Kriminalpolitik: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 30. März 2009, 12:09 Uhr

Mit der Bekämpfung und Analyse der Kriminalität beschäftigen sich viele Bereiche (Teilbereiche) unserer Gesellschaft. Alle diese Bereiche kann man unter dem Dach der Kriminalpolitik (lat. crimen - das Verbrechen) zusammenfassen. Sie ist demnach die Gesamtheit aller gewollten staatlichen und nicht-staatlichen Einwirkungen auf den Umgang mit Straftaten, Straftätern, Opfern und weiteren Beteiligten. So geht es in der Kriminalpolitik z.B. um Fragen der Strafgesetzgebung (Kriminalisierung, Entkriminalisierung), des Strafvollzugs, der Kriminalitätsprävention, des Opferschutzes und der Opferentschädigung.

Begriffsentstehung

Erstmals dürfte der Begriff um 1800 verwandt worden sein. Es folgten seither recht unterschiedliche Definitionsansätze und Beschreibungsversuche. So verstand man die Kriminalpolitik zeitweise als eine Symbiose von Erkenntnis und Politik oder die Inkorporation der "gesetzgebenden Staatsweisheit". Rechtswissenschaftler subsumieren unter Kriminalpolitik überwiegend gesetzgeberische Reformvorhaben im Bereich des materiellen und formellen Strafrechts einschließlich der Rechtsanwendung und des Strafvollzugs.

Die Begriffe Kriminalität, Verbrechen und Kriminalpolitik stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang und bedingen sich gleichermaßen. Einserseits definiert sich Kriminalpolitik darüber, das Verbrechen zu bekämpfen, andererseit ist das Verbrechen aber erst das Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses, den die Kriminalpolitik selbst setzt.

In der Kriminologie wird heute zwischen praktischer und wissenschaftlicher Kriminalpolitik unterschieden.

Wissenschaftliche Kriminalpolitik

Man kann unter dem Aspekt der einer strengen Abgrenzung zur Kriminologie die wissenschaftliche Kriminalpolitik als eine Wissenschaft umreissen, die sich neben den allgemein sicherheitspolitischen und -strategischen Fragen auch mit Reformmaßnahmen der Strafrechtsgenese im weiteren Sinne und der Durchführung der Kriminalitätsbekämpfung mittels Strafrechts und -vollzugs auseinandersetzt. Die umfasst die "systematisch geordnete Darstellung der gesellschaftlichen Strategien, Taktiken und Sanktionsmittel zur Erreichung optimaler Verbrechenskontrolle."

Praktische Kriminalpolitik

Die praktische Kriminalpolitik ist gehalten, Verbrechen und Kriminalität zu bekämpfen. Sie soll dynamisch sein und sich den von der Wissenschaft aufgezeigten sozialen Transformationen in stetiger Reformierung des Strafrechts und der Strafrechtspflege anpassen. Zum Postulat einer harmonischen Kriminalitätskontrolle ist sie gehalten, rechtsstaatliche/-politische Prinzipien wie u.a. Humanität, Gleichheit vor dem Gesetz und Verhältnismässigkeitsgrundsätze zu berücksichtigen und innerhalb formal gezogener Grenzen effiziente Techniken und Methoden der Kriminalitätskontrolle erarbeiten und der Gesellschaftsstruktur zu adaptieren.

Globalisierung und Kriminalpolitik

Nach Henner Hess (2002: 227) senkt die Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer direkt und indirekt den Lebensstandard großer Teile der Bevölkerung. Dadurch - und durch beschleunigte Migrationsbewegungen - nimmt zum einen die Armutsbevölkerung zu. Höhere kriminalitätsraten können Ausdruck sozialer Umwälzungsprozesse (Erhöhung der sozialen Ungleichheit, gesteigerte Migration, Intensivierung sozialer Konflikte). Dabei zeigt sich, dass der Abbau sozialstaatlicher Sicherungselemente oftmals mit einem Ausbau ordnungssattlicher (kriminalpolitischer) instrumente einhergeht. Steigt die gesellschaftliche Konfliktintensität, so werden auch Verfolgungsleistungen intensiviert. DAbei werden oftmals (etwa am Beispiel der Suchtkriminalität, der organisierten Kriminalität oder der "Bettelei") Delikte und Tätergruppen symbolisch verstärkt hervorgehoben.

Ziel der Kriminalpolitik

Die Kriminalpolitik als Teil der Politik dient dem kriminalrechtlichen Schutz von Rechtsgütern im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Kriminalitätsverfolgung und -prophylaxe. Als Grundlagen ihrer Entscheidungen stützt sich die Kriminalpolitik weitgehend auf die Erkenntnisse der Kriminologie und der sonstigen Strafrechtswissenschaften. Überdies hat sie aber auch Bezüge zur Sozial-, Wirtschaftspolitik pp., selbst zur Außenpolitik (Internationalität des Verbrechens). Das Ziel der Politik ist, die innere Sicherheit und die individuellen Freiheitsrechte, die in einem Spannungsverhältnis stehen, zu gewährleisten.

Gleichsam wird sie als Begriffsfeld umrissen, in dem es um die Entwicklung und Realisierung von Leitlinien für die verfassungsmäßige Reduzierung von Rechtsbrüchen und Verbrechensfurcht durch koordinierte staatliche und gesellschaftliche Maßnahmen geht. Akteure der Kriminalpolitik sind hier gesellschaftliche Gruppen, Bürger, Wirtschaft, Strafverfolgungsorgane, Politik und verschiedene Wissenschaftsdisziplinen.

Franz von Liszt sah schon in der Kriminalpolitik das ultima ratio der Sozialpolitik, die quasi dann zur Wirkung kommen sollte, wenn andere politische Maßnahmen zu Eindämmung des Verbrechens versagt hätten.

Diskurse der Kriminalpolitik

Kriminalpolitik legt ihren Entscheidungen Tatsachen der Verbrechenswirklichkeit und -bekämpfung zugrunde, reagiert und reflektiert gleichsam aber auch gesellschaftliche Bewusstseinsveränderungen der unterschiedlichen Partikularinteressen. Hierbei muss sie eine Vielzahl von ökonmomischen und sozialpsychologischen Tendenzen in Rechnung stellen, die sich wiederum somit auch auf unterschiedliche politische Diskurse auswirken.

Der konservative Diskurs fordert einen starken Staat. Hierbei tritt der Staat dann als Garant für den Schutz seiner loyalen Bürger gegen Gefahren von innen und außen auf. So avanciert die Sicherheit von Staat und Gesellschaft zur entscheidenden Rahmensetzung für Frieden, Wohlstand und rechtsstaatlich regulierte Freiheit. Den Gesetzen Respekt zu verschaffen, hart durchzugreifen, wenn sich Einzelne oder Gruppen der gesetzten Wertordnung entziehen, dadurch Integration und Funktionsfähigkeit der Gesellschaft zu erhalten, ist gleichermaßen Voraussetzung, Zweck und Bestimmung der Staatsräson.

Der anti-staatliche Diskurs gilt als Antipode des konservativen und vermutet dort, wo sich der Staat und seine Sicherheitsbehörden als umfassender Sicherheitsgarant sehen, eine garantierte Negation der Freiheit. Auf der einen Seite avanciert der "linke" Sicherheitsdiskurs zum Advokaten von Freiheitsrechten, Randgruppen und Minderheiten, auf der anderen Seite bleibt er der latenten Kritik ausgesetzt, einem berechtigten Sicherheitsinteresse der Bevölerung nicht gerecht zu werden.

Der liberale Diskurs unterscheidet sich von den anderen beiden, indem er sich im Regelfall einer klug argumentierten Einseitigkeit entzieht. Er akzeptiert die Notwendigkeit von Sicherheitsleistungen, betont aber dabei, dass diese stets, auch beim unterstellten besten rechtsstaatlichen Willen der an ihrer Umsetzung beteiligten Personen, umschlagen kann in Einschränkungen und Gefährungen dessen, was sie schützen will: die Freiheit der Gesellschaft

Kritik

Postulate der Kriminalpolitik sind Senkung von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht. Indes gilt zu beachten, dass eine exakte Messung von Kriminalität nie möglich ist. Jährlich wird eine empirische Objektivierung von Kriminalität in der PKS (Polizeiliche Kriminalstatistik) vorgenommen. Diese erfasst aber nur die angezeigte oder von Kontrollinstanzen entdeckte Kriminalität (Hellfeld). Damit bildet sie aber keinesfalls ein reales Abbild der Verbrechenswirklichkeit. Durch kriminalpolitische Entscheidungen lassen sich die Bedingungsfaktoren für Anzeigeverhalten und Aufdeckungsmöglichkeiten verändern. Diese Maßnahmen führen im Ergebnis wiederum zwar zu veränderten Qualifizierungen und Quantifizierungen von Kriminalität. Indes belegen sie aber nicht, ob sich reale Veränderungen in der Verbrechenswirklichkeit ergeben. Daher sind alle kriminalpolitischen Wertentenscheidungen, die sich auf eine Aussage zur empirischen Verbrechenswirklichkeit beziehen, nur bedingt aussagefähig.


Literatur

  • Hess, Henner (2002) Globalisierung und Kriminalpolitik. Vom gegenwärtigen Wandel sozialer Kontrolle. In: De Giorgi, Raffaele (Hg.) Il Diritto e La Differenza. Scritti in onore di Alessandro Baratta. Lecce: Pensa: 227-245.
  • Neue Kriminalpolitik (NK). Zeitschrift im Nomos Verlag. Baden-Baden.
  • Zipf, Heinz (1980) Kriminalpolitik. Ein Lehrbuch. 2. Aufl. Karlsruhe. C.F. Müller.
  • Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat (2008) Suhrkamp

Links