Gnade: Unterschied zwischen den Versionen

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Gnade kann unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Sie greift in die Gebiete des Rechts, der Theologie und der Philosophie. Dieser Artikel beleuchtet das Institut der Gnade im deutschen Strafrechtssystem.




„Verurteilte und Urteilende- die ganze Rechtsordnung bleibt darauf angewiesen, das eine Gnade erfahrbar bleibt, die das Recht achtet, ihm aber nicht unterworfen ist.“
<div align="right">Richard von Weizsäcker, 1986</div>




==Begriff==
Gnade kann unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Sie greift in die Gebiete des Rechts, der Theologie und der Philosophie. Dieser Artikel beleuchtet das Institut der Gnade bezogen auf das deutsche Strafrechtssystem.
Der deutsche Begriff Gnade ist von dem althochdeutschen Wort ''ginada'' hergeleitet, welches als „göttliches Erbarmen“ übersetzt werden kann. Sprachgeschichtlich ist es zudem mit dem germanischen Wortstamm ''neth'' verwandt, was soviel bedeutet wie Hilfe und Schutz.


Die Gnade, wie sie historisch gewachsen ist, ist die menschliche und moralische Komponente des Rechts und umschließt die Milde, das Verzeihen, Vergeben und Vergessen. Im umfassenden Sinne bedeutet Begnadigung Gunstbezeugung oder Vorteilsgewährung durch einen Träger hoheitlicher Gewalt. Im Rechtssinne meint dies die Freistellung eines Einzelnen von den durch rechtskräftiges Urteil festgestellten [[Strafe|Strafen]] und Nebenfolgen.




==Historische Entwicklung der Gnade==
In der '''Antike''' wurden Begnadigungen meist durch einen Gottkönig oder Cäsar ausgeübt, dem die Herrschertugenden wie Menschlichkeit, Milde und Nachsicht zugeschrieben wurden. Nach antiker Anschauung war Gnade ein Ausdruck der Güte, die in Griechenland als Philantropie und in Rom als Indulgentia oder Clementia bezeichnet wurde.


==Begriff==
Der deutsche Begriff Gnade ist von dem althochdeutschen Wort ''ginada'' hergeleitet, welches als „göttliches Erbarmen“ übersetzt werden kann. Sprachgeschichtlich ist es zudem mit dem germanischen Wortstamm ''neth'' verwandt, was soviel bedeutet wie Hilfe und Schutz.


Im '''Mittelalter''' wurde die Gnade durch das Christentum geprägt und als Ausübung der christlichen Tugend der Barmherzigkeit betrachtet. Der christliche Herrscher leitete seine Gnadengewalt aus dem göttlichen Herrschaftsauftrag ab. Im '''späten Mittelalter''' verbreitet sich das Richten nach Gnade. Deutsche Stadtrechte erlaubten den Richtern gegen einen Geldbetrag von der verwirkten Lebens- oder Leibesstrafe abzusehen. Dies führte zu Willkür und Konflikten mit den Territorialherren. Die „Bamberger Halsgerichtsordnung“ von 1507 sollte daher das Richteramt und die Gnadenbefugnis wieder trennen.
Die Gnade, wie sie historisch gewachsen ist, ist die menschliche und moralische Komponente des Rechts und umschließt die Milde, das Verzeihen, Vergeben und Vergessen.  
[[Bild:Gnade.jpg|thumb|Ablehnung eines Gnadengesuchs von 1843]]
 
 
Während des '''Absolutismus''' im 17. und 18. Jahrhundert war die Gnadengewalt ein persönliches Recht des Souveräns. Er gewährte Gnade aus Güte, persönlicher Zuneigung oder anlässlich freudiger Ereignisse (Geburten, Hochzeiten) im Herrscherhaus. Im Zeitalter der '''Aufklärung''' mehrten sich die Stimmen, im Namen der Gleichheit vor dem Gesetz die Gnade abzuschaffen. Philosophen und Rechtshistoriker lehnten das Institut der Gnade ab. Teilweise glaubten sie an eine vollkommene Gesetzgebung (Humboldt, [[Cesare Beccaria|Beccaria]], Bentham) oder kritisierten die missbräuchliche Handhabung der Gnadenmacht des Souveräns (Kant, Feuerbach). Unbeeindruckt davon wird mit dem "Preußischen Allgemeinen Landrecht" von 1794 wird die uneingeschränkte Begnadigungsbefugnis des Staatsoberhauptes als "Majestätsrecht" zum Prinzip erhoben.  
 


Mit der  [http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/verfassung/index.html '''Weimarer Reichsverfassung'''] (WRV) von 1919 wurde aus dem Deutschen Reich eine parlamentarische Demokratie. Der Reichspräsident erhielt die Gnadenbefugnis gem. Art. 49 Abs. 1 WRV. Für die Länder ergab sich die Begnadigungskompetenz aus deren Verfassungen, wobei der jeweilige Staatsminister zuständig war. Die Gnadenbefugnis war nun an das Amt und nicht mehr an die Person gebunden. Begnadigungsgründe waren u.a. das Wohlverhalten während der Haftzeit, frühere Verdienste um das Vaterland und ungerechtfertigte Härte der Strafe im Einzelfall.
Von Rechtsphilosophen und Teilen der Literatur wird sie als Institut aufgefasst, welches als Wiedergutmachung von Irrtümern und zur Korrektur von Mängeln der menschlichen Gerechtigkeit dient.  


Im umfassenden Sinne bedeutet Begnadigung Gunstbezeugung oder Vorteilsgewährung durch einen Träger hoheitlicher Gewalt. Im Rechtssinne meint dies die Freistellung eines Einzelnen von den durch rechtskräftiges Urteil festgestellten [[Strafe|Strafen]] und Nebenfolgen.


Im '''Nationalsozialismus''' wurde das Gnadenrecht von politischen Erwägungen bestimmt und die Kompetenznorm des Art. 49 Abs. 1 WRV immer mehr entwertet. Durch das Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. August 1934 wurde das Amt des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers vereinigt. Damit gingen alle Kompetenzen des Reichspräsidenten, einschließlich des Begnadigungsrechtes, auf den Reichskanzler über. Durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 erhielt dieser auch die Begnadigungskompetenzen der Länder. In § 1 Abs. 2 der Verordnung des Reichsministers der Justiz über das Verfahren in Gnadensachen vom 6. Februar 1935 (Reichsgnadenordnung, GnO 1935) konnte sich der Reichskanzler nach Belieben das Recht zur Begnadigung einzelner Strafsachen vorbehalten.




In der '''ehemaligen DDR''' gab es ebenfalls das Institut der Gnade, welches seit der Staatsgründung 1949 zentralistisch ausgeübt wurde. Das Begnadigungsrecht oblag nach Art. 107 der [http://www.documentarchiv.de/ddr/verfddr1949.html#101 Verfassung der DDR] vom 7. Oktober 1949 dem Präsidenten der Republik, wobei er von einem Ausschuss der Volkskammer beraten wurde.


==Heutiges Gnadenwesen==
==Heutiges Gnadenwesen==
===Kompetenzverteilung===
===Kompetenzverteilung===
Es ist zwischen der Kompetenz des Bundes und der Kompetenz der Länder zu differenzieren, wobei die Begnadigungskompetenzen nebeneinander stehen. Es kann deshalb keine Stelle des Bundes eine Gnadenentscheidung eines Landes prüfen oder ändern.  
Es ist zwischen der Kompetenz des Bundes und der Kompetenz der Länder zu differenzieren, wobei die Begnadigungskompetenzen nebeneinander stehen.  




'''Begnadigung auf Bundesebene'''
'''Begnadigung auf Bundesebene'''


Nach [http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_60.html Art. 60 Abs. 2 GG] übt der Bundespräsident die Begnadigungsbefugnis für den Bund aus, diese kann er auf andere Behörden übertragen. In seiner [http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gno/gesamt.pdf Anordnung über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes vom 5. Oktober 1965] wird die Übertragung der Befugnisse näher geregelt. Fälle von außerordentlicher Bedeutung hat sich der Bundespräsident vorbehalten, ansonsten hat er die Gnadenbefugnis in Strafsachen des Bundes aus den Bundesminister der Justiz übertragen. Die strafrechtliche Gnadenzuständigkeit des Bundes umfasst die Strafsachen, in denen im ersten Rechtszug in Ausübung der Strafgerichtsbarkeit des Bundes entschieden worden ist (§ 452 StPO). Vorraussetzung ist, dass eine in §§ 120, 74 a GVG abschließend aufgezählte Straftat abgeurteilt worden ist. Weiterhin steht dem Bund das Begnadigungsrecht in jenen Strafsachen zu, in denen der Bundesgerichtshof im ersten Rechtszug entschieden hat.
Nach [http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_60.html Art. 60 Abs. 2 GG] übt der Bundespräsident die Begnadigungsbefugnis für den Bund aus, diese kann er auf andere Behörden übertragen. In seiner [http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gno/gesamt.pdf Anordnung über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes vom 5. Oktober 1965] wird die Übertragung der Befugnisse näher geregelt. Fälle von außerordentlicher Bedeutung hat sich der Bundespräsident vorbehalten, ansonsten hat er die Gnadenbefugnis in Strafsachen des Bundes an den Bundesminister der Justiz übertragen. Die strafrechtliche Gnadenzuständigkeit des Bundes umfasst die Strafsachen, in denen im ersten Rechtszug in Ausübung der Strafgerichtsbarkeit des Bundes entschieden worden ist ([http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/_452.html § 452 StPO]). Vorraussetzung ist, dass eine in §§ 120, 74 a GVG abschließend aufgezählte Straftat abgeurteilt worden ist. Weiterhin steht dem Bund das Begnadigungsrecht in jenen Strafsachen zu, in denen der Bundesgerichtshof im ersten Rechtszug entschieden hat.




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Dem [http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__452.html § 452 Satz 2 StPO] zufolge stehen alle Strafsachen, die nicht im ersten Rechtszug in die Gerichtsbarkeit des Bundes fallen, den Ländern zu. In den Verfassungen der Länder wird das Begnadigungsrecht meist den Ministerpräsidenten zugesprochen, im Saarland der Landesregierung und in Berlin, Bremen und Hamburg dem Senat. Die Länder haben ihre Gnadenbefugnis größtenteils auf die Justizminister delegiert, welche wiederum durch Verwaltungsvorschriften nachfolgende Justizorgane wie den Generalstaatsanwalt und die Leitenden Oberstaatsanwälte ermächtigt haben.  
Dem [http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__452.html § 452 Satz 2 StPO] zufolge stehen alle Strafsachen, die nicht im ersten Rechtszug in die Gerichtsbarkeit des Bundes fallen, den Ländern zu. In den Verfassungen der Länder wird das Begnadigungsrecht meist den Ministerpräsidenten zugesprochen, im Saarland der Landesregierung und in Berlin, Bremen und Hamburg dem Senat. Die Länder haben ihre Gnadenbefugnis größtenteils auf die Justizminister delegiert, welche wiederum durch Verwaltungsvorschriften nachfolgende Justizorgane wie den Generalstaatsanwalt und die Leitenden Oberstaatsanwälte ermächtigt haben.  


Kritiker dieser Delegation vertreten den Standpunkt, die ermächtigten Staatsanwälte seien voreingenommen und nehmen als Organ der Strafverfolgungsbehörde eine ausgesprochene Parteistellung ein. Dem wird entgegnet, dass dies eine Verkennung der Grundlagen des Strafprozessrechtes bedeutet. [http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__160.html§ 160 Abs. 2 StPO] bestimmt deutlich, dass die Staatsanwaltschaft nicht nur die zur Belastung sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln hat.
Kritiker dieser Delegation vertreten den Standpunkt, die ermächtigten Staatsanwälte seien voreingenommen und nehmen als Organ der Strafverfolgungsbehörde eine ausgesprochene Parteistellung ein. Dem wird entgegnet, dass dies eine Verkennung der Grundlagen des Strafprozessrechtes bedeutet. Der [http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__160.html § 160 Abs. 2 StPO] bestimmt deutlich, dass die Staatsanwaltschaft nicht nur die zur Belastung sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln hat.




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