Korruption, Gewalt und die Welt der Polizisten. Deutschland, Chile, Bolivien und Venezuela im Vergleich: Unterschied zwischen den Versionen

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*Was treibt Polizisten zu ihrem Handeln?
*Was treibt Polizisten zu ihrem Handeln?


Ausgangspunkt der Studie sind Rechtsbrüche durch die Polizei, welche von Schlägen bis hin zu Tötungen reichen (S. 13 f.).
Gegenstand der Untersuchung ist nur die Schutzpolizei. Die Autorin begründet diese Wahl damit, dass die Schutzpolizei für „einen großen Teil der Menschenrechtsverletzungen und Tötungen verantwortlich" sei (S. 67). Gesucht wird nach "Gewalt" (Tötungen, Folter und andere körperliche Gewalteinwirkungen; vgl. S. 339).  
Gegenstand der Untersuchung ist nur die Schutzpolizei. Die Autorin begründet diese Wahl damit, dass die Schutzpolizei für „einen großen Teil der Menschenrechtsverletzungen und Tötungen verantwortlich" sei (S. 67). Gesucht wird nach "Gewalt" (Tötungen, Folter und andere körperliche Gewalteinwirkungen; vgl. S. 339).  


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*Befragung von Polizisten in den Hauptstädten der drei südamerikanischen Staaten in offenen Interviews und mit Fragebögen.
*Befragung von Polizisten in den Hauptstädten der drei südamerikanischen Staaten in offenen Interviews und mit Fragebögen.
    
    
Problematisch bei der Erforschung der lateinamerikanischen Polizei ist nicht klar definierbare Trennlinie zwischen „Normalität und Devianz“, da sich „Normalität sich in der Alltagspraxis konstruiert“ (S. 8). Ein großes Problem für das Aufdecken von Straftaten, begangen durch die Polizisten, sind die für die Bevölkerung unklaren Bedeutungen von Gewalt. Bestimmte Handlungen, wie die Anwendung von Elektroschocks, werden nicht als solche angesehen (S. 337).
Gewisse Probleme berichtet die Autorin hinsichtlich des Feldzugangs. Es war für die Forscher wichtig, nicht mit (bei der Polizei häufig unbeliebten) Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen verwechselt zu werden. Der Zugang wurde an die Möglichkeit gekoppelt, auch der Perspektive der Polizeiführung Rechnung zu tragen: sie entschied zum Beispiel darüber, welche Reviere an der Forschung teilnahmen und wirkte auch bei der Erstellung des Fragenkatalogs mit. Angesichts der Probleme mit Befragten - einerseits Verschwiegenheit und andererseits Tendenz zu sozial erwünschten Antworten (auch aus Sorge vor Verletzung der Anonymität der Antworten durch die Polizeiführung) - erforderte die Durchführung der Interviews ein hohes Maß an Versiertheit der Befrager (S. 74, 87).
Gewisse Probleme berichtet die Autorin hinsichtlich des Feldzugangs. Es war für die Forscher wichtig, nicht mit (bei der Polizei häufig unbeliebten) Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen verwechselt zu werden. Der Zugang wurde an die Möglichkeit gekoppelt, auch der Perspektive der Polizeiführung Rechnung zu tragen: sie entschied zum Beispiel darüber, welche Reviere an der Forschung teilnahmen und wirkte auch bei der Erstellung des Fragenkatalogs mit. Angesichts der Probleme mit Befragten - einerseits Verschwiegenheit und andererseits Tendenz zu sozial erwünschten Antworten (auch aus Sorge vor Verletzung der Anonymität der Antworten durch die Polizeiführung) - erforderte die Durchführung der Interviews ein hohes Maß an Versiertheit der Befrager (S. 74, 87).


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Zudem sollen Säuberungen von Vierteln staatliche Macht demonstrieren (S. 50 f.).
Zudem sollen Säuberungen von Vierteln staatliche Macht demonstrieren (S. 50 f.).


PROVEA berichtet von körperlicher staatlicher Gewalt in Gewahrsam und bei Verhaftung (bspw. Einsatz des Vagabundengesetzes (seit 1997 aufgehoben) bei Großrazzien (S. 46)). Dabei schlagen, misshandeln, foltern Polizisten Verdächtige, verabreichen ihnen Elektroschocks oder führen Scheinhinrichtungen durch (Amnesty International, 2000).
PROVEA berichtet von körperlicher staatlicher Gewalt in Gewahrsam und bei Verhaftung (bspw. Einsatz des Vagabundengesetzes (seit 1997 aufgehoben) bei Großrazzien (S. 46)). Dabei schlagen, misshandeln, foltern Polizisten Verdächtige, verabreichen ihnen Elektroschocks oder führen Scheinhinrichtungen durch (Amnesty International, 2000). Polizisten in Venezuela sind in der Unterschicht verankert und ihr brutales Vorgehen wird von Teilen der Bevölkerung (Mittel- und Oberschicht ) toleriert und gilt so als Normalität (S. 369, 63). In Caracas ist die Gewalt durch die Polizei sozial erwünscht, da so gegen die Grundkriminalität vorgegangen wird und sich die Menschen dankbar für zum Beispiel die Erschießung von Gangmitgliedern zeigen (S. 216).
 


Venezolanische Polizisten sprechen in den Interviews sehr frei über Auseinandersetzungen mit Verdächtigen und ihr eigenes gewalttätiges Vorgehen. Ursächlich für die Offenheit ist das Unwissen über Gesetzesbrüche, als auch der soziale Prozess Gewalthandeln als alltäglich und normal anzusehen (S. 223, 243).
Venezolanische Polizisten sprechen in den Interviews sehr frei über Auseinandersetzungen mit Verdächtigen und ihr eigenes gewalttätiges Vorgehen. Ursächlich für die Offenheit ist das Unwissen über Gesetzesbrüche, als auch der soziale Prozess Gewalthandeln als alltäglich und normal anzusehen (S. 223, 243).
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== Diskussion ==
== Diskussion ==
Bolivien und Chile befinden sich bezüglich des polizeilichen Gewaltniveaus zwischen der BRD (niedriges Gewaltniveau) und Venezuela (hohes Gewaltniveau), wobei Bolivien etwas weniger körperliche Gewalt und Folter und Chile etwas weniger Tötungen aufweist (S. 340).
Bolivien und Chile befinden sich bezüglich des polizeilichen Gewaltniveaus zwischen der BRD (niedriges Gewaltniveau) und Venezuela (hohes Gewaltniveau), wobei Bolivien etwas weniger körperliche Gewalt und Folter und Chile etwas weniger Tötungen aufweist (S. 340).


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Venezuela und Bolivien einen: Drohungen gegen Menschenrechtsorganisationen, willkürliche Verhaftungen sowie Gewalt gegen Unterprivilegierte und Menschen mit geringem Machtpotential, wie Studenten und Rekruten (S. 53).
Venezuela und Bolivien einen: Drohungen gegen Menschenrechtsorganisationen, willkürliche Verhaftungen sowie Gewalt gegen Unterprivilegierte und Menschen mit geringem Machtpotential, wie Studenten und Rekruten (S. 53).


Die BRD dient als Vergleich und Kontrast zu den südamerikanischen Ländern (S. 63).


Es wurden die Polizisten der Hauptstädte befragt, da sich Probleme durch steigenden Kriminalitätsdruck sowie zunehmende Verstädterung und Verarmung hier ansammeln (S. 63 f.). Dabei stehen die Bürger des Landes meist im direkten Kontakt zur Schutzpolizei und sie repräsentiert die Polizei am stärksten. Weiterhin zeigen Statistiken, dass Schutzpolizisten für


Problematisch bei der Erforschung der lateinamerikanischen Polizei ist die kaum vorhandene Trennlinie zwischen „Normalität und Devianz“ nicht klar definierbar ist und „Normalität sich in der Alltagspraxis konstruiert“ (S. 8). Ein großes Problem für das Aufdecken von Straftaten, begangen durch die Polizisten, sind die für die Bevölkerung unklaren Bedeutungen von Gewalt. Bestimmte Handlungen, wie die Anwendung von Elektroschocks, werden nicht als solche angesehen (S. 337).
Ausgangspunkt der Studie sind Rechtsbrüche durch die Polizei, welche von Schlägen bis hin zu Tötungen reichen (S. 13 f.).
Die BRD dient als Vergleich und Kontrast zu den südamerikanischen Ländern (S. 63). Die Autorin formulierte dafür folgende Forschungsfragen:
== Die Vorgehensweise bei der Erforschung der Polizei ==
=== Informationsquellen und Auswahl der Polizeibehörden ===
Hauptinformationsquellen sind Menschenrechtsorganisationen und Presseberichte aus den untersuchten Ländern (S. 65, 337).
Um bei einem Abbruch der Studie trotzdem Ergebnisse zu erhalten, wählte Schmid drei lateinamerikanische Länder aus, aus denen die Polizisten der Hauptstädte befragt wurden, da sich Probleme durch steigenden Kriminalitätsdruck sowie zunehmende Verstädterung und Verarmung hier ansammeln (S. 63 f.). Dabei stehen die Bürger des Landes meist im direkten Kontakt zur Schutzpolizei und sie repräsentiert die Polizei am stärksten. Weiterhin zeigen Statistiken, dass Schutzpolizisten für
Für die BRD wurden keine Daten erhoben, es wurde vorhandene Literatur genutzt (S. 69).
Dies erfolgt unter der Beachtung von formellen und institutionellen sowie sozialen Handlungsanordnungen, wie Gesetzen, internen Organisationen und Kriminalitätsstrukturen. Anordnungen können auch informeller Art sein, wie der Zwang durch Vorgesetzte, Kollegen oder die Bevölkerung (S. 70). Die Formen sind bipolar, sie geben den Polizisten Freiheit und begrenzen sie zugleich, da sie die „letztentscheidenden Handlungsträger“ sind (S. 70).
Um die Forschung effektiv aufzubauen, ist es wichtig die Betrachtungsweise des Polizisten zu verstehen. Während der ethnografischen Arbeit erfolgten lange Aufenthalte im Untersuchungsgebiet mit anschließender teilnehmender Beobachtung (S. 71 f.).
=== Die Polizisten und die Bevölkerung ===
Der Länder nach absteigend glauben die deutschen Polizisten, gefolgt von den Chilenischen, Bolivianischen und Venezolanischen, dass die Wertschätzung durch Bevölkerung für sie am größten ist (S. 216). In der BRD und Chile ist die Distanz zur Bevölkerung geringer, da deutsche Polizisten mit ihren Mitmenschen arbeiten wollen und die chilenische Polizei allgemein als angesehene Institution wahrgenommen werden möchte (S. 366). Die bolivianischen Polizisten fühlen sich von der Bevölkerung isoliert. Polizisten in Venezuela sind in der Unterschicht verankert und denken, dass ihr brutales Vorgehen von Teilen der Bevölkerung (Mittel- und Oberschicht ) toleriert wird und so als Normalität gilt (S. 369, 63). In Caracas ist die Gewalt durch die Polizei sozial erwünscht, da so gegen die Grundkriminalität vorgegangen wird und sich die Menschen dankbar für zum Beispiel die Erschießung von Gangmitgliedern zeigen (S. 216).
Opfer der Polizeigewalt in Lateinamerika sind meist intellektuelle Oppositionelle und untere Schichten, die keine entsprechenden Mittel besitzen, um die Öffentlichkeit über ihre Verhältnisse zu informieren (S. 63). Die Policía Nacional bekennt sich dazu die Menschenrechte nicht zu respektieren (S. 218).


Opfer der Polizeigewalt in Lateinamerika sind meist intellektuelle Oppositionelle und untere Schichten, die keine entsprechenden Mittel besitzen, um die Öffentlichkeit über ihre Verhältnisse zu informieren (S. 63).


== Das Gewaltmonopol der Polizei ==
== Das Gewaltmonopol der Polizei ==
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Aus den gewonnenen Informationen kann geschlossen werden, dass die Ländermerkmale in Beziehung zur Gewalt durch ihre Polizei stehen, sich also eher länderspezifisch verhalten (vgl. S. 363).
Aus den gewonnenen Informationen kann geschlossen werden, dass die Ländermerkmale in Beziehung zur Gewalt durch ihre Polizei stehen, sich also eher länderspezifisch verhalten (vgl. S. 363).




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