Kriminalitätsfurcht: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Stephanie Thiel'''
==Etymologie==
==Etymologie==


Zur Etymologie s.a. [[Kriminalität]].
Zur Etymologie s.a. [[Kriminalität]].


''Furcht'' geht auf das gotische faúrhtei (vgl. engl. fright) zurück. Vom althochdeutschen for[a]hta (8. Jh.) über das mittelhochdeutsche vorht[e] erschien der Begriff mit dem heute üblichen u-Vokal erstmals im 14. Jh. Ab dem 16. Jhd. war diese Schreibweise verbreitet, obgleich sich ''Forcht'' noch bis ins 18. Jh. hielt. Die genaue Herkunft und außergermanische Beziehungen sind nicht gesichert. Furcht hat im Laufe der Zeit unterschiedliche Bedeutungen gehabt, die oft parallel existierten. Überwiegend wurde darunter Schreck, Angst, Respekt oder die Erwartung eines Übels verstanden.
''Furcht'' geht auf das gotische faúrhtei (vgl. engl. fright) zurück. Vom althochdeutschen for[a]hta (8. Jh.) über das mittelhochdeutsche vorht[e] erschien der Begriff mit dem heute üblichen u-Vokal erstmals im 14. Jh. Ab dem 16. Jh. war diese Schreibweise verbreitet, obgleich sich ''Forcht'' noch bis ins 18. Jh. hielt. Die genaue Herkunft und außergermanische Beziehungen sind nicht gesichert. Furcht hat im Laufe der Zeit unterschiedliche Bedeutungen gehabt, die oft parallel existierten. Überwiegend wurde darunter Schreck, Angst, Respekt oder die Erwartung eines Übels verstanden.


Furcht und ''Angst'' bezeichnen ähnliche emotionale Zustände. Der Begriff Angst hat jedoch lateinische Wurzeln: angor steht für Beklemmung bzw. angustia für Enge (vgl. engl. anxiety).
Furcht und ''Angst'' bezeichnen ähnliche emotionale Zustände. Der Begriff Angst hat jedoch lateinische Wurzeln: angor steht für Beklemmung bzw. angustia für Enge (vgl. engl. anxiety).
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Gestützt wird diese Annahme durch Inhaltsanalysen, die zeigen, dass Art, Ausmaß und Platzierung der Kriminalitätsberichterstattung ein verzerrtes Bild der Realität liefern. Gewaltkriminalität beherrscht etwa ein Drittel der kriminalitätsbezogenen Berichterstattung, obwohl sie in der [[Polizeiliche Kriminalstatistik|Polizeilichen Kriminalstatistik]] zusammen nur etwa 2 % der Gesamtkriminalität ausmacht. Den Polizeipressestellen kommt hier eine Filterfunktion in der Informationsübermittlung zu, da sie in erster Linie darüber entscheiden, welche Fälle an die Presse weitergegeben werden.
Gestützt wird diese Annahme durch Inhaltsanalysen, die zeigen, dass Art, Ausmaß und Platzierung der Kriminalitätsberichterstattung ein verzerrtes Bild der Realität liefern. Gewaltkriminalität beherrscht etwa ein Drittel der kriminalitätsbezogenen Berichterstattung, obwohl sie in der [[Polizeiliche Kriminalstatistik|Polizeilichen Kriminalstatistik]] zusammen nur etwa 2 % der Gesamtkriminalität ausmacht. Den Polizeipressestellen kommt hier eine Filterfunktion in der Informationsübermittlung zu, da sie in erster Linie darüber entscheiden, welche Fälle an die Presse weitergegeben werden.


Ein zweiter Überprüfungsansatz ist die Medienwirkungsforschung. Die Zusammenhänge gelten als komplex. Medien können beeinflussen, welche Themen in der Öffentlichkeit diskutiert werden (Agenda-Setting). Bestehende Einstellungen können so zwar nicht verändert, aber verstärkt werden. Zudem scheinen Printmedien eher im kognitiven Bereich wirksam zu werden, während elektronische Medien in erster Linie Emotionen ansprechen. Kriminalitätsfurcht wird v.a. bei wahrgenommener sozialer, personaler und räumlicher Ähnlichkeit zwischen der Situation des Rezipienten und der des Opfers ausgelöst. Massenmedien wirken also nicht generell furchtsteigernd oder -auslösend, sondern nur unter bestimmten spezifischen Bedingungen (differentielle Medienwirkung; Boers 1991: 139 ff.).
Ein zweiter Überprüfungsansatz ist die [[Medienwirkungsforschung]]. Die Zusammenhänge gelten als komplex. Medien können beeinflussen, welche Themen in der Öffentlichkeit diskutiert werden (Agenda-Setting). Bestehende Einstellungen können so zwar nicht verändert, aber verstärkt werden. Zudem scheinen Printmedien eher im kognitiven Bereich wirksam zu werden, während elektronische Medien in erster Linie Emotionen ansprechen. Kriminalitätsfurcht wird v.a. bei wahrgenommener sozialer, personaler und räumlicher Ähnlichkeit zwischen der Situation des Rezipienten und der des Opfers ausgelöst. Massenmedien wirken also nicht generell furchtsteigernd oder -auslösend, sondern nur unter bestimmten spezifischen Bedingungen (differentielle Medienwirkung; Boers 1991: 139 ff.).


===Interaktives Verständnismodell der Kriminalitätseinstellungen===
===Interaktives Verständnismodell der Kriminalitätseinstellungen===
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==Kriminologische Relevanz==
==Kriminologische Relevanz==


Besonders in Deutschland ließ sich schon früh ein Ausmaß an Kriminalitätsfurcht feststellen, das dem in den USA gleichkam, obwohl die Belastung durch Gewaltkriminalität deutlich geringer war. Die Erkenntnis dieser teilweisen Entkoppelung ließ Kriminalitätsfurcht zu einem eigenständigen sozialen bzw. gesellschaftlichen Problem werden, das zu vielfältigen theoretischen Überlegungen und ausgedehnter Forschungstätigkeit führte. Hieran hat auch die Feststellung nichts geändert, daß Kriminalitätsfurcht nicht nur kontinuierlich ansteigt, sondern durchaus rückläufig sein kann. Die kriminalpolitischen, rechtsstaatlichen und damit auch gesellschaftlichen Konsequenzen, die aus der Existenz solcher Furchtwellen erwachsen, bedürfen kriminologischer Beachtung, Hinterfragung und Kritik.
Besonders in Deutschland ließ sich schon früh ein Ausmaß an Kriminalitätsfurcht feststellen, das dem in den USA gleichkam, obwohl die Belastung durch Gewaltkriminalität deutlich geringer war. Die Erkenntnis dieser teilweisen Entkoppelung ließ Kriminalitätsfurcht zu einem eigenständigen sozialen bzw. gesellschaftlichen Problem werden, das zu vielfältigen theoretischen Überlegungen und ausgedehnter Forschungstätigkeit führte. Hieran hat auch die Feststellung nichts geändert, dass Kriminalitätsfurcht nicht nur kontinuierlich ansteigt, sondern durchaus rückläufig sein kann. Die kriminalpolitischen, rechtsstaatlichen und damit auch gesellschaftlichen Konsequenzen, die aus der Existenz solcher Furchtwellen erwachsen, bedürfen kriminologischer Beachtung, Hinterfragung und Kritik.


==Literatur zum Thema==
== Literatur ==


Boers, Klaus (1991): ''Kriminalitätsfurcht. Über den Entstehungszusammenhang und die Folgen eines sozialen Problems''. Pfaffenweiler, Centaurus-Verlagsgesellschaft.
Boers, Klaus (1991): ''Kriminalitätsfurcht. Über den Entstehungszusammenhang und die Folgen eines sozialen Problems''. Pfaffenweiler, Centaurus-Verlagsgesellschaft.
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Kury, Helmut; Obergfell-Fuchs, Joachim; Würger, Michael (2000): ''Gemeinde und Kriminalität''. Freiburg i. Breisgau, Kriminologische Forschungsberichte  aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Band 57.
Kury, Helmut; Obergfell-Fuchs, Joachim; Würger, Michael (2000): ''Gemeinde und Kriminalität''. Freiburg i. Breisgau, Kriminologische Forschungsberichte  aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Band 57.
[http://www.oeko-net.de/kommune/kommune2-96/k296_7.htm Walther, Hendrik (1996) Bekämpfung der Kriminalitätsfurcht und automatisches Strafen. Kommune Heft 2: 45-47]


Wilson, James und Kelling, George (1982): ''Broken Windows. The Police and Neighborhood Safety''. In: The Atlantic Monthly, March 1982, p. 29-39.
Wilson, James und Kelling, George (1982): ''Broken Windows. The Police and Neighborhood Safety''. In: The Atlantic Monthly, March 1982, p. 29-39.
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