Kriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

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== Kriminologische Relevanz ==
== Kriminologische Relevanz ==


Kriminologie bedeutet wörtlich Lehre von der Kriminalität (Kunz 2008: 1). Ohne den Begriff der Kriminalität gäbe es wohl keine [[Kriminologie]]. Wie [[David Garland]] schon 1985 sagte: "The discovery of criminality, then, is the discovery of criminology itself."  
Kriminologie bedeutet wörtlich Lehre von der Kriminalität (Kunz 2008). Ohne den Begriff der Kriminalität gäbe es wohl keine [[Kriminologie]]. Wie [[David Garland]] schon 1985 sagte: "The discovery of criminality, then, is the discovery of criminology itself."  
Das ist die zentrale kriminologische Relevanz dieses Begriffs.
Das ist die zentrale kriminologische Relevanz dieses Begriffs.
Die kriminologische Befassung mit Kriminalität erfolgt dreidimensional. Zum einen gilt das Interesse den Regeln des Gebrauchs der Kriminalitätsdefinition im informellen gesellschaftlichen Diskurs und durch die Instanzen der Kriminalitätskontrolle. Zum anderen wird nach Regeln geforscht, denen das damit bezeichnete Verhalten folgt. Drittens schließlich gilt das Interesse den Regeln, nach denen die möglichen Anwendungen des Gebrauchs der ersten beiden Regeln phänomenologisch in Subkategorien (Gewalt-, Sexual-, Umweltkriminalität usw.) eingeteilt werden können. Die Kriminologie betrachtet diese drei Arten von Regeln des crime talk unter dem Aspekt ihres tatsächlichen Gebrauchs: nicht in ihrer logischen Konsistenz oder der normativen Korrektheit ihrer Anwendung, sondern in einer effektiven Verwendung in der gesellschaftlichen Praxis.(Kunz 2008) Die Kriminalität dient in der Kriminologie durch das wissenschaftliche Begleiten der Fallzahlen, der Modi Operandi, der Dunkelfeldforschung und vieler weiterer Module zur empirisch gesicherten Erkenntniserlangung. (Liebl 2004)
Die kriminologische Befassung mit Kriminalität erfolgt dreidimensional. Zum einen gilt das Interesse den Regeln des Gebrauchs der Kriminalitätsdefinition im informellen gesellschaftlichen Diskurs und durch die Instanzen der Kriminalitätskontrolle. Zum anderen wird nach Regeln geforscht, denen das damit bezeichnete Verhalten folgt. Drittens schließlich gilt das Interesse den Regeln, nach denen die möglichen Anwendungen des Gebrauchs der ersten beiden Regeln phänomenologisch in Subkategorien (Gewalt-, Sexual-, Umweltkriminalität usw.) eingeteilt werden können. Die Kriminologie betrachtet diese drei Arten von Regeln des crime talk unter dem Aspekt ihres tatsächlichen Gebrauchs: nicht in ihrer logischen Konsistenz oder der normativen Korrektheit ihrer Anwendung, sondern in einer effektiven Verwendung in der gesellschaftlichen Praxis. (Kunz 2008) Die Kriminalität dient in der Kriminologie durch das wissenschaftliche Begleiten der Fallzahlen, der Modi Operandi, der Dunkelfeldforschung und vieler weiterer Module zur empirisch gesicherten Erkenntniserlangung. (Liebl 2004)
Für eine sozialwissenschaftlich orientierte Kriminologie ist die Kriminalität als gesellschaftstheoretische Kategorie, nicht als Summe kriminell definierten Verhaltens von Interesse. (Kunz 2008)  
Für eine sozialwissenschaftlich orientierte Kriminologie ist die Kriminalität als gesellschaftstheoretische Kategorie, nicht als Summe kriminell definierten Verhaltens von Interesse. (Kunz 2008)  
Die Kriminologie als anwendungsbezogene Bedarfsforschung benötigt die Werkzeuge, respektive Module der Kriminalitätstheorien. Denken wir nur an die biologischen Theorien (Evolutionstheorie, Neuronale Hirnforschung), die biosozialen Theorien (Chromosomen-Studien, Zwillingsforschung), die Kontrolltheorien (Bindungstheorien), Persönlichkeitstheorien (Psychoanalyse), an die Sozialstrukturellen Konzepte (Anomietheorien, Entwicklungsbezogene Kriminologie, an die multifaktoriellen Kriminalitätstheorien, Neutralisationstechniken, Sozialisationstheorien, Subkulturtheorie) und die vielen anderen.
Die Kriminologie als anwendungsbezogene Bedarfsforschung benötigt die Werkzeuge, respektive Module der Kriminalitätstheorien. Denken wir nur an die biologischen Theorien (Evolutionstheorie, Neuronale Hirnforschung), die biosozialen Theorien (Chromosomen-Studien, Zwillingsforschung), die Kontrolltheorien (Bindungstheorien), Persönlichkeitstheorien (Psychoanalyse), an die Sozialstrukturellen Konzepte (Anomietheorien, Entwicklungsbezogene Kriminologie, an die multifaktoriellen Kriminalitätstheorien, Neutralisationstechniken, Sozialisationstheorien, Subkulturtheorie) und die vielen anderen.
Da sich die Phänomenbereiche der Kriminalität ständig wandeln, werden die Anforderungen an die Kriminologie stets differenzierter. (Liebl 2004)
Da sich die Phänomenbereiche der Kriminalität ständig wandeln, werden die Anforderungen an die Kriminologie stets differenzierter. (Liebl 2004)
Eine allgemeine Theorie der Kriminalität, so meinen viele Kriminologen, würde sowohl an der prinzipiellen Unvereinbarkeit der erkenntnistheoretischen Prämissen gegenwärtiger Erklärungsansätze (von der Anomietheorie bis zum Labeling) als auch an der Unvergleichbarkeit der unter Strafe gestellten Delikte (vom Ladendiebstahl bis zum Völkermord) scheitern. Und manche sehen darin gar nicht einmal ein Problem, weil sie die aktuelle „fragmentation of crimonology“ (Ericson und Carriere 1996) sowieso vorziehen. In postmoderner Skepsis gegenüber „Wahrheit“, Wissenschaft“ und „objektiver Erkenntnis“, in denen sie nicht mehr als die Mythen einer „Großen Erklärung“ sehen, plädieren sie dafür, jeglichen „Anspruch auf eine wie auch immer geartete Wissenschaftlichkeit“ aufzugeben und dem herrschenden Diskurs über Kriminalität und Kontrolle „originelle Neubeschreibungen“ entgegen zu setzen (vgl. Kreissl 1996: 34-36; siehe auch Henry und Milovanovic 1996 zu ihrem Programm des „replacement discourse“). Hinzu kommt, dass man selbst dort, wo man von der Möglichkeit und Wünschbarkeit einer „general theory of crime“ ausgeht, dem eigenen Anspruch of nicht genügt und sich unter Ausklammerung der gesamtgesellschaftlichen Dimension dann doch wieder auf die bloße Erklärung kriminellen Handelns – also auf die Mikroperspektive – beschränkt (vgl. z.B. Gottfredson und Hirschi 1990; Tittle 1995). „Allgemein“ sollte eine Theorie aber sinnvoller weise erst dann genannt werden, wenn sie neben der Begehung von Delikten auch die makro-perspektivisch zu analysierenden Voraussetzungen und Folgen von Kriminalität als Handlung in den Blick nimmt, von der Rechtssetzung bis zum Kriminalitätsdiskurs. „Die Kriminalität der Gesellschaft“ (Krasmann 2003) – das ist ein komplexes Ensemble von Akteuren und Handlungen, von Institutionen und Bewegungen, von sozialen Netzen und rechtlichen Regeln, von Machtverhältnissen und Konflikten, aber auch von Gefühlen, Phantasien, Symbolen, Diskursen und Geschichten der unterschiedlichsten Art, in dem sich jedes Element letztlich nur in seinem und durch seinem Kontext begreifen lässt. Eine wirklich allgemeine kriminologische Theorie, d.h. eine Theorie, deren Hauptzweck darin gesehen wird, zu einem besseren Verständnis des Gesamtphänomens der Kriminalität beizutragen, sollte deshalb auf jeden Fall breit genug angelegt sein, um alle genannten (und überhaupt alle für diese Aufgabe relevanten) Phänomene berücksichtigen zu können. (Hess, Henner / Scheerer, Sebastian, 2004)  
Eine allgemeine Theorie der Kriminalität, so meinen viele Kriminologen, würde sowohl an der prinzipiellen Unvereinbarkeit der erkenntnistheoretischen Prämissen gegenwärtiger Erklärungsansätze (von der Anomietheorie bis zum Labeling) als auch an der Unvergleichbarkeit der unter Strafe gestellten Delikte (vom Ladendiebstahl bis zum Völkermord) scheitern. Und manche sehen darin gar nicht einmal ein Problem, weil sie die aktuelle „fragmentation of crimonology“ (Ericson und Carriere 1996) sowieso vorziehen. In postmoderner Skepsis gegenüber „Wahrheit“, Wissenschaft“ und „objektiver Erkenntnis“, in denen sie nicht mehr als die Mythen einer „Großen Erklärung“ sehen, plädieren sie dafür, jeglichen „Anspruch auf eine wie auch immer geartete Wissenschaftlichkeit“ aufzugeben und dem herrschenden Diskurs über Kriminalität und Kontrolle „originelle Neubeschreibungen“ entgegen zu setzen (vgl. Kreissl 1996: 34-36; siehe auch Henry und Milovanovic 1996 zu ihrem Programm des „replacement discourse“). Hinzu kommt, dass man selbst dort, wo man von der Möglichkeit und Wünschbarkeit einer „general theory of crime“ ausgeht, dem eigenen Anspruch of nicht genügt und sich unter Ausklammerung der gesamtgesellschaftlichen Dimension dann doch wieder auf die bloße Erklärung kriminellen Handelns – also auf die Mikroperspektive – beschränkt (vgl. z.B. Gottfredson und Hirschi 1990; Tittle 1995). „Allgemein“ sollte eine Theorie aber sinnvoller weise erst dann genannt werden, wenn sie neben der Begehung von Delikten auch die makro-perspektivisch zu analysierenden Voraussetzungen und Folgen von Kriminalität als Handlung in den Blick nimmt, von der Rechtssetzung bis zum Kriminalitätsdiskurs. „Die Kriminalität der Gesellschaft“ (Krasmann 2003) – das ist ein komplexes Ensemble von Akteuren und Handlungen, von Institutionen und Bewegungen, von sozialen Netzen und rechtlichen Regeln, von Machtverhältnissen und Konflikten, aber auch von Gefühlen, Phantasien, Symbolen, Diskursen und Geschichten der unterschiedlichsten Art, in dem sich jedes Element letztlich nur in seinem und durch seinem Kontext begreifen lässt. Eine wirklich allgemeine kriminologische Theorie, d.h. eine Theorie, deren Hauptzweck darin gesehen wird, zu einem besseren Verständnis des Gesamtphänomens der Kriminalität beizutragen, sollte deshalb auf jeden Fall breit genug angelegt sein, um alle genannten (und überhaupt alle für diese Aufgabe relevanten) Phänomene berücksichtigen zu können. (Hess, Henner / Scheerer, Sebastian, 2004)


== Literatur ==
== Literatur ==
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