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# Erweiterte Strafbarkeit der Beschaffung sexuell potentiell anregender Kinderbilder in [https://dejure.org/gesetze/StGB/184b.html § 184b] StGB mit Strafe von 3 Monaten bis 5 Jahren Gefängnis. Nach der letzten Erweiterung (2008) um Verbreiten, Erwerb und Besitz sog. Posing-Fotos nun der Verzicht auf das Erfordernis einer Darstellung sexueller Handlungen und Strafbarkeit des Versuchs der Bilder-Beschaffung etwa von schlafenden Kindern oder entblößten Körperteilen. Für Strafbarkeit genügt das Anklicken von Pornolinks. Keine Strafbefreiung bei Rückgängigmachen des Aufrufs einer solchen Website. '''Kritik''': Unverhältnismäßigkeit, Kontraproduktivität durch Kriminalisierung massenhaften Verhaltens von Jugendlichen mit Häufung von Denunziationen unliebsamer Bekannter als absehbarer Nebenfolge.'''Alternativen''': Zurück zum status quo ante. '''Antikritik''': Schutz von Kindern vor Fotos und vor künftigen pädophilen Handlungen.  
# Erweiterte Strafbarkeit der Beschaffung sexuell potentiell anregender Kinderbilder in [https://dejure.org/gesetze/StGB/184b.html § 184b] StGB mit Strafe von 3 Monaten bis 5 Jahren Gefängnis. Nach der letzten Erweiterung (2008) um Verbreiten, Erwerb und Besitz sog. Posing-Fotos nun der Verzicht auf das Erfordernis einer Darstellung sexueller Handlungen und Strafbarkeit des Versuchs der Bilder-Beschaffung etwa von schlafenden Kindern oder entblößten Körperteilen. Für Strafbarkeit genügt das Anklicken von Pornolinks. Keine Strafbefreiung bei Rückgängigmachen des Aufrufs einer solchen Website. '''Kritik''': Unverhältnismäßigkeit, Kontraproduktivität durch Kriminalisierung massenhaften Verhaltens von Jugendlichen mit Häufung von Denunziationen unliebsamer Bekannter als absehbarer Nebenfolge.'''Alternativen''': Zurück zum status quo ante. '''Antikritik''': Schutz von Kindern vor Fotos und vor künftigen pädophilen Handlungen.  
# Strafbarkeit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a von 2015). Klingt schon fast nach Hochverrat. In Wirklichkeit wird hier der "Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung" - so wörtlich selbst der BGH - zu einem eigenen Tatbestand aufgepimpt. Für den BGH ist trotzdem nur der "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen" tangiert. '''Kritik''': feindstrafrechtlich vorverlegte Strafbarkeit. Strafbar ist schon, "wer sich anschickt, in einen Staat auszureisen, um sich dort in irgendwelchen Fähigkeiten ausbilden zu lassen" (Kreuzer), die es ihm ermöglichen, später politisch-militärische Aktionen zu unterstützen. "Bucht er online ein Flugticket, besinnt sich dann und löscht die Buchung sogleich wieder, ist das nicht mehr strafbefreiend. Ohne dass hier eine wirkliche Straftat vorliegt, will man Tatgeschehen künstlich behaupten, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen." '''Alternative''': ordnungsbehördliches Ausreiseverbot. '''Antikritik''': Terroristische Einzeltäter müsssen effektiv gestoppt werden.
# Strafbarkeit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a von 2015). Klingt schon fast nach Hochverrat. In Wirklichkeit wird hier der "Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung" - so wörtlich selbst der BGH - zu einem eigenen Tatbestand aufgepimpt. Für den BGH ist trotzdem nur der "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen" tangiert. '''Kritik''': feindstrafrechtlich vorverlegte Strafbarkeit. Strafbar ist schon, "wer sich anschickt, in einen Staat auszureisen, um sich dort in irgendwelchen Fähigkeiten ausbilden zu lassen" (Kreuzer), die es ihm ermöglichen, später politisch-militärische Aktionen zu unterstützen. "Bucht er online ein Flugticket, besinnt sich dann und löscht die Buchung sogleich wieder, ist das nicht mehr strafbefreiend. Ohne dass hier eine wirkliche Straftat vorliegt, will man Tatgeschehen künstlich behaupten, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen." '''Alternative''': ordnungsbehördliches Ausreiseverbot. '''Antikritik''': Terroristische Einzeltäter müsssen effektiv gestoppt werden.
# Kriminalisierung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 von 2015). '''Kritik''': Sterbeglöckchen für die Selbstbestimmung am Lebensende. Unbestimmtes, moralisierendes Strafrecht, das auch ethisch wertvolle Sterbebegleitung unnötig in ein Dilemma zwischen strafbarer Suizidbeihilfe und strafbarer unterlassener Hilfeleistung stürzt - von der Förderung von Denunziationen seitens enttäuschter Angehöriger und von erniedrigenden polizeilichen Ermittlungen ganz zu schweigen. '''Alternative''': Strafrechtlich zurück auf den status quo ante oder liberalere Gesetzgebung wie in der Schweiz oder Holland und Belgien; problematischen Organisationen kann per Vereins- und Gewerberecht ein Riegel vorgeschoben werden. '''Antikritik''': "Problematisch kann es in Zukunft für die sehr wenigen Ärzte werden, die häufiger an einem ärztlich assistierten Suizid mitwirken. Sollten sie geschäftsmäßig handeln, schützt der Arztberuf sie nicht vor Strafverfolgung nach § 217 StGB. Sollte ein Arzt allerdings aufgrund seiner ärztlichen Spezialisierung als Palliativmediziner mit Suizidbeihilfewünschen zu tun haben und diesen dann aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall auch nachkommen wollen, führt auch das nicht zwingend zur Anwendung der neuen Strafvorschrift" (Tolmein/Radbruch 2017).  
# Kriminalisierung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 von 2015). '''Kritik''': Dem Motiv des Gesetzes, die eigenverantwortliche Entscheidung über einen Suizid vor Einflussnahmen Dritter zu schützen, wird nicht Rechnung getragen. Das Gesetz lässt den Suizidwilligen, der nicht mehr selbst Hand an sich legen kann, bar jeder erfahrenen Unterstützung und professionellen Begleitung (Berghäuser 2016), wenn es nicht geradezu ein Dilemma herstellt zwischen strafbarer Suizidbeihilfe und strafbarer unterlassener Hilfeleistung - von der Erhöhung des Risikos von Denunziationen seitens enttäuschter Angehöriger ganz zu schweigen. '''Alternative''': Strafgesetzliche Verfahrenslösung wie Art. 293 II und 294 II nlStGB: straflos ist die Sterbehilfe, wenn die prozeduralen Bedingungen (Arztvorbehalt, Hinterfragen des Suizidentschlusses, Beratung unter Erörterung von Alternativen, Kontrolle durch eine zweite Person) erfüllt sind. Problematischen Organisationen kann zudem per Vereins- und Gewerberecht ein Riegel vorgeschoben werden. '''Antikritik''': Das Gesetz ist nicht so schlecht wie es gemacht wird - selbst Palliativmediziner, die geschäftsmäßig und öfter mit  "mit Suizidbeihilfewünschen zu tun haben und diesen dann aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall auch nachkommen wollen", werden "nicht zwingend" nach § 217 bestraft (Tolmein/Radbruch 2017). Bei Lösungen à la Holland drohen Vollzugsschwierigkeiten. Auch kann es zu Außendarstellungen der Suizidbeihilfe als "normale Dienstleistung" kommen. 
# Gleichstellung sexueller Übergriffe mit Vergewaltigungen im neuen § 177 und Einführung des Tatbestands der sexuellen Belästigung im neuen § 164i (2016). '''Kritik''': Rückfall ins Moralstrafrecht (T. Hörnle), Fokussierung auf beweisrechtlich nicht fassbare Gefühlslagen von möglichen Opfern (J. Baumhöfener). Kreuzer: das neue geschaffene Massendelikt kann nicht nur Betroffene, sondern auch Nicht-Betroffene zur Anzeige veranlassen und wird andererseits wegen Beweisproblemen vor allem Verfahrenseinstellungen hervorbringen. '''Alternative''': Zurück zum status quo ante (?). '''Antikritik''': symbolischer Schlusspunkt für das einst selbstverständliche Verfügungsrecht des Mannes über den Körper der Frau.
# Gleichstellung sexueller Übergriffe mit Vergewaltigungen im neuen § 177 und Einführung des Tatbestands der sexuellen Belästigung im neuen § 164i (2016). '''Kritik''': Rückfall ins Moralstrafrecht (T. Hörnle), Fokussierung auf beweisrechtlich nicht fassbare Gefühlslagen von möglichen Opfern (J. Baumhöfener). Kreuzer: das neue geschaffene Massendelikt kann nicht nur Betroffene, sondern auch Nicht-Betroffene zur Anzeige veranlassen und wird andererseits wegen Beweisproblemen vor allem Verfahrenseinstellungen hervorbringen. '''Alternative''': Zurück zum status quo ante (?). '''Antikritik''': symbolischer Schlusspunkt für das einst selbstverständliche Verfügungsrecht des Mannes über den Körper der Frau.
# Aufwertung des Einbruchs in Privatwohnungen zum Verbrechen im neuen § 244 StGB aus dem Jahr 2017 bei gleichzeitiger Streichung der Strafmilderung für minder schwere Fälle. '''Kritik''': erstens im Widerspruch zur Beibehalung minder schwerer Fälle im noch gewichtigeren Tatbestand des bandenmäßigen Einbruchsdiebstahls, zweitens falsche Vorstellungen des Gesetzgebers über das Phänomen, drittens absehbare Welle justizieller Übermaßstrafen oder Umgehungsstrategien, viertens möglicherweise verfassungswidrig. '''Alternative''': Status quo ante. '''Antikritik''': Kriminelle müssen "in solchen Fällen höhere Strafen zu spüren bekommen - wenn sie denn gefasst werden" (Tagesschau).
# Aufwertung des Einbruchs in Privatwohnungen zum Verbrechen im neuen § 244 StGB aus dem Jahr 2017 bei gleichzeitiger Streichung der Strafmilderung für minder schwere Fälle. '''Kritik''': erstens im Widerspruch zur Beibehalung minder schwerer Fälle im noch gewichtigeren Tatbestand des bandenmäßigen Einbruchsdiebstahls, zweitens falsche Vorstellungen des Gesetzgebers über das Phänomen, drittens absehbare Welle justizieller Übermaßstrafen oder Umgehungsstrategien, viertens möglicherweise verfassungswidrig. '''Alternative''': Status quo ante. '''Antikritik''': Kriminelle müssen "in solchen Fällen höhere Strafen zu spüren bekommen - wenn sie denn gefasst werden" (Tagesschau).
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=== Ladendiebstahl (AE-GLD) ===
=== Ladendiebstahl (AE-GLD) ===
Aber mit der Kreuzerschen Liste muss es nicht sein Bewenden haben. Lange diskutiert, aber immer noch nicht realisiert ist zum Beispiel auch die Entkriminalisierung des Ladendiebstahls und die Regelung dieses Delikts über zivilrechtliche Mittel, etwa eine Form der aus den USA bekannten punitive damages. Insofern ist auf den AE-GLD (1974) und die späteren Vorschläge von Kohl und Scheerer (1989) sowie der hessischen und der niedersächsischen Kommissionen "Kriminalpolitik", bzw. "zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts" mit ihren Vorschläge nzur Reform des Eigentums- und Vermögensstrafrechts zu verweisen (vgl. Albrecht u.a. 1992 und Albrecht 1996).
Seit bald einem halben Jahrhundert wird auch die Entkriminalisierung des Ladendiebstahls diskutiert. '''Kritik''': Unverhältnismäßige Sanktionierung eines Massendelikts von geringem Unrechtsgehalt. Geringer Warenwert. Mittellose Täter, oft Asylbewerber. Aufklärungsquote 95%. Allerdings ist das Dunkelfeld riesengroß (50 Mio.). '''Alternativen''': Vorschläge dazu liegen seit dem AE-GLD (1974) und den Arbeiten der hessischen und der niedersächsischen Kommission "Kriminalpolitik", bzw. "zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts" vor (vgl. Albrecht u.a. 1992 und Albrecht 1996). Im November 1994 schlug der Deutsche Anwaltverein vor, die Strafjustiz von bagatellhaften Massendelikten wie Ladendiebstahl, fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr und Schwarzfahren zu entlasten; auffällige Ladendiebe könnten künftig zentral registriert, zu Schadensersatz verpflichtet und beim fünften Eintrag der Strafjustiz übergeben werden. Dem hatte sich Arthur Kreuzer (1974) unter der Überschrift "Strafzettel für Ladendiebe - warum nicht?" angeschlossen. 1995 kam es dann zu einem Gesetzentwurf der Grünen (Volker Beck u.a.) ähnlichen Inhalts. '''Antikritik''': In der Reaktion auf das bislang nicht realisierte Reformvorhaben war von Kapitulation vor der „Einstiegskriminalität“, Dammbruch, „Perversion“ des Strafrechts usw. die Rede. Auch die Polizei verzichtet ungern auf den Straftatbestand, weil die Aufklärungsquote beim Ladendiebstahl die Gesamt-Aufklärungsquote, die sonst weit unter 50% liegt, aufhübscht.


===Urheberrechtsverletzungen (§§ 106 ff. UrhG) ===
===Urheberrechtsverletzungen (§§ 106 ff. UrhG) ===
Einschränkung auf gewerbsmäßige Verletzungen des Urheberrechts, Streichung von § 107 UrhG und Reform der übrigen Straftatbestände nach Gregor Albach (2015).
'''Kritik''': Es fehlt angesichts zivilrechtlicher Alternativen an Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit privater nicht-kommerzieller Urheberrechtsverletzungen. 2012 wollte die Piratenpartei [https://www.welt.de/politik/deutschland/article106351781/Piraten-wollen-Tauschboersen-entkriminalisieren.html das private, direkte, nichtkommerzielle Filesharing und die Weitergabe von Werken entkriminalisieren]. '''Alternative''': Einschränkung der Strafbarkeit auf gewerbsmäßige Verletzungen, Streichung von § 107 UrhG und Reform der übrigen Straftatbestände (Gregor Albach, 2015, Zur Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit privater Urheberrechtsverletzungen).  '''Antikritik''': Vor allem Musikverlage und Filmverleiher bekämpften solche Plattformen und Reformideen um der Erhaltung ihrer herkömmlichen Verkaufswege willen. [https://de.wikipedia.org/wiki/Raubkopierer_sind_Verbrecher Siehe auch die Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher" in den Jahren 2003 ff.].


=== Cannabiskriminalität ===
=== Cannabis ===
Das Wort Entkriminalisierung wird wohl nirgendwo so häufig gebraucht wie im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgesetz und dort insbesondere in Bezug auf Cannabis. Damit ist allerdings sehr Unterschiedliches gemeint: mal geht es um vermeintlich mildere Reaktionen des Staates im Sinne von Therapie statt Strafe, dann wieder um die Herabstufung von Vergehenstatbeständen zu Ordnungswidrigkeiten nach dem Modell Portugals und erst in letzter Zeit wieder verstärkt um eine legalisierende, regulierende Entkriminalisierung nach dem Vorbild Uruguays oder Kaliforniens und einer Handvoll weiterer Bundesstaaten in den USA.
'''Gesetz''': Obwohl der Konsumakt als solcher nicht strafbedroht ist, kriminalisiert das BtMG von 1982 durch die Strafbarkeit des Besitzes, des Erwerbs, des Anbaus, der Abgabe und so weiter den gesamten Konsumbereich und stellt damit auch das Ausmaß der Kriminalisierung des Alkohols während der us-amerikanischen Prohibitionszeit in den Schatten. '''Kritik''': Gründliche rechtsphilosophische (Husak 1992) und strafrechtstheoretische (Nestler 1998, 2017) Kritik verneint die Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Cannabis-Prohibition (Dan Werb et. al 2013). Bezweifelt werden Zweckmäßigkeit und Strafwürdigkeit. Mit unterschiedlichen Graden der Entschlossenheit setzen sich der Deutsche Hanf-Verband (DHV), der Schildower Kreis, die FDP und die Grünen für Entpönalisierungen und/oder Entkriminalisierungen ein. 2010 startete der Deutsche Hanf-Verband DHV die Unterschriftensammlung für eine Petition zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten. 2012 kam es zu einer Anhörung in Berlin. 2014 [https://www.focus.de/gesundheit/videos/experten-fordern-entkriminalisierung-juristen-und-suchtexperten-einig-cannabis-muss-legalisiert-werden_id_4288159.html stimmten Juristen, Suchtexperten und Mediziner auf einer Tagung in Frankfurt in ihrem Ruf nach schneller Entkriminalisierung überein]. So setzte sich die Initiative „Schildower Kreis“ für eine neue Drogenpolitik ein, da der Schwarzmarkt große Risiken berge. Auf der Internetseite des Netzwerkes läuft die „Prohibitionsuhr“, die unter anderem die Kosten der Drogenrepression zählt. Laut Heino Stöver von der FH Frankfurt konsumierten zwölf Prozent der Deutschen im vergangenen Jahr Cannabis aber nur drei Prozent davon seien Gewohnheitskiffer. Auch der Dauergebrauch sei auf niedrigem Niveau stabil und werde durch rechtliche Eingriffe kaum verändert. Ein Vertreter des Bundes Deutscher Kriminalbeamte berichtete, dass 145.000 der 250.000 Drogendelikte auf Cannabis entfielen aber die meisten dieser Verfahren aufgrund geringer Mengen aber eingestellt würden. Es entstünden unnötige Kosten, da Beamte für den Papierkorb arbeiteten. - Im Februar 2018 erregte die Forderung des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK) nach einer völligen Legalisierung von Cannabis einige Aufmerksamkeit - obwohl der Vorsitzende des BDK nur die Beschlusslage seiner Vereinigung seit 2014 wiederholt hatte (am Tag nach der Erklärung des Vorsitzenden scherte der Landesverband Saar des BDK aus und sprach sich gegen eine Liberalisierung aus). '''Alternativen''': Das [[Drogenrecht in Portugal]] spricht im Gesetz von 2001 explizit von Entkriminalisierung und meint damit die Herabstufung der Delikte in der Konsumsphäre zu Ordnungswidrigkeiten in Kombination mit Beratungspflichten. Dies betrifft allerdings nicht nur Cannabis, sondern alle Drogen. Anders hingegen verhält es sich mit der de facto Entkriminalisierung in Holland und wieder anders mit der de jure Entkriminalisierung in Uruguay und in Kalifornien und 7 weiteren US-Bundesstaaten. [[Cannabis in Uruguay]] wird legal angebaut und in Apotheken an Freizeitkonsumenten in 5-Gramm-Tüten à ca. 7 Dollar verkauft. Pivatpersonen dürfen bis zu sechs Cannabis-Pflanzen pro Kopf (bzw. von bis zu 99 Pflanzen für Marihuana-Clubs mit 15 bis 45 Mitgliedern) anbauen. - Die Situation für [[Cannabis in Kalifornien]] (sowie Alaska, Colorado, Maine, Massachusetts, Oregon, Washington und Nevada) sieht ähnlich aus: die Grenze für den monatlichen Einkauf bzw. Besitz liegt bei einer Unze (28,3 Gramm). Der private Anbau von bis zu 6 Pflanzen ist ebenfalls erlaubt. Kommerzieller Anbau und Verkauf erfordert Lizenzen. Mit deren Ausgabe begann das Bureau of Cannabis Control im Dezember 2017, als es die ersten 20 befristeten cannabis business licenses erteilte. Konsum in der Öffentlichkeit sowie innerhalb von 1000 feet (300 m) von einer Schule ist ebenso verboten wie Autofahren unter dem Einfluss von Cannabis. Die Steuern sind mit 35% recht hoch, was dazu führt, dass mit einem jährlichen Steueraufkkommen von rund 1 Milliarde Dollar gerechnet wird. Insgesamt wird der kalifornische Markt für medican und für adult use marihuana für die Jahre 2018-2021 von der Firma Arcview auf 40 Milliarden Dollar geschätzt. Die Thematik ist auch jenseits der Ökonomie brisant. Die Drogenprohibition kostet weltweit mehr Menschenleben als der Krieg. Die Opferzahlen des Krieges gegen die Drogen einschließlich der Kämpfe zwischen Banden, Militär und Polizei etwa in Mexiko oder Brasilien gehen in die Hunderttausende. '''Antikritik:''' Gegner der Entkriminalisierung verweisen seit jeher auf die Gesundheitsrisiken des Konsums - vom "Killer Weed" (Harry Anslinger) bis zu "Kiffen tötet" (FAZ online 2.2.2018). In der Regel gehen sie auf die strafrechtstheoretischen und -dogmatischen Kriterien der Strafwürdigkeit selbstschädigenden Verhaltens nicht ein. - Das Bundesverfassungsgericht hält die Kriminalisierung laut Beschluss vom 9.3.1994 für verfassungskonform.
 
[[Drogenrecht in Portugal]] Das portugiesische Drogengesetz von 2001 ist explizit als Gesetz zur Entkriminalisierung des Konsumbereichs von illegalen Drogen ausgewiesen. Es betrifft nicht nur Cannabis, sondern alle Drogen, und es stuft die Delikte der Konsumsphäre zu OWi herab, während es den Schmuggel und Handel weiterhin streng verfolgt und bestraft. Nach allgemeiner Einschätzung hat das Gesetz die Lage in Portugal deutlich verbessert. Glenn Greenwald sprach schon 2009 von einem "schlagenden Erfolg" dieser transformierenden Entkriminalisierung.
 
[[Cannabis in Uruguay]] Im Gegensatz zu Portugal hat sich Uruguay 2013 für den radikaleren Weg der legalisierenden Entkriminalisierung entschieden und hat diese Entscheidung trotz innerer und vor allem internationaler Widerstände auch beharrlich Schritt für Schritt implementiert. Inzwischen bauen ausgewählte Unternehmen mit staatlichen Lizenzen kommerziell Cannabis an, um die Apotheken zu beliefern, die behördlich registrierten erwachsenen Cannabis-Genießern monatlich bis zu 40g (abgepackt in 5-Gramm-Tüten à knapp 7 Dollar) verkaufen dürfen. Privatpersonen dürfen aber nicht-kommerziell bis zu sechs Cannabis-Pflanzen pro Kopf (bzw. von bis zu 99 Pflanzen für Marihuana-Clubs mit 15 bis 45 Mitgliedern) anbauen.
 
[[Cannabis in Kalifornien]] Seit Legalisierungsbefürworter 2016 eine Volksabstimmung für sich entscheiden konnten, ist Kalifornien einer von 8 Bundesstaaten (zusammen mit Alaska, Colorado, Maine, Massachusetts, Oregon, Washington und Nevada), in denen Cannabis legal ist, d.h. angebaut, verkauft, erworben, besessen und benutzt werden darf. Die Grenze für den Besitz liegt bei einer Unze, etwa 28 Gramm. Der private Anbau von bis zu 6 Pflanzen ist ebenfalls erlaubt. Wer mehr anbauen will und kommerziell anbauen oder verkaufen will, benötigt eine Lizenz, mit deren Ausgabe im Dezember 2017 begonnen wurde (rund zwei Wochen vor dem ursprünglich ins Auge gefassten Termin zu Jahresbeginn 2018 erteilte das Bureau of Cannabis Control bereits Mitte Dezember 2017 die ersten 20 befristeten cannabis business licenses. - Ähnlich verhält es sich seit 2018 mit [[Cannabis in Kalifornien]]. Dort darf jeder Bürger des Bundesstaates ab 21 Jahren bis zu 28,3 Gramm Cannabis (pro Monat) kaufen und bis zu sechs Pflanzen selbst anbauen. Konsum in der Öffentlichkeit sowie innerhalb von 1000 feet (300 m) von einer Schule ist ebenso verboten wie Autofahren unter dem Einfluss von Cannabis. Handel ist nur mit Lizenz des Bundesstaates und der Kommune erlaubt. Kommunen können sich auch ganz verweigern. Die Steuern sind mit 35% recht hoch. Pro Jahr wird in '''Kalifornien''' mit einem Cannabis-Steuer-Aufkommen von rund 1 Milliarde Dollar gerechnet. Insgesamt ist der kalifornische Marihuana-Markt alleine für die Jahre 2018-2021 laut der Firma Arcview geschätzte 40 Milliarden Dollar wert. - Trotz weiterbestehenden Prohibitionsgesetzes auf Bundesebene verfolgen aufgrund von Volksabstimmungen acht Bundesstaaten ihre eigene Regulationspolitik. Legalisierende Entkriminalisierungen fanden statt in Colorado, Washington, Oregon, Alaska, Maine, Massachusetts, Nevada und Kalifornien. In diesen acht Staaten gibt es sowohl "medical marihuana" (auf Rezept) als auch "recreational" marihuana "for adult use" ohne Rezept in dafür lizensierten Verkaufsstellen. - Regulation ist der Prohibition aber auch bei anderen Drogen überlegen. Die Beschränkung auf eine Cannabis-Reform darf insofern nicht das letzte Wort sein. Und die Beschränkung auf die Konsumsphäre natürlich sowieso nicht. Letztlich wäre mit Douglas Husak und Henner Hess an eine Angleichung der Drogenpolitik an die Zigarettenpolitik zu denken: Aufklärung über die Risiken, restriktive Gesetzgebung, aber Beibehaltung legalen Zugangs für diejenigen, die es unbedingt wollen.  
 
'''Kritik:'''
Kritik an der Cannabis-Prohibition, die nach dem BtMG übrigens, indem sie auch den Erwerb und Besitz des Substanz kriminalisiert, wesentlich weitreichender ist als es die amerikanische Alkoholprohibition jemals gewesen war, betrifft die Systemwidrigkeit eines strafrechtlichen Schutzes vor sich selbst, die Grenzenlosigkeit des vorgeblichen Rechtsguts der Volksgesundheit (wenn diese ein Rechtsgut wäre, dann wäre zu fragen, warum andere und vergleichbar gesundheitsgefährdende Aktivitäten und Gegenstände von der Frühstücksbutter bis zum Jägermeister nicht kriminalisiert sind) und die Verletzung der Freiheitsrechte erwachsener Bürger (Recht auf selbstbestimmte riskante Freizeitaktiväten, solange sie nicht die Rechte Dritter verletzen nach Artikel 1, 2 und 3 GG). Hinzu kommt, dass das Drogenverbot mit seiner extremen Vorverlagerung der Strafbarkeit und der mit der Distanz zur eigentlichen Verletzungshandlung nicht abnehmenden, sondern ansteigenden Pönalisierungsintensität alle Merkmale des Jakobschen Feindstrafrechts aufweist, mithin, wie Wolfgang Naucke konstatierte, "in rechtsstaatlichen Begriffen gar nicht mehr zu beschreibenden" ist.
 
*2014: [https://www.focus.de/gesundheit/videos/experten-fordern-entkriminalisierung-juristen-und-suchtexperten-einig-cannabis-muss-legalisiert-werden_id_4288159.html Ruf nach schneller Entkriminalisierung:] "Juristen, Suchtexperten und Mediziner sagen übereinstimmend, dass der Eigengebrauch von Cannabis nicht bestraft werden sollte. Bei einer Tagung in Frankfurt hatten Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten eine Entkriminalisierung des Konsums gefordert. So setzte sich die Initiative „Schildower Kreis“ für eine neue Drogenpolitik ein, da der Schwarzmarkt große Risiken berge. Auf der Internetseite des Netzwerkes läuft die „Prohibitionsuhr“, die unter anderem die Kosten der Drogenrepression zählt. Laut Heino Stöver von der FH Frankfurt konsumierten zwölf Prozent der Deutschen im vergangenen Jahr Cannabis aber nur drei Prozent davon seien Gewohnheitskiffer. Auch der Dauergebrauch sei auf niedrigem Niveau stabil und werde durch rechtliche Eingriffe kaum verändert. Ein Vertreter des Bundes Deutscher Kriminalbeamte berichtete, dass 145.000 der 250.000 Drogendelikte auf Cannabis entfielen aber die meisten dieser Verfahren aufgrund geringer Mengen aber eingestellt würden. Es entstünden unnötige Kosten, da Beamte für den Papierkorb arbeiteten. Unterdessen kündigte die Frankfurter Drogendezernentin Rosemarie Heilig ein Modellversuch in der Drogenpolitik an, nach welchem Prävention, Beratung und Therapie vor Repression gestellt werden soll.

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'''Antikritik:'''
Gegner der Entkriminalisierung verweisen seit jeher auf die Gesundheitsrisiken des Konsums - vom "Killer Weed" (Harry Anslinger) bis zu "Kiffen tötet" (FAZ online 2.2.2018). In der Regel gehen sie auf die strafrechtstheoretischen und -dogmatischen Fragen, unter welchen Bedingungen ein selbstgefährdendes Verhalten strafwürdig und strafbedürftig ist, gar nicht ein.
*Vorlageschluss des Landgerichts Lübeck vom 19.12.1991 (NJW 1992, 1571) und Cannabis-Beschluss des BVerfG vom 9. März 1994, demzufolge bei geringfügigen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz durch den Erwerb, Besitz usw. von geringen Mengen von Cannabis zum Eigenverbrauch nach Ermessen der Strafverfolgungsbehörden von einem Strafverfahren abgesehen werden kann. - Die Kritik an diesem Beschluss geht nicht nur auf die Frage ein, ob Cannabiskonsum eher durch eine Freigabe als durch eine generalpräventive Wirkung des Strafrechts vermindert werden kann, sondern auch darauf, ob es überhaupt Aufgabe des Strafrechts sein kann, den Konsum zurückzudrängen oder ob der Staat nicht auf andere Einflussmöglichkeiten beschränkt sei (Problem der Strafwürdigkeit des Verhaltens). Am 21.10. 2010 begann der Deutsche Hanf-Verband DHV die Unterschriftensammlung für eine Petition zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten. Eine Anhörung fand am 25. 01.2012 in Berlin statt.
 
Fazit:
In der Wissenschaft wurde das BtMG wiederholt scharfsinniger Kritik unterzogen. Man hält insbesondere das Cannabis-Verbot für überflüssig und verfassungswidrig (Nestler 1998, 2017). Rechtstheoretisch und -philosophisch betrachtet (vgl. Husak 1992) gilt das für die allermeisten, wenn nicht alle gegenwärtig auf dem Schwarzmarkt befindlichen Drogen. Rechtspolitisch betrachtet wäre angesichts des Bewusstseinsstandes in der Bevölkerung nach Jahrzehnten staatlicher Anti-Drogen-Propaganda mit einer zweistufigen Entkriminalisierung - Legalisierung von Cannabis und Ordnungswidrigkeitenlösung für die übrigen Drogen - auf absehbare Zeit wohl schon die Grenze des Machbaren erreicht.
 
Die Thematik ist übrigens ernster als gemeinhin wahrgenommen, wenn man hierzulande dazu neigt, sie mit süffisanten Bemerkungen über Kiffer und Kokser zu garnieren. Die Drogenprohibition ist ein weltweites Phänomen und kostete in den letzten Jahrzehnten mehr Menschenleben als viele Kriege zusammengenommen. Die jährlichen Opferzahlen des Krieges gegen die Drogen einschließlich der Kämpfe zwischen Banden, Militär und Polizei etwa in Mexiko oder Brasilien gehen in die Hunderttausende. Dabei ist der eigentliche Skandal die Interesse- und Empathielosigkeit der Welt, vergleichbar der Interesse- und Empathielosigkeit von Medien und Öffentlichkeit in Bezug auf die Opfer der NSU-Morde zu der Zeit, als man noch glaubte, bei den Opfern handele es sich um Leute, die wahrscheinlich in dunkle Drogengeschäfte verwickelt gewesen wären.
 
Der heutigen Tendenz zur Ausweitung des Strafrechts durch eine Flut von abstrakten Gefährdungs-, von Organisations- und Unternehmens-Tatbeständen im weiten Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen treten die Vertreter eines liberalen Kernstrafrechts mit der Forderung nach einem Rückbau entgegen. Die Grundlagen eines Kernstrafrechts hatte 1974 schon Arthur Kaufmann skizziert. Und Wolfgang Naucke gab wenig später die Meßlatte vor (1981: 94), die an Strafgesetzgebung anzulegen sei. Danach muss zunächst einmal die Strafwürdigkeit und die Strafbedürftigkeit des Verhaltens nachgewiesen werden. Es sind nachvollziehbare Überlegungen über die voraussichtliche Effektivität und Effizienz des Strafgesetzes anzustellen und darzulegen. Schließlich ist die Strafgesetzgebung zu beschränken "auf jene Taten, die, weil sie die vitalen Güter des einzelnen Menschen, seine Freiheit überhaupt, verletzen, mit Sicherheit strafwürdig sind. Die Gesetze sind klar und deutlich gefasst. Die Strafbarkeitsvoraussetzungen und die Strafen sind für jedermann verständlich. Die Grenzen der Strafbarkeit sind unmissverständlich bestimmt." Alles andere gehört - wenn es überhaupt verbotswürdig und -bedürftig ist - in andere Rechtsgebiete und Sanktionsformen, die in der Regel ebenso effizient sein können (oder effizienter) und zudem ohne sozialethischen Tadel und Freiheitsstrafe auskommen.
 
Die Forderung nach einer Reduzierung des Strafrechts auf ein Kernstrafrecht entspricht der Grundidee des freiheitlichen Rechtsstaats, staatliche Eingriffe in die Sphäre der Bürger so gering wie möglich zu halten. Dementsprechend hatte schon Montesquieu gesagt: "Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch." Mittermaier sah schon 1819 einen "Grundfehler" darin, „die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen.“ Ähnlich Franz von Liszt: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“ (zit. nach Roos 1981: 7 f.). Und auch der ultima ratio Grundsatz gebietet bekanntlich, das Strafrecht als schwerstes Eingriffsinstrument nur dann einzusetzen, wenn andere Möglichkeiten ausgereizt sind.
 
Welche Gesetze kommen als "nicht erforderlich" in Betracht? Einen erste Hinweis liefert eine kleine Liste, die Arthur Kreuzer im Dezember 2017 in der ZEIT unter dem Titel ''Reformiert endlich das Strafrecht!'' veröffentlicht hatte.


== Politische Äußerung und Partizipation ==
== Politische Äußerung und Partizipation ==


=== Verbreiten von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86 und 86a StGB)===
=== Verbreiten von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86 und 86a StGB)===
Die verfassungsrechtliche Kritik hat keine politische Partei zur Aufnahme einer Entkriminalisierungsforderung in ihr Programm bewegen können.  
'''Gesetz''':  [https://lexetius.com/StGB/86a,2 § 86a StGB] soll nicht nur die Wiederbelebung des  Nationalsozialismus verhindern, sondern jeden Anschein einer Duldung vermeiden. Vertrackt sind hierbei wie immer die Zweifelsfälle: Etwa, wenn nicht ganz klar wird, ob ein Symbol der Unterstützung oder Diffamierung dienen soll, oder wenn es in ein vorgeblich harmloses Symbol variiert wird, das Eingeweihte aber als Code erkennen.
§ 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB stelle allein einen Bezug zum Gedankengut einer nicht mehr existenten nationalsozialistisichen Organisation her. Das rücke die vorschrift in den Verdacht, dass hier allenfalls olitische Meinungen bekämpft werden sollen, was robleme mit Art. 5 GG und der dort verbürgten Meinungsfreiheit heaufbeschwöert (Lptger JR 1969, 19; So kommt man im Ergebnis dann auch dazu, mit Hinweis auf einen zu lockeren bzw. auch überhaupt nicht existeenten Organisationsbezug die Verfassungswidrigkeit von § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu unterstellen. NI4/Paeffgen, § 86 Rn. 2 und Rn. 6.  
Hörnle NStZ 2002, 114 Fn. 16 Schutzgut öffentlicher Friede problematisch. Staatsschutz ebenfalls. Vorfeldkriminalisierung. '''Kritik''': § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB stellt allein einen Bezug zum Gedankengut einer nicht mehr existenten nationalsozialistisichen Organisation her; es gibt keinen fassbaren Organisationsbezug. Das rückt die Vorschrift in den Verdacht, dass hier allenfalls politische Meinungen bekämpft werden sollen, was Probleme mit Art. 5 GG und der dort verbürgten Meinungsfreiheit heaufbeschwört (Lotger JR 1969, 19; wegen allzu lockeren bzw. fehlenden Organisationsbezugs wird die Verfassungswidrigkeit von § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB kritisiert. - Einzelne Mitglieder der Piratenpartei sprachen sich für die Abschaffung aus, weil das Verbot den Objekten eine Kraft verleihe, die ihnen nicht zukommen solle. 2014 forderte Höcke in einer parteiinternen E-Mail die Abschaffung von § 86 (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen) und § 130 StGB (Volksverhetzung und die Leugnung des Holocausts). Entkriminalisierungsforderungen kommen von ganz rechts. Das könnte ein Grund für die Duldung der Vorschrift durch die anderen Parteien sein. '''Alternativen''': ersatzlose Streichung.. '''Antikritik''': politisch notwendige klare Grenzziehung zum rechten Rand. Literatur: [https://books.google.de/books?id=HxHXeP6wKAYC&pg=PA101&lpg=PA101&dq=Problematik+des+%C2%A7+86a+StGB&source=bl&ots=LRTqU0h7Na&sig=DVNqUk017h47XrknOYUEHcGvaUM&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwinsdfWvozZAhWSr6QKHWdOBccQ6AEIWTAI#v=onepage&q=Problematik%20des%20%C2%A7%2086a%20StGB&f=false Lutz Eidam (2015) Der Organisationsgedanke im Strafrecht, S. 100]


[https://lexetius.com/StGB/86a,2 § 86a StGB] soll nicht nur die Wiederbelebung des Nationalsozialismus verhindern, sondern jeden Anschein einer Duldung vermeiden. Vertrackt sind hierbei wie immer die Zweifelsfälle: Etwa, wenn nicht ganz klar wird, ob ein Symbol der Unterstützung oder Diffamierung dienen soll, oder wenn es in ein vorgeblich harmloses Symbol variiert wird, das Eingeweihte aber als Code erkennen.
=== Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter (§ 103 StGB) ===
Hörnle NStZ 2002, 114 Fn. 16 Schutzgut öffentlicher Friede problematisch. Staatsschutz ebenfalls. Vorfeldkriminalisierung.
[https://dejure.org/gesetze/StGB/103.html § 103 StGB] war ein Sondertatbestand der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Nach einem im Fernsehen ausgestrahlten Schmähgedicht von Jan Böhmermann auf den türkischen Präsidenten galt § 103 StGB vielen als nicht mehr zeitgemäß. Während sich Joachim Gauck als damaliger Bundespräsident zurückhaltend zur Abschaffung äußerte, machten SPD und Grüne Druck über den Bundesrat, die nach dem Skandal sowieso schon konsentierte Aufhebung des Gesetzes noch zu beschleunigen. Im Gesetzgebungsverfahren hatte der Bundesrat in seiner 954. Sitzung am  10.  März 2017 vorgeschlagen, das Datum des Inkrafttretens vorzuverlegen auf den Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt, und zwar mit der beispielhaften "Begründung: § 103 StGB ist aufzuheben. Es besteht kein sachlicher Grund, den Wegfall der Norm hinauszuzögern." Der Bundestag blieb aber bei seinem Zeitplan, der Bundesrat verzichtete auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses und das Gesetz wurde dann mit Wirkung vom 01.01.2018 durch das Gesetz zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten vom 17.07.2017 (BGBl. I S. 2439) aufgehoben.
 
[https://books.google.de/books?id=HxHXeP6wKAYC&pg=PA101&lpg=PA101&dq=Problematik+des+%C2%A7+86a+StGB&source=bl&ots=LRTqU0h7Na&sig=DVNqUk017h47XrknOYUEHcGvaUM&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwinsdfWvozZAhWSr6QKHWdOBccQ6AEIWTAI#v=onepage&q=Problematik%20des%20%C2%A7%2086a%20StGB&f=false Lutz Eidam (2015) Der Organisationsgedanke im Strafrecht, S. 100]
 
Einzelne Mitglieder der Piratenpartei sprachen sich für die Abschaffung aus, weil das Verbot den Objekten eine Kraft verleihe, die ihnen nicht zukommen solle. 2014 forderte Höcke in einer parteiinternen E-Mail die Abschaffung von § 86 (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen) und § 130 StGB (Volksverhetzung und die Leugnung des Holocausts).


===Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§§ 129a,b StGB) ===
===Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§§ 129a,b StGB) ===
Der Paragraph 129 a, b StGB ist seit seiner
Kritik: 1997 forderte die Bundestagsfraktion von B90/DIE GRÜNEN die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der "zumindest" die Streichung des Tatbestandes der terroristischen Vereinigung (§ 129a), des gesamten Kronzeugengesetzes, des Kontaktsperregesetzes und des Verbots der Mehrfachverteidigung vorsehen sollte (BT-DS 13/9460: 3). Die Konturlosigkeit des Organisationsdelikts kollidiere mit dem Bestimmtheitsgebot des Artikel 103 II GG und dem Schuld- und Tatstrafrecht gem. Art. 2 I GG. Paragraf 129 a bedrohe auch diejenigen, die sich der öffentlichen Diskussion stellen und sich mit den Ursachen des Terrorismus auseinandersetzten (Autoren, Verlage, Buchhändler). Von 1980-1996 "wurden gegen mehr als 6000 Menschen Verfahren auch oder nur aufgrund des Verdachtes nach § 129a StGB, davon 4985 Verfahren wegen des Verdachtes des Werbens und Unterstützens einer terroristischen Vereinigung geführt" - aber nur 6 Urteile stützten sich auf diesen Paragrafen. Aber eine Vielzahl von Menschen wurde drangsaliert und eingeschüchtert. 2008 äußerte sich eine SPD-Juristin (Drohsel 2008) in Bezug auf §§ 129 a und b StGB ganz ähnlich: "Der Umgang mit  politisch  Andersdenkenen  ist  symptomatisch für den Zustand eines freiheitlichen und rechtsstaatlichen Landes. .. Kommt es tatsächlich zu terroristischen Straftaten, werden die Delikte durch den Straftatbestand selbst  erfasst.  Jedoch  können  über  die Konstruktion des § 129 a StGB auch Personen belangt werden, denen keine konkrete Beteiligung nachgewiesen werden kann. §  129  a,  b  StGB  stellt  einen  Fremdkörper  im deutschen  Strafrecht  dar,  da  eine  konkrete  Tat  des Beschuldigten nicht erforderlich ist, sondern die angebliche Gesinnung des Beschuldigten ausreicht. Es liegt mit dem § 129 a, b StGB eine Kollision mit  dem  Bestimmtheitsgebot  aus  Art.  103 Abs. 2 GG und des Schuld- und Tatstrafrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG vor. § 129 a, b StGB ist eine Norm des Strafrechts, die „eine Strafbarkeit bereits weit im Vorfeld der Vorbereitung  konkreter  strafbarer  Handlungen“ (BGH 28, 148, 11.10.1978) begründet. Bei Handlungen,  die  „normalerweise“  keine  Strafbarkeit  begründen,  handelt  es  sich  z.B.  um  Reden,  Treffen, etc.. Die Strafbarkeit wird also in ein Stadium vorverlagert, in dem ein konkreter Bezug zur Verwirklichung einer individuellen Rechtsverstoßes noch nicht gegeben ist. Es verschwimmt die Abgrenzung zwischen legalem Handeln und Delikt. Elemente des repressiven Strafrechts werden mit denen der präventiven Gefahrenabwehr vermischt.
Entstehung  umstritten.  Nicht  zuletzt  an-
gesichts der Ereignisse von Heiligendamm
und des Verfahrens  gegen  den  Berliner  Sozial-
wissenschaftler Andre H. rückte der so genannte
„Terro rismusparagraph“ wieder in den öffentlichen
Blickpunkt. Versuche, politische Opposition zu kri-
minalisieren und mithilfe der Justiz mundtot zu
machen, gab und gibt es immer wieder. Der Um-
gang mit  politisch  Andersdenkenen  ist  sympto-
matisch für den Zustand eines freiheitlichen und  
rechtsstaatlichen Landes. Deshalb darf diese The-
matik von der Sozialdemokratie nicht vernachläs-
sigt werden.
Der § 129 a, b StGB thematisiert die Strafbarkeit
einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Ver-
einigung. Kommt es tatsächlich zu terroristischen  
Straftaten, werden die Delikte durch den Straftat-
bestand selbst  erfasst.  Jedoch  können  über  die
Konstruktion des § 129 a StGB auch Personen be-
langt werden, denen keine konkrete Beteiligung  
nachgewiesen werden kann.  
§  129  a,  b  StGB  stellt  einen  Fremdkörper  im
deutschen  Strafrecht  dar,  da  eine  konkrete  Tat   
des Beschuldigten nicht erforderlich ist, sondern  
die angebliche Gesinnung des Beschuldigten aus-
reicht. Es liegt mit dem § 129 a, b StGB eine Kolli-
sion mit  dem  Bestimmtheitsgebot  aus  Art.  103
Abs. 2 GG und des Schuld- und Tatstrafrechts aus  
Art. 2 Abs. 1 GG vor.
§ 129 a, b StGB ist eine Norm des Strafrechts,  
die „eine Strafbarkeit bereits weit im Vorfeld der  
Vorbereitung  konkreter  strafbarer  Handlungen“
(BGH 28, 148, 11.10.1978) begründet. Bei Handlun-
gen,  die  „normalerweise“  keine  Strafbarkeit  begründen,  handelt  es  sich  z.B.  um  Reden,  Treffen,  
etc.. Die Strafbarkeit wird also in ein Stadium vor
verlagert, in dem ein konkreter Bezug zur Verwirk-
lichung einer individuellen Rechtsverstoßes noch  
nicht gegeben ist. Es verschwimmt die Abgrenzung  
zwischen legalem Handeln und Delikt. Elemente  
des repressiven Strafrechts werden mit denen der  
präventiven Gefahrenabwehr vermischt.  
So  wird  §  129  a,  b  Strafprozessordnung  auch als „Schnüffelparagraph“ bezeichnet, da er weitreichende Möglichkeiten zur staatlichen Überwa-chung in einem vom Staat zu defi  nierenden  Personenkreis beinhaltet, gegen die sich der/die Betroffene mangels Kenntnis des Verfahrens nicht wehren kann. Hier sind insbesondere auch die weitreichenden Ermittlungsmaßnahmen der StPO zu nennen.  
So  wird  §  129  a,  b  Strafprozessordnung  auch als „Schnüffelparagraph“ bezeichnet, da er weitreichende Möglichkeiten zur staatlichen Überwa-chung in einem vom Staat zu defi  nierenden  Personenkreis beinhaltet, gegen die sich der/die Betroffene mangels Kenntnis des Verfahrens nicht wehren kann. Hier sind insbesondere auch die weitreichenden Ermittlungsmaßnahmen der StPO zu nennen.  
Faktisch fungiert der § 129 a, b StGB als „Einschüchter ungsparagraph“, der mit schnelleren Hausdurchsuchungen, erleichterte Untersuchungshaft, höheren Kontrollmöglichkeiten etc. massive Grundrechtseingriffe ermöglicht.Ausdruck liberalen Gedankenguts war die Be-
Faktisch fungiert der § 129 a, b StGB als „Einschüchter ungsparagraph“, der mit schnelleren Hausdurchsuchungen, erleichterte Untersuchungshaft, höheren Kontrollmöglichkeiten etc. massive Grundrechtseingriffe ermöglicht.Ausdruck liberalen Gedankenguts war die Be-
grenzung strafrechtlichen Staatsschutzes auf dieVerteidigung  der  staatlichen  Ordnung  und  Inte-grität.  Autoritäre  Strömungen  versuchten  stets, den Präventivkampf gegen politische Abweichler-Innen mit vordemokratischen Elementen, wie der Vorverlagerung von Strafbarkeit, zu führen. (Drohsel 2008).
grenzung strafrechtlichen Staatsschutzes auf dieVerteidigung  der  staatlichen  Ordnung  und  Inte-grität.  Autoritäre  Strömungen  versuchten  stets, den Präventivkampf gegen politische Abweichler-Innen mit vordemokratischen Elementen, wie der Vorverlagerung von Strafbarkeit, zu führen.
 
=== Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter (§ 103 StGB) ===
[https://dejure.org/gesetze/StGB/103.html § 103 StGB] war ein Sondertatbestand der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Nach einem im Fernsehen ausgestrahlten Schmähgedicht von Jan Böhmermann auf den türkischen Präsidenten galt § 103 StGB vielen als nicht mehr zeitgemäß. Während sich Joachim Gauck als damaliger Bundespräsident zurückhaltend zur Abschaffung äußerte, machten SPD und Grüne Druck über den Bundesrat, die nach dem Skandal sowieso schon konsentierte Aufhebung des Gesetzes noch zu beschleunigen. Im Gesetzgebungsverfahren hatte der Bundesrat in seiner 954. Sitzung am  10.  März 2017 vorgeschlagen, das Datum des Inkrafttretens vorzuverlegen auf den Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt, und zwar mit der beispielhaften "Begründung: § 103 StGB ist aufzuheben. Es besteht kein sachlicher Grund, den Wegfall der Norm hinauszuzögern." Der Bundestag blieb aber bei seinem Zeitplan, der Bundesrat verzichtete auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses und das Gesetz wurde dann mit Wirkung vom 01.01.2018 durch das Gesetz zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten vom 17.07.2017 (BGBl. I S. 2439) aufgehoben.
 
=== Gotteslästerung (§ 166 StGB) ===
Im Schönfelder heißt [https://dejure.org/gesetze/StGB/166.html § 166 StGB] natürlich nicht mehr Gotteslästerung oder Blasphemie, sondern "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" und bedroht mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren, wer "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", den Inhalt von anderer Leute religiöser Lehre oder eine Kirche oder Religion beschimpft. Jährlich kommt es zu ca. 15 Verurteilungen.
 
Geschütztes Rechtsgut ist der öffentliche Frieden, nicht das Bekenntnis als solches oder die bloßen Gefühle seiner Anhänger. Beschimpfen ist eine besonders gravierende herabsetzende Äußerung. Die beschimpfenden Äußerungen müssen nicht an die Kreise gerichtet sein, in denen sie zur Störung des öffentlichen Friedens führen können. Es genügt, wenn zu befürchten ist, dass sie dort bekannt werden.
 
§ 166 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, d.h. der öffentliche Frieden muss durch die Beschimpfung nicht tatsächlich gefährdet sein, sondern berechtigte Gründe für die Befürchtung, der öffentliche Frieden könnte gestört werden, reichen aus. Die Beurteilung, ob das der Fall ist, soll aus der Perspektive eines objektiven, nicht besonders empfindlichen Beobachters erfolgen.


'''Kritik'''
Kritiker sehen in der Vorschrift eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Beleidigungstatbestände und die Strafbarkeit der Volksverhetzung [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/blasphemie-charlie-hebdo-bosbach müssten als Schutz für Religiöse genügen] (Volker Beck). Insbesondere durch eine einseitige Anwendung verleite der Paragraph zu einem Schutz der Mehrheitsmeinung, nicht aber zwangsläufig zum Schutz einer Minderheitsmeinung, da die Interessen kleinerer Gruppen seltener mit dem „öffentlichen Frieden“ gleichgesetzt werden. Sie lehnen den Paragraphen auch als sogenannten Gummiparagraphen ab, insbesondere, weil nicht klar sei, wie „Beschimpfung“ zu definieren ist – darunter könne jede negative Äußerung fallen. Noch fraglicher sei, wann eine solche „Beschimpfung“ geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (die „Eignung“ reicht; sog. abstraktes Gefährdungsdelikt). Kritiker behaupten, eine solche „Friedensstörung“ könne – analog zur Volksverhetzung – a posteriori (nachträglich) konstruiert werden, wenn sich Gläubige beschwerten. Zudem kann die Friedensstörung durch die betroffene Religionsgemeinschaft bewusst herbeigeführt werden, damit der Paragraph zur Anwendung kommen kann, beispielsweise durch Anwendung von Gewalt gegen die "Gotteslästerer" oder durch die Blockade eines Theaters, in dem ein religionskritisches Stück aufgeführt werden soll. Andererseits könne in politischen Wetterlagen, in denen die Verfolgung von Gotteslästerern nicht opportun sei, fast immer damit argumentiert werden, der Beschuldigte sei nicht bekannt genug, um mit seinen Äußerungen eine breite Öffentlichkeit zu schockieren.- Kritisiert wird, dass der Staat damit das kritische Denken unterdrücke: „Das zentrale Merkmal der Aufklärung ist, alles hinterfragen zu dürfen. Das Licht der Vernunft soll in jeden Winkel scheinen, um Unterdrückung, Aberglaube, Intoleranz und Vorurteile zu überwinden. (...) Der Staat macht sich mit solchen Gesetzen zum Unterstützer der Feinde des offenen Diskurses. Vertreter jedweder Ideologie, ob politisch oder religiös, müssen es schlicht ertragen können, dass ihre Weltanschauung hinterfragt, kritisiert und, ja, auch lächerlich gemacht wird.“ - Der Paragraph ist stark in der Kritik von atheistischen Gruppen und Kirchenkritikern sowie von Künstlern, die sich in ihrer Freiheit beschnitten fühlen. Kurt Tucholsky meinte zu diesem „mittelalterlichen Diktaturparagraphen“ (in der vorhergehenden Fassung): „Ich mag mich nicht gern mit der Kirche auseinandersetzen; es hat ja keinen Sinn, mit einer Anschauungsweise zu diskutieren, die sich strafrechtlich hat schützen lassen.“


Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon kritisierte nach dem Anschlag auf das Redaktionsbüro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, dass „[d]er öffentliche Friede […] nicht durch Künstler gestört [wird], die Religionen satirisch aufs Korn nehmen, sondern durch Fanatiker, die auf Kritik nicht angemessen reagieren können“. Er forderte die Abschaffung des § 166 StGB: „In der Praxis hat dieser Paragraph zu einer völligen Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses geführt. Namhafte Künstler wie Kurt Tucholsky oder George Grosz wurden mit Hilfe dieses Zensurparagraphen gemaßregelt. Tatsächlich aber wurde der öffentliche Friede niemals durch kritische Kunst bedroht, sondern vielmehr durch religiöse oder politische Fanatiker, die nicht in der Lage waren, die künstlerische Infragestellung ihrer Weltanschauung rational zu verarbeiten.“
"Nach dem Anschlag auf 'Charlie Hebdo': Gotteslästerungsparagraphen 166 StGB abschaffen!", forderte nicht nur die Giordano-Bruno-Stiftung (08.01.2015). Auch die [https://www.fdp.de/forderung/100-2 FDP nahm diese Forderung in ihr Programm auf]: der Staat solle die Kunstfreiheit schützen - und nicht die Gefühle religiöser Fanatiker. "Auch wenn absichtliche Schmähungen Andersgläubiger oder Andersdenkender nicht förderlich für ein friedliches Miteinander sind, halten wir den Blasphemie-Paragraphen 166 StGB für überflüssig und wollen ihn abschaffen."
*[https://weltanschauungsrecht.de/meldung/Abschaffung-§166-StGB-Jamaika  30.09.2017 - (ifw) die Forderung zur Abschaffung des § 166 Strafgesetzbuch (StGB) durch den Deutschen Bundestag bekräftigt. Laut ifw ist die rechtspolitische Ausgangslage für eine Abschaffung des Blasphemieparagrafen so gut, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Zu dieser Einschätzung kommt das Institut nach einer ...Institut für Weltanschauungsrecht]
Zu den rechtspolitischen Gründen der Abschaffungsforderung sagt Jacqueline Neumann, wissenschaftliche Koordinatorin des ifw: "Der § 166 StGB verletzt das Rechtsstaatsprinzip und den Bestimmtheitsgrundsatz im Grundgesetz." Gemäß Grundgesetz Art. 103 Abs. 2 muss die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt sein, bevor die Tat begangen wurde. Jedoch wird nach § 166 StGB die Meinungsäußerung erst nachträglich durch das Handeln des "Opfers" zu einer Straftat, nämlich, wenn das "Opfer" für eine Störung des öffentlichen Friedens sorgt oder damit droht oder einer Religionsgruppe angehört, bei der die deutschen Strafverfolgungsbehörden mit einer Störung des öffentlichen Friedens rechnen können. Zudem ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten der Bestimmtheitsgrundsatz einzuhalten. Der "öffentliche Friede", definiert als Zustand allgemeiner Rechtssicherheit ermöglicht keine Abgrenzung straflosen und strafbewehrten Verhaltens. Als Unrechtsbegründung bleibt der Hinweis auf eine drohende Trübung der Sicherheitserwartungen zirkulär: Der öffentliche Frieden soll nur durch eine Unrechtstat gestört werden können, die gerade deswegen Unrechtstat ist, weil sie den öffentlichen Frieden störe. Der Ansatz setzt den Unrechtsgehalt der Handlung voraus, den es erst noch zu begründen gilt. Nicht das Unrecht des potenziellen Gefährdungserfolges, sondern der Tat (des Beschimpfens) muss begründet werden. (Stübinger, Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 166 Rn. 2).


=== Holocaust-Leugnung (§ 130 Abs. 3 StGB) ===
=== Holocaust-Leugnung (§ 130 Abs. 3 StGB) ===
Zeile 164: Zeile 74:


Hans-Ulrich Wehler: „Die Leugnung eines so unvorstellbaren Mordes an Millionen – ein Drittel aller Ermordeten waren Kinder unter 14 Jahren – kann man nicht so einfach hinnehmen als etwas, was durch die freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Es sollte schon eine Rechtszone geben, in der diese Lüge verfolgt wird. Bei einer Güterabwägung finde ich – so sehr ich für das Recht auf Meinungsfreiheit bin –, kann man die Leugnung des Holocausts nicht mit einem Übermaß an Generösität hinter freier Meinungsäußerung verstecken. […] Dass das Thema in Anatolien, Brasilien oder China so weit weg ist und deshalb nicht viele interessiert, kann kein Grund für uns sein, auf die Strafverfolgung zu verzichten. Die universelle Gültigkeit dieser Kritik und der Strafverfolgung kann nicht der Maßstab dafür sein, ob man sie unternimmt oder sein lässt.“
Hans-Ulrich Wehler: „Die Leugnung eines so unvorstellbaren Mordes an Millionen – ein Drittel aller Ermordeten waren Kinder unter 14 Jahren – kann man nicht so einfach hinnehmen als etwas, was durch die freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Es sollte schon eine Rechtszone geben, in der diese Lüge verfolgt wird. Bei einer Güterabwägung finde ich – so sehr ich für das Recht auf Meinungsfreiheit bin –, kann man die Leugnung des Holocausts nicht mit einem Übermaß an Generösität hinter freier Meinungsäußerung verstecken. […] Dass das Thema in Anatolien, Brasilien oder China so weit weg ist und deshalb nicht viele interessiert, kann kein Grund für uns sein, auf die Strafverfolgung zu verzichten. Die universelle Gültigkeit dieser Kritik und der Strafverfolgung kann nicht der Maßstab dafür sein, ob man sie unternimmt oder sein lässt.“
=== Gotteslästerung (§ 166 StGB) ===
Im Schönfelder heißt [https://dejure.org/gesetze/StGB/166.html § 166 StGB] natürlich nicht mehr Gotteslästerung oder Blasphemie, sondern "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" und bedroht mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren, wer "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", den Inhalt von anderer Leute religiöser Lehre oder eine Kirche oder Religion beschimpft. Jährlich kommt es zu ca. 15 Verurteilungen.
Geschütztes Rechtsgut ist der öffentliche Frieden, nicht das Bekenntnis als solches oder die bloßen Gefühle seiner Anhänger. Beschimpfen ist eine besonders gravierende herabsetzende Äußerung. Die beschimpfenden Äußerungen müssen nicht an die Kreise gerichtet sein, in denen sie zur Störung des öffentlichen Friedens führen können. Es genügt, wenn zu befürchten ist, dass sie dort bekannt werden.
§ 166 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, d.h. der öffentliche Frieden muss durch die Beschimpfung nicht tatsächlich gefährdet sein, sondern berechtigte Gründe für die Befürchtung, der öffentliche Frieden könnte gestört werden, reichen aus. Die Beurteilung, ob das der Fall ist, soll aus der Perspektive eines objektiven, nicht besonders empfindlichen Beobachters erfolgen.
'''Kritik'''
Kritiker sehen in der Vorschrift eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Beleidigungstatbestände und die Strafbarkeit der Volksverhetzung [http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/blasphemie-charlie-hebdo-bosbach müssten als Schutz für Religiöse genügen] (Volker Beck). Insbesondere durch eine einseitige Anwendung verleite der Paragraph zu einem Schutz der Mehrheitsmeinung, nicht aber zwangsläufig zum Schutz einer Minderheitsmeinung, da die Interessen kleinerer Gruppen seltener mit dem „öffentlichen Frieden“ gleichgesetzt werden. Sie lehnen den Paragraphen auch als sogenannten Gummiparagraphen ab, insbesondere, weil nicht klar sei, wie „Beschimpfung“ zu definieren ist – darunter könne jede negative Äußerung fallen. Noch fraglicher sei, wann eine solche „Beschimpfung“ geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (die „Eignung“ reicht; sog. abstraktes Gefährdungsdelikt). Kritiker behaupten, eine solche „Friedensstörung“ könne – analog zur Volksverhetzung – a posteriori (nachträglich) konstruiert werden, wenn sich Gläubige beschwerten. Zudem kann die Friedensstörung durch die betroffene Religionsgemeinschaft bewusst herbeigeführt werden, damit der Paragraph zur Anwendung kommen kann, beispielsweise durch Anwendung von Gewalt gegen die "Gotteslästerer" oder durch die Blockade eines Theaters, in dem ein religionskritisches Stück aufgeführt werden soll. Andererseits könne in politischen Wetterlagen, in denen die Verfolgung von Gotteslästerern nicht opportun sei, fast immer damit argumentiert werden, der Beschuldigte sei nicht bekannt genug, um mit seinen Äußerungen eine breite Öffentlichkeit zu schockieren.- Kritisiert wird, dass der Staat damit das kritische Denken unterdrücke: „Das zentrale Merkmal der Aufklärung ist, alles hinterfragen zu dürfen. Das Licht der Vernunft soll in jeden Winkel scheinen, um Unterdrückung, Aberglaube, Intoleranz und Vorurteile zu überwinden. (...) Der Staat macht sich mit solchen Gesetzen zum Unterstützer der Feinde des offenen Diskurses. Vertreter jedweder Ideologie, ob politisch oder religiös, müssen es schlicht ertragen können, dass ihre Weltanschauung hinterfragt, kritisiert und, ja, auch lächerlich gemacht wird.“ - Der Paragraph ist stark in der Kritik von atheistischen Gruppen und Kirchenkritikern sowie von Künstlern, die sich in ihrer Freiheit beschnitten fühlen. Kurt Tucholsky meinte zu diesem „mittelalterlichen Diktaturparagraphen“ (in der vorhergehenden Fassung): „Ich mag mich nicht gern mit der Kirche auseinandersetzen; es hat ja keinen Sinn, mit einer Anschauungsweise zu diskutieren, die sich strafrechtlich hat schützen lassen.“
Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon kritisierte nach dem Anschlag auf das Redaktionsbüro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, dass „[d]er öffentliche Friede […] nicht durch Künstler gestört [wird], die Religionen satirisch aufs Korn nehmen, sondern durch Fanatiker, die auf Kritik nicht angemessen reagieren können“. Er forderte die Abschaffung des § 166 StGB: „In der Praxis hat dieser Paragraph zu einer völligen Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses geführt. Namhafte Künstler wie Kurt Tucholsky oder George Grosz wurden mit Hilfe dieses Zensurparagraphen gemaßregelt. Tatsächlich aber wurde der öffentliche Friede niemals durch kritische Kunst bedroht, sondern vielmehr durch religiöse oder politische Fanatiker, die nicht in der Lage waren, die künstlerische Infragestellung ihrer Weltanschauung rational zu verarbeiten.“
"Nach dem Anschlag auf 'Charlie Hebdo': Gotteslästerungsparagraphen 166 StGB abschaffen!", forderte nicht nur die Giordano-Bruno-Stiftung (08.01.2015). Auch die [https://www.fdp.de/forderung/100-2 FDP nahm diese Forderung in ihr Programm auf]: der Staat solle die Kunstfreiheit schützen - und nicht die Gefühle religiöser Fanatiker. "Auch wenn absichtliche Schmähungen Andersgläubiger oder Andersdenkender nicht förderlich für ein friedliches Miteinander sind, halten wir den Blasphemie-Paragraphen 166 StGB für überflüssig und wollen ihn abschaffen."
*[https://weltanschauungsrecht.de/meldung/Abschaffung-§166-StGB-Jamaika  30.09.2017 - (ifw) die Forderung zur Abschaffung des § 166 Strafgesetzbuch (StGB) durch den Deutschen Bundestag bekräftigt. Laut ifw ist die rechtspolitische Ausgangslage für eine Abschaffung des Blasphemieparagrafen so gut, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Zu dieser Einschätzung kommt das Institut nach einer ...Institut für Weltanschauungsrecht]
Zu den rechtspolitischen Gründen der Abschaffungsforderung sagt Jacqueline Neumann, wissenschaftliche Koordinatorin des ifw: "Der § 166 StGB verletzt das Rechtsstaatsprinzip und den Bestimmtheitsgrundsatz im Grundgesetz." Gemäß Grundgesetz Art. 103 Abs. 2 muss die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt sein, bevor die Tat begangen wurde. Jedoch wird nach § 166 StGB die Meinungsäußerung erst nachträglich durch das Handeln des "Opfers" zu einer Straftat, nämlich, wenn das "Opfer" für eine Störung des öffentlichen Friedens sorgt oder damit droht oder einer Religionsgruppe angehört, bei der die deutschen Strafverfolgungsbehörden mit einer Störung des öffentlichen Friedens rechnen können. Zudem ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten der Bestimmtheitsgrundsatz einzuhalten. Der "öffentliche Friede", definiert als Zustand allgemeiner Rechtssicherheit ermöglicht keine Abgrenzung straflosen und strafbewehrten Verhaltens. Als Unrechtsbegründung bleibt der Hinweis auf eine drohende Trübung der Sicherheitserwartungen zirkulär: Der öffentliche Frieden soll nur durch eine Unrechtstat gestört werden können, die gerade deswegen Unrechtstat ist, weil sie den öffentlichen Frieden störe. Der Ansatz setzt den Unrechtsgehalt der Handlung voraus, den es erst noch zu begründen gilt. Nicht das Unrecht des potenziellen Gefährdungserfolges, sondern der Tat (des Beschimpfens) muss begründet werden. (Stübinger, Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 166 Rn. 2).


==Sexualität, Fortpflanzung, Sterben ==
==Sexualität, Fortpflanzung, Sterben ==
===Inzest (§ 173 StGB) ===
§ 173 stellt den vaginalen Beischlaf zwischen in gerader Linie Verwandten sowie zwischen Voll- und Halbgeschwistern unter Strafe. Jährlich kommt es zu acht bis zwölf Verurteilungen. Die Strafbarkeit von inzestuellen Handlungen ist gesellschaftlich umstritten, wurde aber sowohl vom BVerfG (2008) als auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2012) gutgeheißen. '''Kritik''': Unverhältnismäßigkeit, Fehlen widerspruchsfreier Begründung (Sondervotum Hassemer: der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts kritisierte die Unverhältnismäßigkeit und das Fehlen eines Rechtsguts: bei von volljährigen, einvernehmlich handelnden Geschwistern sei nicht klar, wessen Rechte durch den Geschlechtsverkehr eingeschränkt werden sollten. Eugenik sei problematisch (wieso Strafbarkeit auch bei Verhütung und vorheriger Sterilisation?); Schutz der Gesundheit potentieller Nachkommen kein legitimer Grund für Strafgesetze. § 173 StGB sei auch nicht geeignet, dem Schutz von Ehe und Familie zu dienen: Zu diesem Zweck sei die Vorschrift einerseits zu eng, weil sie nur den Beischlaf, nicht aber andere sexuelle Handlungen unter Strafe stellt und nicht-leibliche Geschwister nicht mit einbezieht, andererseits zu weit, weil sie Verhaltensweisen erfasse, die sich auf das Familienleben nicht (mehr) schädlich auswirken können.). Höherrangigkeit des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung gegenüber genetisch bedingten Risiken für den aus Inzest möglicherweise resultierenden Nachwuchs. Sozialpädagogik und Familien-,bzw. Vormundschaftsgerichte sind besser und hinreichend. Forderung nach Abschaffung: Grüne Jugend (2008); Grüne und Piratenpartei (jeweils 2012). Beischlaf von beispielsweise Elternteilen und minderjährigen Kindern bliebe davon unberührt (§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Jerzy  Montag (Grüne): die strafrechtliche Verfolgung vom Beischlaf unter Verwandten und Geschwistern“ sei ein „Anachronismus“ und moralische Tabus dürften nicht mit dem Strafrecht durchgesetzt werden. 2014 empfahl der Deutsche Ethikrat mehrheitlich, den Geschwisterinzest zu entkriminalisieren und § 173 StGB abzuschaffen. Das Grundrecht der erwachsenen Geschwister auf sexuelle Selbstbestimmung sei stärker zu gewichten als das abstrakte Schutzgut Familie. In anderen Ländern ist Inzest zwar ein gesellschaftliches Tabu, aber kein Straftatbestand. Der Code Napoléon (1810) machte ihn in Frankreich straflos; es folgten die Niederlande, Portugal und Spanien; auch in der Türkei, China, der Elfenbeinküste und Russland ist einvernehmlicher Beischlaf zwischen Verwandten juristisch nicht relevant. (Anderes gilt natürlich für sexuelle Übergriffe innerhalb der Familie). '''Antikritik''': Mit Beschluss vom 26. Februar 2008 entschied das Bundesverfassungsgericht, § 173 StGB sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Schutz von Ehe und Familie und Schutz der sexuellen Selbstbestimmung gegenüber spezifischen, durch die Nähe in der Familie bedingte oder in der Verwandtschaft wurzelnde Abhängigkeiten, rechtfertige ebenso wie der Schutz vor Erbschäden die Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit. Die CDU/CSU befürchtete "ein falsches Signal"; eine Entkriminalisierung laufe dem Schutz der unbeeinträchtigten Entwicklung von Kindern in ihren Familien zuwider. In fast allen Fällen gehe Inzest mit der Abhängigkeit eines Partners und äußerst schwierigen Familienverhältnissen einher. Justizminister Maas lehnte im September 2014 sowohl eine Abschaffung als auch eine Reform des 173 StGB ab.
===Homosexualität (§ 175 StGB)===
===Homosexualität (§ 175 StGB)===
§ 175 StGB existierte von 1872 (Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches) bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Bis 1969 bestrafte er auch die „widernatürliche Unzucht mit Tieren“ (ab 1935 nach § 175b ausgelagert). Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer nach den verschiedenen Fassungen des § 175 verurteilt. 1935 wurde die Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis angehoben. Außerdem wurde der Tatbestand von beischlafähnlichen auf sämtliche „unzüchtigen“ Handlungen ausgeweitet. Der neu eingefügte § 175a bestimmte für „erschwerte Fälle“ zwischen einem und zehn Jahren Zuchthaus.  
§ 175 StGB existierte von 1872 (Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches) bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Bis 1969 bestrafte er auch die „widernatürliche Unzucht mit Tieren“ (ab 1935 nach § 175b ausgelagert). Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer nach den verschiedenen Fassungen des § 175 verurteilt. 1935 wurde die Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis angehoben. Außerdem wurde der Tatbestand von beischlafähnlichen auf sämtliche „unzüchtigen“ Handlungen ausgeweitet. Der neu eingefügte § 175a bestimmte für „erschwerte Fälle“ zwischen einem und zehn Jahren Zuchthaus.  
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'''Antikritik:'''
'''Antikritik:'''
Ab 1993 distanzierte sich Beck von dieser Position und bezeichnet sie heute als „abwegigen Stuss“ und „großen Fehler“. Auch Daniel Cohn-Bendit distanzierte sich mittlerweile von seinen früheren diesbezüglichen Äußerungen. Wenn sich die Protagonisten der Entkriminalisierung öffentlich und vehement gegen ihre eigenen Ansichten wenden, ist die Sache der Entkriminalisierung in diesem Bereich unter politisch-praktischen Gesichtspunkten auf absehbare Zeit verloren. Auch wenn das Verhalten der Sache nach unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten vielleiht tatsächlich nicht strafwürdig und nicht strafbedürftig sein sollte.
Ab 1993 distanzierte sich Beck von dieser Position und bezeichnet sie heute als „abwegigen Stuss“ und „großen Fehler“. Auch Daniel Cohn-Bendit distanzierte sich mittlerweile von seinen früheren diesbezüglichen Äußerungen. Wenn sich die Protagonisten der Entkriminalisierung öffentlich und vehement gegen ihre eigenen Ansichten wenden, ist die Sache der Entkriminalisierung in diesem Bereich unter politisch-praktischen Gesichtspunkten auf absehbare Zeit verloren. Auch wenn das Verhalten der Sache nach unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten vielleiht tatsächlich nicht strafwürdig und nicht strafbedürftig sein sollte.
=== Geschwisterinzest (§ 173 StGB) ===
„Wir wollen den §173 StGB abschaffen und somit den Geschwisterinzest legalisieren.“ [https://books.google.de/books?id=QR8lDgAAQBAJ&pg=PT238&lpg=PT238&dq=%22StGB+abschaffen%22&source=bl&ots=2sVKhZQysg&sig=vfw-7qYawHwNvgnX98EbFb68r0g&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjB9YqJjIfZAhUNGuwKHYY8APk4HhDoAQgpMAE#v=onepage&q=%22StGB%20abschaffen%22&f=false Jennifer Stoll: Broken Wings- zerbrochene Träume].
Hallo, ich habe in den Nachrichten gerade wieder was über das "Inzest-Paar" gehört. Desweiteren habe ich gehört, dass in vielen Ländern Gesetze, die Inzest verbieten, bereits abgeschafft wurden. Was meint ihr: Sollte in Deustchland der § 173 StGB ebenfalls abgeschafft werden? MfG mastercpp ...
Hassemer


=== Exhibitionismus (§ 183 StGB) ===
=== Exhibitionismus (§ 183 StGB) ===
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inalisierungsseite noch über allzu wenig Einfluss verfügt, obwohl sie die besseren Argument auf ihrer Seite hat. Doch sehen wir uns die Sache genauer an.
inalisierungsseite noch über allzu wenig Einfluss verfügt, obwohl sie die besseren Argument auf ihrer Seite hat. Doch sehen wir uns die Sache genauer an.
'''Fazit''':  
'''Fazit''':  
Der heutigen Tendenz zur Ausweitung des Strafrechts durch eine Flut von abstrakten Gefährdungs-, von Organisations- und Unternehmens-Tatbeständen im weiten Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen treten die Vertreter eines liberalen Kernstrafrechts mit der Forderung nach einem Rückbau entgegen. Die Grundlagen eines Kernstrafrechts hatte 1974 schon Arthur Kaufmann skizziert. Und Wolfgang Naucke gab wenig später die Meßlatte vor (1981: 94), die an Strafgesetzgebung anzulegen sei. Danach muss zunächst einmal die Strafwürdigkeit und die Strafbedürftigkeit des Verhaltens nachgewiesen werden. Es sind nachvollziehbare Überlegungen über die voraussichtliche Effektivität und Effizienz des Strafgesetzes anzustellen und darzulegen. Schließlich ist die Strafgesetzgebung zu beschränken "auf jene Taten, die, weil sie die vitalen Güter des einzelnen Menschen, seine Freiheit überhaupt, verletzen, mit Sicherheit strafwürdig sind. Die Gesetze sind klar und deutlich gefasst. Die Strafbarkeitsvoraussetzungen und die Strafen sind für jedermann verständlich. Die Grenzen der Strafbarkeit sind unmissverständlich bestimmt." Alles andere gehört - wenn es überhaupt verbotswürdig und -bedürftig ist - in andere Rechtsgebiete und Sanktionsformen, die in der Regel ebenso effizient sein können (oder effizienter) und zudem ohne sozialethischen Tadel und Freiheitsstrafe auskommen.
Die Forderung nach einer Reduzierung des Strafrechts auf ein Kernstrafrecht entspricht der Grundidee des freiheitlichen Rechtsstaats, staatliche Eingriffe in die Sphäre der Bürger so gering wie möglich zu halten. Dementsprechend hatte schon Montesquieu gesagt: "Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch." Mittermaier sah schon 1819 einen "Grundfehler" darin, „die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen.“ Ähnlich Franz von Liszt: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“ (zit. nach Roos 1981: 7 f.). Und auch der ultima ratio Grundsatz gebietet bekanntlich, das Strafrecht als schwerstes Eingriffsinstrument nur dann einzusetzen, wenn andere Möglichkeiten ausgereizt sind.


*Hohe Einstellungsquoten zeigen oft, dass Strafgesetze nicht bestimmt genug sind, vielfach auf nicht strafwürdige Bagatellen stoßen und deshalb von der Praxis notdürftig abgemildert werden. In solchen Fällen wäre es aus rechtsstaatlichen Gründen besser, eine materiellrechtliche Regelung zu finden, die den großen Graubereich entkriminalisiert und, wenn nötig, zur Ordnungswidrigkeit herabstuft.
*Hohe Einstellungsquoten zeigen oft, dass Strafgesetze nicht bestimmt genug sind, vielfach auf nicht strafwürdige Bagatellen stoßen und deshalb von der Praxis notdürftig abgemildert werden. In solchen Fällen wäre es aus rechtsstaatlichen Gründen besser, eine materiellrechtliche Regelung zu finden, die den großen Graubereich entkriminalisiert und, wenn nötig, zur Ordnungswidrigkeit herabstuft.
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