Der frühere RAF-Terrorist Gerhard Müller wird seit seiner Entlassung aus dem Hamburger Strafvollzug - die in den späten 1970er oder in den 1980er Jahren erfolgt sein dürfte - vom Staat vesteckt und lebt an einem geheimgehaltenen Ort unter falschem Namen. "Um meine eigene Situation zu verbessern" hatte er gegen frühere Genossen ausgesagt. Obwohl es damals noch keine Kronzeugenregelung gab, die ein Geschäft zum gegenseitigen Vorteil zwischen Staat und Terrorist juristisch ermöglicht, nimmt Ulf G. Stuberger (2008b) an, dass Müller als einem De-Facto-Kronzeugen unter Brechung rechtlicher Vorschriften Vergünstigungen gewährt wurden. Stuberger sammelte dazu Indizien. So wurden die Vernehmungsprotokolle (zuständig war die Abteilung K 421 der Hamburger Polizei) "vom Generalbundesanwalt mit dem Stempel 'VS-Vertraulich' zur geheimen Staatssache erklärt. Selbst Richter durften nicht alle Teile der mit dem Zeichen 3 ARP 74/75 I versehenen Akte einsehen. Die ersten elf Seiten blieben Staatsgeheimnis. Das rief den Argwohn des schon damals politisch sehr engagierten RAF-Vertrauensverteidigers Otto Schily hervor, der am Rande des Stammheimer Strafverfahrens gegen Andreas Baader und Komplizen davon träumte, die geheimen Aktenteile an die Öffentlichkeit zu bringen, wenn er einmal 'an die Macht' kommen werde. Dass sich Schily dann als Bundesinnenminister darum gekümmert hätte, ist nicht bekanngeworden; öffentlich wurden die ersten elf Seiten der Müller-Akte nie. - 1996 hat der Generalbundesanwalt nach eigenen Angaben die Originalakte vernichtet. Der Sperrvermerk wurde aber erst am 3. August 2007 aufgehoben. ... Dem Bundesarchiv wurden nur Teile der Akte in schlecht lesbaren Kopien übergeben. ... Das Bundesarchiv nimmt an, dass im Bundesjustizministerium noch eine Kopie der Akte existiert. Wenn die Auskunft zutrifft, dass die ersten elf Seiten der Akte ... nicht gesperrt waren oder es nicht mehr sind, könnten sie der Öffentlichkeit ... bekanntgegeben werden. Die Akte, die im Bundesarchiv lagert, beginnt mit einem Begleitschreiben des Bundeskriminalamts vom 23. Juni 1975 an den Generalbundesanwalt, dem auf der folgenden Seite ein Protokoll der Abteilung K 421 vom 10. Juni 1975 folgt, das mit den Worten beginnt: 'Vorgeführt aus der U-Haftanstalt Hamburg mahct Herr Gerhard Müller, Pers. bekannt, in Fortsetzung seiner Vernehmung vom 5.6.1975 nachstehende Angabe ..." Wo aber sind die Protokolle der Vernehmung, die es dann ja vor dieser 'Fortsetzung' gegeben haben muss? Warum hat der Generalbundesanwalt die Originale vernichtet, bevor dem Bundesarchiv nur schlecht lesbare Kopien übergeben worden sind? Wurden müller tatsächlich für seine Aussagen als 'Kronzeuge' nur 'Mittagessen, kaffee und Brause gereicht', wie es in den Protokollen heißt? All diese Fragen sind weiterhin offen."

Quellen

  • Stuberger, Ulf G. (2008a) Vertuschen und vernichten. Wie der deutsche Staat mit Gesetzesbrüchen bei der RAF-Fahndung umgeht: Es verschwinden nicht nur Terroristen spurlos, sondern auch deren Akten. FAZ 5.04.08: 35.
  • Stuberger, Ulf G. (2008b) Das bekannte Unbekannte. Gerhard Müller geheime RAF-Akte verwirrt weiter. FAZ 15.04.08: 33.