Gerhard Müller erschoss als Mitglied der RAF am 22.10.1971 in Hamburg den Polizisten Norbert Schmid und verletzte den Polizisten Lemke am Bein. Müller wurde (wohl als Gegenleistung für Aussagen) in den späten 1970er oder frühen 1980er Jahren aus dem Hamburger Strafvollzug entlassen. Er wurde vom Staat versteckt und lebt seither unter falschem Namen an einem geheimgehaltenen Ort. Eine rechtliche Möglichkeit für eine solche "Kronzeugenregelung" gab es zu der Zeit noch nicht. Ulf G. Stuberger (2008b) nimmt an, dass zugunsten des RAF-Mitglieds rechtswidrige Vergünstigungen gewährt wurden, die durch die Manipulation von Aktenbeständen und Zugangssperren verschleiert werden sollten:

  • die Vernehmungsprotokolle (zuständig war die Abteilung K 421 der Hamburger Polizei) wurden vom Generalbundesanwalt mit dem Stempel 'VS-Vertraulich' zur geheimen Staatssache erklärt; selbst Richter durften nicht alle Teile der mit dem Zeichen 3 ARP 74/75 I versehenen Akte einsehen
  • während die Tatsache, dass die ersten elf Seiten der Akte Staatsgeheimnis wurden, seinerzeit den RAF-Verteidiger Otto Schily zu der Aussage veranlasst hatte, wenn er (Schily) einmal "an die Macht" käme, würde er die geheimen Aktenteile an die Öffentlichkeit bringen, hat er sich als Innenminister nicht mehr darum gekümmert; das Geheimnis wurde nie gelüftet
  • 1996 vernichtete der Generalbundesanwalt nach eigenen Angaben die Originalakte
  • Trotz der Vernichtung im Jahre 1996 wurde der Sperrvermerk der Akte erst am 03.08.07 aufgehoben
  • Dem Bundesarchiv wurden Teile der Akte in schlecht lesbaren Kopien übergeben
  • Das Bundesarchiv nahm (2008) an, dass im Bundesjustizministerium noch eine Kopie der Akte existierte
  • Wenn die Auskunft zutrifft, dass die ersten elf Seiten der Akte nicht gesperrt waren oder es nicht mehr sind, könnten sie der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden
  • Die Akte, die im Bundesarchiv lagert, beginnt mit einem Begleitschreiben des Bundeskriminalamts vom 23. Juni 1975 an den Generalbundesanwalt, dem auf der folgenden Seite ein Protokoll der Abteilung K 421 vom 10. Juni 1975 folgt, das mit den Worten beginnt: 'Vorgeführt aus der U-Haftanstalt Hamburg macht Herr Gerhard Müller, Pers. bekannt, in Fortsetzung seiner Vernehmung vom 5.6.1975 nachstehende Angabe ..."
  • Wo aber sind die Protokolle der Vernehmung, die es dann ja vor dieser 'Fortsetzung' gegeben haben muss? Warum hat der Generalbundesanwalt die Originale vernichtet, bevor dem Bundesarchiv nur schlecht lesbare Kopien übergeben wurden?
  • Wurden Müller tatsächlich für seine Aussagen als 'Kronzeuge' nur 'Mittagessen, kaffee und Brause gereicht', wie es in den Protokollen heißt? All diese Fragen sind weiterhin offen."

Quellen

  • Stuberger, Ulf G. (2008a) Vertuschen und vernichten. Wie der deutsche Staat mit Gesetzesbrüchen bei der RAF-Fahndung umgeht: Es verschwinden nicht nur Terroristen spurlos, sondern auch deren Akten. FAZ 5.04.08: 35.
  • Stuberger, Ulf G. (2008b) Das bekannte Unbekannte. Gerhard Müller geheime RAF-Akte verwirrt weiter. FAZ 15.04.08: 33.