Kriminalisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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===='''Diskussion: Individualisierte Kriminalisierung'''====
===='''Diskussion: Individualisierte Kriminalisierung'''====
Kriminalisierung bezieht sich auf konkrete Handlungen oder Personen, die durch die Strafverfolgung oder durch Instanzen der sozialen Kontrolle als kriminell definiert werden.  
Der Begriff der Kriminalisierung kann sich auf konkrete Personen beziehen, die durch die Strafverfolgung oder durch Instanzen der sozialen Kontrolle (in zunehmendem Maße) als kriminell bezeichnet und behandelt werden.  
Fraglich ist, ob Kriminalisierung auch durch die Bevölkerung und Individuen zustande kommen kann.
Fraglich ist, ob Kriminalisierung auch durch die Bevölkerung und Individuen zustande kommen kann.
Am Beispiel der Anzeigenerstattung durch die Bevölkerung oder einer moralischen Empörung („das ist ja kriminell!“) lässt sich diskutieren, ob hier der Begriff Kriminalisierung angemessen ist. Oder erhält der Begriff erst seine Wirkung, wenn die Instanzen der sozialen Kontrolle die Kriminalisierung erfolgreich vollzogen haben?
Am Beispiel der Anzeigenerstattung durch die Bevölkerung oder einer moralischen Empörung („das ist ja kriminell!“) lässt sich diskutieren, ob hier der Begriff Kriminalisierung angemessen ist. Oder erhält der Begriff erst seine Wirkung, wenn die Instanzen der sozialen Kontrolle die Kriminalisierung erfolgreich vollzogen haben?
Weiterhin besteht die Frage, ob der Begriff der Kriminalisierung auch heißen kann: „jemanden kriminell machen“, eine Person in eine soziale Situation bringen, oder ihr eine soziale Situation zuschreiben, die sie motiviert oder zwingt, Handlungen zu begehen, die als kriminell bezeichnet werden (Bsp: [[Sekundäre Devianz]] als Folge von Kriminalisierungsprozessen vgl. E.M. Lemert und zur self-fulfilling prophecy, vgl. H.S. Becker).  
Weiterhin besteht die Frage, ob der Begriff der Kriminalisierung auch heißen kann: „jemanden kriminell machen“, eine Person in eine soziale Situation bringen, oder ihr eine soziale Situation zuschreiben, die sie motiviert oder zwingt, Handlungen zu begehen, die als kriminell bezeichnet werden (Bsp: [[Sekundäre Devianz]] als Folge von Kriminalisierungsprozessen vgl. E.M. Lemert und zur self-fulfilling prophecy, vgl. H.S. Becker).  
Der Begriff der individualisierten Kriminalisierung macht deutlich, dass Kriminalität nicht in den Personen zu suchen ist, sondern eine übertragene Eigenschaft darstellt. Die zu diskutierende Frage ist, ob der Normsender auch die Bevölkerung oder das Individuum sein kann.
Der Begriff der individualisierten Kriminalisierung macht deutlich, dass Kriminalität nicht in den Personen zu suchen ist, sondern eine übertragene Eigenschaft darstellt.


===Entstehung von [[Rechtsnorm]]en===
===Entstehung von [[Rechtsnorm]]en===
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====='''Entstehungsbedingungen des kriminologischen Diskurses'''=====
====='''Entstehungsbedingungen des kriminologischen Diskurses'''=====
Die Fragen und Antworten nach den Ursachen, dem Umgang und der Definition von „Verbrechen“ werden nicht erst seit der Klassischen Schule des 18. Jahrhundert gestellt. Doch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildet die Kriminologie im europäischen Raum ein ihr eigenes, vom Strafrecht nicht zu trennendes und weit darüber hinausreichendes Wissenschaftsgebiet heraus. Zu dieser Eigenständigkeit der Kriminologie trug die Kriminalsoziologie bei. Alexander [[Lacassagne]] und Gabriel [[Tarde]] (1843- 1909 bzw. -1904) begründeten in Frankreich eine Milieubezogene Betrachtung des Verbrechens (Armut und Elend der Massen). Emile [[Durkheim]] (1858 -1917) erklärte die sozialen Spannungen aus der mangelnden Integration des Unterschicht in die mittelschichtzentrierte Gesellschaft als Anomie (Anomietheorie).
Die Fragen und Antworten nach den Ursachen, dem Umgang und der Definition von „Verbrechen“ werden nicht erst seit der Klassischen Schule des 18. Jahrhundert gestellt. Doch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildet die Kriminologie im europäischen Raum ein ihr eigenes, vom Strafrecht nicht zu trennendes und weit darüber hinausreichendes Wissenschaftsgebiet heraus. Zu dieser Eigenständigkeit der Kriminologie trug die Kriminalsoziologie bei. Alexander [[Lacassagne]] und Gabriel [[Tarde]] (1843- 1909 bzw. -1904) begründeten in Frankreich eine Milieubezogene Betrachtung des Verbrechens (Armut und Elend der Massen). Emile [[Durkheim]] (1858 -1917) erklärte die sozialen Spannungen aus der mangelnden Integration des Unterschicht in die mittelschichtzentrierte Gesellschaft als Anomie (Anomietheorie).
Zeitgleich spielte die sog. „positivistische Kriminologe“ eine strategische Rolle in der Entwicklung der Kriminologie. [[Garland]], der sich auf [[Foucault]] bezieht, untersuchte in „Punishment and Welfare“ (1987) die Entstehungsbedingungen dieser sog. „positivistischen Kriminologe“ am Wendepunkt vom Klassizismus (Klassische Schule) zum Positivismus.  
Zeitgleich spielte die sog. „positivistische Kriminologe“ eine strategische Rolle in der Entwicklung der Kriminologie. [[David Garland]], der sich auf [[Foucault]] bezieht, untersuchte in „Punishment and Welfare“ (1987) die Entstehungsbedingungen dieser sog. „positivistischen Kriminologe“ am Wendepunkt vom Klassizismus (Klassische Schule) zum Positivismus.  


Er stellte dabei folgende zentrale Merkmale heraus:
Er stellte dabei folgende zentrale Merkmale heraus:
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Arbeitskreis Junger Kriminologen: Der Prozeß der Kriminalisierung. Untersuchungen zur Kriminalsoziologie. M 13 München 1973  
Arbeitskreis Junger Kriminologen: Der Prozeß der Kriminalisierung. Untersuchungen zur Kriminalsoziologie. M 13 München 1973  


Arbeitskreis Junger Kriminologen: Kritische Kriminologie. Positionen, Kontroversen und Perspektiven. M18, München 1974  
Arbeitskreis Junger Kriminologen: Kritische Kriminologie. Positionen, Kontroversen und Perspektiven. M18, München 1974
 
Bayart, S, Ellis, B. Hibou, (1997) la criminalisation de l’État en Afrique, Bruxelles, Complexe


Becker, Peter: Verderbnis und Entartung. Eine Geschichte der Kriminologie des 19. Jahrhunderts als Diskurs und Praxis. Göttingen 2002
Becker, Peter: Verderbnis und Entartung. Eine Geschichte der Kriminologie des 19. Jahrhunderts als Diskurs und Praxis. Göttingen 2002
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Wikipedia der Begriff der Kriminalisierung in Englisch:  
Wikipedia der Begriff der Kriminalisierung in Englisch:  
http://en.wikipedia.org/wiki/Criminalisation
http://en.wikipedia.org/wiki/Criminalisation
=== Siehe auch ===
*[[Entkriminalisierung]]
31.738

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