Kriminologie in der DDR: Unterschied zwischen den Versionen

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==Begriff der sozialistischen Kriminologie in der DDR==
==Begriff der sozialistischen Kriminologie in der DDR==
Die sozialistische [[Kriminologie]] versteht sich als marxistisch-leninistische [[Gesellschaftswissenschaft]], die sich mit dem sozialen Wesen, dem Stand der Entwicklung und der Struktur der [[Kriminalität]] als Gesamtheit sowie mit wesentlichen Teilerscheinungen (Delikt- und Tätergruppen), mit dem Auftreten von Straftaten in bestimmten Territorien oder in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen, den Ursachen und begünstigenden Bedingungen von Kriminalitätserscheinungen, mit der Persönlichkeit des Täters sowie mit den Grunderfordernissen der Verhütung und Bekämpfung von Strafrechtsverletzungen beschäftigt.
Die sozialistische [[Kriminologie]] versteht sich als marxistisch-leninistische [[Gesellschaftswissenschaft]]. Ihr Gegenstand ist das sozialen Wesen, der Stand der Entwicklung und der Struktur der [[Kriminalität]] als Gesamtheit sowie wesentlichen Teilerscheinungen (Delikt- und Tätergruppen). Weiter beschäftigt sie sich mit dem Auftreten von Straftaten in bestimmten Territorien oder in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen, den Ursachen und begünstigenden Bedingungen von Kriminalitätserscheinungen, mit der Persönlichkeit des Täters sowie mit den Grunderfordernissen der Verhütung und Bekämpfung von Strafrechtsverletzungen.
Dabei bezog sich die sozialistische Kriminologie in der [[Deutschen Demokratischen Republik]] (DDR) insbesondere auf Erfahrungen und Ergebnisse der sowjetischen Kriminologie. Grundsätzlich sei die Kriminalität dem Sozialismus wesensfremd. Durch die fortschreitende gesellschaftliche Entwicklung steige die Zuversicht, die Kriminalität gänzlich aus der Gesellschaftsordnung zu verdrängen.
Dabei bezog sich die sozialistische Kriminologie in der [[Deutschen Demokratischen Republik]] (DDR) insbesondere auf Erfahrungen und Ergebnisse der sowjetischen Kriminologie. Grundsätzlich sei die Kriminalität dem Sozialismus wesensfremd. Die vorherrschende Ideologie, dass durch die fortschreitende gesellschaftliche Entwicklung die Kriminalität gänzlich aus der Gesellschaftsordnung zu verdrängen gelinge.


==Ideologie==
==Ideologie==
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==Erklärungsansatz zur Kriminalität==
==Erklärungsansatz zur Kriminalität==
Die Erklärungen der sozialistischen Kriminologie waren wesentlich an das Gesellschaftsmodell gebunden. Dieses Modell sah die Ursachen für Kriminalität insbesondere in der Existenz von Klassen. Die "ausbeutende" Klasse (Eigentümer der Produktionsmittel) wäre diejenige, die alles besitzen würde, während die "ausgebeutete" Klasse (die Arbeiter) in Armut leben muss und zudem einer willkürlichen Klassenjustiz ausgesetzt sei. Aus dem Widerspruch dieser beiden sich feindlich gegenüberstehenden Klassen resultiere der Grundkonflikt, der auch die Kriminalität erzeugen würde. Überdies würden Gesetze von der herrschenden Klasse diktiert und die Strafverfolgung deren Intentionen unterworfen. Mit der Beseitigung dieser Klassengesellschaft würde auch die Wurzel der Kriminalität ausgeräumt. Mit fortschreitender Umwandlung der gesellschaftlichen Bedingungen von kapitalistischen zu sozialistischen Eigentumsverhältnissen sah man die Möglichkeit des Bewusstseinwandels der Gesellschaftsmitglieder, die schließlich zunehmend freiwillig gesellschaftliche Normen einhalten würden.
Die Erklärungen der sozialistischen Kriminologie waren wesentlich an das Gesellschaftsmodell gebunden. Dieses Modell sah die Ursachen für Kriminalität insbesondere in der Existenz von Klassen(Klassenkampftheorie). Die "ausbeutende" Klasse (Eigentümer der Produktionsmittel) wäre diejenige, die alles besitzen würde, während die "ausgebeutete" Klasse (die Arbeiter) in Armut leben muss und zudem einer willkürlichen Klassenjustiz ausgesetzt sei. Aus dem Widerspruch dieser beiden sich feindlich gegenüberstehenden Klassen resultiere der Grundkonflikt, der auch die Kriminalität erzeugen würde. Überdies würden Gesetze von der herrschenden Klasse diktiert und die Strafverfolgung deren Intentionen unterworfen. Mit der Beseitigung dieser Klassengesellschaft würde auch die Wurzel der Kriminalität ausgeräumt. Mit fortschreitender Umwandlung der gesellschaftlichen Bedingungen von kapitalistischen zu sozialistischen Eigentumsverhältnissen sah man die Möglichkeit des Bewusstseinwandels der Gesellschaftsmitglieder, die schließlich zunehmend freiwillig gesellschaftliche Normen einhalten würden.
Die in den damaligen sozialistischen Ländern noch existierende Kriminalität schrieb man wesentlich den noch existierenden Resten [[Rudimenttheorie]] zu. Demnach hatte die Kriminalität im [[Ostblock]] mit [[Rudimenten]] (Überbleibseln) kapitalistischen Denkens zu tun. Ein weiterer Erklärungsansatz bestand in den falschen Vorbildern der kapitalistischen Staaten und deren Einwirkung bürgerlicher Ideologie, besonders im [[imperialistischen]] Westdeutschland.
Die in den damaligen sozialistischen Ländern noch existierende Kriminalität schrieb man wesentlich den noch existierenden Resten [[Rudimenttheorie]] zu. Demnach hatte die Kriminalität im [[Ostblock]] mit [[Rudimenten]] (Überbleibseln) kapitalistischen Denkens zu tun. Ein weiterer Erklärungsansatz bestand in den falschen Vorbildern der kapitalistischen Staaten und deren Einwirkung bürgerlicher Ideologie, besonders im [[imperialistischen]] Westdeutschland.
Aufgrund des Zusammenbruchs des sozialistischen Länderblocks Anfang der neunziger Jahre, ist dieser Theorieansatz kaum mehr von Bedeutung. Gewisse Ähnlichkeiten lassen sich in der [[Anomietheorie]] und im [[labeling approach]] erkennen.
Aufgrund des Zusammenbruchs des sozialistischen Länderblocks Anfang der neunziger Jahre, ist dieser Theorieansatz kaum mehr von Bedeutung. Gewisse Ähnlichkeiten lassen sich in der [[Anomietheorie]] und im [[labeling approach]] erkennen.
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*zur methodisch- statistischen Auswertung der Daten ([[Signifikanzprüfung]],[[Korrelationsanalyse]], Faktorenanalyse)
*zur methodisch- statistischen Auswertung der Daten ([[Signifikanzprüfung]],[[Korrelationsanalyse]], Faktorenanalyse)


Von vielfältigen Methoden der Erfassung sozialer und personaler Sachverhalte sind für die sozialistische Kriminologie insbesondere, aber nicht ausschließlich, die Dokumentenanalyse (Unterlagen aus Strafverfahren, Vorgeschichte von Tätern, Statistiken/ Analysen sozialer und demografischer Sachverhalte, [[Kriminalstatistiken]])und die Befragung (Interview, Exploration, Fragebogen) von Wert. Dabei muss erwähnt werden, dass die Erhebung und Veröffentlichung kriminalstatistischer Daten nicht in erforderlicher Differenzierung geschah. In den Jahren 1971 bis 1978 wurden im statistischen Jahrbuch der DDR keine Angaben zur Entwicklung der Kriminalitätsrate veröffentlicht. Erst 1978 wurden wieder Kriminalstatistiken aufgenommen. Des Weiteren gab es keine Angaben zur geschlechtsspezifischen Verteilung der Kriminalität.
Von vielfältigen Methoden der Erfassung sozialer und personaler Sachverhalte sind für die sozialistische Kriminologie insbesondere, aber nicht ausschließlich, die Dokumentenanalyse (Unterlagen aus Strafverfahren, Vorgeschichte von Tätern, Statistiken/ Analysen sozialer und demografischer Sachverhalte, [[Kriminalstatistiken]]) und die Befragung (Interview, Exploration, Fragebogen) von Wert. Dabei muss erwähnt werden, dass die Erhebung und Veröffentlichung kriminalstatistischer Daten nicht in erforderlicher Differentzierung geschah. In den Jahren 1971 bis 1978 wurden im statistischen Jahrbuch der DDR keine Angaben zur Entwicklung der Kriminalitätsrate veröffentlicht. Erst 1978 wurden wieder Kriminalstatistiken aufgenommen. Des Weiteren gab es keine Angaben zur geschlechtsspezifischen Verteilung der Kriminalität.


=Quellen/ Literatur=
=Quellen/ Literatur=
*''Böhm, Alexander: Kriminologie in sozialistischen Ländern, Bochum, 1985
*Böhm, Alexander: Kriminologie in sozialistischen Ländern, Bochum, 1985


*''Dr. R. Müller: Zur Persönlichkeit des Straftäters im Zusammenhang mit der Entstehung, Vorbeugung und Bekämpfung von
*Dr. R. Müller: Zur Persönlichkeit des Straftäters im Zusammenhang mit der Entstehung, Vorbeugung und Bekämpfung von
  Straftaten, insbesondere von schweren Straftaten gegen das sozialistische Eigentum, Potsdam, 1982
Straftaten, insbesondere von schweren Straftaten gegen das sozialistische Eigentum, Potsdam, 1982


*''Schüßler Gerhard: Kriminalitätsursachen und Probleme der Kriminalitätsforschung in der DDR, Materialien d. Arbeitskreises
*Schüßler Gerhard: Kriminalitätsursachen und Probleme der Kriminalitätsforschung in der DDR, Materialien d. Arbeitskreises
  Kriminalitätsbekämpfung im Rat für Staats- u. Rechtswiss. Forschung an d. Akad. d. Wiss. d. DDR, Berlin, Akademie-Verlag,  
Kriminalitätsbekämpfung im Rat für Staats- u. Rechtswiss. Forschung an d. Akad. d. Wiss. d. DDR, Berlin, Akademie-Verlag,  
  1976
1976


*''Erich Buchholz/Osers Ewald: Socialist criminology: Theoretical and methodical foundations, Farnborough, Lexington Books,   
*Erich Buchholz/Osers Ewald: Socialist criminology:Theoretical and methodical foundations, Farnborough, Lexington Books,1974    
  1974
*''Erich Buchholz: Sozialistische Kriminologie: Ihre theoretische u. methodologische Grundlegung, 2. Aufl., Berlin, 1971


*''Buchholz/Hartmann/Lekschas: Sozialistische Kriminologie: Versuch einer theoretischen Grundlegung, Berlin, 1966
*Erich Buchholz: Sozialistische Kriminologie: Ihre theoretische u. methodologische Grundlegung, 2. Aufl., Berlin, 1971


*''Prof. Dr. Reingard Nisse: Kriminalistische Kompetenzen, Bd.2, Kapitel IV, Pkt. 3.6
*Buchholz/Hartmann/Lekschas: Sozialistische Kriminologie: Versuch einer theoretischen Grundlegung, Berlin, 1966


*''Buchholz, Erich unter Mitwirkung von Imgard Buchholz und Luisa Kubiak: Sozialismus und Kriminalität:  
*Prof. Dr. Reingard Nisse: Kriminalistische Kompetenzen, Bd.2, Kapitel IV, Pkt. 3.6
  Kriminalitätsentwicklung in der DDR im Vergleich mit der in der BRD, Berlin, 2005 ''
  (Gesamttitel: Marxistisch-leninistische Schriftenreihe für Geschichte, Politik, Ökonomie und Philosophie)''


*''Schwind: Kriminologie, Heidelberg, 15. Aufl., 2005, §4,32/§8,16
*Buchholz, Erich unter Mitwirkung von Imgard Buchholz und Luisa Kubiak: Sozialismus und Kriminalität:  
Kriminalitätsentwicklung in der DDR im Vergleich mit der in der BRD, Berlin, 2005,(Gesamttitel: Marxistisch-leninistische 
Schriftenreihe für Geschichte, Politik, Ökonomie und Philosophie)''


*''Prof. Dr. sc. Böhme: Wörterbuch der sozialistischen Kriminalistik, Berlin, 1981, S.250-252
*Schwind: Kriminologie, Heidelberg, 15. Aufl., 2005, §4,32/§8,16


*''Günther Sander: Kriminalität und Kriminologie in der DDR, KrimJ, Heft 1/1982  
*Prof. Dr. sc. Böhme: Wörterbuch der sozialistischen Kriminalistik, Berlin, 1981, S.250-252
 
*Günther Sander: Kriminalität und Kriminologie in der DDR, KrimJ, Heft 1/1982  


==Weblinks==
==Weblinks==
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