Helga Einsele

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Helga Einsele geb. Hackmann (*09. Juni 1910 in Dölau bei Halle/Saale; gest. 13. Februar 2005 in Frankfurt am Main) war eine deutsche Kriminologin , Gefängnisdirektorin und Strafrechtsreformerin.

Lebenslauf

Helga Einsele wurde als älteste von zwei Töchtern des Lehres Friedrich Hackmann und seiner Ehefrau Frieda, ebenfalls Lehrerin, geboren. Sie wuchs in einem bürgerlich-demokratischen Elternhaus, erst in Torgau und später Lüneburg auf; ihr Vater war Leiter des Johanneums in Lüneburg, die Mutter engagiert in einer der frühen Frauenbewegungen und ehrenamtlich in der Sozialarbeit und Jugendgerichtshilfe tätig. Wie ihre Schwester Erdmuthe Falkenberg, der späteren Leiterin des Landesjugendamtes Hessen, besuchte Einsele das Johanneum und machte 1929 das Abitur.

Von 1929 bis 1935 studierte Einsele Rechtswissenschaften. Nach Stationen in Königsberg und Breslau, von Mai 1930 an in Heidelberg. Sie war wie Anne-Eva Brauneck eine der letzten Schülerinnen des Strafrechtlers, Rechtsphilosophen und Reichsjustizministers Gustav Radbruch, von dem sie sagte " Da sprach ein kluger, gebildet-gelehrter und großer Mensch von allem, was mich seit Jahren erfüllt hatte: von Demokratie, sozialer Gerechtigkeit in einem sozialen Recht, vom neuen Arbeitsrecht, von Frieden und Völkerverständigung."

In Heidelberg schloss sie sich unter dem Eindruck Radbruchs dem sozialistischen Studentenbund an und arbeitete in einer von Camilla Jellinek gegründeten Rechtsberatungsstelle für Frauen. In Heidelberg lernte sie auch ihren späteren Ehemann, den Biologen Wilhelm Einsele kennen.

Im Sommer 1931 unterbrach sie ihr Studium und folgte Wilhelm Einsele nach New York. Im selben Jahr heirateten Helga und Wilhelm Einsele. Einsele erhielt während ihres Aufenthaltes in New York, Gelegenheit durch verschiedene Tätigkeiten, unter anderem der Teilnahme an den Sitzungen des Frauengerichts und den Arbeiten des Crime Prevention Bureau im Polzeipräsidium der Stadt New York, die amerikanische Rechtspraxis und Rechtsanschauung kennenzulernen. Da ihr und ihrem Mann ein Einwanderungsvisum verweigert wurde, kehrten sie 1932 nach Deutschland zurück.

1935 absolvierte Einsele das erste Staatsexamen in Karlsruhe. Wegen politischer Unzuverlässigkeit wurde ihr die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst verwehrt. Sie erhielt, wie ihr Lehrer Gustav Radbruch, Berufsverbot. Sie promovierte 1939 zunächst bei Radbruch und dann bei dessen Nachfolger Engelhardt mit dem Thema "Das Frauengericht in New York".

1939 siedelte das Ehepaar Einsele nach Österreich um. Ihr Mann erhielt eine Anstellung an der Reichsanstalt für Fischerei dem späteren Bundesinstituts für Gewässerforschung und Fischereiwirtschaft in Weißenbach am Attersee. Einsele nahm hier eine Anstellung in der Verwaltung auf. Während dieser Zeit, wurde 1941 auch ihre Tochter Nele geboren.

Am 04. November 1947 wurde Einsele auf Empfehlung Gustav Radbruchs von dem damaligen Ministerpräsidenten Hessens, Georg August Zinn, zur Leiterin der Frauenhaftanstalt in Frankfurt-Preungesheim ernannt. Einsele zog darafhin mit ihrer Tochter nach Frankfurt. Die Anstaltsleitung, die sie trotz der Bemühungen der Frankfurter SPD, sie für die Leitung des Frankfurter Polzeipräsidiums zu gewinnen, annahm, hatte sie bis zu ihrer Pensionierung 1975 inne. Sie war bestimmt von dem Gedanken ihres Lehrers Radbruch: "Anzustreben ist nicht ein besserer Strafvollzug, sondern etwas, das besser ist als der Strafvollzug."

1967 wurde sie vom Bundesjustizminister Gustav Heinemann in die Strafvollzugkommission berufen. Einsele arbeitet an den Themen Resozialisierung, Differenzierung, Behandlung von Gefangenen und Strafvollzug bei weiblichen Jugendlichen mit. Nach vier Jahren Arbeit wurde der Entwurf für ein Strafvollzugsgesetz vorgelegt.

In den Jahren 1971 bis 1973 wurde gegen Einsele ein Ermittlungsverfahren angestrengt. Einsele wurde vorgehalten, dass Gudrun Ensslin, die in Preungesheim inhaftiert war, sie telefonisch um Hilfe gebeten habe. Das Verfahren wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Während des Verfahrens wurde die Anstalt vorübergehend von einem sog. Kommissar geleitet.

Nach ihrer Pensionierung 1975 arbeitete sie drei Jahre in der Arbeitsgruppe des Europarates zur Frage der weiblichen Kriminalität mit.

Der Fachbereich Strafrecht der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt verlieh ihr eine Honorarprofessur für Kriminologie, die sie drei Jahre mit Lehrveranstaltungen erfüllte.

1977 war Einsele maßgeblich an der Gründung der Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt beteiligt.

Von 1975 bis 1989 hatte Einsele den Vorsitz des "Gefangenenhilfevereins" inne, der Anfang der fünfziger Jahre in Preungesheim gegründet wurde und die Bedürfnisse der Anstalt wie auch Hilfe für entlassene Frauen finanzieren sollte. Weiterhin war sie im Vorstand des Vereins für das Kinderheim der Anstalt.

Berufliches Wirken

Das berufliche Wirken Einseles war geprägt durch ihren Einsatz für eine Humanisierung des Strafvollzugs und die Würde der Gefangenen. Ihr Wirken dort bezeichnete Einsele als den "pragmatischen Versuch, mit den Mitteln des Normalvollzugs, jedoch mit ernsthafter Zuwendung zu seinen Menschen, die Misere des Strafvollzugs zu vermindern und etwas zu finden, was vielleicht besser ist. (H.Einsele/G. Rothe, "Frauen im Strafvollzug"). Als Schülerin Radbruchs war sie eine entschiedene Gegnerin der Todesstrafe und später der lebenslangen Freiheitsstrafe. Sie galt als die konsequenteste und wirkungsvollste Schülerin Gustav Radbruchs. Ihr wurde zugeschrieben "mutig und kompromisslos die Wahrheit auszusprechen" und von "Wirklichkeitsnähe und Bekennermut" gepaart mit der "Tiefe und Radikalität einer unbeirrbaren politischen Ethik" geprägt zu sein.

Mit der Aufnahme ihrer Tätigkeit als Leiterin der Frauenhaftanstalt Frankfurt-Preungesheim, setzte Einsele es zunächst durch, dass die Zellen mit zeitgemäßen und modernen hygenischen Einrichtungen ausgestattet wurden. Sie führte Therapie- und Selbsthilfegruppen im Gefängnis ein, lange bevor diese Anerkennung fanden. Ferner sorgte sie dafür, dass die Beamten die Gefangenen nicht duzten und die Frauen einheitliche und später normale Kleidung trugen. Die Uniformierung der Gefängnismitarbeiter löste sie auf unkonventionelle Weise. Eine weitere Errungenschaft war, dass jede Strafgefangene eine für sie zuständige Sozialarbeiterin erhielt. Nach dem Vorbild des englischen Systems des prison visitors kamen bereits 1948 die ersten ehrenamtlichen Helfer in die Frauenhaftanstalt. Zunächst war dies auf Besuche alleinstehender Frauen beschränkt. Ab 1950 wirkten die ehrenamtliche Helfer an Bildungs- und Gruppenarbeit mit.

Wichtigster Bestandteil ihrer Reformen war die Einführung eines institutionalisierten Mutter-Kind Hauses, mit dem vermieden wurde, dass Kleinkinder und eingesperrte Mütter getrennt wurden. Es war das erste Haus seiner Art in der Bundesrepublik und wurde mit Unterstützung einer Bürgerinitiative und unter der Schirmherrschaft der Frau des damaligen Bundespräsidenten, Hilda Heinemann eröffnet. Für Einsele gehörte der Gedanke, dass "kleine Kinder nicht durch die Haft von ihren Müttern getrennt werden" zu dem Leitbild eines humanen und liberalen Strafvollzugs.

Einsele etablierte den Strafvollzug der positiven Zuwendung. Es ging ihr hierbei vor allem auch um die Konfrontation mit Konflikten, die Aufarbeitung des Geschehenen. (Kommentar einer Inhaftierten: "Ich fühlte mich zum erstenmal in meinem Leben ernst genommen"; eine andere Frau schrieb ihr noch 22 Jahre nach ihrer Entlassung:"Das Gefängnis war das Haus, wo Gefangene erstmals Zuwendung fanden, so paradox das klingen mag".(vgl.: H.Einsele/G. Rothe: Frauen im Strafvollzug, S. 46)

Der Einsatz Einseles den Gefangenen den Bezug zum Leben ausserhalb der Anstalt zu ermöglichen führte sie dazu mit zu lebenslänglich verurteilten Frauen Ausflüge in den Taunus zu machen und die Frauen zum Waldspaziergang zu verabschieden. Auf den Gedanken, daß eine der Frauen weglaufen könnte, sei weder sie noch eine der Frauen gekommen. Für Einsele war dies etwas Natürliches, um dem körperlichen und seelischen Verfall vorzubeugen und den Realitätsverlust, den 15, 20 und mehr Jahre Haft mit sich brächten, zu vermeiden.

Seit 1956 wurden Gefangene in handwerklichen und kaufmännischen Berufen ausgebildet, mit entsprechenden Abschlussprüfungen vor den jeweiligen Kammern. 1959 wurde die Lehrküche eingerichtet. Einsele befürwortete eine "Resozialisierung durch Lernen". Zusammen mit Ulla Illing wurde 1974 in der Frauenhaftanstalt ein vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gegebenes und finanziertes "Modell zur Sozialen Rehabilitation und Berufsausbildung weiblicher Strafgefangener" begonnen. Ziel war die Erhöhung der Chancen einer gesellschaftlichen Integration für die Gefangenen nach der Entlassung. Der Versuch wurde aufgrund seines Erfolges nach Einseles Pensionierung vom Hessischen Ministerium der Justiz weitergeführt.

Für das Gefängnispersonal führte Einsele ebenfalls Schulungskurse ein. Kulturelle Veranstaltungen wie Theater, Konzerte u.a. holte sie ins Gefängnis. Zur Förderung und Stärkung des Gemeinschaftgedankens der Gefangenen sorgte sie 1961 dafür, dass eine Hauszeitung herausgegeben wurde und von 1968 an aus dem Kreis der Gefangenen Sprecherinnen gewählt wurden.

Nach ihrer Pensionierung konnte sie ihre Idee, eine "Auffangstation" für ratsuchende Entlassene einzurichten, verwirklichen.

Einsele selbst sah ihren Platz weniger in der wissenschaftlichen Tätigkeit als an der Grenze zwischen Theorie und Praxis, nämlich in der Überprüfung von Theorie in der Praxis. Der Auftrag des Bundesfamilienministeriums zu einer wissenschaftlichen Begleitung des Projektes "Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen", Nachsorge für Haftentlassene, gab ihr Gelegenheit Praxis durch theoretische Begleitung zu fördern. Nach Ablauf des Projektes wurde dies in Hessen zur Regeleinrichtung.

Die im Jahr 2000 gegründete Bundesarbeitsgemeinschaft Frauenvollzug erhielt den Namen von "Dr. Helga Einsele e.V." und hat zum Ziel, die Belange inhaftierter Frauen zu vertreten, Behandlungs- und Betreuungskonzepte zu entwickeln und ambulante Hilfen für straffällige Frauen zu schaffen.

Reformen

Zu den Reformen Helga Einseles zählt die Begründung der ersten Mutter-Kind Einrichtung in der Bundesrepublik Deutschland, das Mutter-Kind-Haus.

Diese Einrichtung entstand aus einer Kombination von konkreten Bedürfnissen und Mitleiden, schreibt Einsele (Einsele, Mein Leben mit Frauen in Haft). Es sei weniger die konkrete körperlich-seelische Situation der Schwangeren Frauen in der Vollzugsanstalt gewesen, die sie betroffen machte, sondern die "gnadenlose" Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt. Die Frauen kamen deprimiert in die Haftanstalt zurück, die Kinder in Heime. Ihre Erfahrung war, dass bei längerer Trennung sich häufig die Verbindung zur Mutter löse und die Kinder im Heim blieben oder zur Adoption freigegeben wurden. Eine Unterbringung der Kinder in den meist von mehreren Frauen bewohnten Zellen im "Kleinen Haus" einzuführen, wie es bei den Nationalsozialisten offenbar möglich gewesen war, erschien ihr dabei undenkbar. Von der Militärregierung wurde diese Praxis aus humanitären Gründen unterbunden, auch die deutsche Verwaltung hielt an dieser Praxis zunächst fest. Aus Erinnerungen an ihre Besuche in Frauenhaftanstalten in Warschau, in der sie Mütter mit kleinen Kindern gesehen hatte, wie auch zwei Frauenhaftanstalten in den USA, in der die Kinder bei ihren Müttern lebten und die Kinder während der auswärtigen Arbeit der Mütter versorgt wurden brachte Einsele auf die Idee der Umsetzung auch für Preungesheim. Auf Nachfrage bei den in Preungesheim inhaftierten Frauen wurde ihr deutlich, dass die Frauen in der Haftanstalt entbinden würden und die Kinder solange wie möglich bei sich behalten wollten. Ihr Bestreben war fortan, den Kindern die Beziehung zu ihren Müttern zu erhalten, soweit es die Situation der Mütter und die spezifische Bindungsfähigkeit zuließen.

1956 erhielt Einsele die Gelegenheit für die Umsetzung dieses Anliegens. Da es zu "Entweichungen" inhaftierter Frauen aus Krankenhäusern kam wurde sie gefragt, ob sie andere Möglichkeiten als die Überweisung in ein sog. freies Krankenhaus gäbe. Da Preungesheim bereits über ein eigenes, vollständig ausgestattetes Krankenhaus verfügte, wurden die Kinder nun dort geboren. Die Ernährung erfolgte ohne staatliche Gelder und die Versorgung durch die Mütter konnte auch dann noch erfolgen, als diese wieder im Zellenhaus untergebracht wurden. Der Verbleib der Säuglinge in Preungesheim musste an die, wie Einsele schreibt, "schwer zu kontrollierende Stillzeit" gebunden werden, sodass eine Trennung häufig doch erfolgte, da die Mütter weiter in Haft blieben.

1969 richtete Einsele eine kleine Abteilung mit sechs Plätzen für Kleinkinder bis zu fünf Jahren ein. Diese als Provisorium hergerichtete Abteilung, wurde aus den Umkleide- und Aufenthaltsräumen der Mitarbeiterinnen hergerichtet und eine in Preungesheim tätige Sozialarbeiterin, neben der Leiterin der Freigängerabteilung, übernahmen die Kinderberteuung.

Durch Übernahme der Schirmherrschaft von Hilda Heinemann für den Bau des späteren Mutter-Kind Heimes konnte mit 1973 mit dem Bau begonnen und das Haus 1975 fertiggestellt werden. Für dieses Kinderhaus haben Bürgerinitiativen, die Kirchen, die Humanistische Union, Privatleute geworben und gespendet. Auch Frauen der im Landtag vertretenen Parteien haben sich interfraktionell für das Modell eingesetzt, das fünfzehn Jahre lang geplant wurde. Dort lebten die strafgefangenen Frauen zusammen mit ihren Kindern. Von 16 Uhr an waren die Mütter im Haus, schliefen dort, sprachen abends über ihre Probleme. Tagsüber waren die Kinder (bis zu fünf Jahre) im Kindergarten. Auch vier Kinder von Beamtinnen waren hier untergebracht. Einsele sah die Rechtfertigung dieser Einrichtung, trotz der vorhandenen Kritik darin, dass es zwar schön wäre, wenn man Müttern mit kleinen Kindern die Freiheitsstrafe ersparen könnte, gesetzlich möglich wäre dies aber nur, wenn der Freiheitsstrafe überhaupt weitgehend die Basis entzogen werden könnte; man sie prinzipiell nur anwendete, wenn von den Bestraften eine unmittelbare Gefahr - etwa in Form von Gewaltätigkeit- ausging. (Einsele, Mein Leben, S. 316 ) Trotz massiver Kritik und Vorbehalte (vor allem geäußert von Mitarbeitern, Leiterinnen und externen Gutachtern des Frauenstrafvollzugs sowie in der Presse (Vgl. Birtsch in Birtsch/Rosenkranz, 1988, S.14) wurden weder Preungesheim noch andere Mutter-Kind-Häuser oder Abteilungen wieder abgeschafft. Die Kritik (vgl. Bernhardt, S.: Frauen in Haft. Kriminalpädagogische Praxis. Frauen und Kriminalität 1982; vgl. Weihe-Damroth,I.: Kinder und Mütter im Gefängnis (unveröffentlichte Diplomarbeit)Freie Universität Berlin, 1982 zit. nach Birtsch/Rosenkranz) richtete sich maßgeblich gegen die Prisonierung der Kinder und einer damit einhergehenden Entwicklungsbeeinträchtigung durch ein Leben hinter Gittern das wegen fehlender äußerer Reize wenig flexibel auf die besonderen Bedürfnisse der Kinder eingehen könne und nur bedingt lebensnah sei. Dennoch trägt das StVollzG der Tatsache Rechnung, dass in den ersten Lebensjahren die Mutter für Kinder unentbehrlich ist, auch wenn sie sich strafbar gemacht hat und in einer Vollzuganstalt untergebracht ist. Eine Verurteilung und Inhaftierung einer Frau und Mutter wird dabei nicht gleichbedeutend mit deren Erziehungsunfähigkeit angesehen.

Seit der Strafvollzugsreform ist in § 80 StVollzG die gemeinsame Unterbringung von nicht schulpflichtigen Kindern bei ihren Müttern in der Vollzugsanstalt möglich, wenn es dem Kindeswohl dient.

Initiativen/Mitgliedschaften

Unter dem Einfluss ihres Lehrers Radbruch hatte sich Einsele bereits 1930 den sozialistischen Studentenguppen genähert. Später trat sie in die SPD ein. Einsele wurde Mitorganisatorin zahlreicher antifaschistischer Kundgebungen und kandidierte schliesslich bei der Wahl zum Allgemeinen Studenten-Ausschuss gegen den späteren NS-Reichsstudentenführer Gustav-Adolf Scheel.

1953 trat Einsele wieder in die SPD ein. Im SPD Bezirk Hessen-Süd und im Unterbezirk Frankfurt bildete sich vom Sozialistischen Studentenbund (SDS) und vom Institut für Sozialforschung beeinflusst, ein neuer, linker Flügel der Partei. Neben Einsele waren Joachim Heydorn, Wolfgang Abendroth, Willi Birkelbach und Heinz Brakemeier hier aktiv; sie wurden gemeinsam mit den Jungsozialisten und linken Gewerkschaftsfunktionären zu dessen Repräsentanten. Diese SPD-Linke begann die Politik der SPD zu kritisieren, insbesondere die Zustimmung der SPD seinerzeit zur Wiederbewaffnung, den NATO-Beitritt und den Notstandsgesetzen.

Einsele, bereits Vorstandsmitglied in der SPD Frankfurt, stimmte 1959 gegen das Godesberger Programm der SPD. Nach ihrem Dafürhalten bedeutete das Programm die Preisgabe der sozialistischen Tradition. Einsele, die neben Abendroth, Ossip K. Flechtheim zu den Gründern der Sozialistischen Fördergemeinschaft für den SDS gehörte, wurde im Herbst 1962 neben Helmut Gollwitzer, Flechtheim, Fritz Lamm, Walter Fabian und Brakemeier vom SPD Bundesvorstand aus der Partei ausgeschlossen. Die Mitgliedschaft in der Fördergemeinschaft des SDS sei nicht mit der Mitgliedschaft in der SPD vereinbar, hiess es. Dieser Beschluss wurde 1988 revidiert und für gegenstandlos erklärt.

Ihr politisches Engagement setzte sie weiter fort. Einsele half französischen Deserteuren, die vor dem Einsatz in Algerien geflohen waren und unterstütze die Ostermärsche.

Nach ihrer Pensionierung galt das Interesse Einseles der weltweiten Friedenspolitik, sie nahm neben Heinrich Böll und Walter Jens an Sitzblockaden teil und wurde noch als siebzigjährige abgeführt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

Wissenschaftliches Wirken

1. Das Frauengericht in New York (Dissertation 1939) Mit ihrer Dissertation über das Frauengericht in New York erlang Einsele 1939 die Doktorwürde an der Ruprecht-Karl-Universität in Heidelberg. Hierin beschäftigt sie sich mit einem Gericht, das zu seiner Zeit ungewöhnlich war und blieb. Einsele beschreibt die Institution des Frauengerichtes und setzt sich kritisch mit dem Problem der Bekämpfung der gewerbsmässigen Unzucht und der in innerer Beziehung dazu stehenden kriminellen Gefährdung "widerspenstiger weiblicher Minderjähriger" durch das Frauengericht in New York auseinander. Sie würdigte diese Einrichtung differenziert und positiv kritisch. (Diss. S 87 ff) Insbesondere beschreibt sie, dass das Verfahren von dem Bestreben geleitet war, dieses unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention der Täterpersönlichkeit anzupassen um keine Möglichkeit ungenutzt zu lassen, erzieherischen Einfluss auszuüben. Dabei resümiert sie, dass es niemals gelingen werde die Prostitution zu beseitigen und für deren Bekämpfung genügend Handhabe vorhanden sei, ohne dass die Unzucht von einem Strafrichter speziell verfolgt werden müsse. (Diss. 92) Die strafrechtliche Verfolgung der Prostitution trüge nach ihrer Auffassung nur wenig bis gar nicht zu ihrer Verhütung bei, könne sogar als schädlich eingestuft werden, denn sie verleite dazu, den Blick von geeigneten Methoden der Bekämpfung abzulenken. (Diss. S 93) Ihr Fazit ist die Absage an die Einrichtung des Frauengerichtes, das "trotz der nicht geringen Vorzüge letzten Endes überflüssig" sei. (Diss. S. 97)

2. 1972 setzt sich Einsele in "Die Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe" mit der lebenslangen Freiheitsstrafe aufgrund ihrer Erfahrungen in der Frauenhaftanstalt auseinander. Unter der Fragestellung, "ob eine lebenslange Freiheitsstrafe unter den heutigen Bedingungen des Strafvollzuges nicht nur langsam vollzogene Todesstrafe sei, die "bestenfalls biologisch fortlebende, doch ansonsten leere Menschenhülsen" zurückliesse, überprüft sie diese Situation anhand ihrer Erfahrungen. Dabei stellt sie unter anderem fest, dass es sich nicht um Menschen handelt, die das Böse verkörpern, sondern es sind z.T. sogar Menschen, die nicht einmal selbst, sondern deren Schicksal aus der Norm fiel.(S.32) Sie schließt ihren Erfahrungsbericht mit fünf Thesen zur Behandlung der lebenslangen Freiheitsstrafe und fordert unter anderem, dass die lebenslange Freiheitsstrafe, wenn kein Sicherheitsrisiko besteht, nach 10-15 Jahren beendet werden müsse,wenn sie keine langsame Todesstrafe sein soll - was der Verfassung widerspreche. Diese Forderung war zu der Zeit mehr als ungewöhnlich, da bis auf Ausnahmen "lebenslang noch lebenslang" bedeutete. Zur weiteren Begründung ihrer Forderung zog sie im europäischen Ausland bereits bestehende Regelungen zur "Verkürzung" der lebenslangen Freiheitsstrafe heran.

3. In dem von Einsele und Maelicke 1980 vorgelegten Endbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs "Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen" wird der Versuch der intensiven Nachsorge durch Hilfestellung für Frauen, die aus der Haft entlassen wurden und Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Lebensprobleme erhalten, dargestellt. Die Intention war, den Frauen dabei zu helfen ihre in der Lebensgeschichte erworbene und durch gesellschaftliche Sanktionen verstärkten Schwierigkeiten in der Gesellschaft, durch Unterstützung zu überwinden. Dokumentiert wird eine seinerzeit alternative sozialpädagogische Praxis im Feld der traditionellen Strafentlassenenhilfe.

4. Im Jahr 1982 veröffentlichte Einsele zusammen mit Gisela Rothe "Frauen im Strafvollzug". Gegenstand ist ein anderer Umgang mit straffälligen Frauen und die Forderung nach Verständnis für ihre schwierigen Lebenswege. Der Frage, ob der Versuch, den Strafvollzug von Grund auf umzudenken, Zuwendung und Vertrauen zur Leitlinie zu machen und die Frauen nach der Haft aufzufangen, sie bei der Suche nach einem besseren Leben zu unterstützen, erfolgreich war, gehen die Autorinnen nach. Einsele kommt in ihrem Fazit für Preungesheim zu dem Ergebnis, "dass Einigkeit darüber bestand, dass der großen Zahl der Frauen zu wenig Hilfe auf längere Sicht gegeben werden konnte. Allerdings sei der Erfolg für ein Leben in Freiheit erreicht worden, wobei das Leben im Vollzug seinen Anteil hatte" (S.75). In einer Nachbemerkung führt Einsele aus: "Offenbar können Gefängnisse, wenn sie einmal da sind, nichts anderes als "Strafanstalten", also kaum Institutionen der Hilfe sein;(S.81)allerdings bewertet sie den Versuch der Nachsorge als derart erfolgversprechend, dass dieser als Ersatz für Freiheitsstrafe denkbar sei.

5. Als ein autobiographisches Werk kann Einseles 1994 erschienene Veröffentlichung "Mein Leben mit Frauen in Haft" angesehen werden. Sie schildert hierin ihren persönlichen und beruflichen Lebensweg und gibt damit auch ein tieferes Verständnis für ihr Denken und Handeln.

Ehrungen

1969 wurde Einsele die erste Preisträgerin des 1968 gestifteten Fritz Bauer Preises der Humanistischen Union für "Verdienste um die Humanisierung, Liberalisierung und Demokratisierung des Rechtswesens".

Das Land Hessen ehrte Einsele mit der höchsten Auszeichnung des Landes, der Wilhelm Leuschner Medaille, benannt nach dem Widerstandskämpfer Wilhelm Leuschner.

1974 wurde ihr unter der Rubrik "Strafvollzug" die Beccaria Medaille verliehen.

1976 wurde Einsele mit dem Humanitären Preis der deutschen Freimaurer von der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland ausgezeichnet.

1992 erhielt Einsele den Tony Sender Preis der Stadt Frankurt.

2002 wurde sie von der Fachhochschule Potsdam für ihre Leistungen um einen humanisierten Strafvollzug in Deutschland geehrt.

Veröffentlichungen

Einsele, Helga: Das Frauengericht in New York, Dissertation Heidelberg, Hörning, 1939

Einsele, Helga: Dürfen Kinder hinter Gittern geboren werden?, in Zeitschrift für Strafvollzug. 1957

Einsele, Helga: Kleinkinder ein Sonderproblem des Frauenstrafvollzugs, in Zeitschrift für Strafvollzug 1962

Einsele, Helga: Die Behandlung von Müttern und Kindern im Strafvollzug. in Unsere Jugend 1967

Einsele, Helga: Zur Straffälligkeit der Frau, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1968, S.28 ff.

Einsele, Helga antwortet Ernst Klee: Das Verbrechen, Verbrecher einzusperren: Strafvollzug der positiven Zuwendung, 1. Auflage, Düsseldorf: Patmos Verlag, 1970

Einsele, Helga/ Feige, Johannes/ Müller-Dietz, Heinz: Die Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe:(Referate anlässlich der 13. Arbeitstagung der Strafvollzugskommission im Januar 1971), Stuttgart: Enke, 1972

Einsele, Helga/ Dupuis, H.: Die Mutter-Kind Situation im Frauengefängnis. Sonderdruck aus Jahrbuch der Psychohygiene, 1974

Einsele, Helga: Weibliche Kriminalität und Frauenstrafvollzug. In Sieverts, R.A.& Schneider, H.J. (Hrsg.): Handwörterbuch der Kriminologie, S.608-656, Berlin/New York 1975

Einsele, Helga/ Maelicke, Bernd (Hrsg.): Wenn du draußen und alleine...: Materialien zur Situation haftentlassener Frauen,(Hrsg.: Arbeiterwohlwahrt, Kreisverb. Frankfurt e.V.), Frankfurt am Main: Verlag Jugend & Politik, 1980

Einsele, Helga/ Maelicke, Bernd: Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen : Endbericht der wissenschaftlichen Begleitung, Stuttgart (u.a.): Kohlhammer, 1980

Einsele, Helga: Vorschläge zur weiteren Entwicklung der Strafentlassenenhilfe. In: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Jg. 31, 1980 Heft 12, S.464-470

Einsele, Helga: Female criminality in the Federal Republic of Germany: development and present situation <incl. some comments on Switzerland and Austria> Council of Europe/ European Committee on Crime Problems, Strasbourg: Council of Europe, 1980, 98 S.

Einsele, Helga/ Rothe, Gisela: Frauen im Strafvollzug, Orig.- Ausgabe, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1982

Einsele, Helga/ Krüger, U.: Frauen im Strafvollzug, in Kerner, H.-J. u.a. (Hrsg.): Deutsche Forschung zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, Köln 1983

Einsele, Helga: Plädoyer für einen anderen Umgang mit straffälligen Frauen. In Maelicke, Bernd & Ortner, Helmut (Hrsg.): Alternative Kriminalpolitik, Zukunftsperspektiven eines anderen Umgangs mit Kriminalität, Weinheim 1988

Einsele, Helga: Damals und heute: Anmerkungen zu Problemen in Mutter-Kind-Einrichtungen nach langen Jahren praktischer Erfahrung, in Birtsch, Vera/Rosenkranz, Joachim (Hrsg); Mütter und Kinder im Gefängnis. Orientierungen und Ergebnisse zum Frauenstrafvollzug und zu Mutter-Kind-Einrichtungen im Strafvollzug, Weinheim, München 1988

Einsele, Helga: Gustav Radbruchs Vorlesung über Strafvollzug und heutige Praxis; in Haft Fritjof u.a. (Hrsg.) ; Strafgerechtigkeit. Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag, Heidelberg, 1993

Einsele, Helga: Mein Leben mit Frauen in Haft, 1. Auflage, Stuttgart:Quell, 1994

Literatur über Helga Einsele

  • Klee, Ernst: Die Anstalt war ihr Leben, Der Rückschritt im Strafvollzug kommt auf Schleichwegen, in die Wochenzeitschrift DIE ZEIT, 17.10.1975 Nr. 43.
  • Maelicke, Bernd und Simmedinger, Renate (Hrsg.): Um der Überzeugung willen. Schwimmen gegen den Strom. Eine Festschrift für Helga Einsele. ISS-Eigenverlag, Frankfurt/M. 1990,
  • Gerhard-Teuscher, Ute: Laudatio für Helga Einsele anläßlich der Verleihung des Tony-Sender-Preises 1992 der Stadt Frankfurt am Main am 29.11.92, In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 1993.
  • Kumerow, Almuth: Zum Tode von Helga Einsele, in: 416 - Perspektivnetz - 8.März 2006/aus Informationsdienst BAG-S 1/2005
  • Trauerfeier für Helga Einsele, aus Mitteilungsblatt MB GS 71/2005, Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland, S. 19 ff