Handout Strafverteidigertag 2018: Unterschied zwischen den Versionen

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==  Massenverkehr und Massenkonsum ==
==  Massenverkehr und Massenkonsum ==
===Unfallflucht (§ 142 StGB)===
'''Gesetz''': Strafbar seit 1909 (§ 22 GFK), unter Freisler (1940) verschärft zwecks Ächtung der Feigheit des sich vom Unfallort Fliehenden (§ 139a RStGB), dann Übernahme als § 142 StGB bis zu diversen Änderungen (1969 sowie Januar und Juni 1975), die aber den Reformbedarf nicht linderten (Kubatta 2008). '''Kritik''': Verletzung von nemo tenetur (se ipse accusare), Bestimmtheitsgrundsatz, Schuldprinzip und Verhältnismäßigkeit. Im Abschnitt über Delikte gegen die öffentliche Ordnung falsch plaziert, da in Wirklichkeit Schutz privater Vermögensinteressen. Unfallverursacher melden sich aus Angst vor Strafe nicht und die Geschädigten bleiben auf ihren Kosten sitzen. Etwa eine halbe Million Verkehrsteilnehmer in Deutschland werden zu potenziellen Straftätern - auch bei Bagatellschäden und wenn der Verursacher sich später meldet. Nicht mehr zeitgemäß angesichts von GPS und Mobilfunk. Neutrale Meldestelle könnte ein Online-Register führen. So müsste sich der Verursacher nicht direkt einer Strafverfolgung aussetzen, aber der Geschädigte würde trotzdem seinen Schaden ersetzt bekommen. Die hohen Einstellungsquoten bei Gericht zeigen, dass diese Verfahren offenbar entweder gar nicht vor Gericht gehören. Jedenfalls sollte man den großen Graubereich verkleinern, indem man den Tatbestand reformiert und vereinfacht. Außerdem wäre es sinnvoll, eine in Europa einheitliche Norm für das Verhalten nach Unfällen zu finden (best practice).
'''Alternativen''': ADAC will Verzicht auf Strafverfolgung bei Bagatellschäden; VGTZ fordert Präzisierung der Wartepflicht und erweiterte Regelung zur Straffreiheit bei nachträglicher Meldung und der 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar (Januar 2018) fordert jedenfalls "mehr Nachsicht bei minderschweren Fällen von Unfallflucht"(FAZ 27.1.18: 5). In Österreich ist Fahrerflucht keine Straftat, sondern Verwaltungsübertretung. Der § 4 Abs 2, Abs 5 StVO besagt, dass bei einem Verkehrsunfall mit Personen– oder Sachschaden die mit einem Verkehrsunfall im ursächlichen Zusammenhang stehenden Personen die nächste Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub zu verständigen haben. Unterbleibt dies, begeht eine solche Person gemäß § 99 Abs 2 lit a oder Abs 3 lit b iVm § 4 StVO Fahrerflucht. Eine solche Verständigung darf nur unterbleiben, wenn diese Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben. - In der Schweiz kommt Art. 92 SVG zur Anwendung: Pflichtwidriges Verhalten bei Unfall. (1) Wer bei einem Unfall die Pflichten verletzt, die ihm dieses Gesetz auferlegt, wird mit Busse bestraft. (2) Ergreift ein Fahrzeugführer, der bei einem Verkehrsunfall einen Menschen getötet oder verletzt hat, die Flucht, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Antikritik: '''BVerfG''' 1963: Schutzzweck ist Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche hat Vorrang vor dem Grundrecht des Täters.


Anknüpfungspunkt heute wäre der Antrag von Volker Beck, Joseph Fischer u.a. (GRÜNE) zur [http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/020/1302005.pdf Entkriminalisierung von Schwarzfahren, Ladendiebstahl und Fahrerflucht bei Sachbeschädigung] (1995)-


 
===Unfallflucht (§ 142 StGB)===
 
'''Gesetz''': Strafbar seit 1909 (§ 22 GFK), unter Freisler (1940) verschärft zwecks Ächtung der Feigheit des sich vom Unfallort Fliehenden (§ 139a RStGB), dann Übernahme als § 142 StGB bis zu diversen Änderungen (1969 sowie Januar und Juni 1975), die aber den Reformbedarf nicht linderten (Kubatta 2008). '''Kritik''': Verletzung von nemo tenetur (se ipse accusare), Bestimmtheitsgrundsatz, Schuldprinzip und Verhältnismäßigkeit. Im Abschnitt über Delikte gegen die öffentliche Ordnung falsch plaziert, da in Wirklichkeit Schutz privater Vermögensinteressen. Unfallverursacher melden sich aus Angst vor Strafe nicht und die Geschädigten bleiben auf ihren Kosten sitzen. Etwa eine halbe Million Verkehrsteilnehmer in Deutschland werden zu potenziellen Straftätern - auch bei Bagatellschäden und wenn der Verursacher sich später meldet. Nicht mehr zeitgemäß angesichts von GPS und Mobilfunk. Die hohen Einstellungsquoten bei Gericht zeigen, dass diese Verfahren offenbar entweder gar nicht vor Gericht gehören. Jedenfalls sollte man den großen Graubereich verkleinern, indem man den Tatbestand reformiert und vereinfacht. Außerdem wäre es sinnvoll, eine in Europa einheitliche Norm für das Verhalten nach Unfällen zu finden (best practice). '''Alternativen''': ADAC will Verzicht auf Strafverfolgung bei Bagatellschäden; VGTZ fordert Präzisierung der Wartepflicht und erweiterte Regelung zur Straffreiheit bei nachträglicher Meldung und der 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar (Januar 2018) fordert jedenfalls "mehr Nachsicht bei minderschweren Fällen von Unfallflucht"(FAZ 27.1.18: 5). Jan Zopfs, Uni Mainz: Neutrale Meldestelle könnte ein Online-Register führen. So müsste sich der Verursacher nicht direkt einer Strafverfolgung aussetzen, aber der Geschädigte würde trotzdem seinen Schaden ersetzt bekommen. In Österreich ist Fahrerflucht keine Straftat, sondern Verwaltungsübertretung. Der § 4 Abs 2, Abs 5 StVO besagt, dass bei einem Verkehrsunfall mit Personen– oder Sachschaden die mit einem Verkehrsunfall im ursächlichen Zusammenhang stehenden Personen die nächste Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub zu verständigen haben. Unterbleibt dies, begeht eine solche Person gemäß § 99 Abs 2 lit a oder Abs 3 lit b iVm § 4 StVO Fahrerflucht. Eine solche Verständigung darf nur unterbleiben, wenn diese Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben. - In der Schweiz kommt Art. 92 SVG zur Anwendung: Pflichtwidriges Verhalten bei Unfall. (1) Wer bei einem Unfall die Pflichten verletzt, die ihm dieses Gesetz auferlegt, wird mit Busse bestraft. (2) Ergreift ein Fahrzeugführer, der bei einem Verkehrsunfall einen Menschen getötet oder verletzt hat, die Flucht, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. - Zopfs: "Es geht also darum, beim Unfallfluchtparagrafen ein paar Dinge anzustoßen und geradezuziehen. Die Sache zu entkriminalisieren, zu vereinfachen und effektiver zu gestalten." - "Wenn jemand verletzt wird: Dann muss ich als Unfallverursacher sowieso jemanden benachrichtigen, damit die Person gerettet wird. Sonst mache ich mich der Körperverletzung durch Unterlassen strafbar. Wenn die Person stirbt, kann auch eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen in Betracht kommen."
 
'''Antikritik:''' Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) warnte vor einer zu starken Aufweichung.
Eine klare Linie mit festen Wartezeiten und festen Meldemöglichkeiten würde es für alle Beteiligten vereinfachen sowie Polizei und Justiz entlasten. Zopfs: "Viele Leute sind nach einem Unfall psychisch überfordert. Sie entfernen sich aus einer Art Fluchtinstinkt heraus. Wir müssen Unfallverursachern eine reelle Chance geben, ihren Fehler zu korrigieren. Es geht also darum, beim Unfallfluchtparagrafen ein paar Dinge anzustoßen und geradezuziehen. Die Sache zu entkriminalisieren, zu vereinfachen und effektiver zu gestalten." - Wenn jemand verletzt wird: Dann muss ich als Unfallverursacher sowieso jemanden benachrichtigen, damit die Person gerettet wird. Sonst mache ich mich der Körperverletzung durch Unterlassen strafbar. Wenn die Person stirbt, kann auch eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen in Betracht kommen. -
'''Antikritik:'''
*Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) warnte vor einer zu starken Aufweichung.


===Schwarzfahren (§ 265a StGB)===
===Schwarzfahren (§ 265a StGB)===
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