Nonviolent Communication® (NVC), zu Deutsch Gewaltfreie Kommunikation (GfK), ist ein Kommunikationsmodell, das vom US-amerikanischen Psychologen und Rogers-Schüler Marshall B. Rosenberg entwickelt wurde. Mittlerweile ist Gewaltfreie Kommunikation weltweit eine der meistgenutzten Methoden zur Konfliktbearbeitung. Das Konzept soll Menschen in die Lage versetzen, Konflikte auf ihren Kern, die Ebene der Bedürfnisse, zurückzuführen und sie somit in einer für alle Beteiligten akzeptablen Art zu lösen. NVC versteht sich nicht als Technik, andere Menschen zu einem bestimmten Handeln zu bewegen, sondern als Grundhaltung, bei der eine wertschätzende Beziehung im Vordergrund steht, wobei die Selbstverantwortung jedes Einzelnen betont wird. Synonyme sind Einfühlsame Kommunikation, Verbindende Kommunikation und Konstruktive Kommunikation.

Geschichte und Verbreitung

Marshall Rosenberg wurde 1934 in Canton, Ohio, geboren, wuchs in Detroit auf, wo er als Kind Zeuge von Rassenunruhen wurde. Diese und andere frühe Erfahrungen mit Gewalt aufgrund seiner jüdischen Herkunft beschreibt er später als Anlässe, sich fortan intensiver mit folgenden Fragen zu beschäftigen: Was geschieht genau, wenn wir die Verbindung zu unserer einfühlsamen Natur verlieren und uns schließlich gewalttätig und ausbeuterisch verhalten? Und umgekehrt, was macht es manchen Menschen möglich, selbst unter den schwierigsten Bedingungen mit ihrem einfühlsamen Wesen in Kontakt zu bleiben?

1961 promovierte Rosenberg als klinischer Psychologe an der Universität in Wisconsin. Als Schüler von Carl Rogers war er zunächst in der klinischen Psychologie tätig und erkannte dabei für sich die wissenschaftlichen Einschränkungen und die sozialen Gefahren der psychiatrischen Behandlung,da sie auf eine Betrachtung des Menschen als krankhaft abstellt. Dies inspirierte ihn, nach Möglichkeiten zu suchen, Psychologie auf andere, ‚lebensdienende’ Weise zu praktizieren. Ende der 60-er Jahre entwickelte er den Prozess der Nonviolent Communication. Diese stützt sich zwar auf Forschungen im Zusammenhang mit der von Rogers begründeten klientenzentrierten Gesprächstherapie, geht jedoch weit über den therapeutischen Rahmen hinaus, da sie für alle Menschen geeignet ist und konfliktgeladene Auseinandersetzungen in konstruktive Gespräche wandeln kann.

In den letzten 40 Jahren hat Rosenberg NVC in über 40 Ländern an Lehrer, Schüler, Eltern, Manager, Ärzte, Psychologen, Anwälte, Friedensaktivisten, Gefangene, Polizisten und Geistliche weitergegeben. Mittlerweile gibt es auch mehrere Schulprojekte wie z.B. in Israel und USA, wo Lehrer auf diese Weise unterrichten. 1994 haben serbische Pädagoginnen und Psychologen – unterstützt von Unicef – ein dreibändiges Werk zum Erlernen gewaltfreier Kommunikation nach Rosenbergs Methode für Kindergärten und Schulen entwickelt. Rosenberg hat auch ein speziell auf Kinder zugeschnittenes Konzept des Lernens der entwickelt. Rosenberg lehrte in Europa, Nahost, Afrika und den USA und reiste regelmäßig weltweit in Krisengebiete, um Mediationen anzubieten. Heute beschränkt sich seine persönliche Arbeit aus Altersgründen auf die USA. Er ist Mitglied des *Ehrenschutzkomitees der Internationalen Koordination für die Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder der Welt (2001-2010).

1984 gründete Rosenberg das Center for Nonviolent Communication (CNVC), dessen Zweck es ist, die Methode der NVC international zu verbreiten und sich für die gewaltfreie Lösung von Konflikten zu engagieren. NVC kann überall dort zum Einsatz kommen, wo kommuniziert wird und wo es Konflikte gibt. Sie findet deshalb Anwendung in Beratungen, Therapien, in Coaching und Mediation, sowie bei allen Arten von Verhandlungen. Organisationen und Institutionen nutzen NVC für ihre interne Kommunikation und Konfliktbearbeitung.

Theoretischer Hintergrund

Die NVC steht in der Tradition der von *Carl Rogers entwickelten *klienten-zentrierten Gesprächstherapie, in der das aktive Zuhören eine zentrale Rolle spielt. *M. K. Gandhis Konzept der Gewaltfreiheit beeinflußte Rosenbergs Arbeit ebenfalls stark. Da Marshall B. Rosenberg eng mit der Bürgerrechtsbewegung in den USA der 1960er Jahre verbunden war, hatten auch andere in dieser Zeit entstehende Kommunikationskonzepte wie Mediation und Win-Win-Strategien Einfluss auf die NVC.

Erläuterung des Konzepts von Rosenberg

In der NVC wird grundsätzlich angenommen, dass es sich bei jedem menschlichen Verhalten um einen Versuch handelt, ein Bedürfnis zu erfüllen. Weiterhin wird postuliert, dass alle Menschen die gleichen Bedürfnisse (allerdings in unterschiedlich starker Ausprägung) haben und nach deren Erfüllung streben. Da jedes Bedürfnis als Ausdruck des Lebens angesehen wird, sind sie nicht bewertbar, es gibt also keine „schlechten“ oder „negativen“ Bedürfnisse. Rosenberg nennt Gewalt einen tragischen Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse.

Da Menschen für die Erfüllung vieler Bedürfnisse als soziale Wesen voneinander abhängig sind, erhöhen gute Beziehungen zu Anderen die Chance auf Bedürfniserfüllung. Diese guten Beziehungen werden vor allem dann erreicht und erhalten, wenn eigene Bedürfnisse nicht durch gegen einen Anderen gerichtetes Verhalten, sondern durch Kooperation erfüllt werden. Rosenberg geht davon aus, dass jeder Mensch wegen des beschriebenen Interesses an guten Beziehungen zu anderen gern bereit sei, etwas zur Erfüllung der Bedürfnisse eines anderen Menschen zu tun, sofern dies freiwillig geschehen kann.

In der NVC geht es also einerseits darum, sich eigener Bedürfnisse bewusst zu werden, diese anderen gegenüber auszudrücken und gleichzeitig zu kommunizieren, was der andere zur Erfüllung dieser Bedürfnisse beitragen könnte. Andererseits ist es das Ziel der NVC, die hinter dem Verhalten des Gegenüber stehenden Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und festzustellen, was wir zur Erfüllung dieser Bedürfnisse und damit zu einer guten Beziehung beitragen können und wollen.

Mittel des Erkennens von Gefühlen und Bedürfnissen ist in der NVC die Empathie. Sofern es um eigene Verhalten und die dahinter stehenden Bedürfnisse geht, spricht Rosenberg von Selbstempathie.

Marshall B. Rosenberg vertritt die Auffassung, dass Konflikte auf der Ebene der Bedürfnisse letztendlich immer zu lösen seien. Unvereinbarkeit könne es nur auf der Ebene der Strategien zur Bedürfniserfüllung geben.

Rosenberg stellt zur Veranschaulichung seines Konzeptes zwei mögliche Formen zwischenmenschlicher Kommunikation gegenüber, die Nonviolent Communication und die lebensentfremdende Kommunikation.

Lebensentfremdende Kommunikation

Der Gewalt-Begriff umfasst bei Rosenberg jegliche Bedürfniserfüllung auf Kosten Anderer. Hierauf bezieht sich auch seine Definition lebensentfremdender Kommunikation, unter der er Kommunikationsformen zusammenfaßt, die im Sinne seines Begriffes der Gewalt dienen. Rosenberg nennt folgende Merkmale, um lebensentfremdende Kommunikation kenntlich zu machen:

1. Moralische Urteile

Moralische Urteile unterstellen laut Rosenberg dem Gegenüber, dass er/sie schlecht und im Unrecht ist, wenn er sich entgegen der Wünsche anderer verhält. Formen moralischer Urteile sind z. B. Schuldzuweisungen, Kritik, Diagnosen und Etikettierungen in Form von Schubladendenken. Bei Verurteilungen anderer Menschen geht es um Fragen wie diese: Wer ist wie? Was ist richtig und was ist falsch?

2. Vergleiche

Auch Vergleiche sind in Rosenbergs Augen eine Form von Verurteilung. Das Anstellen von Vergleichen kann das Empathie mit sich selbst und anderen blockieren. Beispiel: Meine jüngere Schwester ist Abteilungsleiterin, während ich noch nicht einmal eine festen Job habe.

3. Verantwortung leugnen

Die Nutzung des weit verbreiteten Wortes „müssen“, ist lt. Rosenberg eine Sprachwendung, welche die Verantwortung für Handlungen verschleiert. Der Gebrauch des Begriffs „müssen“ reduziert die Übernahme von Eigenverantwortung für persönliche Entscheidungen, Gedanken und Gefühle. Beispiel: Ich konnte nicht pünklich kommen, weil ich schnell noch etwas erledigen mußte.

4. Wünsche in Form von Forderungen formulieren

Ein weiteres typisches Merkmal einer lebensentfremdenden Kommunikation ist das Formulieren von Wünschen in Form von Forderungen. Der Unterschied zwischen Bitte und Forderung ist, dass einer Bitte auch nicht entsprochen werden kann, ohne dass dafür Sanktionen drohen. Einer Forderung hingegen zieht bei Nichterfüllung Strafe nach sich, die in absichtlichem Hervorrufen von Angst, Scham und Schuldgefühlen bestehen kann.

Grundmodell der NVC

Die vier Schritte der NVC sind Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte.

1.Es wird eine konkreten Handlung beschrieben, die – im Konfliktfall – das Wohlbefinden eines Anderen beeinträchtigt. Dabei ist es von grundlegender Bedeutung, die Beobachtung nicht mit einer Bewertung oder Interpretation zu vermischen. Sollte eine bewertungsfreie Handlungsbeschreibung vom Gegenüber dennoch als Kritik interpretiert werden, ist es hilfreich, wenn der Kommunikationspartner das Gehörte paraphrasiert und so die Gelegenheit zu Klarstellungen schafft

2.Es wird das Gefühl ausgedrückt, das die beschriebene Handlung im Beobachter auslöst.

3.Gefühle werden innerhalb der NVC immer als Ausdruck von Bedürfnissen angesehen, so dass der nächste Schritt darin besteht, dass zu dem Gefühl gehörige Bedürfnis festzustellen und auszudrücken.

4.Es folgt die Bitte um eine konkrete Handlung. Man kann unterscheiden zwischen einer Handlungsbitte (beispielsweise darum, die Geschirrspülmaschine auszuräumen) und einer Beziehungsbitte (beispielsweise um eine Beschreibung der eigenen Empfindungen). Der Grund für die Nichterfüllung von Handlungsbitten liegt oft auf der Beziehungsebene, so dass es in diesem Falle sinnvoll ist, zunächst eine Beziehungsbitte zu stellen. Rosenberg betont in seinem Konzept, dass Bitten sich im Gegensatz zu Wünschen immer auf die Gegenwart beziehen, also jetzt erfüllbar sind.

Rosenberg fasst die Kommunikationsart der NVC in folgendem Satz zusammen: „Wenn a, dann fühle ich mich b, weil ich c brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne d.“ Der Kommunikationsprozess wird fortgesetzt, indem die Erwiderung des Kommunikationspartners ebenfalls auf dessen Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten hin betrachtet wird.

Beispiel

Gewaltfreie Kommunikation versus lebensentfremdende Kommunikation

Gewaltfreie Kommunikation Lebensentfremdende Kommunikation
Situation Konkrete Handlungen, die wir beobachten und die unser Wohlbefinden beeinträchtigen.
  • „In der letzten Woche hast du keinen Abend mit mir gemeinsam verbracht.“
Beobachtung, Bewertung und Interpretation werden vermischt.
  • „Wenn Du mich lieben würdest, kämst du öfter vorbei!“
Gefühl Die Gefühle werden mit dem in Verbindung gebracht, was wir beobachten.
  • „Ich bin traurig und beunruhigt“
Keine Erläuterung über Zusammenhang der Situation mit dem Gefühl, sondern: Eine Interpretation wird als Gefühl geäußert. Schuldzuweisungen, Vorwürfe, Pauschalierungen.
  • Du mißachtest mich, es ist dir völlig egal, ob ich auf dich warte.
Bedürfnis Bedürfnisse, aus denen Gefühle entstehen, werden betrachtet und mitgeteilt.
  • „weil ich Zeit, die ich mit dir verbringe sehr genieße und um unsere Beziehung fürchte, wenn wir uns so selten sehen.“
Das Bedürfnis wird nicht (klar) geäußert, stattdessen wird der andere moralisch verurteilt.
  • „Du bist ein egoistischer Ignorant!“
Bitte/Forderung Um eine konkrete Handlung wird gebeten – auch Nichterfüllung ist in Ordnung.
  • „Sage mir bitte, ob du bereit bist, mindesten zwei Abende in der Woche mit mir zu verbringen.“
Es wird eine Forderung gestellt. Bei Nichtbeachten drohen Sanktionen.
  • „Wenn sich das nicht ändert, kannst du unsere Beziehung vergessen!“

Kriminologische Relevanz

In die deutsche Strafrechtspflege findet die NVC u.a. im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs Eingang. Die Betonung der Eigenverantwortung in der NVC fördert die im TOA hervorgehobene Autonomie der Konfliktparteien.

In den letzten Jahrzehnten wurden insbesondere in den USA, Europa und Australien auf der Grundlage der NVC immer wieder Trainingskurse für Inhaftierte angeboten. Auch in der weltweiten Restorative-Justice-Arbeit wird die NCV häufig genutzt (Für Dokumentationen zu diesem Themen kontaktieren Sie bitte das *CNVC.)

Gegenwärtig gibt es beispielsweise in den USA, im Staat Washington, das sog. *Freedom Projekt, das einerseits Trainings in NCV für Gefangene anbietet. Außerdem lernen Inhaftierte, deren Entlassung bevorsteht NVC. Gleichzeitig werden Angehörige und Kommunen, die die Gefangenen nach der Entlassung aufnehmen sollen, ebenfalls in dieser Kommunikationsweise trainiert. Die Rückkehr des Gefangenen in Familie und Kommune wird ebenfalls im Rahmen des Projektes begleitet.

Des weiteren arbeitet das CNVC im Rahmen des *Restorativ Justice Projektes weltweit mit Initiativen auf diesem Gebiet zusammen. Ziel ist es, die NVC für die Restorativ Justice bestmöglich nutzbar zu machen. Innerhalb der letzten zwei Jahre wurden Projekte in 15 Ländern unterstützt, aktuell sind es Brasilien, Kanada die USA und England.

Literatur

  • Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. 7. überarb. und erw. Neu Auflage. Junfermann, Paderborn 2007, ISBN 978-3-87387-454-1. 
  • Marshall B. Rosenberg, Gabriele Seils: Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. Ein Gespräch mit Gabriele Seils. 5. Auflage. Herder, Freiburg/Basel/Wien 2005, ISBN 3-451-05447-7
  • Marshall B. Rosenberg: Die Sprache des Friedens sprechen. 1. Auflage. Junfermann, Paderborn 2006, ISBN 978-3-87387-640-8
  • Marshall B. Rosenberg: Das können wir klären! 2. Auflage. Junfermann, Paderborn 2007, ISBN 978-3-87387-568-5
  • Marshall B. Rosenberg: Erziehung, die das Leben bereichert. Gewaltfreie Kommunikation im Schulalltag. 3. Auflage. Junfermann, Paderborn 2007, ISBN 978-3-87387-566-1
  • Klaus-Dieter Gens: Mit dem Herzen hört man besser. Einladung zur Gewaltfreien Kommunikation. 1. Auflage. Junfermann, Paderborn 2007, ISBN 3-87387-667-1
  • Ingrid Holler und Vera Heim: Konflikt-Kiste. Konflikte erfolgreich lösen mit der Gewaltfreien Kommunikation. 1. Auflage. Junfermann, Paderborn 2005, ISBN 978-3-87387-597-5


Weblinks