Kinderdelinquenz: Unterschied zwischen den Versionen

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In der ''einfachen Rechtsordnung'' besteht ein abgestuftes System rechtlicher Verantwortung, orientiert an einer zunehmenden Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen: Es bestehen Altersgrenzen bezogen auf eine Geschäftsfähigkeit, auf eine Verantwortlichkeit Minderjähriger im zuvilrechtlichen Haftungsrecht und auf die Strafmündigkeit. <br>
In der ''einfachen Rechtsordnung'' besteht ein abgestuftes System rechtlicher Verantwortung, orientiert an einer zunehmenden Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen: Es bestehen Altersgrenzen bezogen auf eine Geschäftsfähigkeit, auf eine Verantwortlichkeit Minderjähriger im zuvilrechtlichen Haftungsrecht und auf die Strafmündigkeit. <br>
Bezogen auf den Umgang mit einem einer Tat verdächtigen Kindes ist aufgrund der Regelung des § 19 StGB umstritten, ob die Strafprozessordnung (StPO) Anwendung finden kann. So stellt bereits die Aufnahme einer Strafanzeige gegen ein Kind oder die Abgabe des Vorganges an die Staatsanwaltschaft im Prinzip eine Ermittlungstätigkeit der Polizei dar. Da eine solche vom Willen getragen ist, ein Strafverfahren gegen einen einer Straftat Verdächtigen zu betreiben, ist zu fragen, ob ein Kind unter Beachtung von § 19 StGB überhaupt eine Beschuldigteneigenschaft innehaben kann und entsprechend von Ermittlungen betroffen werden darf. Strafunmündigkeit stellt aufgrund einer normativ bindenden Schuldlosigkeitsvermutung bezogen auf Kinder ein Strafverfolgungshindernis dar. Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern deshalb ausgeschlossen, da sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtlich-formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert wird. <br>
Bezogen auf den Umgang mit einem einer Tat verdächtigen Kindes ist aufgrund der Regelung des § 19 StGB umstritten, ob die Strafprozessordnung (StPO) Anwendung finden kann. So stellt bereits die Aufnahme einer Strafanzeige gegen ein Kind oder die Abgabe des Vorganges an die Staatsanwaltschaft im Prinzip eine Ermittlungstätigkeit der Polizei dar. Da eine solche vom Willen getragen ist, ein Strafverfahren gegen einen einer Straftat Verdächtigen zu betreiben, ist zu fragen, ob ein Kind unter Beachtung von § 19 StGB überhaupt eine Beschuldigteneigenschaft innehaben kann und entsprechend von Ermittlungen betroffen werden darf. Strafunmündigkeit stellt aufgrund einer normativ bindenden Schuldlosigkeitsvermutung bezogen auf Kinder ein Strafverfolgungshindernis dar. Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern deshalb ausgeschlossen, da sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtlich-formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert wird. <br>
Im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechtes wird bezogen auf den Begriffe des "Störers" nicht zwischen Kindern und Erwachsenen bzw. zwischen Schulfähigen und Schuldunfähigen unterschieden. Gegenüber dem "Störer" muss auch kein Tatverdacht bestehen, der darauf abzielt, ein Strafverfahren gegen die Person zu betreiben. Gefahrenabwehrrechtliche Vorschriften können insofern auch bei Kindern angewendet werden. Hierzu wird die Problematik diskutiert, ob das Polizeirecht erlauben kann, was die StPO verbietet. Soweit die Polizei präventive Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Kinder anwenden dürfen soll, müssen diese der Verhältnismäßigkeit unterlieben, kind- und sachbezogen sein. <br>
Im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechtes wird bezogen auf den Begriffe des "Störers" nicht zwischen Kindern und Erwachsenen bzw. zwischen Schulfähigen und Schuldunfähigen unterschieden. Gegenüber dem "Störer" muss auch kein Tatverdacht bestehen, der darauf abzielt, ein Strafverfahren gegen die Person zu betreiben. Gefahrenabwehrrechtliche Vorschriften können insofern auch bei Kindern angewendet werden. Hierzu wird die Problematik diskutiert, ob das Polizeirecht erlauben kann, was die StPO verbietet. Soweit die Polizei präventive Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Kinder anwenden dürfen soll, müssen diese der Verhältnismäßigkeit unterlieben, kind- und sachbezogen sein. <br>
Kinder können bei einem bestehenden Tatverdacht von der Polizei mit den Eltern zu einer informellen Anhörung geladen werden, dabei dürfen sie weder zur Wahrheit ermahnt noch seitens der Polizei erzieherisch beeinflusst werden. Bereits durch die Situation an sich ergibt sich jedoch ein gewisser ermahnender Charakter im Sinne einer Verdeutlichung, dass das gezeigte Verhalten nicht normkonform war.
Eine besondere Problematik stellt sich bezogen auf die Speicherung von Daten über kinderdelinquentes Verhalten, soweit diese in einem späteren Jugendstrafverfahren zur Kenntnis gelangen. Es ist einzubeziehen, dass die Kenntnis dieser Informationen (die im Sinne einer Einschätzung des bisherigen Sozialverhaltens eingeordent werden können) Einfluss auf die Beurteilung des jugendlichen Fehlverhaltens haben kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zum einen bereits die Registrierung kindlicher Delinquenz von Verzerrungen betroffen ist und dass zum anderen auch die Episodenhaftigkeit und Ubiquität kindlicher Delinquenz einbezogen werden müssten.  
Eine besondere Problematik stellt sich bezogen auf die Speicherung von Daten über kinderdelinquentes Verhalten, soweit diese in einem späteren Jugendstrafverfahren zur Kenntnis gelangen. Es ist einzubeziehen, dass die Kenntnis dieser Informationen (die im Sinne einer Einschätzung des bisherigen Sozialverhaltens eingeordent werden können) Einfluss auf die Beurteilung des jugendlichen Fehlverhaltens haben kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zum einen bereits die Registrierung kindlicher Delinquenz von Verzerrungen betroffen ist und dass zum anderen auch die Episodenhaftigkeit und Ubiquität kindlicher Delinquenz einbezogen werden müssten.  


Eine Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann z.B. durch die Ermittlungsarbeit der Polizei, zivilrechtliche Schadensersatzverfahren, kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen, familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.<br>
Eine Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann auch durch kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen (z.B. §§ 11 ff SGB VIII, §§ 16 ff SGB VIII und §§ 22 SGB VIII), familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.<br>
Reaktionsformen der Jugendhilfe können z.B. auf freiwilliger Basis eine Erziehungsberatung oder freiwillige Erziehungshilfe sein. Durch Anordnung des Vormundschaftsgerichtes können z.B. eine Erziehungsbeistandschaft oder eine Fürsorgeerziehung erfolgen (§§ 55 ff. JWG). Hierbei wird u.a. diskutiert, inwieweit durch gerichtlich angeordnete Maßnahmen wie eine Fürsorgeerziehung auch Stigmatisierungseffekte entstehen können, die ggf. eine Entstehung sekundärer Devianz (im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung) begünstigen können. <br>
Reaktionsformen der Jugendhilfe können z.B. auf freiwilliger Basis eine Erziehungsberatung oder freiwillige Erziehungshilfe sein. Hierbei ist einzubeziehen, dass diese Hilfen durch die Familien beantragt werden müssen und ggf. mit Kosten verbunden sind.<br>
Neben den Möglichkeiten, das Kind selbst mit formellen Reaktionen zu konfrontieren, besteht die Möglichkeit einer formellen Sozialkontrolle der Eltern, wenn die Führsoge- und Erziehungspflicht als verletzt angesehen werden kann, z.B. gemäß § 171 <nowiki>StGB</nowiki> oder gemäß § 12 Abs.2 <nowiki>JÖschG</nowiki>.<br>
Bei einer angenommenen Gefährdung des Kindeswohles kann den Eltern nach §§ 1666, 1666 a BGB das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen werden. Durch Anordnung des Familiengerichtes können z.B. eine Erziehungsbeistandschaft oder eine Fürsorgeerziehung erfolgen (§§ 55 ff. JWG). Maßnahmen des Familiengerichtes haben dabei vor allem eine kontrollierende und nur wenig eine unterstützende Funktion bezogen auf die Familie, im Sinne des Wächteramtes des Staates (Art 6 II 1 GG). Hierbei wird u.a. diskutiert, inwieweit durch gerichtlich angeordnete Maßnahmen wie eine Fürsorgeerziehung auch Stigmatisierungseffekte entstehen können, die ggf. eine Entstehung sekundärer Devianz (im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung) begünstigen können. <br>
Es zeigt sich also, dass in der BRD im Bereich formeller Sozialkontrolle, wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinne, umfassend und differenziert auf Kinderdelinquenz reagiert werden kann.
 
Um Reaktionen der Jugendhilfe für die Kinder und die Familien sinnvoll und nutzbar zu machen, ist eine zeitnahe Reaktion erforderlich, was häufig aufgrund von unterschiedlichen Verfahrensweisen der beteiligten Institutionen (z.B. Polizei und Jugendamt) nicht erfolgt. Ein weiterer Aspekt ist die Bereitstellung ausreichender auch personeller Ressourcen, um auf eingehende Meldungen oder Hinweise auf kindliche Auffälligkeiten oder Delinquenz mit einem pädagogisch angemessenen Angebot reagieren zu können.


====Strafmündigkeitsgrenzen im europäischen Vergleich (ein Überblick)====
====Strafmündigkeitsgrenzen im europäischen Vergleich (ein Überblick)====
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