Häusliche Gewalt: Unterschied zwischen den Versionen

21 Bytes hinzugefügt ,  22:52, 6. Mär. 2014
keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 35: Zeile 35:


In vielen Ländern wird heutzutage das Phänomen häuslicher Gewalt als gesellschaftliches Problem begriffen, das analysiert und bekämpft werden muss.  
In vielen Ländern wird heutzutage das Phänomen häuslicher Gewalt als gesellschaftliches Problem begriffen, das analysiert und bekämpft werden muss.  
Bis zum 19. Jahrhundert wurde dieses Thema als private Angelegenheit gesehen. Verstärkt im 20. Jahrhundert kam es zum Einstellungswandel, da familiale Gewalt an Kindern und Frauen öffentlich problematisiert wurde. Die Einführung des Begriffs erfolgte in den 1960/70er Jahren durch die Kinderschutz- und Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. Folglich entstanden eigenständige, wissenschaftlich anerkannte Forschungsdisziplinen im Bereich „family bzw. domestic violence“ (Lamnek et al. 2012: 24ff.).
Bis zum 19. Jahrhundert wurde dieses Thema als private Angelegenheit gesehen. Verstärkt im 20. Jahrhundert kam es zum Einstellungswandel, da familiale Gewalt an Kindern und Frauen öffentlich problematisiert wurde. Die Einführung des Begriffs erfolgte in den 1960/70er Jahren durch die Kinderschutz- und Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. Folglich entstanden eigenständige, wissenschaftlich anerkannte Forschungsdisziplinen im Bereich „family bzw. domestic violence“ (Lamnek et al. 2012: 24 ff.).


Ab den 70er Jahren rückte die deutsche Frauenhausbewegung die Gewalt in den Fokus der Öffentlichkeit, die zuhause hinter verschlossenen Türen von Männern gegenüber Frauen ausgeführt wurde. Diese sei Ausdruck und Sicherung des ungleichen Geschlechter- und Machtverhältnisses. Es entwickelten sich erste Frauenhäuser als Zufluchtsort misshandelter Frauen und ihrer Kinder. Folglich lag der Schwerpunkt auf „Männergewalt gegen Frauen“!  
Ab den 70er Jahren rückte die deutsche Frauenhausbewegung die Gewalt in den Fokus der Öffentlichkeit, die zuhause hinter verschlossenen Türen von Männern gegenüber Frauen ausgeführt wurde. Diese sei Ausdruck und Sicherung des ungleichen Geschlechter- und Machtverhältnisses. Es entwickelten sich erste Frauenhäuser als Zufluchtsort misshandelter Frauen und ihrer Kinder. Folglich lag der Schwerpunkt auf „Männergewalt gegen Frauen“!  
Zeile 41: Zeile 41:
Auf internationaler Ebene berichteten Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Weltgesundheitsorganisation WHO über das Gewaltausmaß gegen Frauen. Die Länder sollten geeignete Maßnahmen zur Verhinderung schaffen.  
Auf internationaler Ebene berichteten Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Weltgesundheitsorganisation WHO über das Gewaltausmaß gegen Frauen. Die Länder sollten geeignete Maßnahmen zur Verhinderung schaffen.  


Der Begriff der „häuslichen Gewalt“ veränderte sich im Laufe der Zeit jedoch dahingehend, dass die Geschlechterfrage in Forschung und Praxis nicht mehr allein maßgebend war. Dem Thema nahmen sich sowohl Frauenhäuser und Beratungsstellen als auch andere private und öffentliche Institutionen an. Es fand eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz, Sozialarbeit oder Gesundheitswesen statt. Diese sahen sich mit verschiedenen Täter- und Opferkonstellationen konfrontiert, wonach beispielsweise Kinder oder Männer geschädigt sein können (Weingartner/Gloor/Meier 2012: 15ff.; Kavemann 2002: 31).  
Der Begriff der „häuslichen Gewalt“ veränderte sich im Laufe der Zeit jedoch dahingehend, dass die Geschlechterfrage in Forschung und Praxis nicht mehr allein maßgebend war. Dem Thema nahmen sich sowohl Frauenhäuser und Beratungsstellen als auch andere private und öffentliche Institutionen an. Es fand eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz, Sozialarbeit oder Gesundheitswesen statt. Diese sahen sich mit verschiedenen Täter- und Opferkonstellationen konfrontiert, wonach beispielsweise Kinder oder Männer geschädigt sein können (Weingartner/Gloor/Meier 2012: 15 ff.; Kavemann 2002: 31).  
Neben dem Diskurs der Frauenbewegung, der besonders im deutschsprachigen Raum vordergründig ist, kann die soziale Männerbewegung beobachtet werden. Hierbei steht das männliche Opfer im Fokus. Dieses Thema beeinflusst die öffentliche Meinung bislang jedoch nur peripher (Lamnek et al. 2012: 41). Trotz der Definitionsöffnung ist festzustellen, dass der gesellschaftliche, wissenschaftliche und damit begriffliche Fokus immer noch auf dem weiblichen Geschlecht als Opfer liegt.
Neben dem Diskurs der Frauenbewegung, der besonders im deutschsprachigen Raum vordergründig ist, kann die soziale Männerbewegung beobachtet werden. Hierbei steht das männliche Opfer im Fokus. Dieses Thema beeinflusst die öffentliche Meinung bislang jedoch nur peripher (Lamnek et al. 2012: 41). Trotz der Definitionsöffnung ist festzustellen, dass der gesellschaftliche, wissenschaftliche und damit begriffliche Fokus immer noch auf dem weiblichen Geschlecht als Opfer liegt.


Zeile 75: Zeile 75:
* Sexuelle Gewalt, z.B. zu sexuelle Handlungen zwingen, vergewaltigen
* Sexuelle Gewalt, z.B. zu sexuelle Handlungen zwingen, vergewaltigen
* Soziale Gewalt, z.B. Kontakte verwehren, sozial isolieren, einsperren
* Soziale Gewalt, z.B. Kontakte verwehren, sozial isolieren, einsperren
* Ökonomische Gewalt, z.B. Geld einziehen, Arbeitszwang- oder verbot.  
* Ökonomische Gewalt, z.B. Geld einziehen, Arbeitszwang oder -verbot.  
Soziale und ökonomische Gewalt werden der psychischen Gewalt zugeordnet. Ziel ist das Gegenüber zu kontrollieren und den freien Willen einzuschränken (Gloor/Meier 2012: 19).
Soziale und ökonomische Gewalt werden der psychischen Gewalt zugeordnet. Ziel ist das Gegenüber zu kontrollieren und den freien Willen einzuschränken (Gloor/Meier 2012: 19).


Zeile 97: Zeile 97:
Ein unterschiedlicher sozialer Status bezogen auf Einkommen, Beruf oder Bildung ruft Unterlegenheitsgefühle hervor, welche durch Gewalt kompensiert werden.  
Ein unterschiedlicher sozialer Status bezogen auf Einkommen, Beruf oder Bildung ruft Unterlegenheitsgefühle hervor, welche durch Gewalt kompensiert werden.  


''Traditionelle Rollenverteilung:'' Verschiedene Autoren berufen sich auf empirische Studien, die zeigen, dass hierarchische Beziehungen mit dem Mann als Entscheidungsträger häufiger von Gewalt betroffen sind, als gleichgestellte Haushalte (Luedtke 2008: 60; Firle/Hoeltje/Nini 1996: 23). Frauen mit einem tradierten Rollenverständnis sind durch stillhalten, erdulden gekennzeichnet und fühlen sich für das Wohlergehen aller Familienmitglieder verantwortlich.  
''Traditionelle Rollenverteilung:'' Verschiedene Autoren berufen sich auf empirische Studien, die zeigen, dass hierarchische Beziehungen mit dem Mann als Entscheidungsträger häufiger von Gewalt betroffen sind als gleichgestellte Haushalte (Luedtke 2008: 60; Firle/Hoeltje/Nini 1996: 23). Frauen mit einem tradierten Rollenverständnis sind durch stillhalten, erdulden gekennzeichnet und fühlen sich für das Wohlergehen aller Familienmitglieder verantwortlich.  


'''''Persönlichkeits- und Verhaltensfaktoren:''''' ''Tätertypologien'' gewalttätiger Männer verweisen auf Gefühls-, Wahrnehmungs- und Kommunikationsdefizite, geringes Selbstwertgefühl, Abhängigkeiten verbunden mit Verlustängsten sowie Abwehrmechanismen zur Rechtfertigung von Gewalthandlungen. Der Misshandler erhält durch die Kontrolle über seine  Lebens- bzw. Ehepartnerin ein Machtgefühl und überdeckt somit unbewusst die eigene Unsicherheit sowie Abhängigkeit. Das ''Opferverhalten'' zeichnet sich dadurch aus, dass die Frauen zumeist für lange Zeit die Gewalttätigkeiten hinnehmen, sich schwer vom Täter trennen bzw. zu ihm zurückkehren. Typisch sind weiterhin eine starke emotionale Bindung zu dem männlichen Aggressor sowie die Identifizierung mit diesem als Methode zum „Überleben“ (sog. [[Stockholm-Syndrom]]), (Firle/Hoeltje/Nini 1996: 24 ff.; Kaselitz/Lercher 2002: 46ff.).
'''''Persönlichkeits- und Verhaltensfaktoren:''''' ''Tätertypologien'' gewalttätiger Männer verweisen auf Gefühls-, Wahrnehmungs- und Kommunikationsdefizite, geringes Selbstwertgefühl, Abhängigkeiten verbunden mit Verlustängsten sowie Abwehrmechanismen zur Rechtfertigung von Gewalthandlungen. Der Misshandler erhält durch die Kontrolle über seine  Lebens- bzw. Ehepartnerin ein Machtgefühl und überdeckt somit unbewusst die eigene Unsicherheit sowie Abhängigkeit. Das ''Opferverhalten'' zeichnet sich dadurch aus, dass die Frauen zumeist für lange Zeit die Gewalttätigkeiten hinnehmen, sich schwer vom Täter trennen bzw. zu ihm zurückkehren. Typisch sind weiterhin eine starke emotionale Bindung zu dem männlichen Aggressor sowie die Identifizierung mit diesem als Methode zum „Überleben“ (sog. [[Stockholm-Syndrom]]), (Firle/Hoeltje/Nini 1996: 24 ff.; Kaselitz/Lercher 2002: 46 ff.).


== Wichtige rechtliche Bestimmungen und ihre Konsequenzen ==
== Wichtige rechtliche Bestimmungen und ihre Konsequenzen ==
Zeile 111: Zeile 111:
== Kriminologische Relevanz ==
== Kriminologische Relevanz ==


Häusliche Gewalt findet vorwiegend in der privaten Umgebung statt und entzieht sich damit häufig formeller und informeller sozialer Kontrolle. Die Ergebnisse der Dunkelfeldstudien zeigen, dass der soziale Nahbereich besonders für Frauen ein erhebliches Risiko der primären [[Viktimisierung]] beinhaltet. Der bzw. die Geschädigte kann direkte physische Verletzungen erleiden, aber auch psychischer Art (z.B. Depression). Ein indirekter sekundärer Schaden  tritt durch unsensibles Verhalten der Bekannten oder Verwandten ein. Möglich wären auch unangemessene Reaktionsweisen professionell zu handelnder Akteure (Polizei). Entweder wird dem Opfer nicht geglaubt oder ihm vorgeworfen, dass die Tat zu verhindern gewesen wäre. Durch fehlerhaften Umgang von Polizei und Justiz im Strafverfahren kann eine tertiäre Viktimisierung eintreten, wodurch die Übernahme der Opferrolle erfolgt.                           
Häusliche Gewalt findet vorwiegend in der privaten Umgebung statt und entzieht sich damit häufig formeller und informeller sozialer Kontrolle. Die Ergebnisse der Dunkelfeldstudien zeigen, dass der soziale Nahbereich besonders für Frauen ein erhebliches Risiko der primären [[Viktimisierung]] beinhaltet. Der bzw. die Geschädigte kann direkte physische Verletzungen erleiden, aber auch psychischer Art (z.B. Depression). Ein indirekter sekundärer Schaden  tritt durch unsensibles Verhalten der Bekannten oder Verwandten ein. Möglich wären auch unangemessene Reaktionsweisen professionell handelnder Akteure, so etwa die Polizei. Entweder wird dem Opfer nicht geglaubt oder ihm vorgeworfen, dass die Tat zu verhindern gewesen wäre. Aufgrund fehlerhaften polizeilichen und justiziellen Umgang im Strafverfahren kann eine tertiäre Viktimisierung eintreten, wodurch die Übernahme der Opferrolle erfolgt.                           


Im Bereich der häuslichen Gewalt wird von einem hohen Dunkelfeld ausgegangen. Die KFN Opferbefragung 1992 stellte zum Beispiel heraus, dass 93,3% der Vorfälle sexueller Gewalt gegen Frauen aus dem familiären Bereich nicht angezeigt wurden (Wetzels/Pfeiffer 1995: 14).  
Im Bereich der häuslichen Gewalt wird von einem hohen Dunkelfeld ausgegangen. Die KFN Opferbefragung 1992 stellte zum Beispiel heraus, dass 93,3% der Vorfälle sexueller Gewalt gegen Frauen aus dem familiären Bereich nicht angezeigt wurden (Wetzels/Pfeiffer 1995: 14).  


Wichtiges Ziel im Zusammenhang mit dieser Problematik ist die [[Prävention]]. Dabei dienen Frauenhäuser und Beratungsstellen als Hilfseinrichtungen nach Gewaltereignissen. Außerdem soll die Arbeit mit Tätern den Schutz des Opfers erhöhen (Kaselitz/Lercher 2002: 50ff.). Politische Präventionsmaßnahmen zeigen sich durch die im Jahre 1999 und 2007 von der Bundesregierung verabschiedeten Aktionspläne zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Diese Handlungskonzepte zielen auf die Aufklärung und Bewusstseinsänderung der Bevölkerung sowie die dauernde Verminderung entsprechender Übergriffe. Im Jahr 2011 unterzeichnete Deutschland zusätzlich als eines von 13 Mitgliedsstaaten des Europarates die Konvention zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Leuze-Mohr weist aber darauf hin, dass dieses Phänomen zwar gesellschaftlich als strafwürdig anerkannt ist, jedoch immer noch davor gescheut wird, in die Privatsphäre einzugreifen (2001: 18).
Wichtiges Ziel im Zusammenhang mit dieser Problematik ist die [[Prävention]]. Dabei dienen Frauenhäuser und Beratungsstellen als Hilfseinrichtungen nach Gewaltereignissen. Außerdem soll die Arbeit mit Tätern den Schutz des Opfers erhöhen (Kaselitz/Lercher 2002: 50 ff.). Politische Präventionsmaßnahmen zeigen sich durch die im Jahre 1999 und 2007 von der Bundesregierung verabschiedeten Aktionspläne zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Diese Handlungskonzepte zielen auf die Aufklärung und Bewusstseinsänderung der Bevölkerung sowie die dauernde Verminderung entsprechender Übergriffe. Im Jahr 2011 unterzeichnete Deutschland zusätzlich als eines von 13 Mitgliedsstaaten des Europarates die Konvention zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Leuze-Mohr weist aber darauf hin, dass dieses Phänomen zwar gesellschaftlich als strafwürdig anerkannt ist, jedoch immer noch davor gescheut wird in die Privatsphäre einzugreifen (2001: 18).


== Literatur und Quellen ==
== Literatur und Quellen ==
115

Bearbeitungen