Gemeinschaftsfremdengesetz: Unterschied zwischen den Versionen

 
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Das „Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“, bekannt auch als  '''Gemeinschaftsfremdengesetz''', wurde durch die nationalsozialistische Führung in der Zeit des zweiten Weltkriegs initiiert. Mit der Planung und Ausfertigung waren führende Kriminologen und Strafrechtssexperten der Nazis beauftragt. Durch das Gesetzes sollten rechtliche Grundlagen gegen „gemeinschaftsfremde“ Personen geschaffen werden. Es sollte am 30. Januar 1945 in Kraft treten, dies wurde jedoch durch die Kriegsentwicklungen verhindert. Offiziel wurde das Gesetz demnach nie verabschiedet. Es wurden lediglich fertige Gesetzesentwürfe erstellt, die nichtsdestoweniger zu praktischer Anwendung fanden.


== '''Begriffsbestimmung''' ==
Das Gesetz hielt einen großen Spielraum für subjektive Auslegungen offen. Die Definition des „Gemeinschaftsfremden“ war relativ weit auszulegen. Innerhalb der nationalsozialistischen Führung unterlag der Begriff den verschiedensten Interpretationen, so dass sich das Gesetz als „Gummiparagraph“ bezeichnen lässt (Giordano, 1989).  
 
 
Das „Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“, bekannt auch als  „Gemeinschaftsfremdengesetz“, wurde durch die nationalsozialistische Führung in der Zeit des zweiten Weltkriegs entwickelt. Mittels des Gesetzes sollten Befugnisse gegen „gemeinschaftsfremde“ Personen geschaffen werden. Es sollte am 30. Januar 1945 in Kraft treten, dies wurde jedoch durch die Kriegsentwicklungen verhindert. Es wurden lediglich fertige Gesetzesentwürfe erstellt.  
Die Definition des „Gemeinschaftsfremden“ war relativ weit auszulegen. Innerhalb der nationalsozialistischen Führung unterlag der Begriff den verschiedensten Interpretationen, so dass sich das Gesetz als „Gummiparagraph“ bezeichnen lässt (Giordano, 1989).  
 


== Wortlaut ==
Nach Artikel I des Gesetzes galt als „gemeinschaftsfremd“,
Nach Artikel I des Gesetzes galt als „gemeinschaftsfremd“,


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:Menschen, die nach ihrer Persönlichkeit und Lebensführung erkennen lassen, dass ihre Sinnesart auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist.
:Menschen, die nach ihrer Persönlichkeit und Lebensführung erkennen lassen, dass ihre Sinnesart auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist.


== '''Entstehungshistorie''' ==
== '''Entstehungshistorie''' ==
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=== Registrierung der „Asozialen“ ===
=== Registrierung der „Asozialen“ ===


Bereits zu Begin der NS-Diktatur wurde im Rahmen der „Erbbiologischen Bestandsaufnahme“ mit dem Aufbau gigantischer Karteien begonnen. In diesen Karteien wurden neben „Geisteskranken“ und Behinderten auch alle Arten von „Asozialen“ aufgenommen. Zu den „Asozialen“ konnten Personen sämtlicher Volksgruppen gehören, auch deutscher Herkunft. Bei der Registrierung orientierte man sich primär an den angeblichen Erkenntnissen der NS-Erbbiologie. Fürsorgeeinrichtungen wurden angehalten, verdächtige Personen mit „erbkranken“ Merkmalen zu melden. Hierzu bezog man das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 ein. Mittels der Befugnisse durch dieses Gesetz war es ohne besondere Schwierigkeiten möglich, bereits bei Anzeichen auf „Schwachsinn“ oder „moralischen Schwachsinn“, „Asoziale“ zu sterilisieren (Ayaß, 1998). Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen galten „Asoziale“ als „unnütze Esser“. Ihre Verfolgung begann mit einer vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda initiierten Verhaftungswelle gegen Bettler und Landstreicher. Die Maßnahmen steigerten sich im folgenden und richteten sich dabei zum Beispiel gegen Straßenprostituierte und Kriminelle (Benz, Graml & Weiß, 2001).
Bereits zu Begin der NS-Diktatur wurde im Rahmen der „Erbbiologischen Bestandsaufnahme“ mit dem Aufbau gigantischer Karteien begonnen. In diesen Karteien wurden neben „Geisteskranken“ und Behinderten auch alle Arten von „Asozialen“ aufgenommen. Die Registrierung „Asozialen“ ist als Anfang der systematischen Ächtung bestimmter Personenkreise außerhalb des Strafrechts zu verstehen. Als „Asoziale“ konnten Personen sämtlicher Volksgruppen bezeichnet werden, auch deutscher Herkunft. Bei der Registrierung orientierte man sich primär an den mutmaßlichen Erkenntnissen der NS-Erbbiologie. Fürsorgeeinrichtungen wurden angehalten, verdächtige Personen mit „erbkranken“ Merkmalen zu melden. Hierzu bezog man das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 ein. Mittels der Befugnisse durch dieses Gesetz war es ohne besondere Schwierigkeiten möglich, bereits bei Anzeichen auf „Schwachsinn“ oder „moralischen Schwachsinn“, „Asoziale“ zu sterilisieren, um sie von der Fortpflanzung auszuschließen (Ayaß, 1998). Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen galten „Asoziale“ als „unnütze Esser“. Diese Auffassung verstärkte sich in den Kriegszeiten durch die Engpässe in der Lebensmittelversorgung. Die systematische Verfolgung von „Asozialen“ begann mit einer vom „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ initiierten Verhaftungswelle gegen Bettler und Landstreicher. Die Maßnahmen steigerten sich im Folgenden und richteten sich dabei zum Beispiel gegen Straßenprostituierte und Kleinkriminelle (Benz, Graml & Weiß, 2001). Vor allem gerieten aber auch Personen in den Fokus, die sich aufgrund verschiedener Gegebenheiten nicht als vollwertige Arbeitskräfte präsentierten, oder als Soldaten keine ausreichende Verwendungsbreite aufwiesen.


=== Ableitung des Begriffs „Gemeinschaftsfremde“ ===
=== Ableitung des Begriffs „Gemeinschaftsfremde“ ===
   
   
Vor allem durch die an Einfluss gewinnenden Erkenntnisse der [[Lebensunwertes Leben|„Eugenik“]] und der damit verbundenen [[Kriminologie im Dritten Reich|„Rassenhygiene“]] schritt innerhalb der NS-Führung zunehmend das Bedürfnis nach Kontrolle und Steuerung über die unliebsame Gruppe der „Asozialen“ an. Hierzu waren jedoch effektivere rechtliche Befugnisse notwendig. Das Synonym „Asoziale“ wurde durch den Begriff „Gemeinschaftsfremde“ abgelöst, so dass der Begriff „Gemeinschaft“ nunmehr zentral in den Vordergrund gestellt wurde. Der „Gemeinschaftsfremde“ verhielt sich unter dem Einfluss des Begriffs nun nicht mehr nur ausschließlich „asozial“, sondern auch der Volksgemeinschaft gegenüber feindlich. Mit dem Begriff der Volksgemeinschaft wurden allgemein geschätzte Werte wie Moral, Gesundheit, Schönheit und Sexualität verbunden, somit sehr hohe Werte, die es unbedingt zu schützen galt (Haug, 1986).
Vor allem durch die an Einfluss gewinnenden Erkenntnisse der [[Lebensunwertes Leben|Eugenik]] und der damit verbundenen [[Kriminologie im Dritten Reich|Rassenhygiene]] schritt innerhalb der NS-Führung zunehmend das Bedürfnis nach Kontrolle und Steuerung über die unliebsame Gruppe der „Asozialen“ an. Man verfolgte stringent die theoretische Vorstellung des perfekten „Ariers“ und strebte dieses rassenpolitische Ziel mit aller Konsequenz an. Gewissen Personenkreisen, auch wenn diese „rein“ deutscher Herkunft waren, gab man von vornherein keine Möglichkeit, sich dieser Idealvorstellung einzugliedern. Man wollte sie viel mehr aus der Gemeinschaft gänzlich verdrängen. Hierzu waren jedoch effektivere rechtliche Befugnisse, als die bis dahin bestehenden, notwendig. Die angedachten Maßnahmen sollten einen fundierten rechtlichen Ursprung erhalten. Das Synonym „Asoziale“ wurde in diesem Zusammenhang durch den Begriff „Gemeinschaftsfremde“ abgelöst, so dass der Begriff „Gemeinschaft“ nunmehr zentral in den Vordergrund gestellt wurde. Der „Gemeinschaftsfremde“ verhielt sich unter dem Einfluss des Begriffs nun nicht mehr ausschließlich „asozial“, sondern auch der Volksgemeinschaft gegenüber feindlich. Mit dem Begriff der Volksgemeinschaft wurden allgemein geschätzte Werte wie Moral, Gesundheit, Schönheit und Sexualität verbunden, somit sehr hohe Werte, die es unbedingt zu schützen galt (Haug, 1986).


=== Begin der Gesetzesentstehung ===  
=== Anfänge der Gesetzesentstehung ===  


In seinem Amt als SS-Obergruppenführer, General der Polizei und Leiter des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) beauftragte Reinhard Heydrich im Jahre 1940 die Ausarbeitung eines „Gemeinschaftsfremdengesetzes“. Über die Benennung des Gesetzes entstanden über Jahre hinweg Unstimmigkeiten. Erst 1944 einigten sich die beteiligten Instanzen unter Anleitung Heinrich Himmlers auf den Wortlaut „Gesetz zur Behandlung Gemeinschaftsfremder“ (Benz, Graml & Weiß, 2001). Zur Einführung des Gesetzes sollte eine einwöchige Präsentation erfolgen, in der unter anderem ein fundierter Vortrag des Münchner Reichsprofessors [[Edmund Mezger]] zu der Thematik „Gemeinschaftsfremdengesetz im Lichte der Kriminalbiologie“ angedacht war. Den ersten Überlegungen zum Gesetzesinhalt standen noch Gegensätze im Zusammenhang mit den damit verbundenen Anpassungsänderungen im Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) entgegen. Diese Korrespondenz verzögerte das Vorhaben der Gesetzesverabschiedung derart, dass das Gesetz bis zum Kriegsende nicht mehr offiziell eingeführt werden konnte.
In seinem Amt als SS-Obergruppenführer, General der Polizei und Leiter des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) beauftragte Reinhard Heydrich im Jahre 1940 die Ausarbeitung eines „Gemeinschaftsfremdengesetzes“. Über die Benennung der Vorschrift entstanden über Jahre hinweg Unstimmigkeiten. Erst 1944 einigten sich die beteiligten Instanzen unter Anleitung Heinrich Himmlers auf den Wortlaut „Gesetz zur Behandlung Gemeinschaftsfremder“ (Benz, Graml & Weiß, 2001). Zur Einführung des Gesetzes sollte eine einwöchige Präsentationsveranstaltung erfolgen, in der unter anderem ein Vortrag des Münchner Reichsprofessors [[Edmund Mezger]] zu der Thematik „Gemeinschaftsfremdengesetz im Lichte der Kriminalbiologie“ angedacht war. Den ersten Überlegungen zum Gesetzesinhalt standen noch Gegensätze im Zusammenhang mit den damit verbundenen Anpassungsänderungen im „Reichsstrafgesetzbuch“ (RStGB) entgegen. Auch tauchten immer wieder Unklarheiten bezüglich der verschiedenen Kompetenzen einzelner Instanzen auf. Diese Korrespondenzen verzögerten das Vorhaben der Gesetzesverabschiedung derart, dass es bis zum Kriegsende nicht mehr offiziell eingeführt werden konnte.




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=== Der „Rassenhygienische Diskurs“ ===
=== Der „Rassenhygienische Diskurs“ ===


Die Diskussionen über „ethnische Säuberungen“ bestimmten im Verlaufe der NS-Herrschaft mehr und mehr den politischen Alltag. Die nationalsozialistische Sozialpolitik legte keinen Wert mehr auf die Wohlfahrtspflege. Viel mehr fand die „Volkspflege“ Eingang in die öffentliche Diskussion. Die „Wohlfahrtspflege“ wurde durch die „Erbgesundheitspflege“ abgelöst. Hiermit war ein drastischer Wechsel der politischen Haltung verbunden. Während die Wohlfahrt noch Wert auf den Einzelnen gelegt hatte, trat nun einzig und alleine die Volksgemeinschaft in den Mittelpunkt des Interesses. Parallel hierzu wurde der Gedanken der Reintegration gemindert. „Volksschädlinge“ sollten fortan nur noch bekämpft und „ausgemerzt“ werden. Der „Volkskörper“ wurde als zentrales Grundelement präsentiert. „Minderwertige“ oder „asoziale“ Personen konnten dem „Volkskörper“ schaden und mussten aus diesem verbannt werden. Maßnahmen gegen sie wurden mit dem Notwehrrecht erklärt. Die [[Kriminologie im Dritten Reich|„Rassenhygienische Diskussion“]] bediente sich vermehrt aus Ansichten der nationalsozialistischen Erblehre und Kriminalbiologie. Der „gesunde“ Volkskörper sollte somit nur aus Personen „reinem“ Erbgutes bestehen (Ayaß, 1998).
Die Diskussionen über „ethnische Säuberungen“ bestimmten im Verlaufe der NS-Herrschaft mehr und mehr den politischen Alltag. Die nationalsozialistische Sozialpolitik legte keinen Wert mehr auf die Wohlfahrtspflege. Viel mehr fand die „Volkspflege“ als politischer Fixpunkt Eingang in die Diskussionen. Die Wohlfahrtspflege wurde durch die „Erbgesundheitspflege“ abgelöst. Hiermit war ein drastischer Wechsel der politischen Haltung verbunden. Während die Wohlfahrt noch Wert auf den Einzelnen gelegt hatte, trat nun einzig und alleine die Volksgemeinschaft in den Mittelpunkt des Interesses. Parallel hierzu wurde der Gedanken der Reintegration gemindert. „Volksschädlinge“ sollten fortan mit allen Mitteln bekämpft beziehungsweise „ausgemerzt“ werden. Der „Volkskörper“ wurde als zentrales Grundelement präsentiert. Ihn galt es zu schützen und behutsam von widrigen Personen zu befreien. „Minderwertige“ oder „Asoziale“ konnten dem „Volkskörper“ schaden und mussten aus diesem verbannt werden. Maßnahmen gegen sie wurden mit dem Notwehrrecht begründet. Die [[Kriminologie im Dritten Reich|Rassenhygienische Diskussion]] bediente sich vermehrt aus Feststellungen der nationalsozialistischen Erblehre und Kriminalbiologie. Die biologischen Studien gingen davon aus, dass unerwünschtes Verhalten nicht anhand soziologischer Ursachen, sondern eher durch erbgenetische Veranlagungen erklärt werden konnte. Abweichendes Verhalten wurde durch Defekte in der Genetik begründet. Der „gesunde“ Volkskörper sollte deshalb nur aus Personen „reinem“ Erbguts bestehen (Ayaß, 1998).
 


=== Gesetzesbegründung ===
=== Gesetzesbegründung ===


Der Kampf der Nationalsozialisten gegen „Asoziale“ war Teil der umfassenden Rassenpolitik des Systems. Abweichendes Verhalten sollte mit allen Mitteln eliminiert werden. Es wurde hierzu die „biologische Lösung“ gefordert. Die Fürsorge wurde weitestgehend als probates Mittel abgelehnt. „Asozialität“ wurde als vererbbar betrachtet, betroffene Erbkreise mussten deshalb von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden. Die Behandlung von „Gemeinschaftsfremden“ sollte in den Aufgabenbereich der Polizei fallen, um „Gemeinschaftsfremde“ über die unausreichenden Mittel des Fürsorgerechts hinaus in geeigneter Weise zwangsweise in Bewahrung nehmen zu können. In diesem Zusammenhang waren neue Vorschriften notwendig. Vor allem sollten die Regelungen zur Bewahrung „Gemeinschaftsfremder“ erweitert werden. Ein gänzliches Abschaffen der Fürsorge war zwar nicht angedacht, jedoch sollte diese auf ein Minimum reduziert werden. Vereinzelt konnten „Volksgenossen“ somit noch mit Hilfe durch die Fürsorge rechnen. Für alle anderen waren jedoch Maßnahmen auf den Grundlagen der hierfür entstehenden Rechtsvorschriften angedacht.
Der Kampf der Nationalsozialisten gegen „Asoziale“ war Teil der umfassenden Rassenpolitik des Systems. Abweichendes Verhalten sollte mit allen Mitteln aus der Gesellschaft verbannt werden. Die Fürsorge wurde weitestgehend als probates Mittel abgelehnt. Es wurde die „biologische Lösung“ gefordert. „Asozialität“ wurde als vererbbar betrachtet. Betroffene Erbkreise sollten deshalb von der Fortpflanzung ausgeschlossen oder zuvor bereits endgültig beseitigt werden. Die herkömmlichen Strategien und Verfahrensweisen waren für diese Vorhaben nicht in ausreichender Weise geeignet. Auch die bisher für die Behandlung von „Gemeinschaftsfremden“ zuständigen Instanzen der Fürsorge erschienen unangemessen befähigt. Die Aufgabe sollte fortan in den Aufgabenbereich der Polizei fallen, um „Gemeinschaftsfremde“ über die unausreichenden Mittel des Fürsorgerechts hinaus in geeigneter Weise zwangsweise in Bewahrung nehmen zu können. In diesem Zusammenhang waren entsprechende Vorschriften notwendig, die dem Polizeiapparat die benötigten Kompetenzen einräumen sollten. Vor allem sollten die Regelungen zur Bewahrung „Gemeinschaftsfremder“ erweitert werden. Ein gänzliches Abschaffen der Fürsorge war zwar nicht angedacht, jedoch sollte diese auf ein Minimum reduziert werden. Vereinzelt konnten „Volksgenossen“ somit noch mit Hilfe durch die Fürsorge rechnen. Für alle anderen waren jedoch Maßnahmen auf den Grundlagen der hierfür entstehenden Rechtsvorschrift angedacht.
 


=== Ziel des Gesetzes ===
=== Ziel des Gesetzes ===
   
   
Das mit dem Gesetz verbundene Ziel folgte einer endgültigen Beseitigung von abweichendem Verhalten. Im Unterschied zu den von vornherein nicht zum „Volkskörper“ gezählten Juden und „Zigeunern“, mussten die „Gemeinschaftsfremden“ in einem „Aktiven Reinigungsprozess“ aus dem „Volkskörper“ ausgesondert werden. Das Gesetz galt hierbei als nationalsozialistisches Zukunftsprojekt und hätte Wegbereiter zur [[Lebensunwertes Leben|„Euthanasie“]] werden sollen (Munoz-Conde, 2007). Die Gründe für die Einweisungsaktionen von „Asozialen" und „Gemeinschaftsfremden“ in Konzentrationslager hatten in erster Linie die Absicht, den im Zuge der Kriegsvorbereitungen eingetreten Arbeitskräftemangel, insbesondere im landwirtschaftlichen Sektor, zu beheben und darüber hinaus die allgemeine Arbeitsdisziplin zu stärken (Grode, 1987). Hinzu kam, dass die „Gemeinschaftsfremden“ im Sinne nationalsozialister Vorstellungen genau der Personengruppe entsprachen, mit der sich die Erbauung von Konzentrationslagern rechtfertigen lies. Hierbei wird teilweise auch noch von einem Nebenzweck gesprochen, der jedoch geschichtlich umstritten ist. Die deutschen Konzentrationslager waren in ihrer Gesamtheit zu groß für allein nur politische Häftlinge. Durch die Einweisung einer weiteren Häftlingsgruppe konnten die Lager zumindest vorübergehend aufgefüllt werden (Pingel, 1979).
Das mit dem Gesetz verbundene Ziel folgte einer endgültigen Beseitigung von abweichendem Verhalten. Im Unterschied zu den von vornherein nicht zum „Volkskörper“ gezählten Juden und „Zigeunern“, mussten die „Gemeinschaftsfremden“ in einem „Aktiven Reinigungsprozess“ aus dem „Volkskörper“ ausgesondert werden. Das Gesetz galt hierbei als nationalsozialistisches Zukunftsprojekt und hätte Wegbereiter zur [[Lebensunwertes Leben|Euthanasie]] werden sollen (Munoz Conde, 2007). Die Gründe für die Einweisungsaktionen von „Asozialen" und „Gemeinschaftsfremden“ in Konzentrationslager hatten in erster Linie die Absicht, den im Zuge der Kriegsvorbereitungen eingetreten Arbeitskräftemangel, insbesondere im landwirtschaftlichen Sektor, zu beheben und darüber hinaus die allgemeine Arbeitsdisziplin zu stärken (Grode, 1987). Hinzu kam, dass die „Gemeinschaftsfremden“ im Sinne nationalsozialistischer Vorstellungen genau der Personengruppe entsprachen, mit der sich die Erbauung von Konzentrationslagern rechtfertigen lies. Hierbei wird teilweise auch noch von einem Nebenzweck gesprochen, der jedoch geschichtlich umstritten ist. Die deutschen Konzentrationslager waren in ihrer Gesamtheit zu groß für allein nur politische Häftlinge. Durch die Einweisung einer weiteren Häftlingsgruppe konnten die Lager zumindest vorübergehend aufgefüllt werden (Pingel, 1979).




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=== Allgemeines ===
=== Allgemeines ===


Das Vorgehen gegen „Gemeinschaftsfremde“ war insgesamt keineswegs einheitlich. Zwar herrschte bei den Nazis ein gemeinsamer Tenor über die Beseitigung des Problems, die einzelnen Vorstellungen zur Durchführung unterschieden sich jedoch deutlich. Es wurden von der NS-Führung keine konkreten Handlungsanweisungen verbreitet. Eine generelle Lenkung der Maßnahmen fand somit nicht statt. Im Gegenteil zur „Judenfrage“ waren die Maßnahmen gegen „Gemeinschaftsfremde“ damit mehr willkürlich als konkret und setzten sich aus verschiedenen Einzelmaßnahmen zusammen. An diesen Maßnahmen waren nahezu alle Instanzen und Verwaltungsebenen in unscharfer Befugnisklarheit beteiligt. Hierdurch kam es folglich zu regionalen Unterschieden in den einzelnen Verfahrensweisen mit den betroffenen Personen.  
Das Vorgehen gegen „Gemeinschaftsfremde“ war insgesamt keineswegs einheitlich. Zwar herrschte bei den Nationalsozialisten im Grunde ein gemeinsamer Tenor über die Beseitigung des Problems, die einzelnen Vorstellungen zur praktischen Durchführung unterschieden sich jedoch erkennbar. Es wurden von der NS-Führung keine konkreten Handlungsanweisungen verbreitet. Eine generelle Lenkung der Maßnahmen fand somit nicht statt. Im Gegenteil zur „Judenfrage“ waren die Maßnahmen gegen „Gemeinschaftsfremde“ damit mehr willkürlich als konkret bestimmt und setzten sich aus verschiedenen Einzelmaßnahmen zusammen. An diesen Maßnahmen waren nahezu alle Instanzen und Verwaltungsebenen in unscharfer Befugnisklarheit beteiligt. Hierdurch kam es folglich zu regionalen Unterschieden in den einzelnen Verfahrensweisen mit den betroffenen Personen.  


Trotz der eher unklaren Definition des „Gemeinschaftsfremden“ ließen sich in der Praxis mehrere Hauptgruppen einteilen, denen jeweils mit auf sie abgestimmten Maßnahmen begegnet werden sollte. Sofern Personen nicht straffällig geworden waren, jedoch durch Maßnahmen der Fürsorge nicht wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden konnten, waren gegen sie polizeiliche Maßnahmen zur Kontrolle angedacht. Hierbei galt der polizeilichen Überwachung die erste Aufmerksamkeit. Sofern diese Maßnahme nicht ausreichte, sollten die Personen den Anstalten der Landesfürsorgeverbände zugewiesen werden. Blieb auch dieses Mittel erfolglos, wurde sie in einem Lager der Polizei untergebracht. Diese bewahrende Freiheitserziehung wurde mit dem Grundsatz des vorbeugenden Schutzes der Gemeinschaft gerechtfertigt.  
Trotz der eher unklaren Definition des „Gemeinschaftsfremden“ ließen sich in der Praxis mehrere Hauptgruppen einteilen, denen jeweils mit auf sie abgestimmten Maßnahmen begegnet werden sollte. Grundlegend ist dabei zwischen straffälligen und nicht straffälligen Personen zu unterscheiden. Vor allem im Zusammenhang mit der Behandlung von straffälligen Personen entstanden häufig Problematiken, da sich Überschneidungen zwischen dem „Gemeinschaftsfremdengesetz“ und dem „Reichsstrafgesetzbuch“ (RStGB) ergaben. Es wurde nie abschließend geklärt, welche Vorschrift in diesen Fällen das Vorrecht zugesprochen bekäme. 
Sofern betroffene Personen zwar nicht straffällig geworden waren, jedoch durch Maßnahmen der Fürsorge nicht wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden konnten, waren gegen sie primär polizeiliche Maßnahmen zur Kontrolle angedacht. Hierbei galt der polizeilichen Überwachung die erste Aufmerksamkeit. Blieb dieses Mittel erfolglos, wurden die Betroffenen in einem Lager der Polizei untergebracht. Diese bewahrende Freiheitsentziehung wurde mit dem Grundsatz des vorbeugenden Schutzes der Gemeinschaft gerechtfertigt. Weitaus rigorosere Maßnahmen als die der Freiheitsentzug folgten bei „Abweichungen“, die absolut nicht mit dem Menschenbild der Nationalsozialisten in Einklang zu bringen waren. Hierbei sollte auf jede Form von „Abweichung“ mit entsprechenden Maßnahmen reagiert werden. So zeigten sich deutliche Unterschiede in den Verfahrensweisen mit einzelnen Gruppen.


=== Kriminelle ===
=== Kriminelle ===


Besondere Bedeutung kam der Bekämpfung von straffälligen „Gemeinschaftsfremden“ zu. Kriminalität wurde mit harten Maßnahmen bekämpft. Selbst für kleine Delikte wie Diebstahl konnte von Sondergerichten die [[Todesstrafe]] verhängt werden. Den Gerichten oblag im Eigentlichen die Aufgabe, die „Gemeinschaftsfremden“ wieder als nützliches Element dem „Volkskörper“ einzugliedern. Gleichzeitig waren sie aber auch für die „Unschädlichmachung“ der Betroffenen zuständig. Da sich im voraus nie überblicken lies, welcher Zeitraum erforderlich war, um den verbrecherischen „Gemeinschaftsfremden“ nach seiner erb- und konstitutionsbiologischen Eigenart so nachhaltig zu beeinflussen, dass er für die Volksgemeinschaft weder mehr eine Gefahr noch eine Last darstellt, musste die Strafe gegen ihn von unbestimmter Dauer sein.  
Besondere Bedeutung kam der Bekämpfung von straffälligen „Gemeinschaftsfremden“ zu. Kriminalität wurde mit harten Maßnahmen bekämpft. Selbst für kleine Delikte wie Diebstahl konnte von Sondergerichten die [[Todesstrafe]] verhängt werden. Den Gerichten oblag im Eigentlichen die Aufgabe, die „Gemeinschaftsfremden“ wieder als nützliche Elemente dem „Volkskörper“ einzugliedern. Gleichzeitig waren sie aber auch für die „Unschädlichmachung“ der Betroffenen zuständig. Da sich im voraus nie überblicken lies, welcher Zeitraum erforderlich war, um den verbrecherischen „Gemeinschaftsfremden“ nach seiner erb- und konstitutionsbiologischen Eigenart so nachhaltig zu beeinflussen, dass er für die Volksgemeinschaft weder mehr eine Gefahr noch eine Last darstellt, musste die Strafe gegen ihn von unbestimmter Dauer sein.


=== Minderjährige ===
=== Minderjährige ===


Betroffene Kinder und Jugendliche sollten zuerst durch Einrichtungen der öffentlichen Jugendhilfe und den entsprechenden Erziehungsmaßregeln aufgefangen werden. Speziell bei straffällig gewordenen Jugendlichen war als Intervention zuerst der Jugendstrafvollzug angedacht. Polizeiliche Maßnahmen sollten gegen Minderjährige nur dann zulässig sein, wenn nach Einschätzung der Erziehungsbehörde die reintegrative Einordnung des Delinquenten in die Volksgemeinschaft mit den Mitteln der Jugendhilfe aussichtslos sei. Eine unbestimmte Strafe sollte nur verhängt werden, wenn die Voraussetzungen der Verordnung gegen Jugendliche Schwerverbrecher oder die der Verordnung über die unbestimmte Verurteilung Jugendlicher vorlagen (Dörner, 1989). Trotz diesen Grenzziehungen wurden tausende Kinder und Jugendliche unter dem Vorwand willkürlicher Gründe durch die Polizei mit schwersten Strafmitteln angegangen.  
Betroffene Kinder und Jugendliche sollten primär durch Einrichtungen der öffentlichen Jugendhilfe und den entsprechenden Erziehungsmaßregeln aufgefangen werden. Speziell bei straffällig gewordenen Jugendlichen war als Intervention zuerst der Jugendstrafvollzug angedacht. Polizeiliche Maßnahmen sollten gegen Minderjährige nur dann zulässig sein, wenn nach Einschätzung der Erziehungsbehörde die reintegrative Einordnung des Delinquenten in die Volksgemeinschaft mit den Mitteln der Jugendhilfe aussichtslos sei. Eine unbestimmte Strafe sollte nur verhängt werden, wenn die Voraussetzungen der „Verordnung gegen jugendliche Schwerverbrecher“ oder die der „Verordnung über die unbestimmte Verurteilung Jugendlicher“ vorlagen (Dörner, 1989). Trotz dieser Grenzziehungen wurde eine Vielzahl Kinder und Jugendlicher unter dem Vorwand willkürlicher Gründe durch die Polizei mit schwersten Strafmitteln angegangen und auch ermordet. Vor allem wurden diese Maßnahmen mit der Erblichkeit „abweichenden“ Verhaltens und der damit verbundenen Widersinnigkeit erzieherischer Mittel begründet.


=== Homosexuelle ===
=== Homosexuelle ===


Gegen Homosexualität sollte mit aller Härte vorgegangen werden. Vor allem waren hierbei gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern strengstens verkannt. Heinrich Himmler sah in der Homosexualität eine Gefahr für den „Männerstaat“. In dem Gesetz zur Behandlung von Sittlichkeitsverbrechern wurde bereits vor den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ die rechtliche Befugnis zur „Entmannung“ von Homosexuellen festgelegt. Durch das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ sollte dieses Recht bereits auf Personen erweitert werden, die sich einer gleichgeschlechtlichen Unzucht nur schon hingaben. Homosexuelle wurden in großer Zahl in Konzentrationslager eingewiesen. Hier erlitten sie zumeist äußerst verachtende Behandlungen. Von den Wärtern gingen gegen sie schwerste Quälereinen und Erniedrigungen aus. Auch wurden sie häufig für medizinische Versuche missbraucht, um den Grund für ihre andersartigen Neigungen zu finden (Benz, Graml & Weiß, 2001).
Gegen Homosexualität sollte mit aller Härte vorgegangen werden. Vor allem waren hierbei gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern besonders verachtet. Himmler sah in der Homosexualität eine Gefahr für den „Männerstaat“. In dem „Gesetz zur Behandlung von Sittlichkeitsverbrechern“ wurde bereits vor den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ die rechtliche Befugnis zur „Entmannung“ von Homosexuellen festgelegt. Durch das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ sollte dieses Recht bereits auf Personen erweitert werden, die sich einer gleichgeschlechtlichen Unzucht nur schon hingaben. Homosexuelle wurden in großer Zahl in Konzentrationslager eingewiesen. Hier erlitten sie zumeist äußerst verachtende Behandlungen. Von den Wärtern gingen gegen sie schwerste Quälereinen und Erniedrigungen aus. Auch wurden sie häufig für medizinische Versuche missbraucht, um den Grund für ihre andersartigen Neigungen zu finden (Benz, Graml & Weiß, 2001).


=== Zwangssterilisationspolitik ===  
=== Zwangssterilisationspolitik ===  


Die NS-Zwangssterilisationspolitik wurde auf Grundlage der Normen des Gesetzes  zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vollzogen. Sie diente der „Ausmerzung" von ethnisch und eugenisch „Minderwertigen" zum Zwecke der „Aufartung". Die Sterilisationspraxis wurde mit brutaler Härte vollzogen. Viele Opfer überlebten die Eingriffe nicht. In diesem Sinne kann die Sterilisationspolitik nicht nur als Vorstufe, sondern als Beginn und erste Etappe der Massenmorde gesehen werden.
Die NS-Zwangssterilisationspolitik spielt im Zusammenhang mit dem „Gemeinschaftsfremdengesetz“ eine wesentliche Rolle. Zwangssterilisationen waren das angedachte Mittel, um „Gemeinschaftsfremde“ von der Fortpflanzung auszuschließen und sie schlussendlich aus der Gemeinschaft eliminieren zu können. Somit diente die Maßnahme der „Ausmerzung" von ethnisch und eugenisch „Minderwertigen" zum Zwecke der „Aufartung". Die Maßnahmen wurden auf Grundlage der Bestimmungen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ ausgeführt. Die Sterilisationspraxis wurde mit brutaler Härte vollzogen. Viele Opfer überlebten die Eingriffe nicht. In diesem Sinne kann die Zwangssterilisationspolitik nicht nur als Vorstufe, sondern als Beginn und erste Etappe der Massenmorde verstanden werden.




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An der Mitwirkung der Gesetzesentwürfe waren führende Kriminologen beteiligt. Bei den wohl bekanntesten von ihnen handelt es sich um [[Franz Exner]] und [[Edmund Mezger]].
An der Erstellung der Gesetzesentwürfe waren führende Kriminologen beteiligt. Bei den wohl bekanntesten von ihnen handelt es sich um [[Franz Exner]] und [[Edmund Mezger]].


=== Die Mitwirkung Mezgers ===  
=== Die Mitwirkung Mezgers ===  


Mezger verfolgte mit seinen akademischen Tätigkeiten allgemein die Absicht, die nationalsozialistische Lehre näher in das Strafrecht einzuführen. In enger Zusammenarbeit mit SS Chef Himmler strebte er eine Verstärkung der rechtlichen Befugnisse gegen „Gemeinschaftsfremde“ an. Seine Mitwirkung an den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ erfolgte auf Initiative des Ministerialrat Dr. Rietzsch, der ihn, sowie seinen Kollegen Exner nach der Niederlage in Stalingrad im Jahre 1943 um Unterstützung bei der Gesetzeserarbeitung bat. Mezger war sich den entstehenden Ausmaßen des Gesetzes bewusst. Ihm war bekannt, dass durch das Gesetz ein totalitäres Sonderstrafrechts geschaffen werden sollte. Er gilt als intellektueller Urheber der Entwürfe. In einem Brief an Ministerialrat Rietzsch vom 13. Februar 1943 schrieb er folgendes (Munoz-Conde, 2007):  
[[Edmund Mezger]] verfolgte mit seinen akademischen Tätigkeiten allgemein die Absicht, die nationalsozialistische Lehre näher in das Strafrecht einzuführen. In enger Zusammenarbeit mit SS Chef Himmler strebte er eine Verstärkung der rechtlichen Befugnisse gegen „Gemeinschaftsfremde“ an. Seine Mitwirkung an den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ erfolgte auf Initiative des Ministerialrat Dr. Rietzsch, der ihn, sowie seinen Kollegen [[Franz Exner]], nach der Niederlage in Stalingrad im Jahre 1943 um Unterstützung bei der Gesetzeserarbeitung bat. Mezger war sich den entstehenden Ausmaßen des Gesetzes bewusst. Ihm war bekannt, dass durch das Gesetz ein totalitäres Sonderstrafrechts geschaffen werden sollte. Er gilt als intellektueller Urheber der Entwürfe. In einem Brief an Ministerialrat Rietzsch vom 13. Februar 1943 schrieb er folgendes (Munoz Conde, 2007):  




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Mezgers Vorstellungen zielten auf die Vernichtung und Ausmerzung „Gemeinschaftsfremder“ ab. Die nicht resozialisierbaren sollten auf unbestimmte Dauer in Konzentrationslager verwiesen werden. Auch die Anwendung von Sterilisierungsmaßnahmen bei Personen, bei denen „ein für die Volksgemeinschaft unerwünschter Nachwuchs zu erwarten war“, befürwortete er. Hierzu zählen vor allem auch seine angedachten Maßnahmen zur Unfruchtbarmachung von Homosexuellen, für die er als einzige Maßnahme die Kastration empfahl (Munoz-Conde, 2007).
Mezgers Vorstellungen zielten auf die Vernichtung und Ausmerzung „Gemeinschaftsfremder“. Die nicht Resozialisierbaren sollten auf unbestimmte Dauer in Konzentrationslager verwiesen werden. Auch die Anwendung von Sterilisierungsmaßnahmen bei Personen, bei denen „ein für die Volksgemeinschaft unerwünschter Nachwuchs zu erwarten war“, befürwortete er. Hierzu zählen vor allem auch seine angedachten Maßnahmen zur Unfruchtbarmachung von Homosexuellen, für die er als einzige Maßnahme die Kastration empfahl (Munoz Conde, 2007).


=== Die Mitwirkung Exners ===
=== Die Mitwirkung Exners ===


Nachdem auch [[Franz Exner]] von Ministerialrat Rietzsch um Mithilfe an der Gesetzeserarbeitung gebeten wurden, wirkte er ab dem Jahre 1943 aktiv an der Erstellung mit. In Absprache mit Mezger lieferte er diverse eigene inhaltliche Vorschläge und war vor allem an den Formulierungen während des Gesetzesvorbereitungsprozesses beteiligt. Über die Beteiligung Exners bestehen verschiedene geschichtliche Forschungen. Zum einen wird ihm eine starke Beteiligung unter bewusstem und gewolltem Handeln nachgesagt, vor allem weil er über das juristische Kernwissen verfügte, um die Ausmaße des Gesetzes hätte abschätzen zu können. Neueren Studien zufolge hat Exner im Gegensatz zu Mezger jedoch eine eher kritische und distanziertere Meinung zu dem Vorhaben vertreten. Aus der Analyse eines Briefwechsels zwischen Exner und dem Reichsjustizministeriums, der aus einem erst im Jahre 2004 entdeckten Nachlass Exners hervorgeht, habe er dabei „von der Ausdrucksweise her beflissen, in der Sache jedoch kritisch – an der rechtsstaatlich bedenklichen Unbestimmtheit des geplanten Gesetzes Anstoß genommen“. Exner habe sowohl die „bezüglich der Unbestimmtheit der Begriffe eröffneten Spielräume für Willkür als auch die Höhe der geplanten Sanktionen des Gesetzesentwurfes kritisiert“ (Lorenz & Scheerer, 2003). Trotz seiner Kritik an einigen Formulierungen der Entwürfe war Ministerialrat Rietzsch mit Exners Mitarbeit äußerst zufrieden. Neben Mezger habe er sich bei der Erstellung der Entwürfe als äußerst dienlich erwiesen. Beide Wissenschaftler wurden von Rietzsch für ihre Verdienste am Mitwirken der Entwürfe als „zurzeit beste Kenner der Kriminalbiologie“ betitelt. (Munoz-Conde, 2007).
Nachdem auch [[Franz Exner]] von Ministerialrat Rietzsch um Mithilfe an der Gesetzeserarbeitung gebeten wurden, wirkte er ab dem Jahre 1943 aktiv an der Erstellung des Gesetzes mit. In Absprache mit Mezger lieferte er diverse eigene inhaltliche Vorschläge und war vor allem an den Formulierungen während des Gesetzesvorbereitungsprozesses beteiligt. Über die Beteiligung Exners bestehen verschiedene geschichtliche Forschungen. Zum einen wird ihm eine starke Beteiligung unter bewusstem und gewolltem Handeln nachgesagt, vor allem weil er über das juristische Kernwissen verfügte, um die Ausmaße des Gesetzes hätte abschätzen zu können. Neueren Studien zufolge hat Exner im Gegensatz zu Mezger jedoch eine eher kritische und distanziertere Meinung zu dem Vorhaben vertreten. Aus der Analyse eines Briefwechsels zwischen Exner und dem Reichsjustizministeriums, der aus einem erst im Jahre 2004 entdeckten Nachlass Exners hervorgeht, habe er dabei „von der Ausdrucksweise her beflissen, in der Sache jedoch kritisch – an der rechtsstaatlich bedenklichen Unbestimmtheit des geplanten Gesetzes Anstoß genommen“. Exner habe sowohl die „bezüglich der Unbestimmtheit der Begriffe eröffneten Spielräume für Willkür als auch die Höhe der geplanten Sanktionen des Gesetzesentwurfes kritisiert“ (Lorenz & Scheerer, 2003). Trotz seiner Kritik an einigen Formulierungen der Entwürfe war Ministerialrat Rietzsch mit Exners Mitarbeit äußerst zufrieden. Neben Mezger habe er sich bei der Erstellung der Entwürfe als äußerst dienlich erwiesen. Beide Wissenschaftler wurden von Rietzsch für ihre Verdienste am Mitwirken der Entwürfe als „zurzeit beste Kenner der Kriminalbiologie“ betitelt. (Munoz Conde, 2007).




=='''Abgrenzung zu anderen Vorschriften'''  ==
=='''Abgrenzung zu anderen Vorschriften'''  ==


Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ findet seinen Ursprung in verschiedenen Vorschriften der deutschen Geschichte, die sich bereits zuvor mit antisozialem oder kriminellen Verhalten befasst haben. So wurde zur Erstellung der Entwürfe auf Erfahrungen und Inhalte anderer Vorschriften zurückgegriffen, die auf Grundlage der nationalsozialistischen Rassenpolitik modifiziert wurden. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist jedoch inhaltlich trotz einiger Parallelen zu anderen Vorschriften von diesen grundlegend zu trennen.  
 
Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ findet seinen Ursprung in verschiedenen Vorschriften des deutschen Rechts, die sich bereits zuvor mit antisozialem oder kriminellen Verhalten befasst haben. So wurde zur Erstellung der Entwürfe auf Erfahrungen und Inhalte anderer Vorschriften zurückgegriffen, die auf Grundlage der nationalsozialistischen Rassenpolitik modifiziert wurden. Besonders enge Bindungen sind dabei zum „Gewohnheitsverbrechergesetz“ und zum „Bewahrungsgesetz“ ersichtlich. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist jedoch inhaltlich trotz einiger Parallelen zu anderen Vorschriften von diesen grundlegend zu trennen.  


=== Gewohnheitsverbrechergesetz ===
=== Gewohnheitsverbrechergesetz ===


Als „Gewohnheitsverbrechergesetz“ wird das [[Maßregeln der Besserung und Sicherung|„Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“]] verstanden. Die Vorschrift trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz sollte die Maßnahmen gegen „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ verschärfen. Die Sicherungsverwahrung spielte in diesem Zusammenhang eine elementare Rolle. „Gewohnheitsverbrecher“ wurden auf unbefristete Dauer eingesperrt und erst dann wieder in Freiheit entlassen, wenn durch sie die öffentliche Sicherheit nicht mehr gefährdet war. Durch die Nationalsozialisten wurden die Inhalte des Gesetzes zu Gunsten ihrer Rassenpolitik abgeändert (Müller, 1997). In diesem Zusammenhang lassen sich einige Grundlagen des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ in den Vorschriften des „Gemeinschaftsfremdengesetzes“ wieder finden. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist dabei als Steigerung des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ zu verstehen, da es auch Befugnisse gegen nicht-kriminelle Personen schaffen sollte.  
Als „Gewohnheitsverbrechergesetz“ wird das [[Maßregeln der Besserung und Sicherung|Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung]] verstanden. Die Vorschrift trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz sollte die Maßnahmen gegen „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ verschärfen. Die Sicherungsverwahrung spielte in diesem Zusammenhang eine elementare Rolle. „Gewohnheitsverbrecher“ wurden auf unbefristete Dauer eingesperrt und erst dann wieder in Freiheit entlassen, wenn durch sie die öffentliche Sicherheit nicht mehr gefährdet war. Durch die Nationalsozialisten wurden die Inhalte des Gesetzes zu Gunsten ihrer Rassenpolitik abgeändert (Müller, 1997). In diesem Zusammenhang lassen sich einige Grundlagen des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ in den Vorschriften des „Gemeinschaftsfremdengesetzes“ wieder finden. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist dabei als Steigerung des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ zu verstehen, da es auch Befugnisse gegen nicht kriminelle Personen schaffen sollte.


=== Bewahrungsgesetz ===
=== Bewahrungsgesetz ===


Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten fanden Diskussion zu einem „Bewahrungsgesetz“ statt. In der Weimarer Republik wurden bereits diverse Entwürfe zu einem solchen Gesetz vorgelegt. Dies setzte sich während der Herrschaft der Nationalsozialisten fort. Das „Bewahrungsgesetz“ wurde offiziell nie verabschiedet, es entstanden lediglich Entwürfe hierzu. Zu Zeiten der Weimarer Republik wurde statt „Bewahrung“ von „Verwahrung“ gesprochen. In Abgrenzung zum Strafgesetz setzte sich nach und nach jedoch der Begriff „Bewahrung“ durch. Das „Bewahrungsgesetz“ sollte als letztes Mittel dienen, um sozial Außenstehenden zu entgegnen. Während der Weimarer Republik konnte die Zielrichtung des Gesetzes nie klar definiert werden. Oft war undeutlich, ob die Freiheitsentziehung dem Wohle des zu Bewahrenden oder dem Schutz der Gesellschaft dienen sollte. Während der NS-Zeit tendierte man schließlich dazu, nicht den Schutz des Betroffenen vor sich selbst, sondern den Schutz der Volksgemeinschaft vor dem Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. An die Stelle des „Bewahrungsgesetzes“ trat im Verlaufe der nationalsozialistischen Diktatur das „Gemeinschaftsfremdengesetz“. Zu dessen Erstellung wurden elementare Bestandteile aus den Entwürfen des „Bewahrungsgesetzes“ als inhaltliche Vorlagen verwendet. Trotz einiger Parallelen unterschieden sich die Gesetze vom Inhalt her grundlegend. Waren im  „Bewahrungsgesetz“ nur die sogenannten „Asozialen“ als Adressaten bestimmt, die vor der polizeilichen Lagerunterbringung zuerst in fürsorgliche Bewahrung genommen werden sollten, erweiterte das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ diesen Kreis um die „Gemeinschaftsfremden“, zu denen vorwiegend Verbrecher und Homosexuelle gehörten. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ war im Gegensatz zum „Bewahrungsgesetz“ im Grunde nicht mehr als Fürsorgegesetz gedacht. Es lieferte die Betroffenen nahezu unbegrenzt der Willkür von Polizei und Justiz aus und sollte ihre vollkommende Entrechtung herbeiführen (Willing, 2003). Trotz der inhaltlichen Unterschiede zwischen den Gesetzen wäre das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ohne die langjährigen Vorarbeiten zu dem „Bewahrungsgesetz“ vermutlich nicht in der bekannten Form in Entstehung getreten.
Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten fanden Diskussion zu einem „Bewahrungsgesetz“ statt. In der Weimarer Republik wurden bereits diverse Entwürfe zu einem solchen Gesetz vorgelegt. Dieses Prozedere setzte sich während der Herrschaft der Nationalsozialisten fort. Das „Bewahrungsgesetz“ wurde offiziell nie verabschiedet, es entstanden lediglich Entwürfe hierzu. Zu Zeiten der Weimarer Republik wurde statt „Bewahrung“ von „Verwahrung“ gesprochen. In Abgrenzung zum Strafgesetz setzte sich nach und nach jedoch der Begriff „Bewahrung“ durch. Das „Bewahrungsgesetz“ sollte als letztes Mittel dienen, um sozial Außenstehenden zu entgegnen. Während der Weimarer Republik konnte die Zielrichtung des Gesetzes nie klar definiert werden. Oft war undeutlich, ob die Freiheitsentziehung dem Wohle des zu Bewahrenden oder dem Schutz der Gesellschaft dienen sollte. Während der NS-Zeit tendierte man schließlich dazu, nicht den Schutz des Betroffenen vor sich selbst, sondern den Schutz der Volksgemeinschaft vor dem Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. An die Stelle des „Bewahrungsgesetzes“ trat im Verlaufe der Diktatur das „Gemeinschaftsfremdengesetz“. Zu dessen Erstellung wurden elementare Bestandteile aus den Entwürfen des „Bewahrungsgesetzes“ als inhaltliche Vorlagen verwendet. Trotz einiger Parallelen unterschieden sich die Gesetze vom Inhalt her grundlegend. Waren im  „Bewahrungsgesetz“ nur die sogenannten „Asozialen“ als Adressaten bestimmt, die vor der polizeilichen Lagerunterbringung zuerst in fürsorgerische Bewahrung genommen werden sollten, erweiterte das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ diesen Kreis um die „Gemeinschaftsfremden“, zu denen vorwiegend Verbrecher und Homosexuelle gehörten. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ war im Gegensatz zum „Bewahrungsgesetz“ im Grunde nicht mehr als Fürsorgegesetz gedacht. Es lieferte die Betroffenen nahezu unbegrenzt der Willkür von Polizei und Justiz aus und sollte ihre vollkommende Entrechtung herbeiführen (Willing, 2003). Trotz der inhaltlichen Unterschiede zwischen den Gesetzen wäre das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ohne die langjährigen Vorarbeiten zum „Bewahrungsgesetz“ vermutlich nicht in der bekannten Form in Entstehung getreten.




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*Simon, J.: Kriminalbiologie und Zwangssterilisation – Eugenischer Rassismus 1920 – 1945, Münster 2001
*Simon, J.: Kriminalbiologie und Zwangssterilisation – Eugenischer Rassismus 1920 – 1945, Münster 2001


*Wagner, P: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, 1996
*Wagner, P.: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, 1996


*Willing, M.: Das Bewahrungsgesetz (1918-1967). Eine rechtshistorische Studie zur Geschichte der deutschen Fürsorge (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts), Tübingen 2003
*Willing, M.: Das Bewahrungsgesetz (1918-1967). Eine rechtshistorische Studie zur Geschichte der deutschen Fürsorge (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts), Tübingen 2003
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*http://www.nationalsozialismus.at/Themen/Nationalsoz/ausgegrenzte.htm
*http://www.nationalsozialismus.at/Themen/Nationalsoz/ausgegrenzte.htm
*http://www.ev-stift-gymn.guetersloh.de/fileadmin/Unterrichtsforum/paedagogik/sterbehilfe/gemeinschaftsfremdengesetz_studie.html
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