Eine gerechte Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der weder Willkür noch die bloße Macht des Stärkeren herrschen, sondern die Prinzipien der (politischen) Gerechtigkeit realisiert sind. Worin genau diese Prinzipien bestehen, ist allerdings seit unvordenklichen Zeiten umstritten. Und selbst wenn man die Prinzipien einer gerechten Gesellschaft benennen könnte, wäre damit die Frage noch nicht gelöst, wie man das Ideal in die Praxis umsetzen könnte. Mit beiden Fragen - mit dem, was eine gerechte Gesellschaft ausmacht und wie man dorthin gelangen könnte - befasst sich in jüngster Zeit der Bremer Hochschullehrer Felix Ekardt.


Felix Ekardt

Felix Ekardt ist der Ansicht, dass eine Gesellschaft heutzutage nur dann als gerecht bezeichnet werden kann, wenn sie ihre Maßstäbe des Gerechten auch gegenüber künftigen Generationen und gegenüber räumlich entfernten aktuellen und künftigen Erdbewohnern einlösen kann. Das heißt, eine Gesellschaft wäre nur dann gerecht, wenn sie global und generationenübergreifend die vier Elemente der Gerechtigkeit realisierte: Vernunft, Würde, Unparteilichkeit und Freiheit.

Das Erfordernis der Vernünftigkeit einer politischen Grundordnung

1. Was bedeutet "vernünftig"?

Vernunft ist das menschliche Vermögen, Wertungsfragen mit Gründen zu entscheiden; vernünftig bedeutet "begründet". Da nun aber keine Möglichkeit besteht zu wissen, wer wann die besten Gründe liefern wird, um die letzten Wertfragen zu entscheiden - weil also substantialistische Maßstäbe dafür fehlen - ist eine Ordnung nur dann vernünftig, wenn sie jedem Menschen (heutigen und künftigen, über alle Grenzen hinweg) mit Achtung vor seiner individuellen Autonomie entgegentritt und ihm ganz unparteiisch genau so viel Raum zur Artikulation seiner Gründe gibt wie allen anderen. Achtung vor allen anderen Individuen und vor ihrer freien Meinung ist also eine Konsequenz der Vernünftigkeit einer sozialen Ordnung - ebenso wie es auch die Unparteilichkeit ist.

Wer selber Gründe anführt, würde sich zu sich selbst in Widerspruch setzen, wenn er nicht allen anderen ebenfalls die Möglichkeit freier Argumentation gäbe. "Jemand, der in einem Gespräch Gründe gibt, dann aber dem Gesprächspartner die Achtung streitig macht, widerspräche sich ergo selbst, weil er das leugnet, was sein Reden in Gründen als Diskursregel logisch impliziert. Andernfalls wäre ja kein freies Sich-Überzeugen mit Gründen möglich. "Und sofern ein Gerechtigkeitsdiskurs geführt wird, muss, wieder mangels substantialistischer Maßstäbe und wegen der auf gleiche freie Überzeugung gerichteten Kategorie Grund, sowohl der Ablauf als auch das Ergebnis allgemein zustimmungsfähig, also unparteiisch, sein. Dies ist die Begründung der liberalen Basis - und sie ist universal, weil sie an die humane Praxis des Sprechens in Gründen anknüpft und damit alle Kulturgrenzen übersteigt" (Ekardt 2005: 62 f.).

Gerecht ist eine politische Grundordnung nach E. "dann, wenn sie dem Achtungs- und dem Unparteilichkeitsprinzip genügt (...) und daraus Freiheitsrechte und Demokratie herleitet. Freilich ist die Richtigkeit (...) nur gegeben, wenn die Ordnung (...) die Freiheitsrechte zeitneutral und auch (...) global-zwischenstaatlich anerkennt (sich also der Nachhaltigkeit öffnet) und (...) den Freiheitsbegriff neu interpretiert" (2005: 59).

Zitate aus "Das Prinzip Nachhaltigkeit"

"Ohne eine neu fundierte Lehre von der gerechten Grundordnung und eine Neuinterpretation unserer Verfassungen, ohne ein auf beiden Ebenen neuformiertes Freiheitskonzept, vor allem aber ohne mehr Generationengerechtigkeit und Gerechtigkeit zwischen dne Völkern diesre Erde können wir nicht länger sagen, dass unser Zusammenleben gerecht ist. Und ohne ein neues Konzept politischer Steuerung wird die Politik als Mittler unserer Konflikte endgültig scheitern. Ganz besonders die Jahrhundertaufgabe Nachhaltigkeit, unter die wir die Generationen- und die globale Gerechtigkeit seit kurzem begrifflich fassen, wird ohne ein solches Konzept nicht zu meistern sein" (S. 9).


Literatur

Ekardt, Felix (2005) Das Prinzip Nachhaltigkeit. Generationengerechtigkeit und globale Gerechtigkeit. München: C.H. Beck.

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