiki/Souver%C3%A4n Souverän] zu richten (Vgl. Agamben 2001: 101f), beschreibt Agamben. Dazu werde der gegnerische Souverän zunächst als Feind deklariert, aus der zivilisierten Menschheit ausgeschlossen und als kriminell abgestempelt. Diese Kriminalisierung des gegnerischen Souveräns als Feind, ermögliche es, diesen in einem zweiten Schritt mittels einer Polizeioperation zu vernichten. Diese unterliege dann keinen Rechten und Regeln mehr (ebd.).  
Das änderte sich nach dem Ende des [http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg Ersten Weltkriegs]: Von nun an sei eine Entwicklung zu beobachten gewesen, die es einem souveränen Staat ermöglichte, über einen anderen [http://de.wikipedia.org/wiki/Souver%C3%A4n Souverän] zu richten (Vgl. Agamben 2001: 101f), beschreibt Agamben. Dazu werde der gegnerische Souverän zunächst als Feind deklariert, aus der zivilisierten Menschheit ausgeschlossen und als kriminell abgestempelt. Diese Kriminalisierung des gegnerischen Souveräns als Feind, ermögliche es, diesen in einem zweiten Schritt mittels einer Polizeioperation zu vernichten. Diese unterliege dann keinen Rechten und Regeln mehr (ebd.).  
Agamben merkt an, dass sich ebendiese Kriminalisierung des Souveräns jederzeit auch gegen den richtenden Souverän selbst wenden könne. Er bezeichnet dies als einen "positiven Aspekt" (ebd.) der vielen Regierenden nicht klar sei. „Heute gibt es auf der Welt nicht ein Staatsoberhaupt, das nicht in diesem Sinne potentiell ein Verbrecher wäre“ (ebd.).  
Agamben merkt an, dass sich ebendiese Kriminalisierung des Souveräns jederzeit auch gegen den richtenden Souverän selbst wenden könne. Er bezeichnet dies als einen "positiven Aspekt" (ebd.) der vielen Regierenden nicht klar sei. „Heute gibt es auf der Welt nicht ein Staatsoberhaupt, das nicht in diesem Sinne potentiell ein Verbrecher wäre“ (ebd.).  
In Benjamins ''Zur Kritik der Gewalt'' lassen sich zu diesem Kritikpunkt Agambens keine Gedanken finden.  
In Benjamins ''Zur Kritik der Gewalt'' lassen sich zu diesem Kritikpunkt Agambens keine Gedanken finden.


== '''Fazit, Kritik und Weiterführungen''' ==
== '''Fazit, Kritik und Weiterführungen''' ==
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=== '''Kritik an der Kritik: Das Verhältnis von Theorie und Empirie''' ===
=== '''Kritik an der Kritik: Das Verhältnis von Theorie und Empirie''' ===
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In''Zur Kritik der Gewalt'' und ''Souveräne Polizei'' bedienen Benjamin und Agamben sich historischer Beispiele, um ihre theoretischen Gedankengänge zu illustrieren und unterstützen. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob diese empirischen Ergebnisse zu gültigen theoretischen Aussagen verallgemeinert werden können.  
In ''Zur Kritik der Gewalt'' und ''Souveräne Polizei'' bedienen Benjamin und Agamben sich historischer Beispiele, um ihre theoretischen Gedankengänge zu illustrieren und unterstützen. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob diese empirischen Ergebnisse zu gültigen theoretischen Aussagen verallgemeinert werden können.  
[http://de.wikipedia.org/wiki/Honneth Axel Honneth] bemängelt beispielsweise, dass Benjamins Ausführungen zur rechtserhaltenden Gewalt und somit auch seine Polizeikritik auf problematischen Grundlagen beruhen würden (vgl. Honneth 2011: 203). Bei Benjamins Kritik handle es sich um die „Verallgemeinerung von historischen Erfahrungen“ (ebd.), argumentiert Honneth. Die theoretische Einschätzung dieser Erfahrungen verdanke „sich ganz offensichtlich lebhaftesten Eindrücken vom Machtmißbrauch der Polizeibehörden“ (Honneth 2011: 202) zu Beginn der 1920er Jahre in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik Weimarer Republik]. Am meisten verstört Honneth hierbei Benjamins These über die Polizei in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie Demokratie] als die „denkbar größte Entartung der Gewalt“ (Benjamin 1991: 190; vgl. 1.3.3): „Daß [sic!] es vielleicht auch ganz anders sein könnte, daß [sic!] nämlich gerade demokratische Gesellschaften mit der Zeit zivile Ressourcen der Bindung von Polizei und Militär entwickeln könnten, liegt außerhalb seines [Benjamins] Vorstellungshorizonts.“ (Honneth 2011: 202)
[http://de.wikipedia.org/wiki/Honneth Axel Honneth] bemängelt beispielsweise, dass Benjamins Ausführungen zur rechtserhaltenden Gewalt und somit auch seine Polizeikritik auf problematischen Grundlagen beruhen würden (vgl. Honneth 2011: 203). Bei Benjamins Kritik handle es sich um die „Verallgemeinerung von historischen Erfahrungen“ (ebd.), argumentiert Honneth. Die theoretische Einschätzung dieser Erfahrungen verdanke „sich ganz offensichtlich lebhaftesten Eindrücken vom Machtmißbrauch der Polizeibehörden“ (Honneth 2011: 202) zu Beginn der 1920er Jahre in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik Weimarer Republik]. Am meisten verstört Honneth hierbei Benjamins These über die Polizei in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie Demokratie] als die „denkbar größte Entartung der Gewalt“ (Benjamin 1991: 190; vgl. 1.3.3): „Daß [sic!] es vielleicht auch ganz anders sein könnte, daß [sic!] nämlich gerade demokratische Gesellschaften mit der Zeit zivile Ressourcen der Bindung von Polizei und Militär entwickeln könnten, liegt außerhalb seines [Benjamins] Vorstellungshorizonts.“ (Honneth 2011: 202)
Auch Agambens Äußerungen – und damit verbunden die Interpretation seiner verwendeten Beispiele im Text ''Souveräne Polizei'', der [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweite Golfkrieg] oder die [http://de.wikipedia.org/wiki/Judenvernichtung Judenvernichtung] – gilt es kritisch zu hinterfragen. Daniel Loick äußert beispielsweise Bedenken über die historische Stimmigkeit der Überlegungen Agambens (vgl. Loick 2012: 232; 3.3). Dennoch betont er aber auch den positiven Aspekt, dass Agamben „Funktionsweisen und Zusammenhänge, die von der traditionellen Theorie der Souveränität gar nicht in den Blick genommen wurden“ (Loick 2012: 232) exponiert habe. Weiterführende Kritik an Agamben, die oftmals auf das Fehlen einer in sich geschlossenen Rechtstheorie insistiert, formulieren Fabian Steinhauer (vgl. Steinhauer 2010: 220-224) oder [http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Frankenberg Günter Frankenberg] (vgl. Frankenberg 2010: 148f.; 3.3).
Auch Agambens Äußerungen – und damit verbunden die Interpretation seiner verwendeten Beispiele im Text ''Souveräne Polizei'', der [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweite Golfkrieg] oder die [http://de.wikipedia.org/wiki/Judenvernichtung Judenvernichtung] – gilt es kritisch zu hinterfragen. Daniel Loick äußert beispielsweise Bedenken über die historische Stimmigkeit der Überlegungen Agambens (vgl. Loick 2012: 232; 3.3). Dennoch betont er aber auch den positiven Aspekt, dass Agamben „Funktionsweisen und Zusammenhänge, die von der traditionellen Theorie der Souveränität gar nicht in den Blick genommen wurden“ (Loick 2012: 232) exponiert habe. Weiterführende Kritik an Agamben, die oftmals auf das Fehlen einer in sich geschlossenen Rechtstheorie insistiert, formulieren Fabian Steinhauer (vgl. Steinhauer 2010: 220-224) oder [http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Frankenberg Günter Frankenberg] (vgl. Frankenberg 2010: 148f.; 3.3).


=== ''' Weiterführungen''' ===
=== ''' Weiterführungen''' ===
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==== '''Rezeption von Benjamins Essay Zur Kritik der Gewalt''' ====  
==== '''Rezeption von Benjamins Essay ''Zur Kritik der Gewalt'' ''' ====  
Erst mit den 1970er Jahren setzte in der Literatur eine intensivere Rezeption des Essays Zur Kritik der Gewalt ein (vgl. Honneth 2011: 193). Benjamins radikale Kritik an der Rechtsordnung diente unter anderem Herbert Marcuse als Grundlage für seine Rechtskritik und revolutionstheoretischen Überlegungen (vgl. Marcuse 1975). Auch Jacques Derrida (vgl. Derrida 1991) und Giorgio Agamben (vgl. Agamben 2001; 2002; 2004) bauten auf Benjamin als „Basis für den Entwurf von eigenen Theorien über das Verhältnis von Recht, Gerechtigkeit und Politik“ (Honneth 2011: 193) auf.  
Erst in den 1970er Jahren setzte in der Literatur eine intensivere Rezeption des Essays ''Zur Kritik der Gewalt'' ein (vgl. Honneth 2011: 193). Benjamins radikale Kritik an der Rechtsordnung dient unter anderem [http://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Marcuse Herbert Marcuse] als Grundlage für seine Rechtskritik und revolutionstheoretischen Überlegungen (vgl. Marcuse 1975). Auch [http://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Derrida Jacques Derrida] (vgl. Derrida 1991) und Giorgio Agamben (vgl. Agamben 2001; 2002; 2004) bauen ihre Argumentationen auf Benjamin als „Basis für den Entwurf von eigenen Theorien über das Verhältnis von Recht, Gerechtigkeit und Politik“ (Honneth 2011: 193).  
Wissenschaftler_innen wie Judith Butler, Christoph Menke oder Daniel Loick beziehen sich in den letzten Jahren auf einzelne Aspekte von Benjamins Essay. Butler setzt sich dabei vor allem mit Benjamins Begriffen von Kritik, Rechtszwang und dem „Satz von der Heiligkeit des Lebens“ (vgl. Benjamin 1991: 201) auseinander (vgl. Butler 2006). Christoph Menke hingegen führt Benjamin als Teil seiner Argumentation für ein selbstreflexives Recht ein (vgl. Menke 2012). Im Kern geht es Menke um das Verhältnis von Recht und Nicht-Recht beziehungweise Gewalt (vgl. Menke 2012: 10) sowie der Möglichkeit eines anderen Rechts, dass über seine eigenen konstitutiven Gewaltmomente reflektiert (vgl. Menke 2012: 102). Mit Benjamin und der Interpretation von Passagen aus unterschiedlichen Werken und Texten wie Wolokolamsker Chaussee 1: Russisch Eröffnung, Sophokles' König Ödipus oder Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist versucht Menke diese Gedankengänge zu plausibilisieren. Daniel Loicks kritische Theorie der Souveränität bringt stattdessen „die Vermutung in Anschlag, dass nur durch eine grundsätzliche Überwindung konventioneller Formen staatlicher Herrschaft das gesellschaftliche Gewaltaufkommen reduziert, politische Ausgrenzung und Repression vermindert werden können“ (Loick 2012: 22). Als ein Moment dieses Programms rekonstruiert Loick Benjamins Kritik der rechtserhaltenden Gewalt in Gestalt der Polizei (vgl. Loick 2012: 181-197). Ferner verweist er auf weitere, von Loius Althusser inspirierte, kritische Theorien der Polizei in den Werken von Michel Foucault und Jacques Ranciére (vgl. Loick 2012: 196f.).
Wissenschaftler_innen wie [http://de.wikipedia.org/wiki/Judith_Butler Judith Butler], [http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Menke Christoph Menke] oder Daniel Loick beziehen sich in den vergangenen Jahren auf einzelne Aspekte aus Benjamins Essay. Butler setzt sich dabei vor allem mit Benjamins Begriffen von Kritik, Rechtszwang und dem „Satz von der Heiligkeit des Lebens“ (vgl. Benjamin 1991: 201) auseinander (vgl. Butler 2006). Christoph Menke hingegen führt Benjamin als Teil seiner Argumentation für ein selbstreflexives Recht ein (vgl. Menke 2012). Im Kern geht es Menke um das Verhältnis von Recht und Nicht-Recht beziehungweise Gewalt (vgl. Menke 2012: 10), sowie der Möglichkeit eines anderen Rechts, das über seine eigenen konstitutiven Gewaltmomente reflektiert (vgl. Menke 2012: 102). Mit Benjamin und der Interpretation von Passagen aus unterschiedlichen Werken und Texten wie ''Wolokolamsker Chaussee 1: Russisch Eröffnung'', [http://de.wikipedia.org/wiki/Sophokles Sophokles'] ''König Ödipus'' oder ''Der zerbrochne Krug'' von [http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_von_Kleist Heinrich von Kleist] versucht Menke, diese Gedankengänge zu plausibilisieren. Daniel Loicks kritische Theorie der Souveränität bringt stattdessen „die Vermutung in Anschlag, dass nur durch eine grundsätzliche Überwindung konventioneller Formen staatlicher Herrschaft das gesellschaftliche Gewaltaufkommen reduziert, politische Ausgrenzung und Repression vermindert werden können“ (Loick 2012: 22). Als einen Moment dieses Programms rekonstruiert Loick Benjamins Kritik der rechtserhaltenden Gewalt in Gestalt der Polizei (vgl. Loick 2012: 181-197). Ferner verweist er auf weitere, von [http://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Althusser Louis Althusser] inspirierte, kritische Theorien der Polizei in den Werken von [[Michel Foucault]] und [http://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Ranci%C3%A8re Jacques Rancière] (vgl. Loick 2012: 196f.).


==== '''Die Thematisierung des Ausnahmezustandes''' ====
==== '''Die Thematisierung des Ausnahmezustandes''' ====
Zu Agambens Konzeption des Ausnahmezustandes findet sich eine Vielzahl an Sekundärliteratur (vgl. Geulen 2005; Loick 2012: 214-232; Steinhauer 2010, Frankenberg 2010). Günter Frankenberg beispielsweise untersucht mit rechtstheoretischer Perspektive das Verhältnis von liberaler, rechtstaatlicher Staatstechnik, Gewalt sowie Ausnahmezustand (vgl. Frankenberg 2010). Er arbeitet dabei vor allem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Agamben und Carl Schmitt in ihren Vorstellungen vom Ausnahmezustand auf (vgl. Frankenberg 2010: 145-149).
Zu Agambens Konzeption des Ausnahmezustandes findet sich eine Vielzahl an Sekundärliteratur (vgl. Geulen 2005; Loick 2012: 214-232; Steinhauer 2010, Frankenberg 2010). Günter Frankenberg beispielsweise untersucht mit rechtstheoretischer Perspektive das Verhältnis von liberaler, rechtstaatlicher Staatstechnik, Gewalt sowie Ausnahmezustand (vgl. Frankenberg 2010). Er arbeitet dabei vor allem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Agamben und [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt Carl Schmitt] in ihren Vorstellungen vom Ausnahmezustand aus (vgl. Frankenberg 2010: 145-149).
 
 
 


==Literatur==
==Literatur==
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== Verwandte Artikel ==
== Verwandte Artikel ==
'''Personen'''
'''Personen'''
* [[Carl Schmitt]]
* [[Giorgio Agamben]]
* [[Giorgio Agamben]]
* [[Michel Foucault]] (Neben Benjamin eine der Hauptquellen für Agamben)
* [[Walter Benjamin]]
* [[Walter Benjamin]]
* [[Michel Foucault]] 


'''Themen'''
'''Themen'''
* [[Feindstrafrecht]]  
* [[Feindstrafrecht]]  
* [[Tropa de Elite]] (Film)
* [[Polizei]]
* [[Polizei]]
* [[Souveräne Polizei]]
* [[Zur Kritik der Gewalt]]
* [[Polizeirecht]]
* [[Polizeirecht]]
* [[Souveräne Polizei]] (Text von Agamben)
* [[Tropa de Elite]] (Film)
* [[Zur Kritik der Gewalt]] (Text von Benjamin)
== Weblinks ==
* Benjamin, Walter (1921) Zur Kritik der Gewalt, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik (pdf) [[http://www.sciacchitano.it/Pensatori%20epistemici/Benjamin/Zur%20Kritik%20der%20Gewalt.pdf]]
* Hesse, Christoph (2007) Walter Benjamin und die Frankfurter Schule. Vortrag Goethe Institut Tiflis. Rote Ruhr Uni. [[http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Hesse_Benjamin_FrankfurterSchule.pdf]]
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