Kritik der Polizei bei Walter Benjamin und Giorgio Agamben: Unterschied zwischen den Versionen

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=== '''Formales, Zeit- und theoretischer Kontext''' ===
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Agambens Text ''Souveräne Polizei'' wurde 2001 in seinem Sammelband Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik im diaphanes-Verlag publiziert (vgl. Agamben 2001). Die italienische Erstausgabe des Bandes (Mezzi senza fine – Note sulla politica) erschien fünf Jahre zuvor im Verlag Bolla Boringhieri. In den zum großen Teil fragmentarisch gehaltenen Texten in Mittel ohne Zweck formuliert Agamben „eine radikale Kritik von Politik im Zeitalter entleerter Kategorien“ (Agamben 2001: Klappentext). Als Grundlage hierfür analysiert er mit Rückbezug auf Theorien von Hannah Arendt, [[Carl Schmitt]], [[Michel Foucault]] und [[Walter Benjamin]] aktuelle politische Ereignisse. Damit zeigt Agamben neue Perspektiven und Fragestellungen auf das Politische im 21. Jahrhundert auf (Agamben 2001: 9, Vorbemerkungen von Mittel ohne Zweck).  
Agambens Text ''Souveräne Polizei'' wurde 2001 in seinem Sammelband Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik im diaphanes-Verlag publiziert (vgl. Agamben 2001). Die italienische Erstausgabe des Bandes (Mezzi senza fine – Note sulla politica) erschien fünf Jahre zuvor im Verlag Bolla Boringhieri. In den zum großen Teil fragmentarisch gehaltenen Texten in Mittel ohne Zweck formuliert Agamben „eine radikale Kritik von Politik im Zeitalter entleerter Kategorien“ (Agamben 2001: Klappentext). Als Grundlage hierfür analysiert er mit Rückbezug auf Theorien von [http://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt Hannah Arendt], [[Carl Schmitt]], [[Michel Foucault]] und [[Walter Benjamin]] aktuelle politische Ereignisse. Damit zeigt Agamben neue Perspektiven und Fragestellungen auf das Politische im 21. Jahrhundert auf (Agamben 2001: 9, Vorbemerkungen von Mittel ohne Zweck).  


Die Kritik an zeitgenössischen politischen Vorstellungen und Ereignissen durchzieht das gesamte Werk Agambens (vgl. Steinhauer 2010: 207). Auch in Souveräne Polizei nimmt er gleich zu Beginn des Textes Bezug auf eine konkrete politische Situation: Das Verhältnis von Souverän und Polizei im Rahmen des Zweiten Golfkriegs (1990/91) und die von George H. W. Bush Senior proklamierte New World Order nach Ende des Kalten Krieges sind der historische Gegenstand, den Agamben zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen nimmt (vgl. Agamben 2001: 99).
Die Kritik an zeitgenössischen politischen Vorstellungen und Ereignissen durchzieht das gesamte Werk Agambens (vgl. Steinhauer 2010: 207). Auch in Souveräne Polizei nimmt er gleich zu Beginn des Textes Bezug auf eine konkrete politische Situation: Das Verhältnis von Souverän und Polizei im Rahmen des Zweiten Golfkriegs (1990/91) und die von George H. W. Bush Senior proklamierte [http://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Weltordnung New World Order] nach Ende des [http://de.wikipedia.org/wiki/Kalter_Krieg Kalten Krieges] sind der historische Gegenstand, den Agamben zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen nimmt (vgl. Agamben 2001: 99).


=== '''Die Stellung des Texts im Werk Agambens''' ===
=== '''Die Stellung des Texts im Werk Agambens''' ===
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==== '''Der Zusammenhang zwischen Souverän und Polizei und die Folgen für das Verhältnis von Gewalt und Recht''' ====
==== '''Der Zusammenhang zwischen Souverän und Polizei und die Folgen für das Verhältnis von Gewalt und Recht''' ====
Giorgio Agambens untersuchungsleitende These ist „der endgültige Eingang der Souveränität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 2001: 99). Er formuliert sie gleich zu Beginn seines Textes Souveräne Polizei. Diese Entwicklung glaubt er an der historischen Gegebenheit des Zweiten Golfkriegs auszumachen. Demnach sei das Kriegsrecht als „Polizeioperation“ (ebd.) ausgeübt worden. Dabei stellt diese konkrete Situation für ihn im Bezug auf das Verhältnis von Souverän und Polizei keine Ausnahme sondern vielmehr ein wesentliches und strukturelles Merkmal dar. Agamben stellt fest, dass die Polizei, entgegen der allgemeinen Ansicht, „die in ihr eine rein administrative Funktion der Vollstreckung des Rechts sieht“ (Agamben 2001: 99), vielmehr ein Ort ist, an dem Gewalt und Recht vertauscht würden/zusammen fielen?. Am Beispiel der Figur des im Alten Rom regierenden Konsuls und des Liktors, dem Vollstrecker der Todesurteile, zeigt er die nicht zufällige Nähe zwischen Souverän und Gewalt auf (ebd.). Da der Souverän das Recht setzt – notfalls auch mit Gewalt – manifestiert sich in seiner Person der Zusammenhang von Recht und Gewalt.  
Giorgio Agambens untersuchungsleitende These ist „der endgültige Eingang der Souveränität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 2001: 99). Er formuliert sie gleich zu Beginn seines Textes Souveräne Polizei. Diese Entwicklung glaubt er an der historischen Gegebenheit des [http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg Zweiten Golfkriegs] auszumachen. Demnach sei das [http://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsv%C3%B6lkerrecht Kriegsrecht] als „Polizeioperation“ (ebd.) ausgeübt worden. Dabei stellt diese konkrete Situation für ihn im Bezug auf das Verhältnis von Souverän und Polizei keine Ausnahme sondern vielmehr ein wesentliches und strukturelles Merkmal dar. Agamben stellt fest, dass die Polizei, entgegen der allgemeinen Ansicht, „die in ihr eine rein administrative Funktion der Vollstreckung des Rechts sieht“ (Agamben 2001: 99), vielmehr ein Ort ist, an dem Gewalt und Recht vertauscht würden/zusammen fielen? Am Beispiel der Figur des im [http://de.wikipedia.org/wiki/Altes_Rom Alten Rom] regierenden Konsuls und des [http://de.wikipedia.org/wiki/Liktor Liktors], dem Vollstrecker der Todesurteile, zeigt er die nicht zufällige Nähe zwischen Souverän und Gewalt auf (ebd.). Da der Souverän das Recht setzt – notfalls auch mit Gewalt – manifestiert sich in seiner Person der Zusammenhang von Recht und Gewalt.  
Eine gleiche Nähe sieht er zwischen Souverän und Polizei: Um die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren, unterscheide die Polizei in jedem Einzelfall neu, wie sie handelt und setzt so selbst Recht. Dadurch bilde sich eine Zone der Entscheidungslosigkeit (vgl. Agamben 2001: 100). Herrscht kein Unterschied mehr zwischen Gewalt und Recht, spricht Agamben vom Ausnahmezustand, „die Polizei bewegt sich sozusagen immer in einem solchen >Ausnahmezustand<.  HIER JETZT BENJAMIN, TROPA DE ELITE  
Eine gleiche Nähe sieht er zwischen Souverän und Polizei: Um die [http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffentliche_Sicherheit_und_Ordnung öffentliche Sicherheit und Ordnung] zu wahren, unterscheide die Polizei in jedem Einzelfall neu, wie sie handelt und setzt so selbst Recht. Dadurch bilde sich eine Zone der Entscheidungslosigkeit (vgl. Agamben 2001: 100). Herrscht kein Unterschied mehr zwischen Gewalt und Recht, spricht Agamben vom Ausnahmezustand, „die Polizei bewegt sich sozusagen immer in einem solchen >Ausnahmezustand<.  HIER JETZT BENJAMIN, TROPA DE ELITE  
Als weiteres, streitbares Beispiel führt Agamben die Judenvernichtung im Dritten Reich an: Nur weil diese von Anfang bis Ende als Polizeioperation geplant worden sei, habe sie so mörderisch und methodisch sein können (vgl. Agamben 2001: 101). Abgesehen von der Wannseekonferenz sei nie „auch nur ein einziges Dokument gefunden worden, das den Genozid als Entscheidung eines souveränen Organs beglaubigen würde“ (ebd.), argumentiert Agamben.  
Als weiteres, streitbares Beispiel führt Agamben die [http://de.wikipedia.org/wiki/Judenvernichtung Judenvernichtung] im Dritten Reich an: Nur weil diese von Anfang bis Ende als Polizeioperation geplant worden sei, habe sie so mörderisch und methodisch sein können (vgl. Agamben 2001: 101). Abgesehen von der [http://de.wikipedia.org/wiki/Wannseekonferenz Wannseekonferenz] sei nie „auch nur ein einziges Dokument gefunden worden, das den [http://de.wikipedia.org/wiki/Genozid Genozid] als Entscheidung eines souveränen Organs beglaubigen würde“ (ebd.), argumentiert Agamben.  


==== '''Drohender Charakter''' ====
==== '''Drohender Charakter''' ====
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==== '''Kriminalisierung des Souveräns''' ====
==== '''Kriminalisierung des Souveräns''' ====
Der „endgültige Eingang der Souverenität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 20012: 99) macht für Agamben neben dem drohenden Charakter auch die „Kriminalisierung des Gegners“ erforderlich. Zur Veranschaulichung seines Aspektes unterscheidet er zwischen der Situation vor Ende des Ersten Weltkrieges und die Zeit danach. Dabei bezieht er sich bei der Beschreibung der Zustands bis Ende des Ersten Weltkrieges auf Carl Schmitt. Demnach sei es nich möglich gewesen, über die Herrscher eines verfeindeten Staates als Kriminelle zu urteilen. Dieses Prinzip par in par non habet iurisdictionem sieht Schmitt im Europäischen Recht verankert.So habe auch eine Kriegserklärung bis dahin nicht die Aufhebung dieses Prinzips bedeutet – somit fand der Konflikt gegen einen „als gleichwertig anerkannten Feind nach präzisen Regeln“ statt (Agamben 2001: 101).  
Der „endgültige Eingang der Souverenität in die Gestalt der Polizei“ (Agamben 20012: 99) macht für Agamben neben dem drohenden Charakter auch die „Kriminalisierung des Gegners“ erforderlich. Zur Veranschaulichung seines Aspektes unterscheidet er zwischen der Situation vor Ende des Ersten Weltkrieges und die Zeit danach. Dabei bezieht er sich bei der Beschreibung der Zustands bis Ende des Ersten Weltkrieges auf [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt Carl Schmitt]. Demnach sei es nich möglich gewesen, über die Herrscher eines verfeindeten Staates als Kriminelle zu urteilen. Dieses Prinzip par in par non habet iurisdictionem sieht Schmitt im [http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4isches_Recht Europäischen Recht] verankert.So habe auch eine Kriegserklärung bis dahin nicht die Aufhebung dieses Prinzips bedeutet – somit fand der Konflikt gegen einen „als gleichwertig anerkannten Feind nach präzisen Regeln“ statt (Agamben 2001: 101).  
Konnte demnach also kein „souveräner Staat über einen anderen zu Gericht sitzen“ (ebd.) h
Konnte demnach also kein „souveräner Staat über einen anderen zu Gericht sitzen“ (ebd.)  
Das änderte sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: Von nun an sei eine Entwicklung zu beobachten gewesen, die es einem souveränen Staat ermöglichte, über einen anderen Souverän zu richten (Vgl. Agamben 2001: 101f). Dazu wird nach Agamben der Fein zunächst deklariert,  aus der zivilisierten Menschehiet ausgeschlossen und als kriminell abgestempelt. In einem zweiten Schritt werde der Feind in einer Polizeioperation, die keinen Rechten und Regeln mehr unterliegt, vernichtet. Dabei könne sich die Kriminalisierung des Feindes aber auch jederzeit gegen den Souverän selbst richten, schreibt Agamben (Vgl. Agamben 2001: 102). „Heute gibt es auf der Welt nicht ein Staatsoberhaupt, das nicht in diesem Sinne potentiell ein Verbrecher wäre“ (ebd.). (SOLL HIER NOCH DIE VERBRECHER NÄHE HIN?)
Das änderte sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: Von nun an sei eine Entwicklung zu beobachten gewesen, die es einem souveränen Staat ermöglichte, über einen anderen Souverän zu richten (Vgl. Agamben 2001: 101f). Dazu wird nach Agamben der Feind zunächst deklariert,  aus der zivilisierten Menschehiet ausgeschlossen und als kriminell abgestempelt. In einem zweiten Schritt werde der Feind in einer Polizeioperation, die keinen Rechten und Regeln mehr unterliegt, vernichtet. Dabei könne sich die Kriminalisierung des Feindes aber auch jederzeit gegen den Souverän selbst richten, schreibt Agamben (Vgl. Agamben 2001: 102). „Heute gibt es auf der Welt nicht ein Staatsoberhaupt, das nicht in diesem Sinne potentiell ein Verbrecher wäre“ (ebd.). (SOLL HIER NOCH DIE VERBRECHER NÄHE HIN?)




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