Helga Einsele

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Helga Einsele geb. Hackmann( geb. 09. Juni 1910 in Dölau bei Halle/Saale; gest. 13. Februar 2005 in Frankfurt am Main) war eine deutsche Kriminologin , Gefängnisdirektorin und Strafrechtsreformerin.

Lebenslauf

Helga Einsele war die erste von zwei Töchtern des Lehres Dr. Friedrich Hackmann und seiner Ehefrau Frieda, die ebenfalls Lehrerin war, den Beruf wegen der Eheschliessung aufgab. Sie wuchs in einem bürgerlich-demokratischen Elternhaus auf, erst in Torgau und dann in Lüneburg. Ihr Vater war später Leiter des Johanneums in Lüneburg, dem ältesten deutschen Gymnasiums, die Mutter engagiert in einer der frühen Frauen- Emanzipationsbewegung, sowie ehrenamtlich in der Sozialarbeit und Jugendgerichtshilfe. Wie ihre jüngere Schwester Erdmuthe Falkenberg, die spätere Leiterin des Landesjugendamtes Hessen, besuchte auch Einsele das Johanneum wo sie 1929 das Abitur machte.

Von 1929 bis 1935 studierte Einsele Rechtswissenschaften. Nach Stationen in Königsberg und Breslau, studierte sie von Mai 1930 an in Heidelberg. Sie war wie Anne-Eva Brauneck eine der letzten Schülerinnen des Strafrechtlers, Rechtsphilosophen und Reichsjustizministers Gustav Radbruch, von dem sie sagte " Da sprach ein kluger, gebildet-gelehrter und großer Mensch von allem, was mich seit Jahren erfüllt hatte: von Demokratie, sozialer Gerechtigkeit in einem sozialen Recht, vom neuen Arbeitsrecht, von Frieden und Völkerverständigung."(1)

In Heidelberg schloss sie sich unter dem Eindruck Radbruchs dem sozialistischen Studentenbund an, und arbeitete in einer von Camilla Jellinek gegründeten Rechtsberatungsstelle für Frauen. In Heidelberg lernte sie ihren späteren Mann, den Biologen Wilhelm Einsele kennen.

Im Sommer 1931 unterbrach sie ihr Studium und folgte ihrem späteren Ehemann, der bereits im Sommer 1930 an der Columbia Universität ein zweijähriges Forschungsstipendium angenommen hatte, nach New York.Im selben Jahr heirateten Helga und Wilhelm Einsele. Einsele erhielt während des Aufenthaltes dort Gelegenheit durch verschiedene Tätigkeiten, unter anderem durch die Teilnahme an den Sitzungen des Frauengerichts und den Arbeiten des Crime Prevention Bureau im Polzeipräsidium der Stadt New York die amerikanische Rechtspraxis und Rechtsanschauung kennenzulernen. Da beiden ein Einwanderungsvisum verweigert wurde, kehrten sie 1932 zurück nach Deutschland.

1935 absolvierte Einsele das erste Staatsexamen in Karlsruhe. Wegen politischer Unzuverlässigkeit wurde ihr die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst verwehrt. Sie erhielt, wie ihr Lehrer Gustav Radbruch, Berufsverbot. Die folgenden Jahre lebte Einsele mit ihrem Mann am Bodensee, wo ihr Mann als Biologe arbeitete und Einsele ihre Promotion abschloss. Sie promovierte 1939 zunächst bei ihrem Lehrer Radbruch und dann bei dessen Nachfolger Engelhardt mit dem Thema "Das Frauengericht in New York".

1939 siedelte das Ehepaar Einsele nach Österreich um. Ihr Mann erhielt eine Anstellung an der Reichsanstalt für Fischerei dem späteren Bundesinstituts für Gewässerforschung und Fischereiwirtschaft in Weißenbach am Attersee. Einsele nahm dort eine Anstellung in der Verwaltung auf. Während dieser Zeit, wurde 1941 auch ihre Tochter Nele geboren.

Am 04. November 1947 wurde Einsele auf Empfehlung Gustav Radbruchs, der nach dem zweiten Weltkrieg wieder in Heidelberg Strafrecht und Rechtsphilosophie lehrte, von dem damaligen Ministerpräsident Hessens, Georg August Zinn, zur Leiterin der Frauenhaftanstalt in Frankfurt-Preungesheim ernannt. Einsele zog darafhin mit ihrer Tochter nach Frankfurt; ihr Mann blieb in Österreich um das Institut weiter aufzubauen. Bevor Preungesheim von 1955 an zur zentralen Straf- und Untersuchungshaftanstalt für Frauen in Hessen wurde, war es von 1945 an Militärgefängnis und verfügte über die von Einsele geführte Frauenhaftanstalt, das sog. "Kleinen Haus". Die Anstaltsleitung, die sie trotz der Bemühungen der Frankfurter SPD, sie für die Leitung des Frankfurter Polzeipräsidiums zu gewinnen, annahm, hatte sie bis zu ihrer Pensionierung 1975 inne. Sie war bestimmt von dem Gedanken ihres Lehrers Radbruch: "Anzustreben ist nicht ein besserer Strafvollzug, sondern etwas, das besser ist als der Strafvollzug."

1967 wurde sie vom Bundesjustizminister Gustav Heinemann in die Strafvollzugkommission berufen. Einsele arbeitet an den Themen Resozialisierung, Differenzierung, Behandlung von Gefangenen und Strafvollzug bei weiblichen Jugendlichen mit. Nach vier Jahren Arbeit wurde der Entwurf für ein Strafvollzugsgesetz vorgelegt.

In den Jahren 1971 bis 1973 wurde zunächst, ohne ihr Wissen ein Ermittlungsverfahren angestrengt. Es wurde Einsele, wie sie im späteren Verlauf erfuhr, vorgehalten, ob Gudrun Ensslin, die ebenfalls in Preungesheim inhaftiert gewesen war, sie telefonisch um Hilfe gebeten habe. Das Verfahren wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Während des Verfahrens wurde die Anstalt vorübergehend von einem sog. Kommissar geleitet.

Auch nach ihrer Pensionierung 1975 wurde sie in eine Arbeitsgruppe des Europarates zur Frage der weiblichen Kriminalität berufen,der sie drei Jahre angehörte. Der Fachbereich Strafrecht der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt verlieh ihr eine Honorarprofessur für Kriminologie, die sie für drei Jahre mit Lehrveranstaltungen ausfüllte.

1977 war Einsele an der Gründung der Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt beteiligt.

Sie war 1975 bis 1989 noch Vorsitzende des "Gefangenenhilfevereins geworden, der Anfang der fünfziger Jahre in Preungesheim gegründet wurde und die Bedürfnisse der Anstalt wie auch Hilfe für entlassene Frauen finanzieren sollte. Ebenso war sie fortan im Vorstand des Vereins für das Kinderheim der Anstalt.

Berufliches Wirken

Das berufliche Wirken von Einsele war geprägt durch ihren Einsatz für eine Humanisierung des Strafvollzugs und für die Würde der Gefangenen. Ihr Wirken dort bezeichnete Einsele als den "pragmatischen Versuch, mit den Mitteln des Normalvollzugs, jedoch mit ernsthafter Zuwendung zu seinen Menschen, die Misere des Strafvollzugs zu vermindern und etwas zu finden, was vielleicht besser ist. (H.Einsele/G. Rothe, "Frauen im Strafvollzug"). Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass Einsele die Frauenhaftanstalt in einer Zeit leitete, in der der Vergeltungsgedanke noch herrschend war. Als Schülerin Radbruchs war sie jedoch eine entschiedene Gegnerin der Todesstrafe und später auch der lebenslangen Freiheitsstrafe. Sie galt als die konsequenteste und wirkungsvollste Schülerin Gustav Radbruchs. So wurde ihr zugeschrieben "mutig und kompromisslos die Wahrheit auszusprechen" und von "Wirklichkeitsnähe und Bekennermut" gepaart mit der "Tiefe und Radikalität einer unbeirrbaren politischen Ethik" geprägt zu sein.

Mit der Aufnahme ihrer Tätigkeit als Leiterin der Frauenhaftanstalt Frankfurt-Preungesheim, setzte Einsele es zunächst durch, dass die Zellen mit zeitgemäßen und modernen hygenischen Einrichtungen ausgestattet wurden. Sie führte Therapie- und Selbsthilfegruppen im Gefängnis ein, lange bevor diese breite Anerkennung fanden. Zu ihren Reformen gehörte ferner, dass die Beamten die Gefangenen nicht duzten und dass die Frauen einheitliche und später normale Kleidung tragen durften. Auch die Uniformierung der Mitarbeiter des Gefängnisses wurde auf unkonventionelle Weise von ihr gelöst. Eine weitere Errungenschaft war, dass jede Strafgefangene eine für sie zuständige Sozialarbeiterin erhielt.

Die Einführung eines institutionalisierten Mutter-Kind Hauses, mit dem vermieden wurde, dass Kleinkinder und eingesperrte Mütter getrennt wurden, war wichtigster Bestandteil ihrer Reformen. Es war das erste Haus seiner Art in der Bundesrepublik und wurde mit Unterstützung einer Bürgerinitiative und unter der Schirmherrschaft der Frau des damaligen Bundespräsidenten, Hilda Heinemann eröffnet. Dort lebten die strafgefangenen Frauen zusammen mit ihren Kindern. Von 16 Uhr an waren die Mütter im Haus, schliefen dort, sprechen abends über ihre Probleme. Tagsüber waren die Kinder (bis zu fünf Jahre) im Kindergarten. Auch vier Kinder von Beamtinnen waren mit dabei. Für dieses Kinderhaus haben Bürgerinitiativen, die Kirchen, die Humanistische Union, Privatleute geworben und gespendet. Auch die Frauen der im Landtag vertretenen Parteien haben sich interfraktionell für das Modell eingesetzt, das fünfzehn Jahre lang geplant wurde. Für Einsele gehörte der Gedanke, dass "kleine Kinder nicht durch die Haft von ihren Müttern getrennt werden" zu dem Leitbild eines humanen und liberalen Strafvollzugs.

Einsele etablierte den Strafvollzug der positiven Zuwendung. Es ging hierbei allerdings auch um die Konfrontation mit den Konflikten, die Aufarbeitung des Geschehenen. (Kommentar einer Inhaftierten: "Ich fühlte mich zum erstenmal in meinem Leben ernst genommen". (H.Einsele/G. Rothe: Frauen im Strafvollzug, S. 46)

Helga Einsele setzte sich dafür ein, dass die Gefangenen den Bezug zu dem Leben ausserhalb der Anstalt nicht verloren. Sie fuhr mit zu lebenslänglich verurteilten Frauen in den Taunus, setzte sich im Schatten von Bäumen auf eine Bank und verabschiedete die Frauen zum Waldspaziergang. Auf den Gedanken, daß eine der Frauen weglaufen könnte,ist weder sie noch eine der Frauen gekommen. Die zu lebenslänglich verurteilten Frauen sind oft unterwegs gewesen, zu Ausflügen, Ausgängen, zu Besuchen in Kirchengemeinden. Für Einsele war dies etwas Natürliches, um dem körperlichen und seelischen Verfall vorzubeugen und den Realitätsverlust zu vermeiden, den 15, 20 und mehr Jahre Haft mit sich bringen.

Seit 1956 wurden Gefangene in handwerklichen und kaufmännischen Berufen ausgebildet, mit entsprechenden Abschlussprüfungen vor den jeweiligen Kammern. 1959 die Lehrküche eingerichtet. Dies stand unter der von Einsele befürworteten "Resozialisierung durch Lernen". Zusammen mit Ulla Illing wurde später, 1974, in der Frauenhaftanstalt ein vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gegebenes und finanziertes "Modell zur Sozialen Rehabilitation und Berufsausbildung weiblicher Strafgefangener" begonnen. Ziel war die Erhöhung der Chancen einer gesellschaftlichen Integration für die Gefangenen nach der Entlassung. Der Versuch wurde wegen seines Erfolges auch nach Einseles Pensionierung vom Hessischen Ministerium der Justiz weitergeführt. Nach dem Vorbild des englischen Systems des prison visitors kamen schon 1948 die ersten ehreamtlichen Helfer in die Frauenhaftanstalt. Was zunächst nur auf Besuche alleinstehender Frauen beschränkt war, weitete sich von 1950 auch auf die ehrenamtliche Hilfe an Bidlungs- und Gruppenarbeit aus.

Einsele hat auch für das Gefängnispersonal Schulungskurse eingeführt und kulturelle Veranstaltungen (Theater, Konzerte u.a.) in das Gefängnis geholt. Auch die Förderung und Stärkung des Gemeinschaftgedankens der Gefangenen war Einseles Anliegen. So sorgte sie 1961 dafür, dass zur Übernahme von Mitverantwortung eine Hauszeitung herausgegeben wurde und ab 1968 aus dem Kreis der Gefangenen Sprecherinnen gewählt wurden.

Eine andere Idee, eine Art Auffangstation für ratsuchende Entlassene einzurichten, konnte erst nach ihrer Pensionierung aufgrund ihrer privaten Initiative verwirklicht werden. (Eine Frau schreibt noch 22 Jahre nach ihrer Entlassung. Das Gefängnis war das Haus, wo Gefangene erstmals Zuwendung fanden, so paradox das klingen mag.)

Einsele selbst sah ihren Platz weniger in der wissenschaftlichen Tätigkeit als an der Grenze zwischen Theorie und Praxis, bei der Überprüfung von Theorie in der Praxis. Praxis durch theoretische Begleitung zu fördern war eines ihrer Anliegen. Dies ergab sich für sie durch den Auftrag des Bundesfamilienministeriums zu einer wissenschaftlichen Begleitung des Projektes "Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen", der Nachsorge für Haftentlassene. Das Projekt wurde mit Ablauf der wissenschaftlichen Begleitung, nach drei Jahren 1979, in Hessen zur Regeleinrichtung.

Reformen

Das Mutter-Kind-Haus

Diese Einrichtung entstand aus einer Kombination von konkreten Bedürfnissen und Mitleiden, schreibt Einsele (Einsele; Mein Leben mit Frauen in Haft). Es sei weniger die konkrete körperlich-seelische Situation der Schwangeren Frauen in der Vollzugsanstalt gewesen, die sie betroffen machte, sondern die "gnadenlose" Trennung von Mutter und Kind, die nach der Geburt in einem Krankenhaus getrennt wurden. Die Frauen kamen deprimiert in die Haftanstalt zurück, die Kinder in Heime. Bei längerer Trennung löste sich oft die Verbindung zur Mutter und die Kinder blieben im Heim oder wurden zur Adoption freigegeben. Eine Unterbringung der Kinder in den meist von mehreren Frauen bewohnten Zellen im "Kleinen Haus" einzuführen, wie es bei den Nationalsozialisten offenbar möglich gewesen war, erschien ihr dabei undenkbar. Von der Militärregierung wurde diese Praxis aus humanitären Gründen unterbunden, auch die deutsche Verwaltung hielt an dieser Praxis zunächst fest. Aus ihren Erinnerungen an ihre Besuche von Frauenhaftanstalten sowohl in Warschau, in der sie Mütter mit kleinen Kindern gesehen hatte, wie auch zwei Frauenhaftanstalten in den USA, in der die Kinder bei ihren Müttern lebten und die Kinder während der auswärtigen Arbeit der Mütter versorgt wurden kam ihr die Idee der Umsetzung auch für Preungesheim. In Gesprächen mit "ihren Frauen" bekam sie zur Antwort, dass die Frauen lieber "hier" entbinden würden und die Kinder solange wie möglich bei sich behalten wollten. Ihr Bestreben war es, den Kindern die Beziehung zu ihren Müttern zu erhalten, soweit es aus der Situation der Mütter und der spezifischen Bindungsfähigkeit zu verantworten war.

Einsele erhielt 1956 die Gelegenheit dieses Anliegen umzusetzen. Aufgrund von "Entweichungen" inhaftierter Frauen aus Krankenhäusern wurde die Frage einiger Untersuchungsrichter an sie gerichtet, ob es andere Möglichkeiten als die Überweisung in ein sog. freies Krankenhaus gäbe. Da Preungesheim bereits über ein eigenes voll ausgestattetes Krankenhaus verfügte, wurden die Kinder dort geboren. Sie wurden ohne staatliche Gelder ernährt und von ihren Müttern dann noch versorgt, wenn diese wieder im Zellenhaus wohnten. Der Verbleib der Säuglinge in Preungesheim war zunächst an die, wie Einsele schreibt, "schwer zu kontrollierende Stillzeit" gebunden und eine eine Trennung musste häufig erfolgen, da die Mütter weiter in Haft verblieben.

Im Jahr 1969 richtete sie eine kleine Abteilung mit sechs Plätzen für Kleinkinder bis zu fünf Jahren in einem Teil des Gebäudes ein, das sie als Provisorium bezeichnete, da die Räume aus den Umkleide- und Aufenthaltsräumen der Mitarbeiterinnen hergerichtet wurden und eine der in Preungesheim tätigen Sozialarbeiterinnen neben der Leiterin der Freigängerabteilung die Aufgabe der Kinderberteuung übernahm. Durch Übernahme der Schirmherrschaft von Hilda Heinemann, der Frau des damaligen Bundespräsidenten für den Bau des späteren Mutter-Kind Heimes, konnte 1973 dann mit dem Bau begonnen werden. 1975 wurde es fertiggestellt. Einsele sah die Rechtfertigung dieser Einrichtung, trotz der vorhandenen Kritik darin, dass es zwar schön wäre, wenn man Müttern mit kleinen Kindern die Freiheitsstrafe ersparen könnte, gesetzlich möglich wäre das aber wohl nur, wenn man der Freiheitsstrafe überhaupt weitgehend die Basis entziehen könnte, sie prinzipiell nur anwendete, wenn von den Bestraften eine unmittelbare Gefahr - etwa in Form von Gewaltätigkeit- ausging. (Einsele, a.a.O., S. 316 bitte kein a.a.O., sondern, wenn der angegebene Ort so weit weg ist) Trotz massiver Kritik (von wem, wo?) wurde weder Preungesheim noch andere Mutter-Kind-Häuser oder Abteilungen wieder abgeschafft. Seit der Strafvollzugsreform ist in § 80 StVollzG die gemeinsame Unterbringung von nicht schulpflichtigen Kindern bei ihren Müttern in der Vollzugsanstalt möglich, wenn es dem Kindeswohl dient. Die Kritik, die sich maßgeblich an der Prisonierung der Kinder und einer Entwicklungsbeeinträchtigung durch ein Leben hinter Gittern und damit - so wird behauptet- fehlender äußerer Reize orientiere, besteht nach wie vor. Dennoch trägt das StVollzG der Tatsache Rechnung, dass in den ersten Lebensjahren die Mutter für Kinder unentbehrlich ist, auch wenn sie sich strafbar gemacht hat und in einer Vollzuganstalt untergebracht ist. Eine Verurteilung und Inhaftierung einer Frau und Mutter ist dabei nicht gleichbedeutend mit deren Erziehungsunfähigkeit anzusehen.

Initiativen/Mitgliedschaften

Unter dem Einfluss ihres Lehrers Radbruch hatte sich Einsele bereits 1930 den sozialistischen Studentenguppen genähert. Wenig später trat sie in die SPD ein. Einsele wurde Mitorganisatorin zahlreicher antifaschistischer Kundgebungen und kandidierte schliesslich bei der Wahl zum Allgemeinen Studenten-Ausschuss gegen den späteren NS-Reichsstudentenführer Gustav-Adolf Scheel.

1953 trat Einsele wieder in die SPD ein. Im SPD Bezirk Hessen-Süd und im Unterbezirk Frankfurt bildete sich vom Sozialistischen Studentenbund (SDS) und vom Institut für Sozialforschung beeinflusst, ein neuer, linker Flügel der Partei. Neben Einsele waren in diesem vereinigt Joachim Heydorn, Wolfgang Abendroth, Willi Birkelbach und Heinz Brakemeier; sie wurden gemeinsam mit den Jungsozialisten und linken Gewerkschaftsfunktionären zu dessen Repräsentanten. Diese SPD-Linke begann die Politik der SPD eindringlich zu kritisieren, insbesondere die Zustimmung der SPD seinerzeit zur Wiederbewaffnung, den NATO-Beitritt und den Notstandsgesetzen.

Einsele, bereits Vorstandsmitglied in der SPD Frankfurt, stimmte 1959 gegen das Godesberger Programm der SPD. Nach ihrem Dafürhalten bedeutete das Programm die Preisgabe der sozialistischen Tradition. Einsele, die neben Abendroth, Ossip K. Flechtheim zu den Gründern der Sozialistischen Fördergemeinschaft für den SDS gehörte, wurde im Herbst 1962 neben Helmut Gollwitzer, Flechtheim, Fritz Lamm, Walter Fabian und Brakemeier vom SPD Bundesvorstand aus der Partei ausgeschlossen. Die Mitgliedschaft in der Fördergemeinschaft des SDS sei nicht mit der Mitgliedschaft in der SPD vereinbar, hiess es. Dieser Beschluss wurde erst 1988 revidiert und für gegenstandlos erklärt.

Ihr politisches Engagement setzte sie weiter fort. Einsele half französischen Deserteuren, die vor dem Einsatz in Algerien geflohen waren und unterstütze die Ostermärsche.

Nach ihrer Pensionierung galt das Interesse Einseles der weltweiten Friedenspolitik, sie nahm neben Heinrich Böll und Walter Jens an Sitzblockaden teil und wurde als siebzigjährige von der Polzei abgeführt und zu einer Geldstrafe verurteilt.


Wissenschaftliches Wirken

1. Das Frauengericht in New York

Mit ihrer Dissertation über das Frauengericht in New York erlang Einsele 1939 die Doktorwürde an der Ruprecht-Karl-Universität in Heidelberg. Diese ihrem Vater gewidmete Schrift beschäftigt sich mit einem Gericht, was zu seiner Zeit ungewöhnlich war und blieb. Einsele beschreibt die Institution des Frauengerichtes, deren Zuständigkeit, Aufbau und Arbeitsweise sowie über Urteil und Urteilsvollzug und setzt sich kritisch mit dem Problem der Bekämpfung der gewerbsmässigen Unzucht und der in innerer Beziehung dazu stehenden kriminellen Gefährdung "widerspenstiger weiblicher Minderjähriger" durch das Frauengericht in New York auseinander. Ein zusammenfassender Auszug: Das Frauengericht in New York gehörte zu den Gerichtshöfen der dortigen Stadtmagistrate und war zusammen mit den sogenannten niederen Strafgerichten unabhängig und in eigener Zuständigkeit neben den ordentlichen höheren Strafgerichten tätig. Vergleichbar, so schreibt Einsele, den aus dem anglikanischen Bereich bekannten Polizeigerichten. Die Anfänge dieser niederen Strafgerichte reichte bereits in die Zeit vor Entstehung der Vereinigten Staaten als eines selbstständigen Gemeinwesens und sie waren dem eines Friedensrichters ähnlich. Die Zuständigkeit dieser Einrichtungen lag im wesentlichen in der Rechtsprechung über die sog. "unordentlichen Vergehen", wie der öffentlichen Unzucht, Fluchen, Trunkenheit, Vagabundage und Arbeitsscheu, wie Einsele schreibt. (Diss.,1939, S. 7). Seit 1907 gab es Bestrebungen, die die Errichtung eines Frauengerichtes im Rahmen der Magistratsgerichte später zur Folge haben sollte. 1910 zunächst als "Nachtgerichte", die es ermöglichten, spät abends oder nachts eingelieferte Personen schnellstmöglich abzuurteilen, um sie dadurch vor der Ausbeutung von Personen zu schützen, die gegen Kaution nebst wucherischen Zinsen die Abwendung von Haft aufzudrängen versuchten. (Diss., 1939, S. 8) Da insbesondere Prostituierte unter den den Nachtgerichten vorgeführten Personen einen erheblichen Anteil ausmachten, rückte die "sozialhygienische" und "sozialethische" Bedeutung der gewerbsmässigen Unzucht und deren Bekämpfung stärker in das öffentliche Bewusstein. Daraufhin, so schreibt Einsele, kam es dass 1918 ein Gesamtkollegium von Richtern an den Magistratsgerichten beschloss, zukünftig diese Unzuchtsdelikte Richtern zu zuweisen, die sozialpädagogisch besonders geschult und interessiert waren. So entstand 1919 das Frauengericht und nahm seine Tätigkeit auf. 1923 erhielt das Gericht darüberhinaus auch die Rechtsprechung über "widerspenstige (weibliche) Minderjährige" zugewiesen. Zunächst bestanden zwei Abteilungen des Frauengerichtes, eines zuständig für die Bronx und das andere für Brooklyn und seit 1932 nur noch ein einziges, zuständig für alle Stadtteile. Folge war, dass kein Prostitutionsdelikt in New York von einem anderen, als dem Frauengericht verhandelt wurde. (Diss. S. 9)So schreibt sie, dass das Frauengericht "den Kampf gegen die Prostitution und die durch sie verursachten Schäden" zum Ziel hatte. Beispielhaft führte sie Formen der "Kuppelei, das Halten von Bordellen, die Anbietung zur Unzucht, Ausübung derselben oder Teilnahme an ihr" an, wobei Voraussetzung war, dass die Tat von einer Frau begangen ist- männliche Täter wurden von den "regulären Magistratsgerichten abgeurteilt". (Diss., S. 17)Zwar unterschied sich das Frauengericht nicht wesentlich in seinem Aufbau von den Magistratsgerichten, dennoch fehlte im Gegensatz zu den Magistratsgerichten im Frauengericht nie die öffentliche Anklage und die Strafverteidigung.(a.a.O.)Als bemerkenswert hob sie hervor, dass dem Frauengericht zwar das summarische Vefrahren zugrundeliegt, dennoch "wird es in eigenartiger Weise beeinflusst von der in lebendigem Fortgang begriffenen amerikanischen Strafverfahrensreform". Der Mangel an Förmlichkeit und das Fehlen von Geschworenen läßt die Parteien stärker in den Vordergrund treten und schafft Raum für die Entwicklung der Persönlichkeitforschung. Daneben erlaube der Umstand der gleichartig der Fälle und deren Simplzität, dass der Richter sein Augenmerk eben auf die Täterpersönlichkeit legen könne.(Diss. S. 50)Die Urteilsmöglichkeit der Geldstrafe fand am Frauengericht ebenso wie an den Magistratsgerichten keine Anwendung, da sie aus der Erkenntnis der Richter sie werde nur den Anreiz zur Fortsetzung der unsittlichen Gewerbes bieten um die Strafe zu zahlen, erwachsen sei.(Diss. S.66)So gab es neben Schutzaufsicht (für erstmalig straffällig Gewordene) die Unterbringung in privaten Einrichtungen (in denen eher die Eigenart der Inhaftierten eine diese berücksichtigende Behandlung erfuhr). Nur in ganz schweren Fällen kam das sog. Arbeitshaus in Betracht.

Einsele würdigte diese Einrichtung differenziert und positiv kritisch. (Diss. S 87 ff) Hervorzuheben ist hierbei, dass das Verfahren, wie Einsele schreibt, von dem Bestreben geleitet ist, es unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention der Täterpersönlichkeit anzupassen und tendenziell keine Möglichkeit ungenutzt zu lassen, erzieherischen Einfluss auszuüben. Wobei die Hauptmittel zur Erreichung dieses Zieles, wie sie schreibt, die Persönlichkeitserforschung und die Art wie sich dieses Ergebnis auf den Urteilsspruch und seine Auswirkungen sind. Dabei resümiert sie, dass die Prostitution zu beseitigen niemals gelingen wird, und für deren Bekämpfung genügend viele Handhaben vorhanden wären, ohne dass die Unzucht von einem Strafrichter speziell verfolgt werden müsse. (Diss. 92) Die strafrechtliche Verfolgung der Prostitution trüge nach ihrer Auffassung nur wenig bis gar nicht zu ihrer Verhütung bei, könne sogar als schädlich eingestuft werden. Denn sie verleite dazu, den Blick von geeigneten Methoden der Bekämpfung abzulenken. (Diss. S 93) Auch die Aufgabe der Fürsorge für gefährdete Mädchen und die verzeichneten Erfolge des Frauengerichtes auf diesem Betätigungfeld fanden ihre Aufmerksamkeit. "Eher als ein mit Strafgewalt ausgestattetes und darum gefürchtetes Gericht" ist das Frauengericht "imstande, das Vertrauen der Minderjährigen zu gewinnen und sie auf dieser Grundlage günstig zu beeinflussen" ( Diss. S. 96) Ihr Fazit jedoch endet mit der Absage an die Einrichtung des Frauengerichtes, das "trotz der nicht geringen Vorzüge als letzten Endes überflüssig" anzusehen ist. (Diss. S. 97)

Ehrungen

1969 wurde Einsele die erste Preisträgerin des 1968 gestifteten Fritz Bauer Preises der Humanistischen Union für "Verdienste um die Humanisierung, Liberalisierung und Demokratisierung des Rechtswesens".

Das Land Hessen ehrte Einsele mit der höchsten Auszeichnung des Landes, der Wilhelm Leuschner Medaille, benannt nach dem Widerstandskämpfer Wilhelm Leuschner.

1974 wurde ihr unter der Rubrik "Strafvollzug" die Beccaria Medaille verliehen.

1976 wurde Einsele mit dem Humanitären Preis der deutschen Freimaurer von der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland ausgezeichnet.

1992 erhielt Einsele den Tony Sender Preis der Stadt Frankurt.

2002 wurde sie von der Fachhochschule Potsdam für ihre Leistungen um einen humanisierten Strafvollzug in Deutschland geehrt.

Veröffentlichungen

Einsele, Helga: Das Frauengericht in New York, Dissertation Heidelberg, Hörning, 1939

Einsele, Helga antwortet Ernst Klee: Das Verbrechen, Verbrecher einzusperren: Strafvollzug der positiven Zuwendung, 1. Auflage, Düsseldorf: Patmos Verlag, 1970

Einsele, Helga/ Feige, Johannes/ Müller-Dietz, Heinz: Die Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe:(Referate anlässlich der 13. Arbeitstagung der Strafvollzugskommission im Januar 1971), Stuttgart: Enke, 1972

Einsele, Helga/ Maelicke, Bernd (Hrsg.): Wenn du draußen und alleine...: Materialien zur Situation haftentlassener Frauen,(Hrsg.: Arbeiterwohlwahrt, Kreisverb. Frankfurt e.V.), Frankfurt am Main: Verlag Jugend & Politik, 1980

Einsele, Helga/ Maelicke, Bernd: Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen : Endbericht der wissenschaftlichen Begleitung, Stuttgart (u.a.): Kohlhammer, 1980

Einsele, Helga/ Rothe, Gisela: Frauen im Strafvollzug, Orig.- Ausgabe, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1982

Einsele, Helga: Damals und heute: Anmerkungen zu Problemen in Mutter-Kind-Einrichtungen nach langen Jahren praktischer Erfahrung, in Birtsch, Vera u.a. (Hrsg); Mütter und Kinder im Gefängnis. Orientierungen und Ergebnisse zum Frauenstrafvollzug und zu Mutter-Kind-Einrichtungen im Strafvollzug, Weinheim, München 1988

Einsele, Helga: Gustav Radbruchs Vorlesung über Strafvollzug und heutige Praxis; in Haft Fritjof u.a. (Hrsg.) ; Strafgerechtigkeit. Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag, Heidelberg, 1993

Einsele, Helga: Mein Leben mit Frauen in Haft, 1. Auflage, Stuttgart:Quell, 1994

Quellen

Kumerow, Almuth: Zum Tode von Helga Einsele, in: 416 - Perspektivnetz - 8.März 2006/aus Informationsdienst BAG-S 1/2005

Halberstadt, Heiner und Platzdasch, Günter: "Aufrechter Gang und Eigensinn:Helga Einsele", aus LinksNet.de

Maelicke, Bernd und Simmedinger, Renate (Hrsg.): Um der Überzeugung willen. Schwimmen gegen den Strom. Eine Festschrift für Helga Einsele. ISS-Eigenverlag, Frankfurt/M. 1990,

Klee, Ernst: Die Anstalt war ihr Leben, Der Rückschritt im Strafvollzug kommt auf Schleichwegen, in die Wochenzeitschrift DIE ZEIT, 17.10.1975 Nr. 43.

Trauerfeier für Helga Einsele, aus Mitteilungsblatt MB GS 71/2005, Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland, S. 19 ff