Hawala-Finanzsystem: Unterschied zwischen den Versionen

23 Bytes hinzugefügt ,  14:04, 2. Mär. 2017
keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 26: Zeile 26:


[[Datei:Hawala-Grafik jpeg.jpg|480px|thumb|left|Hawala-Transaktionsprozess (eigene Darstellung)]] Der Transaktionsprozess innerhalb des heute existierenden Hawala-Finanzsystems erfolgt folgendermaßen:
[[Datei:Hawala-Grafik jpeg.jpg|480px|thumb|left|Hawala-Transaktionsprozess (eigene Darstellung)]] Der Transaktionsprozess innerhalb des heute existierenden Hawala-Finanzsystems erfolgt folgendermaßen:
Die Teilnehmer in diesem Prozess sind Kunden und Hawaladare. Die Kunden sind Personen die eine Transaktion tätigen wollen. Ein Hawaladar (auch Hawala-Intermediär, Finanzintermediär oder Händler genannt) ist ein Mitglied eines Hawala-Netzwerkes (siehe auch Abschnitt 2.3) und fungiert als Finanzmittler. Eine Person A im Ausgangsgebiet möchte Person B im Zielgebiet einen Geldbetrag überweisen. A sucht im Ausgangsgebiet Hawaladar X auf und teilt diesem den gewünschten Auszahlungsort und Überweisungsbetrag sowie den tendenziellen Auszahlungszeitpunkt mit. Der Hawaladar X übernimmt den Überweisungsbetrag von A zuzüglich einer Bearbeitungspauschale in bar. Die Bearbeitungspauschale richtet sich üblicherweise entweder nach einem Prozentsatz von dem zu transferierenden Betrag, in der Regel zwischen 0,25% und 1,25%, oder nach einer festgelegten Gebühr. Der Hawaladar X teilt Person A einen Code mit. Dieser Code wird einerseits zwischen Person A und B kommuniziert, andererseits zwischen Hawaladar X und dem im Zielgebiet befindlichen Hawaladar Y zuzüglich des Auszahlungsbetrages. Der Code kann beispielsweise eine Buchstaben- oder Zahlenkombination oder ein spezieller Koranvers sein. Die Kommunikation zwischen den Personen und Hawaladaren erfolgt über vorhandene Kommunikationsmittel. Mit der Übergabe des Codes und des dazugehörigen Auszahlungsbetrages ist für den Hawaladar im Ausgangsgebiet die Transaktion abgeschlossen. Eventuell notwendige und gefertigte Notizen können vernichtet werden. Person B sucht im Zielgebiet Hawaladar Y auf und identifiziert sich mittels Code. Y hat dem Code einen Überweisungsbetrag zugeordnet und zahlt diesen an B aus. Mit der Auszahlung des Betrages an Person B ist für den Hawaladar im Zielgebiet die Transaktion abgeschlossen. Eventuell notwendige und gefertigte Notizen können vernichtet werden (vgl. Buencamino/Gorbunov 2002: 2; Schramm/Taube 2002: 8f.).
Die Teilnehmer in diesem Prozess sind Kunden und Hawaladare. Die Kunden sind Personen die eine Transaktion tätigen wollen. Ein Hawaladar (auch Hawala-Intermediär, Finanzintermediär oder Händler genannt) ist ein Mitglied eines Hawala-Netzwerkes (siehe auch Abschnitt 2.3) und fungiert als Finanzmittler. Eine Person A im Ausgangsgebiet möchte Person B im Zielgebiet einen Geldbetrag überweisen. A sucht im Ausgangsgebiet Hawaladar X auf und teilt diesem den gewünschten Auszahlungsort und Überweisungsbetrag sowie den tendenziellen Auszahlungszeitpunkt mit. Der Hawaladar X übernimmt den Überweisungsbetrag von A zuzüglich einer Bearbeitungspauschale in bar. Die Bearbeitungspauschale richtet sich üblicherweise entweder nach einem Prozentsatz von dem zu transferierenden Betrag, in der Regel zwischen 0,25% und 1,25%, oder nach einer festgelegten Gebühr. Der Hawaladar X teilt Person A einen Code mit. Dieser Code wird einerseits zwischen Person A und B kommuniziert, andererseits zwischen Hawaladar X und dem im Zielgebiet befindlichen Hawaladar Y zuzüglich des Auszahlungsbetrages. Der Code kann beispielsweise eine Buchstaben- oder Zahlenkombination oder ein spezieller Koranvers sein. Die Kommunikation zwischen den Personen und Hawaladaren erfolgt über vorhandene Kommunikationsmittel. Mit der Übergabe des Codes und des dazugehörigen Auszahlungsbetrages ist für den Hawaladar im Ausgangsgebiet die Transaktion abgeschlossen. Eventuell notwendige und gefertigte Notizen können vernichtet werden. Person B sucht im Zielgebiet Hawaladar Y auf und identifiziert sich mittels Code. Y hat dem Code einen Überweisungsbetrag zugeordnet und zahlt diesen an B aus. Mit der Auszahlung des Betrages an Person B ist für den Hawaladar im Zielgebiet die Transaktion abgeschlossen. Eventuell notwendige und gefertigte Notizen können ebenfalls vernichtet werden (vgl. Buencamino/Gorbunov 2002: 2; Schramm/Taube 2002: 8f.).


Anzumerken ist, dass es sich bei den Personen A und B auch um dieselbe Person handeln kann, welche im Ausgangsgebiet die Einzahlung tätigt und im Zielgebiet den Auszahlungsbetrag abholt. Diese spezielle Form ermöglicht überregionale Reisebewegungen ohne das Mitführen von Wertgegenständen und dient der Verschleierung von Vermögenswerten.
Anzumerken ist, dass es sich bei den Personen A und B auch um dieselbe Person handeln kann, welche im Ausgangsgebiet die Einzahlung tätigt und im Zielgebiet den Auszahlungsbetrag abholt. Diese spezielle Form ermöglicht überregionale Reisebewegungen ohne das Mitführen von Wertgegenständen und dient der Verschleierung von Vermögenswerten.


Der Hawala-Transaktionsprozess kann innerhalb von wenigen Minuten abgeschlossen werden und es verbleiben keine detaillierten Belege oder Buchführungsaufzeichnungen über die Geldbewegungen. Innerhalb des Hawala-Netzwerkes wird zum Saldenausgleich nach dem „System der zwei Töpfe“ verfahren. Der Hawaladar im Ausgangsgebiet hat Verbindlichkeiten in Höhe des Überweisungsbetrages bei dem Hawaladar im Zielgebiet. Diese Verbindlichkeiten werden mit den nächsten Transaktionen zwischen den Hawaladaren verrechnet. Zur Ermittlung des Guthabens oder Verbindlichkeiten beim entsprechenden Hawaladar werden die Hawaladare zumindest ihre getätigten Ein- und Auszahlungsbeträge notieren und diese bis zum Saldenausgleich aufbewahren. Ist aufgrund außergewöhnlich hoher Zahlungsanweisungen oder struktureller Besonderheiten (Überweisungen in überwiegende Empfängerregionen) mittelfristig kein Saldenausgleich zu erwarten, wird dieser in einem „Clearingverfahren“ zwischen den Hawaladaren herbeigeführt. Der Saldenausgleich kann beispielsweise durch Nutzung eines formalen Banken- und Finanzsystems stattfinden oder es können Wertgegenstände in Form von Bargeld, Edelmetallen, Edelsteinen oder Kunstobjekten per Kurier überbracht werden. Eine Verbindung zu der vorausgegangenen Transaktion ist für Außenstehende nicht nachvollziehbar und somit schwer beweisbar (vgl. Schramm/Taube 2002: 7ff.).  
Der Hawala-Transaktionsprozess kann innerhalb von wenigen Minuten abgeschlossen werden und es verbleiben keine detaillierten Belege oder Buchführungsaufzeichnungen über die Geldbewegungen. Innerhalb des Hawala-Netzwerkes wird zum Saldenausgleich nach dem „System der zwei Töpfe“ verfahren. Der Hawaladar im Ausgangsgebiet hat Verbindlichkeiten in Höhe des Überweisungsbetrages bei dem Hawaladar im Zielgebiet. Diese Verbindlichkeiten werden mit den nächsten Transaktionen zwischen den Hawaladaren verrechnet. Zur Ermittlung des Guthabens oder Verbindlichkeiten beim entsprechenden Hawaladar werden die Hawaladare zumindest ihre getätigten Ein- und Auszahlungsbeträge notieren und diese bis zum Saldenausgleich aufbewahren. Ist aufgrund außergewöhnlich hoher Zahlungsanweisungen oder struktureller Besonderheiten (beispielsweise Überweisungen in überwiegende Empfängerregionen) mittelfristig kein Saldenausgleich zu erwarten, wird dieser in einem „Clearingverfahren“ zwischen den Hawaladaren herbeigeführt. Der Saldenausgleich kann beispielsweise durch Nutzung eines formalen Banken- und Finanzsystems stattfinden oder es können Wertgegenstände in Form von Bargeld, Edelmetallen, Edelsteinen oder Kunstobjekten per Kurier überbracht werden. Eine Verbindung zu der vorausgegangenen Transaktion ist für Außenstehende nicht nachvollziehbar und somit schwer beweisbar (vgl. Schramm/Taube 2002: 7ff.).  


==Schutzmechanismen==
==Schutzmechanismen==
Im Gegensatz zu den konventionellen Finanzsystemen fehlt bei Hawala ein kodifizierter institutioneller Rahmen der die Erfüllung der Vertragsinhalte einzelner Transaktionen durchsetzt. Es hat sich daher ein institutionelles Netzwerk entwickelt, das die gegenseitige Vertragserfüllung gewährleistet und eine langfristige Fortführung der Geschäftsbeziehungen für die Akteure nutzbringender erscheint als deren kurzfristige opportunistische Unterbrechung. Der Hintergrund des Gedankens ist die Annahme eines auf Nutzenmaximierung ausgerichteten Akteurs, welcher von einer Vertragserfüllung absieht wenn der Nutzeffekt durch die Nichterfüllung größer ist (vgl. Schramm/Taube 2002: 12f.).
Im Gegensatz zu den konventionellen Finanzsystemen fehlt bei Hawala ein kodifizierter institutioneller Rahmen, der die Erfüllung der Vertragsinhalte einzelner Transaktionen durchsetzt. Es hat sich daher ein institutionelles Netzwerk entwickelt, das die gegenseitige Vertragserfüllung gewährleistet und eine langfristige Fortführung der Geschäftsbeziehungen für die Akteure nutzbringender erscheint als deren kurzfristige opportunistische Unterbrechung. Der Hintergrund des Gedankens ist die Annahme eines auf Nutzenmaximierung ausgerichteten Akteurs, welcher von einer Vertragserfüllung absieht wenn der Nutzeffekt durch die Nichterfüllung größer ist (vgl. Schramm/Taube 2002: 12f.).
   
   
Das Hawala-Netzwerk mit seinen Netzwerkmitgliedern stellt den Kernbereich des Transaktionsprozesses dar. Das Netzwerk ist eine homogene Vereinigung mit identitätsstiftenden gemeinsamen Eigenschaften, was, neben den ökonomischen Faktoren, Vertrauen im sonst anonymen Transaktionsumfeld fördert. Identitätsstiftende gemeinsame Eigenschaften können neben ethnischen und religiösen Eigenschaften auch [[Norm]]- und [[Wert]]vorstellungen sein (vgl. Schramm/Taube 2002: 17f.).
Das Hawala-Netzwerk mit seinen Netzwerkmitgliedern stellt den Kernbereich des Transaktionsprozesses dar. Das Netzwerk ist eine homogene Vereinigung mit identitätsstiftenden gemeinsamen Eigenschaften, was, neben den ökonomischen Faktoren, Vertrauen im sonst anonymen Transaktionsumfeld fördert. Identitätsstiftende gemeinsame Eigenschaften können neben ethnischen und religiösen Eigenschaften auch [[Norm]]- und [[Wert]]vorstellungen sein (vgl. Schramm/Taube 2002: 17f.).
Zeile 56: Zeile 56:


==Verbreitung==
==Verbreitung==
Unabhängig der voranschreitenden [[Globalisierung]], der Einführung neuer Technologien sowie der stetig wachsenden Verbreitung transnationaler Banken- und Finanzsysteme und staatlicher Regulierungsversuche konnte das alternative Hawala-Finanzsystem bis heute nicht von formalen, konventionellen Banken- und Finanzsystemen abgelöst werden. Das Hawala-Finanzsystem hat sich insbesondere dort wo Funktionsbereiche, die das formale Banken- und Finanzsystem nicht oder nur mit höheren Transaktionskosten erfüllen kann als evolutionär entstandene Institution fest etabliert. [[Migration]]sbewegungen unterstützen zusätzlich die globale Verbreitung und Etablierung von Hawala-Netzwerken. Durch die Nutzung eines Hawala-Netzwerkes haben beispielsweise Gastarbeiter überhaupt die Möglichkeit ihren Angehörigen in entlegene Regionen finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Außerdem ist die Nutzung und Ausbreitung von Hawala auch auf ein mangelndes Vertrauen in die Organisation des westlichen Banken- und Finanzsystems zurückzuführen, das unvereinbar mit der religiösen Auffassung vieler Muslime ist und nach subjektiver Einschätzung zu hohe Gebühren verlangt (vgl. Schramm/Taube 2002: 11f.).  
Unabhängig der voranschreitenden [[Globalisierung]], der Einführung neuer Technologien sowie der stetig wachsenden Verbreitung transnationaler Banken- und Finanzsysteme und staatlicher Regulierungsversuche, konnte das alternative Hawala-Finanzsystem bis heute nicht von formalen, konventionellen Banken- und Finanzsystemen abgelöst werden. Das Hawala-Finanzsystem hat sich insbesondere in Funktionsbereiche, die das formale Banken- und Finanzsystem nicht oder nur mit höheren Transaktionskosten erfüllen kann, als evolutionär entstandene Institution fest etabliert. [[Migration]]sbewegungen unterstützen zusätzlich die globale Verbreitung und Etablierung von Hawala-Netzwerken. Durch die Nutzung eines Hawala-Netzwerkes haben beispielsweise Gastarbeiter überhaupt die Möglichkeit ihren Angehörigen in entlegene Regionen finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Außerdem ist die Nutzung und Ausbreitung von Hawala auch auf ein mangelndes Vertrauen in die Organisation des westlichen Banken- und Finanzsystems zurückzuführen, das unvereinbar mit der religiösen Auffassung vieler Muslime ist und nach subjektiver Einschätzung zu hohe Gebühren verlangt (vgl. Schramm/Taube 2002: 11f.).  


Folglich basiert die Bevorzugung von Hawala als Finanzsystem neben pragmatischen auch auf ideologischen und religiösen Überlegungen. Da sich Hawala-Transaktionen rechtsstaatlicher Kontrollen und Aufzeichnungen entziehen, lässt sich nur schwer abschätzen welcher Geldbetrag jährlich über das alternative Überweisungssystem transferiert wird. Nationale und supranationale Organisationen schätzen, dass weltweit jährlich ca. 200 Mrd. US-Dollar transferiert werden (vgl. Buencamino/Gorbunov 2002: 2).  
Folglich basiert die Bevorzugung von Hawala als Finanzsystem neben pragmatischen auch auf ideologischen und religiösen Überlegungen. Da sich Hawala-Transaktionen rechtsstaatlicher Kontrollen und Aufzeichnungen entziehen, lässt sich nur schwer abschätzen welcher Geldbetrag jährlich über das alternative Überweisungssystem transferiert wird. Nationale und supranationale Organisationen schätzen, dass weltweit jährlich ca. 200 Mrd. US-Dollar transferiert werden (vgl. Buencamino/Gorbunov 2002: 2).  
60

Bearbeitungen