Kinderdelinquenz: Unterschied zwischen den Versionen

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Im ''Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes'' steht die Anerkennung des Vorranges des Kindeswohls im Vordergrund. Bezogen auf Kinder, die von strafrechtlichen Ermittlungen betroffen sind, wird in Art. 40 KRÜ die Behandlung des Kindes im Strafrecht und Strafverfahren geregelt ( so ist die Würde des Kindes zu wahren und das Kind ist altersgemäß so zu behandeln, dass es seinem Wohl dienlich ist. U.a. ist das Recht auf einen Beistand, auf eine baldige Entscheidung in einem fairen gerichtlichen Verfahren oder die Achtung der Privatsphäre des Kindes festgelegt. Es wird u.a. geregelt, dass die Staaten ein Strafmündigkeitsalter festlegen sollen, wobei keine angemessene Untergrenze benannt und die Festlegung in die Verfügung der einzelnen Staaten gelegt wird). <br>
Im ''Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes'' steht die Anerkennung des Vorranges des Kindeswohls im Vordergrund. Bezogen auf Kinder, die von strafrechtlichen Ermittlungen betroffen sind, wird in Art. 40 KRÜ die Behandlung des Kindes im Strafrecht und Strafverfahren geregelt ( so ist die Würde des Kindes zu wahren und das Kind ist altersgemäß so zu behandeln, dass es seinem Wohl dienlich ist. U.a. ist das Recht auf einen Beistand, auf eine baldige Entscheidung in einem fairen gerichtlichen Verfahren oder die Achtung der Privatsphäre des Kindes festgelegt. Es wird u.a. geregelt, dass die Staaten ein Strafmündigkeitsalter festlegen sollen, wobei keine angemessene Untergrenze benannt und die Festlegung in die Verfügung der einzelnen Staaten gelegt wird). <br>
In Art. 37 KRÜ sind bezogen auf Kinder ein Verbot der Folter, der Todesstrafe und der lebenslangen Freiheitsstrafe geregelt.  
In Art. 37 KRÜ sind bezogen auf Kinder ein Verbot der Folter, der Todesstrafe und der lebenslangen Freiheitsstrafe geregelt. <br>
Hinzuweisen ist darauf, dass die Tatsache der Ratifizierung der Konvention nicht bedeutet, dass es in den unterzeichnenden Staaten keine (z.T. auch massiven) Verletzungen der Kinderrechte mehr gibt.
Hinzuweisen ist darauf, dass die Tatsache der Ratifizierung der Konvention nicht bedeutet, dass es in den unterzeichnenden Staaten keine (z.T. auch massiven) Verletzungen der Kinderrechte mehr gibt.


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====Sanktionierung von Kinderdelinquenz in Deutschland: Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle====
====Sanktionierung von Kinderdelinquenz in Deutschland: Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle====
Auf ''verfassungsrechtlicher Ebene'' sind Kinder laut BVerfG von Geburt an wie Erwachsene Träger aller Grundrechte. Bezogen auf Grundrechte für Personen, die sich in einem Strafverfahren befinden, kommen verschiedene Artikel des Grundgesetzes (GG) zur Anwendung. Kinder sind nach § 19 StGB und § 1 Abs. 3 JGG nicht strafmündig und damit von einem Strafverfahren ausgeschlossen. Sie können sich nicht auf die angeführten grundrechtlichen Garantien berufen, sind aber über die Grundrechte hinaus geschützt.<br>
Auf ''verfassungsrechtlicher Ebene'' sind Kinder laut BVerfG von Geburt an wie Erwachsene Träger aller Grundrechte. Bezogen auf Grundrechte für Personen, die sich in einem Strafverfahren befinden, kommen verschiedene Artikel des Grundgesetzes (GG) zur Anwendung. Kinder sind nach § 19 StGB und § 1 Abs. 3 JGG nicht strafmündig und damit von einem Strafverfahren ausgeschlossen. Sie können sich nicht auf die angeführten grundrechtlichen Garantien berufen, sind aber über die Grundrechte hinaus geschützt.<br>
In der ''einfachen Rechtsordnung'' besteht ein abgestuftes System rechtlicher Verantwortung, orientiert an einer zunehmenden Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen: Es bestehen Altersgrenzen bezogen auf eine Geschäftsfähigkeit, auf eine Verantwortlichkeit Minderjähriger im zuvilrechtlichen Haftungsrecht und auf die Strafmündigkeit. <br>
In der ''einfachen Rechtsordnung'' besteht ein abgestuftes System rechtlicher Verantwortung, orientiert an einer zunehmenden Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen: Es bestehen Altersgrenzen bezogen auf eine Geschäftsfähigkeit, auf eine Verantwortlichkeit Minderjähriger im zuvilrechtlichen Haftungsrecht und auf die Strafmündigkeit. <br>
Bezogen auf den Umgang mit einem einer Tat verdächtigen Kindes ist aufgrund der Regelung des § 19 StGB umstritten, ob die Strafprozessordnung (StPO) Anwendung finden kann. So stellt bereits die Aufnahme einer Strafanzeige gegen ein Kind oder die Abgabe des Vorganges an die Staatsanwaltschaft im Prinzip eine Ermittlungstätigkeit der Polizei dar. Da eine solche vom Willen getragen ist, ein Strafverfahren gegen einen einer Straftat Verdächtigen zu betreiben, ist zu fragen, ob ein Kind unter Beachtung von § 19 StGB überhaupt eine Beschuldigteneigenschaft innehaben kann und entsprechend von Ermittlungen betroffen werden darf. Strafunmündigkeit stellt aufgrund einer normativ bindenden Schuldlosigkeitsvermutung bezogen auf Kinder ein Strafverfolgungshindernis dar. Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern deshalb ausgeschlossen, da sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtlich-formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert wird. <br>
Bezogen auf den Umgang mit einem einer Tat verdächtigen Kindes ist aufgrund der Regelung des § 19 StGB umstritten, ob die Strafprozessordnung (StPO) Anwendung finden kann. So stellt bereits die Aufnahme einer Strafanzeige gegen ein Kind oder die Abgabe des Vorganges an die Staatsanwaltschaft im Prinzip eine Ermittlungstätigkeit der Polizei dar. Da eine solche vom Willen getragen ist, ein Strafverfahren gegen einen einer Straftat Verdächtigen zu betreiben, ist zu fragen, ob ein Kind unter Beachtung von § 19 StGB überhaupt eine Beschuldigteneigenschaft innehaben kann und entsprechend von Ermittlungen betroffen werden darf. Strafunmündigkeit stellt aufgrund einer normativ bindenden Schuldlosigkeitsvermutung bezogen auf Kinder ein Strafverfolgungshindernis dar. Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern deshalb ausgeschlossen, da sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtlich-formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert wird. <br>
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Delikte von Kindern, die nach strafrechtlichen Definitionen als Straftaten angesehen werden, treten meist nicht als bewusste Normbrüche, sondern im Rahmen aus entwicklungspsychologischer Sicht normalen kindlichen, explorativen Verhaltens auf, wobei es zu Grenzüberschreitungen kommen kann. Kinderdelinquenz tritt häufig in der Freizeit auf und ist durch typisch kindliche Motive, emotional gesteuerte Begehensweisen und eine Verteilung der Verantwortung auf die Gruppe gekennzeichnet. Häufig stehen ein Streben nach Anerkennung insbesondere in der peer-group und nach Statussymbolen im Vordergrund. Delinquente Verhaltensweisen sind häufig Laden- und Fahrraddiebstahl, Sachbeschädigung oder leichte Körperverletzung, sie werden meist spontan und unüberlegt realisiert. <br>
Delikte von Kindern, die nach strafrechtlichen Definitionen als Straftaten angesehen werden, treten meist nicht als bewusste Normbrüche, sondern im Rahmen aus entwicklungspsychologischer Sicht normalen kindlichen, explorativen Verhaltens auf, wobei es zu Grenzüberschreitungen kommen kann. Kinderdelinquenz tritt häufig in der Freizeit auf und ist durch typisch kindliche Motive, emotional gesteuerte Begehensweisen und eine Verteilung der Verantwortung auf die Gruppe gekennzeichnet. Häufig stehen ein Streben nach Anerkennung insbesondere in der peer-group und nach Statussymbolen im Vordergrund. Delinquente Verhaltensweisen sind häufig Laden- und Fahrraddiebstahl, Sachbeschädigung oder leichte Körperverletzung, sie werden meist spontan und unüberlegt realisiert. <br>
Kinderdelinquenz richtet sich häufig gegen etwa gleichaltrige Opfer. Vor allem Gewaltdelikte, bei denen Kinder Täter sind, ereignen sich in der Regel im näheren Wohnumfeld, so dass von Täter-Opfer-Beziehungen auszugehen ist.   
Kinderdelinquenz richtet sich häufig gegen etwa gleichaltrige Opfer. Vor allem Gewaltdelikte, bei denen Kinder Täter sind, ereignen sich in der Regel im näheren Wohnumfeld, so dass von Täter-Opfer-Beziehungen auszugehen ist.   


====Kinderdelinquenz nach Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)====
====Kinderdelinquenz nach Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)====
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Mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes. <br>
Mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes. <br>
Durch veränderte Sozialisationsbedingungen, Indivualisierungstendenzen und einen Strukturwandel der Kindheitsphase werden Kinder zunehmend Freiheiten zugewiesen und sie werden zu einer früheren Verselbstständigung angehalten, die nicht unbedingt ihrem Entwicklungsstand entspricht. Zum Erwerb eines Moral- und Normenverständnisses als Grundlage für eine bewusste Entscheidung, sich diesen entsprechend verhalten zu wollen, sind Kinder auf die Vorgabe eines verbindlichen Rahmens, auf Vorbilder und die Bereitschaft ihrer Bezugspersonen, sich mit ihnen über Normen und soziale Regeln auseinanderzusetzen, angewiesen. <br>
Durch veränderte Sozialisationsbedingungen, Indivualisierungstendenzen und einen Strukturwandel der Kindheitsphase werden Kinder zunehmend Freiheiten zugewiesen und sie werden zu einer früheren Verselbstständigung angehalten, die nicht unbedingt ihrem Entwicklungsstand entspricht. Zum Erwerb eines Moral- und Normenverständnisses als Grundlage für eine bewusste Entscheidung, sich diesen entsprechend verhalten zu wollen, sind Kinder auf die Vorgabe eines verbindlichen Rahmens, auf Vorbilder und die Bereitschaft ihrer Bezugspersonen, sich mit ihnen über Normen und soziale Regeln auseinanderzusetzen, angewiesen. <br>
Normen verletzendes Verhalten stellt ein entwicklungspsychologisch gesehen normales Phänomen dar, soweit es sich um ein episodenhaftes Verhalten handelt. Ein solches Verhalten ist nicht in unmittelbarer Abhängigkeit von besonderen Belastungsfaktoren in der kindlichen Umwelt zu sehen. So weisen Studien darauf hin, dass zu kindlichen Delinquenten keine signifikanten Hinweise auf Auffälligkeiten bezogen auf eine psychosoziale Belastung oder z.B. bestimmte Persönlichkeitsmerkmale dieser Kinder festgestellt werden können.<br>
Normen verletzendes Verhalten stellt ein entwicklungspsychologisch gesehen normales Phänomen dar, soweit es sich um ein episodenhaftes Verhalten handelt. Ein solches Verhalten ist nicht in unmittelbarer Abhängigkeit von besonderen Belastungsfaktoren in der kindlichen Umwelt zu sehen. So weisen Studien darauf hin, dass zu kindlichen Delinquenten keine signifikanten Hinweise auf Auffälligkeiten bezogen auf eine psychosoziale Belastung oder z.B. bestimmte Persönlichkeitsmerkmale dieser Kinder festgestellt werden können. <br>
Soweit (eine vergleichsweise kleine Zahl) Kinder in großem Umfang oder durch besonders gravierende Delikte auffällig werden, finden sich dagegen Hinweise auf eine Kumulation familiärer, individueller und sozialer Belastungsfaktoren sowie häufig eine Vorgeschichte nicht erfolgreicher Interventions- und Hilfeangebote. Einzubeziehen ist hierbei, dass sozial benachteiligte Kinder aus verschiedenen Gründen (größere Aufmerksamkeit seitens der Institutionen, geringere Fähigkeiten zur Vermeidung einer Entdeckung) ggf. vermehrt als mit delinquentem Verhalten auffällig registriert werden, so dass sie im Hellfeld der registrierten Kinderdelinquenz überrepräsentiert sein können. <br>
Soweit (eine vergleichsweise kleine Zahl) Kinder in großem Umfang oder durch besonders gravierende Delikte auffällig werden, finden sich dagegen Hinweise auf eine Kumulation familiärer, individueller und sozialer Belastungsfaktoren sowie häufig eine Vorgeschichte nicht erfolgreicher Interventions- und Hilfeangebote. Einzubeziehen ist, dass ggf. nicht "schwierige Kinder", sondern "Kinder in schwierigen Situationen" durch häufige Delinquenz auffällig werden.Einzubeziehen ist weiter, dass sozial benachteiligte Kinder aus verschiedenen Gründen (größere Aufmerksamkeit seitens der Institutionen, geringere Fähigkeiten zur Vermeidung einer Entdeckung) ggf. vermehrt als mit delinquentem Verhalten auffällig registriert werden, so dass sie im Hellfeld der registrierten Kinderdelinquenz überrepräsentiert sein können. <br>


===Kinderdelinquenz in der öffentlichen Wahrnehmung / Einfluss von Politik und Medien===
===Kinderdelinquenz in der öffentlichen Wahrnehmung / Einfluss von Politik und Medien===
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