Intensivtäter: Unterschied zwischen den Versionen

443 Bytes hinzugefügt ,  07:47, 11. Okt. 2016
keine Bearbeitungszusammenfassung
 
(3 dazwischenliegende Versionen von einem anderen Benutzer werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
::'''Wird als Prüfungsleistung bearbeitet'''
 
Als '''Intensivtäter''' werden jugendliche und erwachsene Mehrfach- oder Wiederholungstäter bezeichnet, die in einem begrenzten Zeitabschnitt mehrfach kriminell in Erscheinung treten. Innerhalb der Gesamtgruppe der Straftäter stellen die Intensivtäter zwar nur einen kleinen Anteil, der jedoch einen überproportional hohen Anteil an begangenen Straftaten aufweist, etwa fünf bis zehn Prozent der jugendlichen Straftäter begehen ca. 50 Prozent der in dieser Altersklasse registrierten Straftaten.(vgl. Boeger, 2011, S.8). Deswegen sind sie für die Kriminalpolitik ein wichtiges Aufgabenfeld.(Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, 1993, S.181). Meist sind die Intensivtäter polytrop, also in verschiedenen Delinquenzbereichen auffällig, wobei Gewalt gegen Menschen dominiert. Die meisten Intensivtäter werden im jugendlichen und heranwachsenden Alter aktiv und sind überwiegend männlich, weibliche Intensivtäter treten verschwindend gering in Erscheinung.   
Als '''Intensivtäter''' werden jugendliche und erwachsene Mehrfach- oder Wiederholungstäter bezeichnet, die in einem begrenzten Zeitabschnitt mehrfach kriminell in Erscheinung treten. Innerhalb der Gesamtgruppe der Straftäter stellen die Intensivtäter zwar nur einen kleinen Anteil, der jedoch einen überproportional hohen Anteil an begangenen Straftaten aufweist, etwa fünf bis zehn Prozent der jugendlichen Straftäter begehen ca. 50 Prozent der in dieser Altersklasse registrierten Straftaten (vgl. Boeger, 2011, S.8). Deswegen sind sie für die Kriminalpolitik ein wichtiges Aufgabenfeld(Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, 1993, S.181). Meist sind die Intensivtäter polytrop, also in verschiedenen Delinquenzbereichen auffällig, wobei Gewalt gegen Menschen dominiert. Die meisten Intensivtäter werden im jugendlichen und heranwachsenden Alter aktiv und sind überwiegend männlich, weibliche Intensivtäter treten verschwindend gering in Erscheinung.   
==Definition==
==Definition==
In der '''Polizeilichen Kiminalstatistk PKS''' werden als '''Mehrfachtäter''' Tatverdächtigte mit zwei, drei oder vier Fällen pro Statistikjahr definiert. Als '''Intensivtäter''' werden in der PKS Tatverdächtigte mit mehr als vier Fällen pro Statistikjahr beschrieben.
In der '''Polizeilichen Kiminalstatistk PKS''' werden als '''Mehrfachtäter''' Tatverdächtigte mit zwei, drei oder vier Fällen pro Statistikjahr definiert. Als '''Intensivtäter''' werden in der PKS Tatverdächtigte mit mehr als vier Fällen pro Statistikjahr beschrieben.
Kaiser definiert '''Intensivtäter''' als "Mehrfachdelinquenten, die aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit des Rechtsbruchs eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit gegenüber nur gelegentlich deliktisch handelnden Rückfalltätern erkennen lassen."(Kaiser, 1993, S.178; Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, 1993, S.178) Von diesen unterscheiden sie sich durch eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit der verübten Straftaten. Die Auftrittswahrscheinlichkeit ereignet sich bei der Mehrzahl der Intensivtäter nur während eines begrenzten Zeitraums. (vgl. Boegner, 2011, S.143)
Kaiser definiert '''Intensivtäter''' als "Mehrfachdelinquenten, die aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit des Rechtsbruchs eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit gegenüber nur gelegentlich deliktisch handelnden Rückfalltätern erkennen lassen." (Kaiser, 1993, S.178; Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, 1993, S.178) Von diesen unterscheiden sie sich durch eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit der verübten Straftaten. Die Auftrittswahrscheinlichkeit ereignet sich bei der Mehrzahl der Intensivtäter nur während eines begrenzten Zeitraums (vgl. Boegner, 2011, S.143).
Eine Projektgruppe der Länder und des Bundes hat 2003 eine Begriffsbestimmung für sogenannte '''Mehrfach- und Intensivtäter MIT''' erarbeitet. Danach sind MITs Personen, die zum einen eine besondere kriminelle Energie oder erhöhte Gewaltbereitschaft gezeigt haben und in der Regel wiederholt, besonders in Massen- und/oder Straßenkriminalität, in Erscheinung getreten sind. Zudem ist bei MITs eine Negativprognose aufgrund der Wirkungslosigkeit bisheriger Erziehungs-, Straf- und Resozialisierungsmaßnahmen oder aus anderen Gründen gegeben. (vgl. Bericht der gemeinsamen Projektgruppe des Unterausschusses Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung der AG Kripo und Justiz, S.6)
Eine Projektgruppe der Länder und des Bundes hat 2003 eine Begriffsbestimmung für sogenannte '''Mehrfach- und Intensivtäter MIT''' erarbeitet. Danach sind MITs Personen, die zum einen eine besondere kriminelle Energie oder erhöhte Gewaltbereitschaft gezeigt haben und in der Regel wiederholt, besonders in Massen- und/oder Straßenkriminalität, in Erscheinung getreten sind. Zudem ist bei MITs eine Negativprognose aufgrund der Wirkungslosigkeit bisheriger Erziehungs-, Straf- und Resozialisierungsmaßnahmen oder aus anderen Gründen gegeben (vgl. Bundeskriminalamt, 2010)
==Entstehung und Entwicklung des Begriffs aus historischer Sicht==
==Entstehung und Entwicklung des Begriffs aus historischer Sicht==
===Entwicklung===
===Entwicklung===
[[Cesare Lombroso]] beschreibt in seinem Werk "l´uomo delinquente" 1876 zum ersten Mal in der Literatur den [[geborenen Verbrecher]], also einen Menschen, der schon böse und kriminell geboren wird und an körperlichen Merkmalen wie Kopfform, Kieferstellung, Augenbrauen etc. erkannt werden kann. Dieser Gedanke wurde in mehreren nachfolgenden Theorien und Strömungen aufgegriffen, weiter ausdifferenziert, aber auch widerlegt und kritisiert. Nach Begründung der Chicagoer Schule in den 1930er Jahren wurde die Untersuchung der Lebensläufe von Straftätern forciert, um Strukturen und Änderungen im zeitlichen Ablauf einer delinquenten Karriere zu verfolgen, dies war der Anfang der [[Karriereforschung]]. Das Ehepaar Sheldon und Eleanor Glueck untersuchte mit ihrem [[Mehrfaktorenansatz]] unter anderem Faktoren, denen die größtmögliche prognostische Bedeutung zukommt, und identifizierte insbesondere drei davon: a) Beaufsichtigung der Kinder durch die Mutter b)Strenge der Erziehung und c)Ausprägung des Zusammenhalts der Familie (vgl. Hessisches Landeskriminalamt, 2008, S.47ff). [[Chronic offenders]]oder career criminals (vgl. Kammigan, Masterarbeit, 2009, S.6ff))wurden zum ersten Mal in der [[Philadelphia Cohort Study]] diejenigen Täter benannt, auf die pro Kopf fünf oder mehr polizeiliche Registrierungen erfolgten und die für mehr als die Hälfte aller begangenen Delikte verantwortlich waren. Ende des 19. Jahrhunderts erfolgt die Unterteilung in Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrecher. [[ Terrie Moffitt]] unterscheidet 1993 in ihrer [[Two-Path-Theory]] [[adolescence-limited-offenders]], deren delinquentes Verhalten sich auf die Jugendzeit beschränkt und dann verwächst, und [[life-course-persistent-offenders]], deren antisoziales Verhalten im Kindesalter beginnt und sich bis hin zum Erwachsenenalter fortsetzt.   
[[Cesare Lombroso]] beschreibt in seinem Werk "l´uomo delinquente" 1876 zum ersten Mal in der Literatur den [[geborenen Verbrecher]], also einen Menschen, der schon böse und kriminell geboren wird und an körperlichen Merkmalen wie Kopfform, Kieferstellung, Augenbrauen etc. erkannt werden kann. Dieser Gedanke wurde in mehreren nachfolgenden Theorien und Strömungen aufgegriffen, weiter ausdifferenziert, aber auch widerlegt und kritisiert. Nach Begründung der Chicagoer Schule in den 1930er Jahren wurde die Untersuchung der Lebensläufe von Straftätern forciert, um Strukturen und Änderungen im zeitlichen Ablauf einer delinquenten Karriere zu verfolgen, dies war der Anfang der [[Karriereforschung]]. Das Ehepaar Sheldon und Eleanor Glueck untersuchte mit ihrem [[Mehrfaktorenansatz]] unter anderem Faktoren, denen die größtmögliche prognostische Bedeutung zukommt, und identifizierte insbesondere drei davon: a) Beaufsichtigung der Kinder durch die Mutter b) Strenge der Erziehung und c) Ausprägung des Zusammenhalts der Familie (vgl. Hessisches Landeskriminalamt, 2008, S.47ff). Ende des 19. Jahrhunderts erfolgt die Unterteilung in Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrecher. [[ Terrie Moffitt]] unterscheidet 1993 in ihrer [[Two-Path-Theory]] [[adolescence-limited-offenders]], deren delinquentes Verhalten sich auf die Jugendzeit beschränkt und dann verwächst, und [[life-course-persistent-offenders]], deren antisoziales Verhalten im Kindesalter beginnt und sich bis hin zum Erwachsenenalter fortsetzt (vgl. Schwind, 2012)    
===Theoretische Erklärungsansätze===
===Theoretische Erklärungsansätze===
Neben den hier kurz aufgeführten Theorieansätzen, beschreiben auch [[Edwin H. Sutherland]] in der [[Theorie der differentiellen Assoziation]], [[Richard A. Cloward & Lloyd E. Ohlin]] in der [[Theorie der differentiellen Gelegenheiten]] und [[Ronald A. Akers]] in seiner Theorie des sozialen Lernen uvm. kriminelles Verhalten nicht als angeborene, sondern erlernte Eigenschaft. Im Nachfolgenden wird auf drei Entwicklungstheorien kurz eingegangen.
Neben den hier kurz aufgeführten Theorieansätzen, beschreiben auch [[Edwin H. Sutherland]] in der [[Theorie der differentiellen Assoziation]], [[Richard A. Cloward & Lloyd E. Ohlin]] in der [[Theorie der differentiellen Gelegenheiten]] und [[Ronald A. Akers]] in seiner Theorie des sozialen Lernen uvm. kriminelles Verhalten nicht als angeborene, sondern erlernte Eigenschaft. Im Nachfolgenden wird auf drei Entwicklungstheorien kurz eingegangen.
Zeile 23: Zeile 23:
==Zusammenhänge mit anderen Begriffen==
==Zusammenhänge mit anderen Begriffen==
===Schwellentäter===
===Schwellentäter===
„Schwellentäter“ werden solche Kinder und Jugendliche genannt, bei denen sich spätere intensivkriminelle Karrieren schon frühzeitig im Kindergarten oder in der Grundschule abzeichnen, auch sogenannte Risikokinder (ausführlich Winterhoff 2008). Erfasst werden hier Auffälligkeiten wie Disziplinverstöße, Unpünktlichkeit, regelmäßiges Schwänzen des Schulunterrichts, geringe Selbstbeherrschung, Gewalttätigkeiten und die Einbindung in sozial negativ auffällige Jugendgruppen- und Banden.  
„Schwellentäter“ werden solche Kinder und Jugendliche genannt, bei denen sich spätere intensivkriminelle Karrieren schon frühzeitig im Kindergarten oder in der Grundschule abzeichnen, auch sogenannte Risikokinder. Erfasst werden hier Auffälligkeiten wie Disziplinverstöße, Unpünktlichkeit, regelmäßiges Schwänzen des Schulunterrichts, geringe Selbstbeherrschung, Gewalttätigkeiten und die Einbindung in sozial negativ auffällige Jugendgruppen- und Banden.  
Als Schwellentäter werden aber auch solche erwachsenen Straftäter bezeichnet, die erst an der Schwelle zum Intensivtäter stehen und welche noch nicht als Intensivtäter eingestuft werden können (vgl. Schwind, 2012, S.13).
Als Schwellentäter werden aber auch solche erwachsenen Straftäter bezeichnet, die erst an der Schwelle zum Intensivtäter stehen und welche noch nicht als Intensivtäter eingestuft werden können (vgl. Schwind, 2012, S.13).
===Hangtäter===
===Hangtäter===
Mit Hangtäter wird ein Straftäter bezeichnet, der schon mindestens dreimal straffällig geworden ist und infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten neigt, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und der für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 1 StGB).  
Mit Hangtäter wird ein Straftäter bezeichnet, der schon mindestens dreimal straffällig geworden ist und infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten neigt, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und der für die Allgemeinheit gefährlich ist (StGB § 66 Abs. 1 ).  
===Sicherungsverwahrung===
===Sicherungsverwahrung===
Von Sicherungsverwahrung spricht man, wenn ein Täter nach Verbüßen seiner Straftat nicht entlassen wird, sondern aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose zur Verwahrung in eine entsprechende Anstalt verbracht wird. Die Sicherungsverwahrung zählt zu den Maßregeln zur Besserung und Sicherung und ist in §§ 61 Nr. 3, 66 StGB geregelt. Sie dient in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Taten und muss bereits im Urteil verhangen werden. Vor Eintritt in die Sicherungsverwahrung muss diese durch externe Gutachter geprüft werden. Eine regelmäßige Prüfung der Voraussetzungen ist gesetzlich vorgeschrieben.
Von Sicherungsverwahrung spricht man, wenn ein Täter nach Verbüßen seiner Straftat nicht entlassen wird, sondern aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose zur Verwahrung in eine entsprechende Anstalt verbracht wird. Die Sicherungsverwahrung zählt zu den Maßregeln zur Besserung und Sicherung und ist in §§ 61 Nr. 3, 66 StGB geregelt. Sie dient in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Taten und muss bereits im Urteil verhangen werden. Vor Eintritt in die Sicherungsverwahrung muss diese durch externe Gutachter geprüft werden. Eine regelmäßige Prüfung der Voraussetzungen ist gesetzlich vorgeschrieben.
Zeile 34: Zeile 34:
Der Begriff Resozialisierung bedeutet im Allgemeinen die Wiedereingliederung in das soziale Gefüge der Gesellschaft. Im kriminologischen Bezug bezieht sie sich insbesondere auf die Wiedereingliederung von Straftätern in das gesellschaftliche Leben außerhalb der Gefängniswelt und die Befähigung durch Integration und Rehabilitation straffällig gewordener Personen zu einem Leben ohne Straftaten.
Der Begriff Resozialisierung bedeutet im Allgemeinen die Wiedereingliederung in das soziale Gefüge der Gesellschaft. Im kriminologischen Bezug bezieht sie sich insbesondere auf die Wiedereingliederung von Straftätern in das gesellschaftliche Leben außerhalb der Gefängniswelt und die Befähigung durch Integration und Rehabilitation straffällig gewordener Personen zu einem Leben ohne Straftaten.
==Kriminologische Relevanz==
==Kriminologische Relevanz==
Intensivtäter treten immer wieder presse- und medienwirksam durch sehr gewalttätige Straftaten in Erscheinung. Dies schürt die sogenannte [[Kriminalitätsfurcht]] in der Bevölkerung und kann politisch und wahlkampfunterstützend genutzt werden. Auch die Erkenntnis, dass ein kleiner Anteil an Kriminellen für einen großen Anteil an Straftaten verantwortlich ist und dass die [[Resozialisierung]] dieser Gruppe von Intensivtätern die verschiedenen beteiligten Professionen vor eine große Herausforderung stellt, macht das Thema kriminologisch relevant. So wurden in der wohl bekanntesten Kohortenuntersuchung [[Piladelphia Birth Cohort Study]] von Wolfgang et al. von 1972 (vgl. Kammigan, 2009, S. 7) anhand von Polizei- und Schulakten knapp 10.000 Jungen aus dem Geburtsjahr 1945 untersucht, die vom zehnten bis zum 18. Lebensjahr in der Stadt Piladelphia ihren Wohnsitz hatten. Die [[chronic offenders]] die nur sechs Prozent der Kohorte bzw. 18 Prozent der Delinquenten ausmachten, waren für mehr als die Hälfte aller registrierten Straftaten verantwortlich (vgl. Berliner Kriminologische Studien, 2009, S.8).
Intensivtäter treten immer wieder presse- und medienwirksam durch sehr gewalttätige Straftaten in Erscheinung. Dies schürt die sogenannte [[Kriminalitätsfurcht]] in der Bevölkerung und kann politisch und wahlkampfunterstützend genutzt werden. Auch die Erkenntnis, dass ein kleiner Anteil an Kriminellen für einen großen Anteil an Straftaten verantwortlich ist und dass die [[Resozialisierung]] dieser Gruppe von Intensivtätern die verschiedenen beteiligten Professionen vor eine große Herausforderung stellt, macht das Thema kriminologisch relevant. So wurden in der wohl bekanntesten Kohortenuntersuchung [[Piladelphia Birth Cohort Study]] von Wolfgang et al. von 1972 (vgl. Schwind, 2012) anhand von Polizei- und Schulakten knapp 10.000 Jungen aus dem Geburtsjahr 1945 untersucht, die vom zehnten bis zum 18. Lebensjahr in der Stadt Piladelphia ihren Wohnsitz hatten. Die [[chronic offenders]] die nur sechs Prozent der Kohorte bzw. 18 Prozent der Delinquenten ausmachten, waren für mehr als die Hälfte aller registrierten Straftaten verantwortlich (vgl. Berliner Kriminologische Studien, 2009, S.8).
===Grenzen und Risiken===
===Grenzen und Risiken===
Es gibt bisher weder eine verbindliche bzw. allgemein anerkannte Definition für Intensivtäter noch gibt es einheitliche Kriterien zur Eingrenzung des Begriffs "Intensivtäter". In fast allen Bundesländern in Deutschland ist die Anzahl der begangenen Straftaten entscheidend und meist werden bei der Beurteilung weitere Faktoren wie Art und Weise der Begehung, Art des Delikts oder eine Negativprognose des Sachbearbeiters hinzugezogen.  
Es gibt bisher weder eine verbindliche bzw. allgemein anerkannte Definition für Intensivtäter noch gibt es einheitliche Kriterien zur Eingrenzung des Begriffs "Intensivtäter". In fast allen Bundesländern in Deutschland ist die Anzahl der begangenen Straftaten entscheidend und meist werden bei der Beurteilung weitere Faktoren wie Art und Weise der Begehung, Art des Delikts oder eine Negativprognose des Sachbearbeiters hinzugezogen.  
Zeile 42: Zeile 42:
Seit Beginn der 90er Jahre werden zunehmend polizeiliche "Intensivtäter-Programme" eingeführt. Ziele sind die Steigerung der Effektivität und Effizienz in der Kriminalitätsbekämpfung, die Erhöhung des Sicherheitsgefühls und die Begegnung des öffentlichen Drucks. Die einzelnen Konzepte weisen hinsichtlich Zielgruppe, Umfang und Art der vorgesehenenden Maßnahmen sowie präventiver und repressiver Ausrichtung große Heterogenität auf. Häufige Massnahmen sind die Zentralisierung der Strafverfolgungstätigkeit, Beschleunigung der Verfahrensabläufe, spezielle polizeiinterne Datenbanken/Listen, Gefährderansprachen sowie Koordination und Vernetzung der an der Jugendarbeit beteiligten Institutionen.
Seit Beginn der 90er Jahre werden zunehmend polizeiliche "Intensivtäter-Programme" eingeführt. Ziele sind die Steigerung der Effektivität und Effizienz in der Kriminalitätsbekämpfung, die Erhöhung des Sicherheitsgefühls und die Begegnung des öffentlichen Drucks. Die einzelnen Konzepte weisen hinsichtlich Zielgruppe, Umfang und Art der vorgesehenenden Maßnahmen sowie präventiver und repressiver Ausrichtung große Heterogenität auf. Häufige Massnahmen sind die Zentralisierung der Strafverfolgungstätigkeit, Beschleunigung der Verfahrensabläufe, spezielle polizeiinterne Datenbanken/Listen, Gefährderansprachen sowie Koordination und Vernetzung der an der Jugendarbeit beteiligten Institutionen.
So gibt es z.B. das Vieltäterprogramm in Hamburg, bei dem das Tatortprinzip durch das Wohnortprinzip ersetzt und die parallele Zuständigkeit unterschiedlicher Sachbearbeiter für ein und dieselbe Person begrenzt wurde. In den "Häusern des Jugendrechts" arbeiten Jugendrecht, Jugendhilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft unter einem Dach zusammen, mit dem Ziel, die Kooperation der beteiligten Institutionen zu verbessern, angemessen und abgestimmt auf Jugenddelinquenz zu reagieren, die Jugendstrafverfahrensdauer zu verkürzen und die Prävention zu verstärken (vgl. Schwind, 2012).
So gibt es z.B. das Vieltäterprogramm in Hamburg, bei dem das Tatortprinzip durch das Wohnortprinzip ersetzt und die parallele Zuständigkeit unterschiedlicher Sachbearbeiter für ein und dieselbe Person begrenzt wurde. In den "Häusern des Jugendrechts" arbeiten Jugendrecht, Jugendhilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft unter einem Dach zusammen, mit dem Ziel, die Kooperation der beteiligten Institutionen zu verbessern, angemessen und abgestimmt auf Jugenddelinquenz zu reagieren, die Jugendstrafverfahrensdauer zu verkürzen und die Prävention zu verstärken (vgl. Schwind, 2012).
Ein Beispiel ist das Konzept der BASU21 ('''B'''esonders '''A'''uffällige '''S'''traftäter '''U'''nter '''21''' Jahren) (vgl. Weber, Matthias, MIT-Tagung, 17.11.2010, Frankfurt am Main). Dieses richtet sich an Kinder, Jugendliche und Heranwachsende als Zielgruppe mit dem Ziel der Prävention, Repression und Netzwerkarbeit. Außerdem liegt ein Schwerpunkt auf dem Opferschutz. Bei BASU21 findet eine Zusammenarbeit zwischen Polizei, Schule, Schulamt, Jugendhilfe, Haus des Jugendrechts, Justiz, Eltern etc. statt, daher gilt es alsmpräventive Vorstufe zu "MIT" Mehrfach-Intensiv-Täter-Programmen.
Ein Beispiel ist das Konzept der BASU21 ('''B'''esonders '''A'''uffällige '''S'''traftäter '''U'''nter '''21''' Jahren) (vgl. Weber, 2010, Frankfurt am Main). Dieses richtet sich an Kinder, Jugendliche und Heranwachsende als Zielgruppe mit dem Ziel der Prävention, Repression und Netzwerkarbeit. Außerdem liegt ein Schwerpunkt auf dem Opferschutz. Bei BASU21 findet eine Zusammenarbeit zwischen Polizei, Schule, Schulamt, Jugendhilfe, Haus des Jugendrechts, Justiz, Eltern etc. statt, daher gilt es alsmpräventive Vorstufe zu "MIT" Mehrfach-Intensiv-Täter-Programmen.
===Interdisziplinäre Zusammenarbeit===
===Interdisziplinäre Zusammenarbeit===
In der Arbeit mit den Intensivtätern ist die Zusammenarbeit und Vernetzung der verschiedensten Disziplinen gefordert. Neben der Polizei bzw. der zuständigen Abteilung der Kriminalpolizei nehmen auch die Jugendgerichtshilfe, die Jugendhilfe im Allgemeinen, die Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychologen und Therapeuten und nicht zuletzt die Strafjustiz einen bedeutenden Platz ein. In der Psychologie z.B. ist der Blick auf das Individuum und auf die Umstände im Mittelpunkt. Der Mensch mit seiner Persönlichkeit beeinflusst die spezifische Umwelt, die wiederum auch ihn beeinflusst. Die Jugendhilfe setzt präventiv und interventiv an der Person an, sie soll Hilfestellung geben, Bedürfnisse auf legalem Weg zu erfüllen und die jugendtypischen Risikoverhaltensweisen zu lenken. In der Phase des Heranwachsens stehen die Ablösung oder Abgrenzung zum Elternhaus, die Integration in eine gleichaltrige Peergroup und die Identitätsentwicklung im Vordergrund.
In der Arbeit mit den Intensivtätern ist die Zusammenarbeit und Vernetzung der verschiedensten Disziplinen gefordert. Neben der Polizei bzw. der zuständigen Abteilung der Kriminalpolizei nehmen auch die Jugendgerichtshilfe, die Jugendhilfe im Allgemeinen, die Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychologen und Therapeuten und nicht zuletzt die Strafjustiz einen bedeutenden Platz ein. In der Psychologie z.B. ist der Blick auf das Individuum und auf die Umstände im Mittelpunkt. Der Mensch mit seiner Persönlichkeit beeinflusst die spezifische Umwelt, die wiederum auch ihn beeinflusst. Die Jugendhilfe setzt präventiv und interventiv an der Person an, sie soll Hilfestellung geben, Bedürfnisse auf legalem Weg zu erfüllen und die jugendtypischen Risikoverhaltensweisen zu lenken. In der Phase des Heranwachsens stehen die Ablösung oder Abgrenzung zum Elternhaus, die Integration in eine gleichaltrige Peergroup und die Identitätsentwicklung im Vordergrund.
Die Kriminalpolizeien haben bereits mehrere Intensivtäterprogramme entwickelt und besondere Maßnahmen, wie die Gefährderansprache, erarbeitet. In Zusammenwirken mit Strafjustiz und Jugendgerichtshilfe gibt es Präventionsprogramme wie Anti-Aggressionstraining als Auflagen, in der Jugendhilfe gibt es spezielle Maßnahmenformen wie geschlossene Jugendhilfeeinrichtungen, Soziotherapeutische Wohngruppen, U-Haft-Vermeidungsgruppen etc. In manchen Bundesländern oder Städten gibt es sogenannte "Runde Tische", zu denen eingeladen werden kann, wenn ein Intensivtäter auffällig wird und über die geeigneten Interventionen und Auflagen im Vorfeld zu einer Verurteilung gesprochen werden soll bzw. wenn es um geeignete Maßnahmen vor der Entlassung geht.  
Die Kriminalpolizeien haben bereits mehrere Intensivtäterprogramme entwickelt und besondere Maßnahmen, wie die Gefährderansprache, erarbeitet. In Zusammenwirken mit Strafjustiz und Jugendgerichtshilfe gibt es Präventionsprogramme wie Anti-Aggressionstraining als Auflagen, in der Jugendhilfe gibt es spezielle Maßnahmenformen wie geschlossene Jugendhilfeeinrichtungen, Soziotherapeutische Wohngruppen, U-Haft-Vermeidungsgruppen etc. In manchen Bundesländern oder Städten gibt es sogenannte "Runde Tische", zu denen eingeladen werden kann, wenn ein Intensivtäter auffällig wird und über die geeigneten Interventionen und Auflagen im Vorfeld zu einer Verurteilung gesprochen werden soll bzw. wenn es um geeignete Maßnahmen vor der Entlassung geht.  
==Forschungsprogramme und Ergebnisse==
==Forschungsprogramme und Ergebnisse==
===Forschungsprojekt "Mehrfach - und Intensivtäter"===
===Forschungsprojekt "Mehrfach - und Intensivtäter" des Landeskriminalamt Hessen (vgl. Bundeskriminalamt, 2010)===
Zentrale Ergebnisse waren
Zentrale Ergebnisse waren
*Früh einsetzende Prävention ist entscheidend, frühes vernetztes Handeln aller beteiligten staatlichen Institutionen sowie der Eltern ist wichtig und sinnvoll bei der Unterstützung des Abbruchs der kriminellen Karriere
*Früh einsetzende Prävention ist entscheidend, frühes vernetztes Handeln aller beteiligten staatlichen Institutionen sowie der Eltern ist wichtig und sinnvoll bei der Unterstützung des Abbruchs der kriminellen Karriere
Zeile 76: Zeile 76:
*Lamnek, Siegfried, ''Theorien abweichenden Verhaltens II'', 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, 2008, ISBN 978-3-7705-4646-6
*Lamnek, Siegfried, ''Theorien abweichenden Verhaltens II'', 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, 2008, ISBN 978-3-7705-4646-6
===Studien und Dokumentationen===
===Studien und Dokumentationen===
*Berliner Kriminologische Studien, Band 8, ''Jugendliche Mehrfach- und "Intensivtäter"'', 2009
*Berliner Kriminologische Studien, Band 8, ''Jugendliche Mehrfach- und "Intensivtäter"'', 2009, ISBN 978-3-8258-1961-3
*Bundesgerichtshof BGH, Beschluss vom 17. November 1987, Az. 1 StR 382/87
*Bundesgerichtshof BGH, Beschluss vom 17. November 1987, Az. 1 StR 382/87
*Bundeskriminalamt, ''"Junge Mehrfach- und Intensivtäter- Gelingt der Wissenstransfer zwischen kriminologischer Forschung und polizeilicher Praxis?"'', Tagung 17.November 2010, Wiesbaden
*Bundeskriminalamt, ''"Junge Mehrfach- und Intensivtäter- Gelingt der Wissenstransfer zwischen kriminologischer Forschung und polizeilicher Praxis?"'', Tagung 17.November 2010, Wiesbaden, pfd-Datei unter [http://www.bka.de/nn_193482/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/SonstigeVeroeffentlichungen/2010TagungJungeMehrfachUndIntensivtaeter.html?__nnn=true], zuletzt online am 10.03.2016
*Hessisches Landeskriminalamt, Band 1, ''"Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen"'', 2008
*Bundeskriminalamt PKS 2014
*Goerdeler, Jochen, "Mehrfach- und Intensivtäter", kriminologische Aspekte, in Polizei & Sozialarbeit XIII, 18. Juli 2006, Hofgeismar
*Hessisches Landeskriminalamt, Band 1, ''"Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen"'', 2008, [https://www.polizei.hessen.de/icc/internetzentral/nav/2a6/binarywriterservlet?imgUid=2c7639b5-ac5b-8214-13bd-512109241c24&uBasVariant=11111111-1111-1111-1111-111111111111], zuletzt online am 10.03.2016
*Kammigan, Ilka, ''"Junge Mehrfach- und Intensivtäter in Hamburg"'', Masterarbeit, 2009, Hamburg
*Goerdeler, Jochen, "Mehrfach- und Intensivtäter", kriminologische Aspekte, in Polizei & Sozialarbeit XIII, 18. Juli 2006, Hofgeismar, pdf-Datei unter [http://www.dvjj.de/veranstaltungen/dokumentationen/polizei-sozialarbeit-xiii-mehrfach-und-intensivt%C3%A4ter], zuletzt online am 10.03.2016
*Schwind, Jan-Volker, "Intensivtäter und Intensivtäterprogramme der Polizei - bezogen auf Gewalttätigkeiten junger männlicher Rechtsbrecher", Masterarbeit, 2012, Bochum
*Schwind, Jan-Volker, "Intensivtäter und Intensivtäterprogramme der Polizei - bezogen auf Gewalttätigkeiten junger männlicher Rechtsbrecher", Masterarbeit, 2012, Bochum, pdf-Datei unter [weihmann.info/images/Schwind Masterarbeit.pdf]
*Weber, Matthias, MIT Tagung im Bundeskriminalamt, ''BASU21'', 17.11.2010, Frankfurt am Main
*Strafgesetzbuch unter [www.gesetze-im-internet.de/stgb], zuletzt online am 10.03.2016
*Weber, Matthias, MIT Tagung im Bundeskriminalamt, ''BASU21'', 17.11.2010, Frankfurt am Main, in pdf-Datei unter [http://www.bka.de/nn_193482/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/SonstigeVeroeffentlichungen/2010TagungJungeMehrfachUndIntensivtaeter.html?__nnn=true], zuletzt online am 10.03.2016
===Fachzeitschriften===
===Fachzeitschriften===
*Bericht der gemeinsamen Projektgruppe des Unterausschusses Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung der AG Kripo und Justiz, S.6) bei Sonka, C. & Riesner, L., ''Junge „Mehrfach- und Intensivtäter“ - Implikationen für die Auswahl in polizeiliche Programme'' in Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 2012, S.119–127
*Bericht der gemeinsamen Projektgruppe des Unterausschusses Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung der AG Kripo und Justiz, S.6) bei Sonka, C. & Riesner, L., ''Junge „Mehrfach- und Intensivtäter“ - Implikationen für die Auswahl in polizeiliche Programme'' in Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 2012, S.119–127