Kokain - eine harte Droge?: Unterschied zwischen den Versionen

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Kokain gilt ganz allgemein als harte Droge. Was damit gemeint ist, versteht sich von selbst. Umfangreiche Erläuterungen scheinen jedenfalls auf den ersten Blick nicht erforderlich:
Kokain gilt ganz allgemein als harte Droge. Was damit gemeint ist, versteht sich scheinbar von selbst: harte Drogen sind die Drogen, von denen man auf jeden Fall die Finger lassen sollte, weil sie ganz besonders gefährlich sind. Und besonders gefährlich sind sie, weil sie besonders schnell und intensiv abhängig machen und/oder schon nach ganz kurzer Zeit irreparable Gesundheitsschäden (z.B. Gehirnschäden) hervorrufen können und/oder jedenfalls für viele Menschen der direkte Weg in den Tod sind. Auch der Sinn der Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen scheint klar. Weiche Drogen sind eine schiefe Ebene, auf die man geraten kann; harte Drogen sind die harte Landung ganz unten, am Rande der Existenz. Über die Entkriminalisierung von weichen Drogen kann man treffliche streiten, bei harten Drogen wäre derlei reiner Zynismus. Bei harten Drogen hört der Spaß auf.


Harte Drogen sind die Drogen, von denen man auf jeden Fall die Finger lassen sollte, weil sie ganz besonders gefährlich sind. Und besonders gefährlich sind sie, weil sie besonders schnell und intensiv abhängig machen und/oder schon nach ganz kurzer Zeit irreparable Gesundheitsschäden (z.B. Gehirnschäden) hervorrufen können und/oder jedenfalls für viele Menschen der direkte Weg in den Tod sind.
Das heißt nicht, dass weiche Drogen auf die leichte Schulter zu nehmen wären. Doch während weiche Drogen sozusagen das Problematische verkörpern, stehen harte Drogen für das eindeutig Schlechte. Ganz allgemein wird mit dem Begriff der harten Droge auch die Gewissenlosigkeit und die Profitgier derjenigen assoziiert, die mit dem Elend der Süchtigen und dem Leid der Familien ihre Geschäfte machen und die für ihre verächtlichen Taten die härtesten Strafen verdient haben; denn "Dealer sind Mörder", wie es ein verbreiteter Slogan aus den 1980er Jahren auf den Punkt brachte.  


Deswegen macht es auch Sinn, zwischen harten und weichen Drogen zu unterscheiden. Bei den weichen kann man zur Not noch über das Für und Wider einer Entkriminalisierung streiten. Bei harten Drogen und angesichts der durch sie zu beklagenden Toten würde ein Ende der Strafbarkeit an Zynismus grenzen. Denn bei harten Drogen hört der Spaß auf. Man will sich auch nicht einmal vorstellen (müssen), was passierte, wenn Koks- und Heroin-Dealer auf Deutschlands Straßen frei herumliefen.
Das ist die Quintessenz des sogenannten Alltagswissens über harte Drogen. Dabei ist das "sogenannt" nicht nur so dahin gesagt. Denn die Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen ist notgedrungen unscharf und laienhaft, um nicht zu sagen: stümperhaft. In der Wissenschaft - und allen voran in der Toxikologie - spielt sie keine Rolle. Eine Ausnahme machen vielleicht Pädagogik und Justiz. Doch dort geht es vielleicht auch mehr um den erzieherischen Effekt oder - wie in der Justiz - um die überzeugende Rhetorik von Gefährlichkeit und Strafwürdigkeit.
 
Das heißt nicht, dass weiche Drogen auf die leichte Schulter zu nehmen wären. Doch während weiche Drogen sozusagen das Problematische verkörpern, stehen harte Drogen für eine andere Dimension: die harten Drogen repräsentieren das unbedingt Schlechte. Und deshalb haben auch diejenigen, die damit ihren gewissenlosen Handel treiben, nur tiefste Verachtung und härteste Strafen verdient. Denn Dealer sind Mörder.
 
Das ist die Quintessenz des sogenannten Alltagswissens über harte Drogen. Dabei ist das "sogenannt" nicht nur so dahin gesagt. Denn die Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen ist notgedrungen unscharf und laienhaft, um nicht zu sagen: stümperhaft. Denn in der Wissenschaft - und allen voran in der Toxikologie, die sich geradezu auf diese Fragen spezialisiert - spielt sie keine Rolle. Eine Ausnahme machen vielleicht Pädagogik und Justiz. Doch dort geht es vielleicht auch mehr um den erzieherischen Effekt oder - wie in der Justiz - um die Legitimierung bestimmter Annahmen über Gefährlichkeiten und Strafwürdigkeit.


   
   
== Die Ideologie der harten Droge ==
== Die Ideologie der harten Droge ==


Eine sachlich begründete Basis hat der Begriff der harten Droge aber noch lange nicht. Allenfalls repräsentiert er eine Art Halbwissen. Doch Halbwissen ist manchmal schlimmer als bewusstes Nichtwissen. Insbesondere dann, wenn man glaubt, mit der Kategorie der harten Droge schon genug zu wissen, um ganz generell extreme Strafandrohungen im Gesetz zu legitimieren, bzw. konkrete Angeklagte mit der ganzen Härte des Gesetzes zu bestrafen.  
Eine sachlich begründete Basis hat der Begriff der harten Droge aber nicht. Allenfalls repräsentiert er eine Art Halbwissen. Doch Halbwissen ist manchmal schlimmer als bewusstes Nichtwissen. Insbesondere dann, wenn man glaubt, mit der Kategorie der harten Droge schon genug zu wissen, um hohe gesetzliche Strafandrohungen zu legitimieren oder konkrete Angeklagte mit der ganzen Härte des Gesetzes zu bestrafen.  


Wer über harte Drogen spricht, spricht über Drogen, als wären sie die eigentlichen handelnden Akteure, die Subjekte des Geschehens. Von harten Drogen heißt es, dass sie "abhängig machen", "süchtig machen", "irreparable Schäden hervorrufen" und "zum Tode führen". Der Konsument, der die Droge sucht, sie erwirbt, sie zubereitet, sie mit bestimmten Erwartungen konsumiert und der diese oder jene Risiken in Kauf nimmt, weil er diese oder jene Hauptzwecke seines Konsums erreichen will - meist wohl eine Bereicherung seiner guten Gefühlserlebnisse in der Freizeit - dieser Konsument taucht im Reden über harte Drogen gar nicht als aktives Wesen auf, sondern nur als Opfer einer mit übermächtigen Kräften ausgestatteten Droge. Die Droge tut und macht und schädigt, der Konsument, das Opfer, leidet und stirbt daran.
Wer über harte Drogen spricht, spricht über Drogen, als wären sie die eigentlichen handelnden Akteure, die Subjekte des Geschehens. Von harten Drogen heißt es, dass sie "abhängig machen", "süchtig machen", "irreparable Schäden hervorrufen" und "zum Tode führen". Der Konsument, der die Droge sucht, sie erwirbt, sie zubereitet, sie mit bestimmten Erwartungen konsumiert und der diese oder jene Risiken in Kauf nimmt, weil er diese oder jene Hauptzwecke seines Konsums erreichen will - meist wohl eine Bereicherung seiner Gefühlserlebnisse in der Freizeit - dieser Konsument taucht im Reden über harte Drogen gar nicht als aktives Wesen auf, sondern nur als Opfer einer mit übermächtigen Kräften ausgestatteten Droge. Die Droge tut und macht und schädigt, der Konsument, das Opfer, ist ihr passiv ausgeliefert.


Doch Drogen selbst tun gar nichts. Solange sie irgendwo gelagert sind, tun sie nicht mehr als ein Sack voller Kartoffeln: sie machen nichts, sie rufen nichts hervor, sie verleiten nichts und niemanden und schon gar nicht töten sie irgend jemanden. In Wirklichkeit sind Drogen tote Gegenstände. Sie, die nichts tun können, werden durch die Rede von der harten Droge auf metaphorische Weise zum Leben erweckt. Sie werden mit dämonischen Kräften ausgestattet, die sich ihre Opfer suchen und sie zu willenlosen Zombies machen.
Doch Drogen selbst tun gar nichts. Solange sie irgendwo gelagert sind, tun sie nicht mehr als ein Sack voller Kartoffeln: sie machen nichts, sie rufen nichts hervor, sie verleiten nichts und niemanden und schon gar nicht töten sie irgend jemanden. In Wirklichkeit sind Drogen tote Gegenstände. Sie, die nichts tun können, werden durch die Rede von der harten Droge auf metaphorische Weise zum Leben erweckt. Sie werden mit dämonischen Kräften ausgestattet, die sich ihre Opfer suchen und sie zu willenlosen Zombies machen.
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Wer sich in das Gedankengefängnis der "harten Droge" begibt, der trifft dort auf die Stereotype von der dämonischen Droge und dem gewissenlosen Dealer. Den Drogenbenutzer trifft er nur als Opfer-Stereotyp. In diesem Universum ist ausgerechnet derjenige, der die Droge will, der sie sucht und erwirbt, der sich über sie freut und sie sich zubereitet, der sie konsumiert und sich - unter Inkaufnahme möglicher Nebenwirkungen - entspannt, konzentriert, ausruht, aktiviert, verlustiert oder sonstwie mit Hilfe der Droge seine Freizeit zu verschönern sucht, als handelndes Subjekt gar nicht vorhanden. Dabei ist es der Konsument, der mit seinem Konsumverhalten darüber entscheidet, was passiert. Und dem, wie beim Alkohol, die Kontrolle auch gelegentlich entgleiten kann.  
Wer sich in das Gedankengefängnis der "harten Droge" begibt, der trifft dort auf die Stereotype von der dämonischen Droge und dem gewissenlosen Dealer. Den Drogenbenutzer trifft er nur als Opfer-Stereotyp. In diesem Universum ist ausgerechnet derjenige, der die Droge will, der sie sucht und erwirbt, der sich über sie freut und sie sich zubereitet, der sie konsumiert und sich - unter Inkaufnahme möglicher Nebenwirkungen - entspannt, konzentriert, ausruht, aktiviert, verlustiert oder sonstwie mit Hilfe der Droge seine Freizeit zu verschönern sucht, als handelndes Subjekt gar nicht vorhanden. Dabei ist es der Konsument, der mit seinem Konsumverhalten darüber entscheidet, was passiert. Und dem, wie beim Alkohol, die Kontrolle auch gelegentlich entgleiten kann.  


Am geringsten sind die Risiken des Konsums, wenn der Konsum sozial akzeptiert und integriert ist, wenn der Konsument seine eigenen Konsum-Regeln aufstellt und befolgt, und wenn die äußeren Umstände des Konsums für eine angstfreie entspannte Atmosphäre sorgen. Je größer der Druck der Illegalität, je größer die Angst vor dem Entdecktwerden, je ängstlicher oder verletzlicher der Konsument selbst, desto riskanter wird der Konsum.
Am geringsten sind die Risiken des Konsums, wenn der Konsum sozial akzeptiert und integriert ist, wenn der Konsument seine eigenen Konsum-Regeln aufstellt und befolgt, und wenn die äußeren Umstände des Konsums für eine angstfreie entspannte Atmosphäre sorgen. Je größer der Druck der Illegalität, je größer die Angst vor dem Entdeckt-Werden, je ängstlicher oder verletzlicher der Konsument selbst, desto riskanter wird der Konsum.


==== Weicher Konsum von Kokain ====
==== Weicher Konsum von Kokain ====
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Die Überschrift dieses Abschnitts könnte auch lauten: es gibt keine harten und keine weichen Drogen; es gibt nur harten und weichen Gebrauch. Das Beispiel betrifft die feine Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Droge: eine Mischung aus Wein und Kokain unter dem Markennamen "Vin Mariani". Dieser 1863 vom korsischen Chemiker Angelo Mariani kreierte Wein war ein äußerst beliebtes Erfrischungs-Getränk in den wohlhabenderen Kreisen der Gesellschaft von St. Petersburg, London, Paris, Rom und New York. Mariani importierte tonnenweise Coca-Blätter. Sein Wein enthielt zunächst nur 6 mg Kokain pro 30 ml Wein, später aber 7,2 mg, um mit dem höheren Kokain-Gehalt konkurrierender Getränke in den USA mitzuhalten. Mariani warb für seinen Wein mit dem Versprechen der Wiederherstellung von Gesundheit, Stärke, Energie und Vitalität. Hunderte von begeisterten Zuschriften - darunter dem Erfinder Thomas Alpha Edison und der Operndiva Eleonora Duse - füllten mehrere Buchbände, die Mariani voller Stolz veröffentlichte. Kein geringerer als Papst Leo XIII (1878-1903) verlieh Mariani die Auszeichnung als Wohltäter der Menschheit (benefactor humanitatis). Obwohl die Kokain-Menge nicht zu vernachlässigen war, war der Konsum zweifellos "weich" - und es wurde kein einziger Fall von problematischem Konsum bekannt, geschweige denn ein Drogentodesfall.
Die Überschrift dieses Abschnitts könnte auch lauten: es gibt keine harten und keine weichen Drogen; es gibt nur harten und weichen Gebrauch. Das Beispiel betrifft die feine Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Droge: eine Mischung aus Wein und Kokain unter dem Markennamen "Vin Mariani". Dieser 1863 vom korsischen Chemiker Angelo Mariani kreierte Wein war ein äußerst beliebtes Erfrischungs-Getränk in den wohlhabenderen Kreisen der Gesellschaft von St. Petersburg, London, Paris, Rom und New York. Mariani importierte tonnenweise Coca-Blätter. Sein Wein enthielt zunächst nur 6 mg Kokain pro 30 ml Wein, später aber 7,2 mg, um mit dem höheren Kokain-Gehalt konkurrierender Getränke in den USA mitzuhalten. Mariani warb für seinen Wein mit dem Versprechen der Wiederherstellung von Gesundheit, Stärke, Energie und Vitalität. Hunderte von begeisterten Zuschriften - darunter dem Erfinder Thomas Alpha Edison und der Operndiva Eleonora Duse - füllten mehrere Buchbände, die Mariani voller Stolz veröffentlichte. Kein geringerer als Papst Leo XIII (1878-1903) verlieh Mariani die Auszeichnung als Wohltäter der Menschheit (benefactor humanitatis). Obwohl die Kokain-Menge nicht zu vernachlässigen war, war der Konsum zweifellos "weich" - und es wurde kein einziger Fall von problematischem Konsum bekannt, geschweige denn ein Drogentodesfall.


Heutzutage verfügen wir auch über empirische Untersuchungen. Wenn die Presse weniger sensationsorientiert wäre und über die Ergebnisse dieser Studien berichtete, könnte sie einiges zu einer realistischeren Vorstellung beitragen.
Empirische Ergebnisse zeigen, wie "weich" der Konsum von Kokain heutzutage in den allermeisten Fällen vonstatten geht - die Rede ist hier nicht von Randständigen und Crack, sonder von sozial integrierten Konsumenten "im bürgerlichen Milieu":
 
Hess
Cohen


Die Studie von Peter Cohen über Kokain-Konsum in Amsterdam zeigte zum Beispiel folgendes:  
Die Studie von Peter Cohen über Kokain-Konsum in Amsterdam zeigte zum Beispiel folgendes:  
31.738

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