Handout Strafverteidigertag 2018: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Kritik''': Es fehlt angesichts zivilrechtlicher Alternativen an Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit privater nicht-kommerzieller Urheberrechtsverletzungen. 2012 wollte die Piratenpartei [https://www.welt.de/politik/deutschland/article106351781/Piraten-wollen-Tauschboersen-entkriminalisieren.html das private, direkte, nichtkommerzielle Filesharing und die Weitergabe von Werken entkriminalisieren]. '''Alternative''': Einschränkung der Strafbarkeit auf gewerbsmäßige Verletzungen, Streichung von § 107 UrhG und Reform der übrigen Straftatbestände (Gregor Albach, 2015, Zur Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit privater Urheberrechtsverletzungen).  '''Antikritik''': Vor allem Musikverlage und Filmverleiher bekämpften solche Plattformen und solche Reformideen um der Erhaltung ihrer herkömmlichen Verkaufswege willen. [https://de.wikipedia.org/wiki/Raubkopierer_sind_Verbrecher Siehe auch die Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher" in den Jahren 2003 ff.].
'''Kritik''': Es fehlt angesichts zivilrechtlicher Alternativen an Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit privater nicht-kommerzieller Urheberrechtsverletzungen. 2012 wollte die Piratenpartei [https://www.welt.de/politik/deutschland/article106351781/Piraten-wollen-Tauschboersen-entkriminalisieren.html das private, direkte, nichtkommerzielle Filesharing und die Weitergabe von Werken entkriminalisieren]. '''Alternative''': Einschränkung der Strafbarkeit auf gewerbsmäßige Verletzungen, Streichung von § 107 UrhG und Reform der übrigen Straftatbestände (Gregor Albach, 2015, Zur Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit privater Urheberrechtsverletzungen).  '''Antikritik''': Vor allem Musikverlage und Filmverleiher bekämpften solche Plattformen und solche Reformideen um der Erhaltung ihrer herkömmlichen Verkaufswege willen. [https://de.wikipedia.org/wiki/Raubkopierer_sind_Verbrecher Siehe auch die Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher" in den Jahren 2003 ff.].


=== Cannabiskriminalität ===
=== Cannabis ===
Das Wort Entkriminalisierung wird wohl nirgendwo so häufig gebraucht wie im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgesetz und dort insbesondere in Bezug auf Cannabis. Damit ist allerdings sehr Unterschiedliches gemeint: mal geht es um vermeintlich mildere Reaktionen des Staates im Sinne von Therapie statt Strafe, dann wieder um die Herabstufung von Vergehenstatbeständen zu Ordnungswidrigkeiten nach dem Modell Portugals und erst in letzter Zeit wieder verstärkt um eine legalisierende, regulierende Entkriminalisierung nach dem Vorbild Uruguays oder Kaliforniens und einer Handvoll weiterer Bundesstaaten in den USA.
'''Gesetz''': Obwohl der Konsumakt als solcher nicht strafbedroht ist, kriminalisiert das BtMG von 1982 durch die Strafbarkeit des Besitzes, des Erwerbs, des Anbaus, der Abgabe und so weiter den gesamten Konsumbereich und stellt damit auch das Ausmaß der Kriminalisierung des Alkohols während der us-amerikanischen Prohibitionszeit in den Schatten. '''Kritik''': Gründliche rechtsphilosophische (Husak 1992) und strafrechtstheoretische (Nestler 1998, 2017) Kritik verneint die Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Cannabis-Prohibition (Dan Werb et. al 2013). Bezweifelt werden Zweckmäßigkeit und Strafwürdigkeit. Mit unterschiedlichen Graden der Entschlossenheit setzen sich der Deutsche Hanf-Verband (DHV), der Schildower Kreis, die FDP und die Grünen für Entpönalisierungen und/oder Entkriminalisierungen ein. 2010 startete der Deutsche Hanf-Verband DHV die Unterschriftensammlung für eine Petition zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten. 2012 kam es zu einer Anhörung in Berlin. 2014 [https://www.focus.de/gesundheit/videos/experten-fordern-entkriminalisierung-juristen-und-suchtexperten-einig-cannabis-muss-legalisiert-werden_id_4288159.html stimmten Juristen, Suchtexperten und Mediziner auf einer Tagung in Frankfurt in ihrem Ruf nach schneller Entkriminalisierung überein]. So setzte sich die Initiative „Schildower Kreis“ für eine neue Drogenpolitik ein, da der Schwarzmarkt große Risiken berge. Auf der Internetseite des Netzwerkes läuft die „Prohibitionsuhr“, die unter anderem die Kosten der Drogenrepression zählt. Laut Heino Stöver von der FH Frankfurt konsumierten zwölf Prozent der Deutschen im vergangenen Jahr Cannabis aber nur drei Prozent davon seien Gewohnheitskiffer. Auch der Dauergebrauch sei auf niedrigem Niveau stabil und werde durch rechtliche Eingriffe kaum verändert. Ein Vertreter des Bundes Deutscher Kriminalbeamte berichtete, dass 145.000 der 250.000 Drogendelikte auf Cannabis entfielen aber die meisten dieser Verfahren aufgrund geringer Mengen aber eingestellt würden. Es entstünden unnötige Kosten, da Beamte für den Papierkorb arbeiteten. - Im Februar 2018 erregte die Forderung des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK) nach einer völligen Legalisierung von Cannabis einige Aufmerksamkeit - obwohl der Vorsitzende des BDK nur die Beschlusslage seiner Vereinigung seit 2014 wiederholt hatte (am Tag nach der Erklärung des Vorsitzenden scherte der Landesverband Saar des BDK aus und sprach sich gegen eine Liberalisierung aus). '''Alternativen''': Das [[Drogenrecht in Portugal]] spricht im Gesetz von 2001 explizit von Entkriminalisierung und meint damit die Herabstufung der Delikte in der Konsumsphäre zu Ordnungswidrigkeiten in Kombination mit Beratungspflichten. Dies betrifft allerdings nicht nur Cannabis, sondern alle Drogen. Anders hingegen verhält es sich mit der de facto Entkriminalisierung in Holland und wieder anders mit der de jure Entkriminalisierung in Uruguay und in Kalifornien und 7 weiteren US-Bundesstaaten. [[Cannabis in Uruguay]] wird legal angebaut und in Apotheken an Freizeitkonsumenten in 5-Gramm-Tüten à ca. 7 Dollar verkauft. Pivatpersonen dürfen bis zu sechs Cannabis-Pflanzen pro Kopf (bzw. von bis zu 99 Pflanzen für Marihuana-Clubs mit 15 bis 45 Mitgliedern) anbauen. - Die Situation für [[Cannabis in Kalifornien]] (sowie Alaska, Colorado, Maine, Massachusetts, Oregon, Washington und Nevada) sieht ähnlich aus: die Grenze für den monatlichen Einkauf bzw. Besitz liegt bei einer Unze (28,3 Gramm). Der private Anbau von bis zu 6 Pflanzen ist ebenfalls erlaubt. Kommerzieller Anbau und Verkauf erfordert Lizenzen. Mit deren Ausgabe begann das Bureau of Cannabis Control im Dezember 2017, als es die ersten 20 befristeten cannabis business licenses erteilte. Konsum in der Öffentlichkeit sowie innerhalb von 1000 feet (300 m) von einer Schule ist ebenso verboten wie Autofahren unter dem Einfluss von Cannabis. Die Steuern sind mit 35% recht hoch, was dazu führt, dass mit einem jährlichen Steueraufkkommen von rund 1 Milliarde Dollar gerechnet wird. Insgesamt wird der kalifornische Markt für medican und für adult use marihuana für die Jahre 2018-2021 von der Firma Arcview auf 40 Milliarden Dollar geschätzt. Die Thematik ist auch jenseits der Ökonomie brisant. Die Drogenprohibition kostet weltweit mehr Menschenleben als der Krieg. Die Opferzahlen des Krieges gegen die Drogen einschließlich der Kämpfe zwischen Banden, Militär und Polizei etwa in Mexiko oder Brasilien gehen in die Hunderttausende. '''Antikritik:''' Gegner der Entkriminalisierung verweisen seit jeher auf die Gesundheitsrisiken des Konsums - vom "Killer Weed" (Harry Anslinger) bis zu "Kiffen tötet" (FAZ online 2.2.2018). In der Regel gehen sie auf die strafrechtstheoretischen und -dogmatischen Kriterien der Strafwürdigkeit selbstschädigenden Verhaltens nicht ein. - Das Bundesverfassungsgericht hält die Kriminalisierung laut Beschluss vom 9.3.1994 für verfassungskonform.
 
[[Drogenrecht in Portugal]] Das portugiesische Drogengesetz von 2001 ist explizit als Gesetz zur Entkriminalisierung des Konsumbereichs von illegalen Drogen ausgewiesen. Es betrifft nicht nur Cannabis, sondern alle Drogen, und es stuft die Delikte der Konsumsphäre zu OWi herab, während es den Schmuggel und Handel weiterhin streng verfolgt und bestraft. Nach allgemeiner Einschätzung hat das Gesetz die Lage in Portugal deutlich verbessert. Glenn Greenwald sprach schon 2009 von einem "schlagenden Erfolg" dieser transformierenden Entkriminalisierung.
 
[[Cannabis in Uruguay]] Im Gegensatz zu Portugal hat sich Uruguay 2013 für den radikaleren Weg der legalisierenden Entkriminalisierung entschieden und hat diese Entscheidung trotz innerer und vor allem internationaler Widerstände auch beharrlich Schritt für Schritt implementiert. Inzwischen bauen ausgewählte Unternehmen mit staatlichen Lizenzen kommerziell Cannabis an, um die Apotheken zu beliefern, die behördlich registrierten erwachsenen Cannabis-Genießern monatlich bis zu 40g (abgepackt in 5-Gramm-Tüten à knapp 7 Dollar) verkaufen dürfen. Privatpersonen dürfen aber nicht-kommerziell bis zu sechs Cannabis-Pflanzen pro Kopf (bzw. von bis zu 99 Pflanzen für Marihuana-Clubs mit 15 bis 45 Mitgliedern) anbauen.
 
[[Cannabis in Kalifornien]] Seit Legalisierungsbefürworter 2016 eine Volksabstimmung für sich entscheiden konnten, ist Kalifornien einer von 8 Bundesstaaten (zusammen mit Alaska, Colorado, Maine, Massachusetts, Oregon, Washington und Nevada), in denen Cannabis legal ist, d.h. angebaut, verkauft, erworben, besessen und benutzt werden darf. Die Grenze für den Besitz liegt bei einer Unze, etwa 28 Gramm. Der private Anbau von bis zu 6 Pflanzen ist ebenfalls erlaubt. Wer mehr anbauen will und kommerziell anbauen oder verkaufen will, benötigt eine Lizenz, mit deren Ausgabe im Dezember 2017 begonnen wurde (rund zwei Wochen vor dem ursprünglich ins Auge gefassten Termin zu Jahresbeginn 2018 erteilte das Bureau of Cannabis Control bereits Mitte Dezember 2017 die ersten 20 befristeten cannabis business licenses. - Ähnlich verhält es sich seit 2018 mit [[Cannabis in Kalifornien]]. Dort darf jeder Bürger des Bundesstaates ab 21 Jahren bis zu 28,3 Gramm Cannabis (pro Monat) kaufen und bis zu sechs Pflanzen selbst anbauen. Konsum in der Öffentlichkeit sowie innerhalb von 1000 feet (300 m) von einer Schule ist ebenso verboten wie Autofahren unter dem Einfluss von Cannabis. Handel ist nur mit Lizenz des Bundesstaates und der Kommune erlaubt. Kommunen können sich auch ganz verweigern. Die Steuern sind mit 35% recht hoch. Pro Jahr wird in '''Kalifornien''' mit einem Cannabis-Steuer-Aufkommen von rund 1 Milliarde Dollar gerechnet. Insgesamt ist der kalifornische Marihuana-Markt alleine für die Jahre 2018-2021 laut der Firma Arcview geschätzte 40 Milliarden Dollar wert. - Trotz weiterbestehenden Prohibitionsgesetzes auf Bundesebene verfolgen aufgrund von Volksabstimmungen acht Bundesstaaten ihre eigene Regulationspolitik. Legalisierende Entkriminalisierungen fanden statt in Colorado, Washington, Oregon, Alaska, Maine, Massachusetts, Nevada und Kalifornien. In diesen acht Staaten gibt es sowohl "medical marihuana" (auf Rezept) als auch "recreational" marihuana "for adult use" ohne Rezept in dafür lizensierten Verkaufsstellen. - Regulation ist der Prohibition aber auch bei anderen Drogen überlegen. Die Beschränkung auf eine Cannabis-Reform darf insofern nicht das letzte Wort sein. Und die Beschränkung auf die Konsumsphäre natürlich sowieso nicht. Letztlich wäre mit Douglas Husak und Henner Hess an eine Angleichung der Drogenpolitik an die Zigarettenpolitik zu denken: Aufklärung über die Risiken, restriktive Gesetzgebung, aber Beibehaltung legalen Zugangs für diejenigen, die es unbedingt wollen.  
 
'''Kritik:'''
Kritik an der Cannabis-Prohibition, die nach dem BtMG übrigens, indem sie auch den Erwerb und Besitz des Substanz kriminalisiert, wesentlich weitreichender ist als es die amerikanische Alkoholprohibition jemals gewesen war, betrifft die Systemwidrigkeit eines strafrechtlichen Schutzes vor sich selbst, die Grenzenlosigkeit des vorgeblichen Rechtsguts der Volksgesundheit (wenn diese ein Rechtsgut wäre, dann wäre zu fragen, warum andere und vergleichbar gesundheitsgefährdende Aktivitäten und Gegenstände von der Frühstücksbutter bis zum Jägermeister nicht kriminalisiert sind) und die Verletzung der Freiheitsrechte erwachsener Bürger (Recht auf selbstbestimmte riskante Freizeitaktiväten, solange sie nicht die Rechte Dritter verletzen nach Artikel 1, 2 und 3 GG). Hinzu kommt, dass das Drogenverbot mit seiner extremen Vorverlagerung der Strafbarkeit und der mit der Distanz zur eigentlichen Verletzungshandlung nicht abnehmenden, sondern ansteigenden Pönalisierungsintensität alle Merkmale des Jakobschen Feindstrafrechts aufweist, mithin, wie Wolfgang Naucke konstatierte, "in rechtsstaatlichen Begriffen gar nicht mehr zu beschreibenden" ist.
 
*2014: [https://www.focus.de/gesundheit/videos/experten-fordern-entkriminalisierung-juristen-und-suchtexperten-einig-cannabis-muss-legalisiert-werden_id_4288159.html Ruf nach schneller Entkriminalisierung:] "Juristen, Suchtexperten und Mediziner sagen übereinstimmend, dass der Eigengebrauch von Cannabis nicht bestraft werden sollte. Bei einer Tagung in Frankfurt hatten Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten eine Entkriminalisierung des Konsums gefordert. So setzte sich die Initiative „Schildower Kreis“ für eine neue Drogenpolitik ein, da der Schwarzmarkt große Risiken berge. Auf der Internetseite des Netzwerkes läuft die „Prohibitionsuhr“, die unter anderem die Kosten der Drogenrepression zählt. Laut Heino Stöver von der FH Frankfurt konsumierten zwölf Prozent der Deutschen im vergangenen Jahr Cannabis aber nur drei Prozent davon seien Gewohnheitskiffer. Auch der Dauergebrauch sei auf niedrigem Niveau stabil und werde durch rechtliche Eingriffe kaum verändert. Ein Vertreter des Bundes Deutscher Kriminalbeamte berichtete, dass 145.000 der 250.000 Drogendelikte auf Cannabis entfielen aber die meisten dieser Verfahren aufgrund geringer Mengen aber eingestellt würden. Es entstünden unnötige Kosten, da Beamte für den Papierkorb arbeiteten. Unterdessen kündigte die Frankfurter Drogendezernentin Rosemarie Heilig ein Modellversuch in der Drogenpolitik an, nach welchem Prävention, Beratung und Therapie vor Repression gestellt werden soll.

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'''Antikritik:'''
Gegner der Entkriminalisierung verweisen seit jeher auf die Gesundheitsrisiken des Konsums - vom "Killer Weed" (Harry Anslinger) bis zu "Kiffen tötet" (FAZ online 2.2.2018). In der Regel gehen sie auf die strafrechtstheoretischen und -dogmatischen Fragen, unter welchen Bedingungen ein selbstgefährdendes Verhalten strafwürdig und strafbedürftig ist, gar nicht ein.
*Vorlageschluss des Landgerichts Lübeck vom 19.12.1991 (NJW 1992, 1571) und Cannabis-Beschluss des BVerfG vom 9. März 1994, demzufolge bei geringfügigen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz durch den Erwerb, Besitz usw. von geringen Mengen von Cannabis zum Eigenverbrauch nach Ermessen der Strafverfolgungsbehörden von einem Strafverfahren abgesehen werden kann. - Die Kritik an diesem Beschluss geht nicht nur auf die Frage ein, ob Cannabiskonsum eher durch eine Freigabe als durch eine generalpräventive Wirkung des Strafrechts vermindert werden kann, sondern auch darauf, ob es überhaupt Aufgabe des Strafrechts sein kann, den Konsum zurückzudrängen oder ob der Staat nicht auf andere Einflussmöglichkeiten beschränkt sei (Problem der Strafwürdigkeit des Verhaltens). Am 21.10. 2010 begann der Deutsche Hanf-Verband DHV die Unterschriftensammlung für eine Petition zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten. Eine Anhörung fand am 25. 01.2012 in Berlin statt.
 
Fazit:
In der Wissenschaft wurde das BtMG wiederholt scharfsinniger Kritik unterzogen. Man hält insbesondere das Cannabis-Verbot für überflüssig und verfassungswidrig (Nestler 1998, 2017). Rechtstheoretisch und -philosophisch betrachtet (vgl. Husak 1992) gilt das für die allermeisten, wenn nicht alle gegenwärtig auf dem Schwarzmarkt befindlichen Drogen. Rechtspolitisch betrachtet wäre angesichts des Bewusstseinsstandes in der Bevölkerung nach Jahrzehnten staatlicher Anti-Drogen-Propaganda mit einer zweistufigen Entkriminalisierung - Legalisierung von Cannabis und Ordnungswidrigkeitenlösung für die übrigen Drogen - auf absehbare Zeit wohl schon die Grenze des Machbaren erreicht.
 
Die Thematik ist übrigens ernster als gemeinhin wahrgenommen, wenn man hierzulande dazu neigt, sie mit süffisanten Bemerkungen über Kiffer und Kokser zu garnieren. Die Drogenprohibition ist ein weltweites Phänomen und kostete in den letzten Jahrzehnten mehr Menschenleben als viele Kriege zusammengenommen. Die jährlichen Opferzahlen des Krieges gegen die Drogen einschließlich der Kämpfe zwischen Banden, Militär und Polizei etwa in Mexiko oder Brasilien gehen in die Hunderttausende. Dabei ist der eigentliche Skandal die Interesse- und Empathielosigkeit der Welt, vergleichbar der Interesse- und Empathielosigkeit von Medien und Öffentlichkeit in Bezug auf die Opfer der NSU-Morde zu der Zeit, als man noch glaubte, bei den Opfern handele es sich um Leute, die wahrscheinlich in dunkle Drogengeschäfte verwickelt gewesen wären.
 
Der heutigen Tendenz zur Ausweitung des Strafrechts durch eine Flut von abstrakten Gefährdungs-, von Organisations- und Unternehmens-Tatbeständen im weiten Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen treten die Vertreter eines liberalen Kernstrafrechts mit der Forderung nach einem Rückbau entgegen. Die Grundlagen eines Kernstrafrechts hatte 1974 schon Arthur Kaufmann skizziert. Und Wolfgang Naucke gab wenig später die Meßlatte vor (1981: 94), die an Strafgesetzgebung anzulegen sei. Danach muss zunächst einmal die Strafwürdigkeit und die Strafbedürftigkeit des Verhaltens nachgewiesen werden. Es sind nachvollziehbare Überlegungen über die voraussichtliche Effektivität und Effizienz des Strafgesetzes anzustellen und darzulegen. Schließlich ist die Strafgesetzgebung zu beschränken "auf jene Taten, die, weil sie die vitalen Güter des einzelnen Menschen, seine Freiheit überhaupt, verletzen, mit Sicherheit strafwürdig sind. Die Gesetze sind klar und deutlich gefasst. Die Strafbarkeitsvoraussetzungen und die Strafen sind für jedermann verständlich. Die Grenzen der Strafbarkeit sind unmissverständlich bestimmt." Alles andere gehört - wenn es überhaupt verbotswürdig und -bedürftig ist - in andere Rechtsgebiete und Sanktionsformen, die in der Regel ebenso effizient sein können (oder effizienter) und zudem ohne sozialethischen Tadel und Freiheitsstrafe auskommen.
 
Die Forderung nach einer Reduzierung des Strafrechts auf ein Kernstrafrecht entspricht der Grundidee des freiheitlichen Rechtsstaats, staatliche Eingriffe in die Sphäre der Bürger so gering wie möglich zu halten. Dementsprechend hatte schon Montesquieu gesagt: "Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch." Mittermaier sah schon 1819 einen "Grundfehler" darin, „die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen.“ Ähnlich Franz von Liszt: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“ (zit. nach Roos 1981: 7 f.). Und auch der ultima ratio Grundsatz gebietet bekanntlich, das Strafrecht als schwerstes Eingriffsinstrument nur dann einzusetzen, wenn andere Möglichkeiten ausgereizt sind.
 
Welche Gesetze kommen als "nicht erforderlich" in Betracht? Einen erste Hinweis liefert eine kleine Liste, die Arthur Kreuzer im Dezember 2017 in der ZEIT unter dem Titel ''Reformiert endlich das Strafrecht!'' veröffentlicht hatte.


== Politische Äußerung und Partizipation ==
== Politische Äußerung und Partizipation ==
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