Gefängnissubkultur: Unterschied zwischen den Versionen

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== Begriffliche Abgrenzung des Kulturbegriffes==
== Begriffliche Abgrenzung des Kulturbegriffes==
Die Mitglieder einer [[Subkultur]] sind einerseits konform bezüglich der Inhalte der dominanten [[Kultur]], andererseits definieren sie darüber hinaus Norm- und Wertstrukturen, welche sich wesentlich von denen, die in der Gesamtgesellschaft gelten, unterscheiden. Man differenziert die freiwillige- (z.B. Jugendbanden) von der unfreiwilligen (z.B. Gefängnisinsassen) Subkultur. Innerhalb eines Gefängnisses existieren die Insassen- und die Personalsubkultur, die als Gegenkulturen zueinander verstanden werden. Inwiefern sie sich gegenseitig beeinflussen, ist nicht abschließend erforscht. Gefängnisinsassen, die aufgrund der äußeren Umstände der [[totale Institution|„totalen Institution“]] ([[Erving Goffman|Goffman]] prägte diesen Begriff für Anstalten wie z.B. das [[Gefängnis]]) zur Bildung einer eigenen Kultur veranlasst werden, zeichnen sich durch besondere Solidaritätsnormen, Werte und eine eigene Knastsprache aus, die eine Beständigkeit der Subgruppe sichern sollen.
Die Mitglieder einer [[Subkultur]] sind einerseits konform bezüglich der Inhalte der dominanten [[Kultur]], andererseits definieren sie darüber hinaus Norm- und Wertstrukturen, welche sich wesentlich von denen, die in der Gesamtgesellschaft gelten, unterscheiden. Man differenziert die freiwillige- (z.B. Jugendbanden) von der unfreiwilligen (z.B. Gefängnisinsassen) Subkultur. Innerhalb eines Gefängnisses existieren die Insassen- und die Personalsubkultur, die als Gegenkulturen zueinander verstanden werden. Inwiefern sie sich gegenseitig beeinflussen, ist nicht abschließend erforscht. Gefängnisinsassen, die aufgrund der äußeren Umstände der [[totale Institution|„totalen Institution“]] ([[Erving Goffman|Goffman]] prägte diesen Begriff für Anstalten wie z.B. das [[Gefängnis]]) zur Bildung einer eigenen Kultur veranlasst werden, zeichnen sich durch besondere Solidaritätsnormen, Werte und eine eigene Knastsprache aus, die eine Beständigkeit der Subgruppe sichern sollen.
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==== [[Rollenstruktur]] ====
==== [[Rollenstruktur]] ====
Die abstrakte Rolle eines Insassen wird geformt durch Vorschriften des Gefängnisses und Erwartungen des Stabs, dem [[Insassencode]] und gruppenspezifischen Erwartungen sowie von individuellen Bedürfnissen des Gefangenen und der Auslegung seiner Häftlingsrolle.
Für den nordamerikanischen Vollzug wurde durch [[Clarence Schrag|Schrag]] eine Unterteilung der Insassen in vier [[Tätertypologien|Typen]] nach unterschiedlichen Verhaltensweisen und nach ihren Normenkonfliktlösungen vorgenommen. Gewisse Rollen mögen in ihrer Quintessenz bereits vor Haftantritt der Person eigen gewesen sein, denn sie spiegeln bestimmte Lebensbewältigungstechniken wieder.
 
Der  antisoziale Typus bzw. der „right guy“ hält sich strikt an den Insassencode, ist loyal, solidarisch und würdevoll. Er ist meist ein erfahrener Krimineller, der eine Vorbildfunktion unter den Insassen einnimmt und gegen den Stab opponiert, ohne aggressiv zu werden. Aus den „right guy“ rekrutieren sich die informellen Führer.  
Für den nordamerikanischen Vollzug wurde durch Schrag eine Unterteilung der Insassen in vier Typen nach unterschiedlichen Verhaltensweisen und nach ihren Normenkonfliktlösungen vorgenommen. Gewisse Rollen mögen in ihrer Quintessenz bereits vor Haftantritt der Person eigen gewesen sein, denn sie spiegeln bestimmte Lebensbewältigungstechniken wieder.
Der prosoziale Typus bzw. der „square John“ folgt den Werten und Normen des Stabs. Trotzdem ist er loyal gegenüber seinen Mitinsassen und hält sich an die Gruppennormen. Der asoziale Typus bzw. der „outlaw“ und ggf. der „gorilla“ (Schläger) schenkt weder dem Insassencode noch der Anstaltsordnung Beachtung.  
Der  antisoziale Typus bzw. der „right guy“ hält sich strikt an den Insassencode, ist loyal, solidarisch und würdevoll. Er ist meist ein erfahrener Krimineller, der eine Vorbildfunktion unter den Insassen einnimmt und gegen den Stab opponiert, ohne aggressiv zu werden. Aus den „right guy“ rekrutieren sich die informellen Führer. Sie werden nicht nur von den Insassen, sondern auch vom Wachpersonal akzeptiert, so dass sie zwischen beiden Gruppen vermitteln.  
Der prosoziale Typus bzw. der „square John“ folgt den Werten und Normen des Stabs. Trotzdem ist er loyal gegenüber seinen Mitinsassen und hält sich an die Gruppennormen.
Der asoziale Typus bzw. der „outlaw“ schenkt weder dem Insassencode noch der Anstaltsordnung Beachtung. Er lebt zurückgezogen.
Der pseudosoziale Typus bzw. der „politician“ ist opportunistisch und angepasst. Er wechselt je nach Situation die Normen zwischen Gefängnisinsassen und Stab.  
Der pseudosoziale Typus bzw. der „politician“ ist opportunistisch und angepasst. Er wechselt je nach Situation die Normen zwischen Gefängnisinsassen und Stab.  


Sykes konnte weitere Insassenrollen in einem „maximum-security prison“ ausfindig machen. Es gibt Denunzianten wie „rat“, „fink“ und „stool pigeon“, die dem Stab Informationen zum Nachteil eines Mithäftlings geben. Der „ballbuster“ ist feindselig gegenüber dem Stab und wird gering von den Mitgefangenen geschätzt, da sie zur Verschärfung der Kontrollen beitragen. Der „gorilla“ (Schläger) sowie die „wolves“, „punks“, oder „fags“, (verschiedene homosexuelle Rollen) erniedrigen die Mithäftlinge, indem sie durch Gewalt ökonomische oder sexuelle Bedürfnisse befriedigen. Das gilt auch für den „businessman“, also den Geschäftsmann.
Sykes konnte weitere Insassenrollen in einem „maximum-security prison“ ausfindig machen. Seinen Forschungen zufolge gibt es Denunzianten wie „rats“, „finks“ und „stool pigeons“, die dem Stab Informationen zum Nachteil eines Mithäftlings geben. Der „ballbuster“ ist feindselig gegenüber dem Stab und wird von den Mitgefangenen nur gering geschätzt, da er zur Verschärfung der Kontrollen beiträgt.. „Wolves“, „punks“, oder „fags“ (verschiedene homosexuelle Rollen) sowie der „businessman“ erniedrigen die Mithäftlinge, indem sie durch Gewalt sexuelle- oder ökonomische Bedürfnisse befriedigen.


==== Kritische Betrachtung der Rollenstruktur====
==== Kritische Betrachtung der Rollenstruktur====
Die Gefangenentypen sind selten in reiner Form vorzufinden.  
Die Gefangenentypen sind selten in reiner Form vorzufinden, so dass zu Unrecht der Eindruck von Klarheit entsteht. Da die wissenschaftliche Untersuchung der Entstehungsbedingungen und Erscheinungsformen der Gefangenensubkultur im deutschen Strafvollzug lange Zeit unterblieb und es nur wenig deutsche Forschungsergebnisse hierzu gibt, werden die amerikanischen Bezeichnungen der Insassentypen durch viele Autoren ohne empirischen Nachweis auf die deutschen Gefängnisinsassen übertragen (vgl. Harbordt, S. 117ff). Es ergibt sich daraus die Problematik der fehlenden interkulturellen Vergleichbarkeit. Zudem existieren überwiegend ältere Studien, welche die heutige Gefängnissituation nicht adäquat darstellen können, da sich die Gesellschaft verändert hat. Laubenthal weist darauf hin, dass starke Ausprägungen der Gefängnissubkultur in der BRD hauptsächlich für die Spätaussiedler/ Russlanddeutsche berichtet werden („Strafvollzug“, 2008, S. 113ff).
Da die wissenschaftliche Untersuchung der Entstehungsbedingungen und Erscheinungsformen der Gefangenensubkultur im deutschen Strafvollzug lange Zeit unterblieb, und es nur wenig deutsche Forschungsergebnisse hierzu gibt, werden die amerikanischen Bezeichnungen der Insassentypen durch viele Autoren ohne empirischen Nachweis auf die deutschen Gefängnisinsassen übertragen. Starke Ausprägungen der Subkultur werden in der BRD hauptsächlich für die Aussiedler berichtet.


==Kriminologische Relevanz==
==Kriminologische Relevanz==
Die Subkulturforschung im Gefängnis wird durchgeführt, um die Resozialisierungschancen einzuschätzen und um zu prüfen, ob die Angebote angenommen oder durch andere Hafteinflüsse neutralisiert werden.
Die Subkulturforschung im Gefängnis wird durchgeführt, um die Resozialisierungschancen von Gefängnisinsassen einzuschätzen. Zudem soll geprüft werden, ob die Angebote angenommen oder durch andere Hafteinflüsse neutralisiert werden.


==Literaturempfehlung==
==Literaturempfehlung==
*Clemmer, Donald: The prison community, New York: Rinehart Verlag, 1958.
*Harbordt, Steffen: Die Subkultur des Gefängnisses: eine soziologische Studie zur Resozialisierung, Stuttgart: Enke, 1967.
*Harbordt, Steffen: Die Subkultur des Gefängnisses: eine soziologische Studie zur Resozialisierung, Stuttgart: Enke, 1967.
*Hürlimann, Michael [Hochschulschrift]: Führer und Einflußfaktoren in der Subkultur des Strafvollzugs, Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges., 1993.  
*Hürlimann, Michael [Hochschulschrift]: Führer und Einflußfaktoren in der Subkultur des Strafvollzugs, Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges., 1993.  
*Trotha, Trutz von: Strafvollzug und Rückfälligkeit: eine Studie zur soziologischen Theorie und Empirie des Rückfalls von Strafgefangenen, Heidelberg: Müller, Juristischer Verlag, 1983.
*Trotha, Trutz von: Strafvollzug und Rückfälligkeit: eine Studie zur soziologischen Theorie und Empirie des Rückfalls von Strafgefangenen, Heidelberg: Müller, Juristischer Verlag, 1983.