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Karl-Heinz Dellwo (* 11.04.1952 in Opladen, heute Leverkusen) ist ein ehemaliges Mitglied der Rote Armee Fraktion (RAF). Er war 1975 an der Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm beteiligt. Aufgewachsen in der Eifel (Landkreis Prüm), im Saarland und im Schwarzwald (Landkreis Freudenstadt). Nach zwei Jahren Lehre (Industriekaufmann) wurde ihm wegen der Organisation eines Lehrlingsstreiks gekündigt. Mit Stefan Wisniewski zusammen ging Dellwo 1971 nach  Hamburg. Sie heuerten bei der Reederei Schule und Bruhns an (Wisniewski als Maschinist, Dellwo als Decksmann) und fuhren in Nord- und Ostsee. Fünf Monate später gingen beide auf die Abendschule am Holstentor (Karolinenviertel) und arbeiteten bei der Post (bis Februar 1973). Danach Beteiligung an der SDAJ und an der Hausbesetzung in der Ekhofstraße 73. Ca. 10 Tage vor Räumung der Ekhofstraße kam es zu einer ersten Verhaftung von Dellwo. Am nächsten Morgen Freilassung. Während der Räumung erneute Verhaftung und Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. Nach drei Tagen vollständige Isolation. Verurteilung zu einem Jahr Haft ohne Bewährung - wegen Revision der Staatsanwaltschaft Verbleib in der U-Haft. Mai 1974 Entlassung aus der Haft. Zwischenzeitlich waren ca. 14 Leute aus der Ekhofstraße zu verschiedenen bewaffneten Gruppen gegangen. Eine Gruppe mit Margrit Schiller, Helmut Pohl, Christa Eckes, Wolfgang Beer u.a. in der Hamburger Straße war kurz vor der Entlassung Dellwos verhaftet worden. 1973 waren die Anti-Folter-Komitees gegründet worden. Dellwo schloss sich einem Komitee mit Susanne Albrecht, Sigrid Sternebeck, Ekhard von Seckendorff u.a. an. Seckendorff war aus einer Ärztegruppe gekommen, die in Haftanstalten gearbeitet und die Geschichte von Werner Hoppe mitbekommen hatten.  
[[File:DELLWO1.jpg|thumb|DELLWO1]]'''Karl-Heinz Dellwo''' (* 11.04.1952 in Opladen, heute Leverkusen) wurde als Mitglied der [[Rote Armee Fraktion (RAF)|Roten Armee Fraktion (RAF)]] und insbesondere im Zusammenhang mit dem Überfall des Kommandos Holger Meins auf die deutsche Botschaft in Stockholm im Jahre 1975 bekannt. Nach dem Scheitern dieser Aktion wurde Dellwo zu zweimal lebenslang verurteilt und verbrachte 20 Jahre im Gefängnis. Danach arbeitete er in Hamburg in einer Computerfirma und gründete die Filmgesellschaft BellaStoria sowie den LAIKA-Verlag. Sein Bruder Hans-Joachim Dellwo war ebenfalls RAF-Mitglied. Karl-Heinz Dellwo wohnt mit seiner Lebensgefährtin Gabriele Rollnik im Hamburger Schanzenviertel, wo er seit 2017 auch Teilhaber des Restaurants Cantina Popular ist.
 


Dellwo war als junger Mann zunächst in verschiedenen Berufen tätig (u.a. als kaufmännischer Lehrling (Industriekaufmann), Seemann, Aushilfsfahrer, Briefträger), bevor er sich im Mai 1973 an einer Hausbesetzung in der Hamburger Ekhofstraße beteiligte. Dellwo war wegen der Hausbesetzung ein Jahr in Haft.
Karl-Heinz Dellwo steht im Mittelpunkt des schwedischen Dokumentarfilms (von David Aronowitsch) "Stockholm 75".


Er war Mitglied des "Komitees gegen die Isolationsfolter" in Hamburg.
==Leben==
Mit vier Jahren ging es von Opladen in den Landkreis Prüm in der Eifel, später dann ins Saarland und nach Freudenstadt im Schwarzwald. Dem Industriekaufmannslehrling wurde wegen der Organisation eines Lehrlingsstreiks gekündigt. Daraufhin ging er 1971 zusammen mit seinem Freund Stefan Wisniewski, einem Elektrikerlehrling, nach Hamburg. Dort fuhren die beiden eine zeitlang zur See (Dellwo als Decksmann, Wisniewski als Maschinist). Parallel zum Besuch der Abendschule am Holstentor (Karolinenviertel) arbeiteten beide dann bis Februar 1973 bei der Post.


Aktivitäten in der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) und die Beteiligung an der ersten Hausbesetzung in Hamburg (Ekhofstraße) folgten. Gegen Dellwo, der rund 10 Tage vor der Räumung des Hauses verhaftet wurde, strengte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren an. Der Vorwurf lautete zunächst auf versuchten Totschlag, wurde dann aber erheblich herabgestuft (Landfriedensbruch). Erneute Verhaftung im Zuge der polizeilichen Räumung des besetzten Hauses. Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis (nach drei Tagen Haft Verhängung vollständiger Isolation). Verbleib in der U-Haft auch nach dem Urteil, da die Staatsanwaltschaft in Revision ging. Mai 1974 Entlassung aus der Haft. Zwischenzeitlich waren ca. 14 Leute aus der Ekhofstraße zu verschiedenen bewaffneten Gruppen gegangen. Eine Gruppe mit Margrit Schiller, Helmut Pohl, Christa Eckes, Wolfgang Beer u.a. in der Hamburger Straße war kurz vor der Entlassung Dellwos verhaftet worden. 1973 waren die Komitees gegen die Isolationsfolter gegründet worden. Dellwo schloss sich 1974 einem Komitee mit Susanne Albrecht, Sigrid Sternebeck, Ekhard von Seckendorff u.a. an (Seckendorff war aus einer Ärztegruppe gekommen, die in Haftanstalten gearbeitet und die Geschichte von Werner Hoppe mitbekommen hatte).


Geiselnahme von Stockholm
==Geiselnahme von Stockholm==
Am 25. April 1975 beteiligte er sich an der Aktion des Kommando Holger Meins bei der zwei Botschaftsmitglieder ermordet wurden[1] (Andreas von Mirbach, Heinz Hillegaart). Zwei Mitglieder des Kommandos (Ulrich Wessel und Siegfried Hausner) zogen sich bei der unbeabsichtigten Detonation eines von ihnen präparierten Sprengsatzes schwerste Verletzungen zu, an denen sie später starben. Die vier überlebenden Kommandomitglieder (Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe, Bernd Rössner und Lutz Taufer) wurden verhaftet und am 20. Juli 1977 zu zweimal lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Am 25. April 1975 beteiligte er sich an der Aktion des Kommando Holger Meins bei der zwei Botschaftsmitglieder getötet wurden (Andreas von Mirbach, Heinz Hillegaart). Zwei Mitglieder des Kommandos (Ulrich Wessel und Siegfried Hausner) zogen sich bei der unbeabsichtigten Detonation eines von ihnen präparierten Sprengsatzes schwerste Verletzungen zu, an denen sie später starben. Die vier überlebenden Kommandomitglieder (Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe, Bernd Rössner und Lutz Taufer) wurden verhaftet und am 20.07.1977 zu zweimal lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. - Eine schriftliche Erklärung Dellwos, die bei der Festnahme des RAF-Mitglieds Stefan Wisniewski in Paris gefunden wurde und in der Dellwo die Entführung des Passagierflugzeuges "Landshut" kritisierte, wurde vom niedersächsischen Verfassungsschutz als fingierter Beweis in der Affäre um das sogenannte Celler Loch missbraucht. - Dellwo wurde im Frühjahr 1995 aus der Haft entlassen. Er zählt zu den wenigen ehemaligen RAF-Mitgliedern, die sich öffentlich äußern.


Eine schriftliche Erklärung Dellwos, die bei der Festnahme des RAF-Mitglieds Stefan Wisniewski in Paris gefunden wurde und in der Dellwo die Entführung des Passagierflugzeuges "Landshut" kritisierte, wurde vom niedersächsischen Verfassungsschutz als fingierter Beweis in der Affäre um das sogenannte Celler Loch missbraucht.
==Literatur==
===Von Karl-Heinz Dellwo===
*Dellwo, Karl-Heinz (1997) Mitten im Nebel. Die Beute Nr. 15/16 (verfasst 1990; eine frühe grundsätzliche Reflexion aus dem Innenkreis der RAF).
*Dellwo, Karl-Heinz (2007) Das Projektil sind wir. Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen. Gespräche mit Tina Petersen und Christoph Twickel. Hamburg: Edition Nautilus ISBN 978-3-89401-556-5
*Dellwo war Mitorganisator des Ulrike-Meinhof-Kongresses 1996 an der TU Berlin und 1997 in Zürich Podiumsteilnehmer anlässlich des "Kongresses über den Bewaffneten Kampf in Europa". Dellwo vertritt seit Jahren öffentlich die Position, dass der Tod der Gefangenen in Stammheim 1977 ein "Selbstmord unter staatlicher Beobachtung" gewesen sei (Frank Bachner und Axel Vornbäumen: Die Nacht von Stammheim" in: Der Tagesspiegel 14-10-2007).


===Über Karl-Heinz Dellwo===
*Holderberg, Angelika, Hg. (2007) Nach dem bewaffneten Kampf. Ehemalige Mitglieder der RAF und Bewegung 2. Juni sprechen mit Therapeuten über ihre Vergangenheit. Psychosozial-Verlag, Gießen 2007. ISBN 3-89806-588-X
*NZZ: Anmerkungen zur Nachgeschichte der RAF im Spiegel zweier Publikationen 4. April 2007
*Sontheimer, Michael (2007) Interview: "Wir mussten verlieren" in: Spiegel online, Oktober.


Umgang mit der RAF-Vergangenheit
==Weblinks==
Dellwo wurde im Frühjahr 1995 aus der Haft entlassen. Er zählt zu den wenigen ehemaligen RAF-Mitgliedern, die sich öffentlich äußern. [2]
*Interview bei Tirol Online, 23. Januar 2009
*[http://www.zeit.de/2017/19/cantina-popular-volkskueche-hamburg-schanzenviertel Cantina Popular: Eine Volksküche ist das nicht  (DIE ZEIT 2017)]


In der Zeitschrift "Die Beute Nr. 15/16" erschien 1997 ein Auszug aus dem 77-Seiten Text "Mitten im Nebel", den Dellwo 1990 verfasst hatte und der eine frühe grundsätzliche Reflexion aus dem Innenkreis der RAF darstellt.
== Siehe auch ==
 
*[https://cantina-popular.com/ Cantina Popular (Homepage)]
Dellwo war Mitorganisator des Ulrike-Meinhof-Kongresses 1996 an der TU Berlin und 1997 in Zürich Podiumsteilnehmer anlässlich des "Kongresses über den Bewaffneten Kampf in Europa". Dellwo vertritt seit Jahren öffentlich die Position, dass der Tod der Gefangenen in Stammheim 1977 ein "Selbstmord unter staatlicher Beobachtung" gewesen sei. [3]
*[https://de.wikipedia.org/wiki/Gabriele_Rollnik Gabriele Rollnik in: de.wikipedia]
 
*[https://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Heinz_Dellwo#Autor_und_Verleger Karl-Heinz Dellwo in: de.wikipedia]
2004 drehte der schwedische Regisseur David Aronowitsch den Dokumentarfilm Stockholm 75, in dessen Mittelpunkt er Dellwo stellte.
[[Kategorie:Mitglied der Rote Armee Fraktion]]
 
[[Kategorie:Kriminalfall 1975]]
Karl-Heinz Dellwo lebt heute mit seiner Lebensgefährtin Gabriele Rollnik in Hamburg und arbeitet unter anderen seit 2004 mit seiner Firma bellaStoria Film [4] als Dokumentarfilmer.
[[Kategorie:Verurteilte Person]]
 
[[Kategorie:Deutscher]]
Sein Bruder Hans-Joachim Dellwo war ebenfalls RAF-Mitglied. Nach seiner Verhaftung machte er umfangreiche Aussagen. Heute lebt er unter anderer Identität und ohne Kontakt zu seiner Familie in Kanada.[5]
[[Kategorie:Geboren 1952]]
 
[[Kategorie:Mann]]
2007 erschien ein von der Psychoanalytikerin Angelika Holderberg herausgegebenes Buch, in welchem mehrjährige Gespräche zwischen Psychoanalytikern und mehreren ehemaligen deutschen Terroristen wiedergegeben werden. Unter den Autoren ist auch Karl-Heinz Dellwo.
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Literatur
Angelika Holderberg (Hrsg.): Nach dem bewaffneten Kampf. Ehemalige Mitglieder der RAF und Bewegung 2. Juni sprechen mit Therapeuten über ihre Vergangenheit. Psychosozial-Verlag, Gießen 2007. ISBN 3-89806-588-X
Karl-Heinz Dellwo: Das Projektil sind wir. Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen. Gespräche mit Tina Petersen und Christoph Twickel. Edition Nautilus, Hamburg 2007. ISBN 978-3-89401-556-5
 
Weblinks
Interview bei Tirol Online, 23. Januar 2009
 
Einzelnachweise
NZZ: Anmerkungen zur Nachgeschichte der RAF im Spiegel zweier Publikationen 4. April 2007
Michael Sontheimer-Interview: "Wir mussten verlieren" in: Spiegel online Oktober 2007
Frank Bachner und Axel Vornbäumen: Die Nacht von Stammheim" in: Der Tagesspiegel 14-10-2007
www.bellastoria.de Dellwos Filmfirma
Oliver Tolmein: "Was macht denn der Lutz Taufer?" in: konkret Heft 02 2005
Von „http://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Heinz_Dellwo“
Kategorien: RAF-Mitglied | Deutscher | Geboren 1952 | Mann
Diese Seite wurde zuletzt am 14. März 2009 um 00:17 Uhr geändert.
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