Gemeinschaftsfremdengesetz: Unterschied zwischen den Versionen

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== '''Begriffsbestimmung''' ==
== '''Begriffsbestimmung''' ==
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=== Ziel des Gesetzes ===
=== Ziel des Gesetzes ===
   
   
Das mit dem Gesetz verbundene Ziel folgte einer endgültigen Beseitigung von abweichendem Verhalten. Im Unterschied zu den von vornherein nicht zum „Volkskörper“ gezählten Juden und „Zigeunern“, mussten die „Gemeinschaftsfremden“ in einem „Aktiven Reinigungsprozess“ aus dem „Volkskörper“ ausgesondert werden. Das Gesetz galt hierbei als nationalsozialistisches Zukunftsprojekt und hätte Wegbereiter zur [[Lebensunwertes Leben|„Euthanasie“]] werden sollen (Munoz, 2007). Die Gründe für die Einweisungsaktionen von „Asozialen" und „Gemeinschaftsfremden“ in Konzentrationslager hatten in erster Linie die Absicht, den im Zuge der Kriegsvorbereitungen eingetreten Arbeitskräftemangel, insbesondere im landwirtschaftlichen Sektor, zu beheben und darüber hinaus die allgemeine Arbeitsdisziplin zu stärken (Grode, 1987). Hinzu kam, dass die „Gemeinschaftsfremden“ für die Nationalsozialisten genau der Personengruppe entsprachen, mit der sich die Erbauung von Konzentrationslagern rechtfertigen lies. Hierbei wird teilweise auch noch von einem Nebenzweck gesprochen, der jedoch geschichtlich umstritten ist. Die deutschen Konzentrationslager waren in ihrer Gesamtheit zu groß für allein nur politische Häftlinge. Durch die Einweisung einer weiteren Häftlingsgruppe konnten die Lager zumindest vorübergehend aufgefüllt werden (Pingel, 1979).
Das mit dem Gesetz verbundene Ziel folgte einer endgültigen Beseitigung von abweichendem Verhalten. Im Unterschied zu den von vornherein nicht zum „Volkskörper“ gezählten Juden und „Zigeunern“, mussten die „Gemeinschaftsfremden“ in einem „Aktiven Reinigungsprozess“ aus dem „Volkskörper“ ausgesondert werden. Das Gesetz galt hierbei als nationalsozialistisches Zukunftsprojekt und hätte Wegbereiter zur [[Lebensunwertes Leben|„Euthanasie“]] werden sollen (Munoz-Conde, 2007). Die Gründe für die Einweisungsaktionen von „Asozialen" und „Gemeinschaftsfremden“ in Konzentrationslager hatten in erster Linie die Absicht, den im Zuge der Kriegsvorbereitungen eingetreten Arbeitskräftemangel, insbesondere im landwirtschaftlichen Sektor, zu beheben und darüber hinaus die allgemeine Arbeitsdisziplin zu stärken (Grode, 1987). Hinzu kam, dass die „Gemeinschaftsfremden“ im Sinne nationalsozialister Vorstellungen genau der Personengruppe entsprachen, mit der sich die Erbauung von Konzentrationslagern rechtfertigen lies. Hierbei wird teilweise auch noch von einem Nebenzweck gesprochen, der jedoch geschichtlich umstritten ist. Die deutschen Konzentrationslager waren in ihrer Gesamtheit zu groß für allein nur politische Häftlinge. Durch die Einweisung einer weiteren Häftlingsgruppe konnten die Lager zumindest vorübergehend aufgefüllt werden (Pingel, 1979).




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=== Allgemeines ===
=== Allgemeines ===


Das Vorgehen gegen „Gemeinschaftsfremde“ war insgesamt keineswegs einheitlich. Zwar herrschte bei den Nazis ein gemeinsamer Tenor über die Beseitigung des Problems, die einzelnen Vorstellungen zur Durchführung unterschieden sich jedoch deutlich. Es wurden von der NS-Führung keine konkreten Handlungsanweisungen verbreitet. Eine generelle Lenkung der Maßnahmen fand somit nicht statt. Im Gegenteil zur „Judenfrage“ waren die Maßnahmen gegen „Gemeinschaftsfremde“ damit mehr willkürlich als konkret und setzten sich aus verschiedenen Einzelmaßnahmen zusammen. An diesen Maßnahmen waren nahezu alle Instanzen und Verwaltungsebenen in unscharfer Befugnisklarheit beteiligt. Hierdurch kam es folglich zu regionalen Unterschieden in den einzelnen Verfahrensweisen mit „Gemeinschaftsfremden“.  
Das Vorgehen gegen „Gemeinschaftsfremde“ war insgesamt keineswegs einheitlich. Zwar herrschte bei den Nazis ein gemeinsamer Tenor über die Beseitigung des Problems, die einzelnen Vorstellungen zur Durchführung unterschieden sich jedoch deutlich. Es wurden von der NS-Führung keine konkreten Handlungsanweisungen verbreitet. Eine generelle Lenkung der Maßnahmen fand somit nicht statt. Im Gegenteil zur „Judenfrage“ waren die Maßnahmen gegen „Gemeinschaftsfremde“ damit mehr willkürlich als konkret und setzten sich aus verschiedenen Einzelmaßnahmen zusammen. An diesen Maßnahmen waren nahezu alle Instanzen und Verwaltungsebenen in unscharfer Befugnisklarheit beteiligt. Hierdurch kam es folglich zu regionalen Unterschieden in den einzelnen Verfahrensweisen mit den betroffenen Personen.  


Trotz der eher unklaren Definition des „Gemeinschaftsfremden“ ließen sich in der Praxis mehrere Hauptgruppen einteilen, denen jeweils mit auf sie abgestimmten Maßnahmen begegnet werden sollte. Sofern Personen nicht straffällig geworden waren, jedoch durch Maßnahmen der Fürsorge nicht wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden konnten, waren gegen sie polizeiliche Maßnahmen zur Kontrolle angedacht. Hierbei galt der polizeilichen Überwachung die erste Aufmerksamkeit. Sofern diese Maßnahme nicht ausreichte, sollten die Personen den Anstalten der Landesfürsorgeverbände zugewiesen werden. Blieb auch dieses Mittel erfolglos, wurde der „Gemeinschaftsfremde“ in einem Lager der Polizei untergebracht. Diese bewahrende Freiheitserziehung wurde mit dem Grundsatz des vorbeugenden Schutzes der Gemeinschaft gerechtfertigt.  
Trotz der eher unklaren Definition des „Gemeinschaftsfremden“ ließen sich in der Praxis mehrere Hauptgruppen einteilen, denen jeweils mit auf sie abgestimmten Maßnahmen begegnet werden sollte. Sofern Personen nicht straffällig geworden waren, jedoch durch Maßnahmen der Fürsorge nicht wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden konnten, waren gegen sie polizeiliche Maßnahmen zur Kontrolle angedacht. Hierbei galt der polizeilichen Überwachung die erste Aufmerksamkeit. Sofern diese Maßnahme nicht ausreichte, sollten die Personen den Anstalten der Landesfürsorgeverbände zugewiesen werden. Blieb auch dieses Mittel erfolglos, wurde sie in einem Lager der Polizei untergebracht. Diese bewahrende Freiheitserziehung wurde mit dem Grundsatz des vorbeugenden Schutzes der Gemeinschaft gerechtfertigt.  


=== Kriminelle ===
=== Kriminelle ===


Besondere Bedeutung kam der Bekämpfung von straffälligen „Gemeinschaftsfremden“ zu. Kriminalität wurde mit harten Maßnahmen bekämpft. Selbst für kleine Delikte wie Diebstahl konnte von Sondergerichten die Todesstrafe verhängt werden. Den Gerichten oblag im Eigentlichen die Aufgabe, die „Gemeinschaftsfremden“ wieder als nützliches Element dem „Volkskörper“ einzugliedern. Gleichzeitig waren sie aber auch für die „Unschädlichmachung“ der Betroffenen zuständig. Da sich im voraus nie überblicken lies, welcher Zeitraum erforderlich war, um den verbrecherischen Gemeinschaftsfremden nach seiner erb- und konstitutionsbiologischen Eigenart so nachhaltig zu beeinflussen, dass er für die Volksgemeinschaft weder mehr eine Gefahr noch eine Last darstellt, musste die Strafe gegen ihn von unbestimmter Dauer sein.  
Besondere Bedeutung kam der Bekämpfung von straffälligen „Gemeinschaftsfremden“ zu. Kriminalität wurde mit harten Maßnahmen bekämpft. Selbst für kleine Delikte wie Diebstahl konnte von Sondergerichten die [[Todesstrafe]] verhängt werden. Den Gerichten oblag im Eigentlichen die Aufgabe, die „Gemeinschaftsfremden“ wieder als nützliches Element dem „Volkskörper“ einzugliedern. Gleichzeitig waren sie aber auch für die „Unschädlichmachung“ der Betroffenen zuständig. Da sich im voraus nie überblicken lies, welcher Zeitraum erforderlich war, um den verbrecherischen „Gemeinschaftsfremden“ nach seiner erb- und konstitutionsbiologischen Eigenart so nachhaltig zu beeinflussen, dass er für die Volksgemeinschaft weder mehr eine Gefahr noch eine Last darstellt, musste die Strafe gegen ihn von unbestimmter Dauer sein.  


=== Minderjährige ===
=== Minderjährige ===


Betroffene Kinder und Jugendliche sollten zuerst durch Einrichtungen der öffentlichen Jugendhilfe und den entsprechenden Erziehungsmaßregeln aufgefangen werden. Spezielle bei straffällig gewordenen Jugendlichen stand zuerst der Jugendstrafvollzug auf dem Programm. Polizeiliche Maßnahmen sollten gegen Minderjährige nur dann zulässig sein, wenn nach Einschätzung der Erziehungsbehörde die reintegrative Einordnung des Delinquenten in die Volksgemeinschaft mit den Mitteln der Jugendhilfe aussichtslos sei. Eine unbestimmte Strafe sollte nur verhängt werden, wenn die Voraussetzungen der „Verordnung gegen Jugendliche Schwerverbrecher“ (link) oder die der „Verordnung über die unbestimmte Verurteilung Jugendlicher“ (link) vorlagen (Dörner, 1989). Trotz diesen Grenzziehungen wurden tausende Kinder und Jugendliche unter dem Vorwand willkürlicher Gründe durch die Polizei mit schwersten Strafmitteln angegangen.  
Betroffene Kinder und Jugendliche sollten zuerst durch Einrichtungen der öffentlichen Jugendhilfe und den entsprechenden Erziehungsmaßregeln aufgefangen werden. Speziell bei straffällig gewordenen Jugendlichen war als Intervention zuerst der Jugendstrafvollzug angedacht. Polizeiliche Maßnahmen sollten gegen Minderjährige nur dann zulässig sein, wenn nach Einschätzung der Erziehungsbehörde die reintegrative Einordnung des Delinquenten in die Volksgemeinschaft mit den Mitteln der Jugendhilfe aussichtslos sei. Eine unbestimmte Strafe sollte nur verhängt werden, wenn die Voraussetzungen der Verordnung gegen Jugendliche Schwerverbrecher oder die der Verordnung über die unbestimmte Verurteilung Jugendlicher vorlagen (Dörner, 1989). Trotz diesen Grenzziehungen wurden tausende Kinder und Jugendliche unter dem Vorwand willkürlicher Gründe durch die Polizei mit schwersten Strafmitteln angegangen.  


=== Homosexuelle ===
=== Homosexuelle ===


Gegen Homosexualität sollte mit aller Härte vorgegangen werden. Vor allem waren hierbei gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern absolut verkannt. Heinrich Himmler sah in der Homosexualität eine Gefahr für den „Männerstaat“. In dem „Gesetz zur Behandlung von Sittlichkeitsverbrechern“ (link) wurde bereits vor den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ die rechtliche Befugnis zur „Entmannung“ von Homosexuellen festgelegt. Durch das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ sollte dieses Recht bereits auf Personen erweitert werden, die sich einer gleichgeschlechtlichen Unzucht nur schon hingaben. Homosexuelle wurden in großer Zahl in Konzentrationslager eingewiesen. Hier erlitten sie zumeist eine äußerst verachtende Behandlung. Von den Wärtern gingen gegen sie schwerste Quälereinen und Erniedrigungen aus. Auch wurden sie häufig für medizinische Versuche missbraucht, um den Grund für ihre andersartigen Neigungen zu finden (Benz, W. & Graml, H. & Weiß, H., 2001).
Gegen Homosexualität sollte mit aller Härte vorgegangen werden. Vor allem waren hierbei gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern strengstens verkannt. Heinrich Himmler sah in der Homosexualität eine Gefahr für den „Männerstaat“. In dem Gesetz zur Behandlung von Sittlichkeitsverbrechern wurde bereits vor den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ die rechtliche Befugnis zur „Entmannung“ von Homosexuellen festgelegt. Durch das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ sollte dieses Recht bereits auf Personen erweitert werden, die sich einer gleichgeschlechtlichen Unzucht nur schon hingaben. Homosexuelle wurden in großer Zahl in Konzentrationslager eingewiesen. Hier erlitten sie zumeist äußerst verachtende Behandlungen. Von den Wärtern gingen gegen sie schwerste Quälereinen und Erniedrigungen aus. Auch wurden sie häufig für medizinische Versuche missbraucht, um den Grund für ihre andersartigen Neigungen zu finden (Benz, Graml & Weiß, 2001).


=== Zwangssterilisationspolitik ===  
=== Zwangssterilisationspolitik ===  


Die NS-Zwangssterilisationspolitik wurde auf Grundlage der Normen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (link) vollzogen.  Sie diente der „Ausmerzung" von ethnisch und eugenisch „Minderwertigen" zum Zwecke der „Aufartung". Die Sterilisationspraxis wurde mit brutaler Härte vollzogen. Viele Opfer überlebten die Eingriffe nicht. In diesem Sinne kann die Sterilisationspolitik nicht nur als Vorstufe, sondern als Beginn und erste Etappe der Massenmorde gesehen werden.
Die NS-Zwangssterilisationspolitik wurde auf Grundlage der Normen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vollzogen.  Sie diente der „Ausmerzung" von ethnisch und eugenisch „Minderwertigen" zum Zwecke der „Aufartung". Die Sterilisationspraxis wurde mit brutaler Härte vollzogen. Viele Opfer überlebten die Eingriffe nicht. In diesem Sinne kann die Sterilisationspolitik nicht nur als Vorstufe, sondern als Beginn und erste Etappe der Massenmorde gesehen werden.
 




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An der Mitwirkung der Gesetzesentwürfe waren führende Kriminologen beteiligt. Bei den wohl bekanntesten von ihnen handelt es sich um Franz Exner (link) und Edmund Mezger (link).
An der Mitwirkung der Gesetzesentwürfe waren führende Kriminologen beteiligt. Bei den wohl bekanntesten von ihnen handelt es sich um [[Franz Exner]] und [[Edmund Mezger]].


=== Die Mitwirkung Mezgers ===  
=== Die Mitwirkung Mezgers ===  


Mezger verfolgte mit seinen akademischen Tätigkeiten allgemein die Absicht, die nationalsozialistische Lehre näher in das Strafrecht einzuführen. In enger Zusammenarbeit mit SS Chef Himmler (link) strebte Mezger eine Verstärkung der rechtlichen Befugnisse gegen „Gemeinschaftsfremde“ an. Seine Mitwirkung an den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ erfolgte auf Initiative des Ministerialrat Rietzsch (link), der ihn, sowie seinen Kollegen Exner nach der Niederlage in Stalingrad im Jahre 1943 um Unterstützung bei der Gesetzeserarbeitung bat. Mezger war sich den entstehenden Ausmaßen des Gesetzes bewusst. Ihm war bekannt, dass durch das Gesetz ein totalitäres Sonderstrafrechts geschaffen werden sollte. Er gilt als intellektueller Urheber der Entwürfe. In einem Brief an Ministerialrat Rietzsch vom 13. Februar 1943 schrieb er folgendes:  
Mezger verfolgte mit seinen akademischen Tätigkeiten allgemein die Absicht, die nationalsozialistische Lehre näher in das Strafrecht einzuführen. In enger Zusammenarbeit mit SS Chef Himmler strebte er eine Verstärkung der rechtlichen Befugnisse gegen „Gemeinschaftsfremde“ an. Seine Mitwirkung an den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ erfolgte auf Initiative des Ministerialrat Dr. Rietzsch, der ihn, sowie seinen Kollegen Exner nach der Niederlage in Stalingrad im Jahre 1943 um Unterstützung bei der Gesetzeserarbeitung bat. Mezger war sich den entstehenden Ausmaßen des Gesetzes bewusst. Ihm war bekannt, dass durch das Gesetz ein totalitäres Sonderstrafrechts geschaffen werden sollte. Er gilt als intellektueller Urheber der Entwürfe. In einem Brief an Ministerialrat Rietzsch vom 13. Februar 1943 schrieb er folgendes (Munoz-Conde, 2007):  




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Mezgers Vorstellungen zielten auf die Vernichtung und Ausmerzung „Gemeinschaftsfremder“ ab. Die nicht resozialisierbaren sollten auf unbestimmte Dauer in Konzentrationslager verwiesen werden. Auch die Anwendung von Sterilisierungsmaßnahmen bei Personen, bei denen „ein für die Volksgemeinschaft unerwünschter Nachwuchs zu erwarten war“, befürwortete er. Hierzu zählen vor allem auch seine angedachten Maßnahmen zur Unfruchtbarmachung von Homosexuellen, für die er als einzige Maßnahme die Kastration empfahl (Munoz, 2007).
Mezgers Vorstellungen zielten auf die Vernichtung und Ausmerzung „Gemeinschaftsfremder“ ab. Die nicht resozialisierbaren sollten auf unbestimmte Dauer in Konzentrationslager verwiesen werden. Auch die Anwendung von Sterilisierungsmaßnahmen bei Personen, bei denen „ein für die Volksgemeinschaft unerwünschter Nachwuchs zu erwarten war“, befürwortete er. Hierzu zählen vor allem auch seine angedachten Maßnahmen zur Unfruchtbarmachung von Homosexuellen, für die er als einzige Maßnahme die Kastration empfahl (Munoz-Conde, 2007).


=== Die Mitwirkung Exners ===
=== Die Mitwirkung Exners ===


Nachdem auch Exner (link) von Ministerialrat Rietzsch um Mithilfe an der Gesetzeserarbeitung gebeten wurden, wirkte er ab dem Jahre 1943 aktiv an der Erstellung mit. In Absprache mit Mezger lieferte er diverse eigene inhaltliche Vorschläge und war vor allem an den Formulierungen während des Gesetzesvorbereitungsprozesses beteiligt. Über die Beteiligung Exners bestehen verschiedene geschichtliche Forschungen. Zum einen wird ihm eine starke Beteiligung unter bewusstem und gewolltem Handeln nachgesagt, vor allem weil er über das juristische Kernwissen verfügte, um die Ausmaße des Gesetzes hätte abschätzen zu können. Neueren Studien zufolge hat Exner im Gegensatz zu Mezger jedoch eine eher kritische und distanziertere Meinung zu dem Vorhaben vertreten. Aus der Analyse eines Briefwechsels zwischen Exner und dem Reichsjustizministeriums, der aus einem erst im Jahre 2004 entdeckten Nachlass Exners hervorgeht, habe er dabei „von der Ausdrucksweise her beflissen, in der Sache jedoch kritisch – an der rechtsstaatlich bedenklichen Unbestimmtheit des geplanten Gesetzes Anstoß genommen“. Exner habe sowohl die „bezüglich der Unbestimmtheit der Begriffe eröffneten Spielräume für Willkür als auch die Höhe der geplanten Sanktionen des Gesetzesentwurfes kritisiert“ (Lorenz/Scheerer, 2003). Trotz seiner Kritik an einigen Formulierungen der Entwürfe war Ministerialrat Rietzsch mit Exners Mitarbeit äußerst zufrieden. Neben Mezger habe er sich bei der Erstellung der Entwürfe als äußerst dienlich erwiesen. Beide Wissenschaftler wurden von Rietzsch für ihre Verdienste am Mitwirken der Entwürfe als „zurzeit beste Kenner der Kriminalbiologie“ betitelt. (Munoz, 2007).
Nachdem auch [[Franz Exner]] von Ministerialrat Rietzsch um Mithilfe an der Gesetzeserarbeitung gebeten wurden, wirkte er ab dem Jahre 1943 aktiv an der Erstellung mit. In Absprache mit Mezger lieferte er diverse eigene inhaltliche Vorschläge und war vor allem an den Formulierungen während des Gesetzesvorbereitungsprozesses beteiligt. Über die Beteiligung Exners bestehen verschiedene geschichtliche Forschungen. Zum einen wird ihm eine starke Beteiligung unter bewusstem und gewolltem Handeln nachgesagt, vor allem weil er über das juristische Kernwissen verfügte, um die Ausmaße des Gesetzes hätte abschätzen zu können. Neueren Studien zufolge hat Exner im Gegensatz zu Mezger jedoch eine eher kritische und distanziertere Meinung zu dem Vorhaben vertreten. Aus der Analyse eines Briefwechsels zwischen Exner und dem Reichsjustizministeriums, der aus einem erst im Jahre 2004 entdeckten Nachlass Exners hervorgeht, habe er dabei „von der Ausdrucksweise her beflissen, in der Sache jedoch kritisch – an der rechtsstaatlich bedenklichen Unbestimmtheit des geplanten Gesetzes Anstoß genommen“. Exner habe sowohl die „bezüglich der Unbestimmtheit der Begriffe eröffneten Spielräume für Willkür als auch die Höhe der geplanten Sanktionen des Gesetzesentwurfes kritisiert“ (Lorenz & Scheerer, 2003). Trotz seiner Kritik an einigen Formulierungen der Entwürfe war Ministerialrat Rietzsch mit Exners Mitarbeit äußerst zufrieden. Neben Mezger habe er sich bei der Erstellung der Entwürfe als äußerst dienlich erwiesen. Beide Wissenschaftler wurden von Rietzsch für ihre Verdienste am Mitwirken der Entwürfe als „zurzeit beste Kenner der Kriminalbiologie“ betitelt. (Munoz-Conde, 2007).
 




=='''Abgrenzung zu anderen Vorschriften'''  ==
=='''Abgrenzung zu anderen Vorschriften'''  ==


Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ findet seinen Ursprung in verschiedenen Vorschriften der deutschen Geschichte, die sich bereits zuvor mit antisozialem oder kriminellen Verhalten befasst haben. So wurde zur Erstellung der Entwürfe auf Erfahrungen und Inhalte anderer Vorschriften zurückgegriffen, die auf Grundlage der nationalsozialistischen Rassenpolitik modifiziert wurden. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist jedoch inhaltlich trotz einiger Parallelen zu anderen Vorschriften von diesen grundlegend zu trennen.  
Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ findet seinen Ursprung in verschiedenen Vorschriften der deutschen Geschichte, die sich bereits zuvor mit antisozialem oder kriminellen Verhalten befasst haben. So wurde zur Erstellung der Entwürfe auf Erfahrungen und Inhalte anderer Vorschriften zurückgegriffen, die auf Grundlage der nationalsozialistischen Rassenpolitik modifiziert wurden. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist jedoch inhaltlich trotz einiger Parallelen zu anderen Vorschriften von diesen grundlegend zu trennen.  
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=== Gewohnheitsverbrechergesetz ===
=== Gewohnheitsverbrechergesetz ===


Als „Gewohnheitsverbrechergesetz“ (link) wird das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ verstanden. Die Vorschrift trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz sollte die Maßnahmen gegen „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ verschärfen. Die Sicherungsverwahrung spielte in diesem Zusammenhang eine elementare Rolle. „Gewohnheitsverbrecher“ wurden auf unbefristete Dauer eingesperrt und erst dann wieder in Freiheit entlassen, wenn durch sie die öffentliche Sicherheit nicht mehr gefährdet war. Durch die Nationalsozialisten wurden die Inhalte des Gesetzes zu Gunsten ihrer Rassenpolitik abgeändert (Müller, 1997). In diesem Zusammenhang lassen sich einige Grundlagen des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ in den Vorschriften des „Gemeinschaftsfremdengesetzes“ wieder finden. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist dabei als Steigerung des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ zu verstehen, da es auch Befugnisse gegen nicht-kriminelle Personen schaffen sollte.  
Als „Gewohnheitsverbrechergesetz“ wird das [[Maßregeln der Besserung und Sicherung|„Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“]] verstanden. Die Vorschrift trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz sollte die Maßnahmen gegen „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ verschärfen. Die Sicherungsverwahrung spielte in diesem Zusammenhang eine elementare Rolle. „Gewohnheitsverbrecher“ wurden auf unbefristete Dauer eingesperrt und erst dann wieder in Freiheit entlassen, wenn durch sie die öffentliche Sicherheit nicht mehr gefährdet war. Durch die Nationalsozialisten wurden die Inhalte des Gesetzes zu Gunsten ihrer Rassenpolitik abgeändert (Müller, 1997). In diesem Zusammenhang lassen sich einige Grundlagen des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ in den Vorschriften des „Gemeinschaftsfremdengesetzes“ wieder finden. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist dabei als Steigerung des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ zu verstehen, da es auch Befugnisse gegen nicht-kriminelle Personen schaffen sollte.  


=== Bewahrungsgesetz ===
=== Bewahrungsgesetz ===


Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten fanden Diskussion zu einem „Bewahrungsgesetz“ (link) statt. In der Weimarer Republik wurden bereits diverse Entwürfe zu einem solchen Gesetz vorgelegt. Dies setzte sich während der Herrschaft der Nationalsozialisten fort. Das „Bewahrungsgesetz“ wurde offiziell nie verabschiedet, es entstanden lediglich Entwürfe hierzu. Zu Zeiten der Weimarer Republik wurde statt „Bewahrung“ von „Verwahrung“ gesprochen. In Abgrenzung zum Strafgesetz setzte sich nach und nach jedoch der Begriff „Bewahrung“ durch. Das „Bewahrungsgesetz“ sollte als letztes Mittel dienen, um sozial Außenstehenden zu entgegnen. Zu Zeiten der Weimarer Republik konnte die Zielrichtung des Gesetzes nie klar definiert werden. Oft war undeutlich, ob die Freiheitsentziehung dem Wohle des zu Bewahrenden oder dem Schutz der Gesellschaft dienen sollte. Während der NS-Zeit tendierte man schließlich dazu, nicht den Schutz des Betroffenen vor sich selbst, sondern den Schutz der Volksgemeinschaft vor dem Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. An die Stelle des „Bewahrungsgesetzes“ trat im Verlaufe der nationalsozialistischen Diktatur das „Gemeinschaftsfremdengesetz“. Zur Erstellung der ersten Entwürfe wurden Bestandteile des „Bewahrungsgesetzes“ als inhaltliche Vorlagen verwendet. Trotz einiger Parallelen unterschieden sich die Gesetze vom Inhalt her grundlegend. Waren im  „Bewahrungsgesetz“ nur die sogenannten „Asozialen“ als Adressaten bestimmt, die vor der polizeilichen Lagerunterbringung zuerst in fürsorgliche Bewahrung genommen werden sollten, erweiterte das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ diesen Kreis um die „Gemeinschaftsfremden“, zu denen vorwiegend Verbrecher und Homosexuelle gehörten. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ war im Gegensatz zum „Bewahrungsgesetz“ im Grunde nicht mehr als Fürsorgegesetz gedacht. Es lieferte die Betroffenen nahezu unbegrenzt der Willkür von Polizei und Justiz aus sollte ihre vollkommende Entrechtung erbringen (Willing, 2003). Trotz der inhaltlichen Unterschiede zwischen den Gesetzen wäre das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ohne die langjährigen Vorarbeiten durch das „Bewahrungsgesetz“ vermutlich nicht in der bekannten Form in Entstehung gegangen.
Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten fanden Diskussion zu einem „Bewahrungsgesetz“ statt. In der Weimarer Republik wurden bereits diverse Entwürfe zu einem solchen Gesetz vorgelegt. Dies setzte sich während der Herrschaft der Nationalsozialisten fort. Das „Bewahrungsgesetz“ wurde offiziell nie verabschiedet, es entstanden lediglich Entwürfe hierzu. Zu Zeiten der Weimarer Republik wurde statt „Bewahrung“ von „Verwahrung“ gesprochen. In Abgrenzung zum Strafgesetz setzte sich nach und nach jedoch der Begriff „Bewahrung“ durch. Das „Bewahrungsgesetz“ sollte als letztes Mittel dienen, um sozial Außenstehenden zu entgegnen. Während der Weimarer Republik konnte die Zielrichtung des Gesetzes nie klar definiert werden. Oft war undeutlich, ob die Freiheitsentziehung dem Wohle des zu Bewahrenden oder dem Schutz der Gesellschaft dienen sollte. Während der NS-Zeit tendierte man schließlich dazu, nicht den Schutz des Betroffenen vor sich selbst, sondern den Schutz der Volksgemeinschaft vor dem Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. An die Stelle des „Bewahrungsgesetzes“ trat im Verlaufe der nationalsozialistischen Diktatur das „Gemeinschaftsfremdengesetz“. Zu dessen Erstellung wurden elementare Bestandteile aus den Entwürfen des „Bewahrungsgesetzes“ als inhaltliche Vorlagen verwendet. Trotz einiger Parallelen unterschieden sich die Gesetze vom Inhalt her grundlegend. Waren im  „Bewahrungsgesetz“ nur die sogenannten „Asozialen“ als Adressaten bestimmt, die vor der polizeilichen Lagerunterbringung zuerst in fürsorgliche Bewahrung genommen werden sollten, erweiterte das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ diesen Kreis um die „Gemeinschaftsfremden“, zu denen vorwiegend Verbrecher und Homosexuelle gehörten. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ war im Gegensatz zum „Bewahrungsgesetz“ im Grunde nicht mehr als Fürsorgegesetz gedacht. Es lieferte die Betroffenen nahezu unbegrenzt der Willkür von Polizei und Justiz aus und sollte ihre vollkommende Entrechtung herbeiführen (Willing, 2003). Trotz der inhaltlichen Unterschiede zwischen den Gesetzen wäre das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ohne die langjährigen Vorarbeiten zu dem „Bewahrungsgesetz“ vermutlich nicht in der bekannten Form in Entstehung getreten.
 


== Literatur ==
== Literatur ==
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*Willing, M.: Das Bewahrungsgesetz (1918-1967). Eine rechtshistorische Studie zur Geschichte der deutschen Fürsorge (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts), Tübingen 2003
*Willing, M.: Das Bewahrungsgesetz (1918-1967). Eine rechtshistorische Studie zur Geschichte der deutschen Fürsorge (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts), Tübingen 2003


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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*http://www.nationalsozialismus.at/Themen/Nationalsoz/ausgegrenzte.htm
*http://www.nationalsozialismus.at/Themen/Nationalsoz/ausgegrenzte.htm
*Evang. Stiftisches Gymnasium Gütersloh (ESG) "Gemeinschaftsfremdengesetz" - Vorschlag für eine Detailstudie. http://www.ev-stift-gymn.guetersloh.de/fileadmin/Unterrichtsforum/paedagogik/sterbehilfe/gemeinschaftsfremdengesetz_studie.html (Zugr. 19.02.09).
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