Gefängnisseelsorge: Unterschied zwischen den Versionen

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==Rechtliche Grundlagen==
==Rechtliche Grundlagen==


Der staatskirchenrechtliche Rahmen des Grundgesetzes ist identisch mit dem der Reichsverfassung von 1919. Liberale, religiöse, konservative und sozialistische Kräfte schlossen in der Reichsverfassung 1919 einen Kompromiss. Das Grundgesetz hat mit der Religionsfreiheit(Art. 4 GG) und den in Art. 140 GG übernommenen staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Art. 136 – 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung an dieser Lösung bis heute festgehalten.   
Der staatskirchenrechtliche Rahmen des Grundgesetzes ist identisch mit dem der Reichsverfassung von 1919. Liberale, religiöse, konservative und sozialistische Kräfte schlossen in der Reichsverfassung 1919 einen Kompromiss. Das Grundgesetz hat mit der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und den in Art. 140 GG übernommenen staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Art. 136 – 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung an dieser Lösung bis heute festgehalten.   
Das alte (und auch die neuen) Strafvollzugsgesetz, nennt die Seelsorge als eine der Berufsgruppen im Vollzug. Die §§ 53, 54 und 55 StVollzG regeln den Zugang zu und das Recht auf einen Seelsorger der jeweiligen Konfession. Dabei  gilt das Gebot der Zusammenarbeit mit allen im Vollzug arbeitenden Personen (§ 154 StVollzG). Die Seelsorger sind im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft zu bestellen (§ 157 StVollzG). Es wird in die Autonomie der Kirchen nicht eingegriffen. Der Begriff „gegenseitiges Einvernehmen“ gibt auch den staatlichen Stellen Möglichkeiten, ihren Einfluss geltend zu machen. Im internen Dienstverhältnis regeln Länderabkommen (Staats-Kirchen-Verträge) die Dienstaufgaben der SeelsorgerInnen.  In diesen Verträgen werden explizit deren Pflichten und Rechte benannt.   
Das alte (und auch die neuen) Strafvollzugsgesetz, nennt die Seelsorge als eine der Berufsgruppen im Vollzug. Die §§ 53, 54 und 55 StVollzG regeln den Zugang zu und das Recht auf einen Seelsorger der jeweiligen Konfession. Dabei  gilt das Gebot der Zusammenarbeit mit allen im Vollzug arbeitenden Personen (§ 154 StVollzG). Die Seelsorger sind im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft zu bestellen (§ 157 StVollzG). Es wird in die Autonomie der Kirchen nicht eingegriffen. Der Begriff „gegenseitiges Einvernehmen“ gibt auch den staatlichen Stellen Möglichkeiten, ihren Einfluss geltend zu machen. Im internen Dienstverhältnis regeln Länderabkommen (Staats-Kirchen-Verträge) die Dienstaufgaben der SeelsorgerInnen.  In diesen Verträgen werden explizit deren Pflichten und Rechte benannt.   


===Seelsorgegeheimnis===
===Seelsorgegeheimnis===


Eine der wichtigsten Arbeitsgrundlagen der Gefängnisseelsorge ist das Beicht- und Seelsorgegeheimnis. Dieses ist nach Kirchenrecht unverbrüchlich (man kann nicht von ihm entbunden werden). Dem Seelsorger steht nach § 53 Abs.1. StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu für Inhalte, die ihm in seiner Funktion als Seelsorger mitgeteilt wurden. Hinzu kommt nach dem Strafgesetzbuch § 139 die Aufhebung der Anzeigepflicht für Tatbestände, die dem Seelsorger unter der Beichte mitgeteilt werden. Siehe:(http://www.ekd.de/download/008_beschluss_seelsorgegesetz_endfassung.pdf)
Eine der wichtigsten Arbeitsgrundlagen der Gefängnisseelsorge ist das Beicht- und Seelsorgegeheimnis. Dieses ist nach Kirchenrecht unverbrüchlich. Das Pfarrerdienstgesetz der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) formuliert: "Über alles, was der Pfarrerin und dem Pfarrer bei der Ausübung der Seeslorge anvertraut wird, haben sie unverbrüchliches Stillschweigen zu wahren.", PfDG der EKHN § 18, Abs.1.  
Ebenso das Seelsorgegeheimnisgesetz der EKD: "Jede Person, die sich in einem Seelsorgegespräch einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger anvertraut, muss darauf vertrauen können, dass daraus ohne ihren Willen keine
Inhalte Dritten bekannt werden. Das Beichtgeheimnis ist unverbrüchlich zu wahren.", § 2 Abs. 4 SeelGG der EKD vom 28.10.2009 http://www.ekd.de/download/008_beschluss_seelsorgegesetz_endfassung.pdf. Noch schärfer formuliert die katholische Kirche im Codex Iuris Canonici: sacramentale sgillum inviolabile est, "Das sakramentale Siegel ist unverletzlich; daher ist es dem Beichtvater streng verboten, durch Worte oder in anderere Weise, oder aus irgendeinem Grunde den Büßer irgendwie zu verraten", can. 983 CIC in der Fassung vom 25. Januar 1983, promulgiert durch Papst Johannes Paul den II.


Dem Seelsorger steht nach § 53 Abs.1. StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu für Inhalte, die ihm in seiner Funktion als Seelsorger mitgeteilt wurden. Hinzu kommt nach dem Strafgesetzbuch § 139 Abs.2 StGB die Aufhebung der Anzeigepflicht für Tatbestände, die dem Pfarrer in seiner Eigenschaft als Seelsorger mitgeteilt werden.
==Struktur und Organisation==
==Struktur und Organisation==


Sowohl die evangelische wie auch die katholische Seelsorge sind in Landeskonferenzen oder Zusammenschlüssen von Bistümern und in eine  Bundeskonferenz gegliedert.  In der Ev. Gefängnisseelsorge gibt es – nach Bundesländern unterteilt - 11 Regionalkonferenzen, die je nach Größe des Bundeslandes unterschiedlich viele Mitglieder haben.  Jeder Gefängnispfarrer ist  Mitglied der Konferenz. 2010 umfasst sie in Hessen 24  Mitglieder, wobei die SeelsorgerInnen aus zwei Maßregelvollzugsanstalten (§§ 63 und 64 StGB) und zwei Abschiebeinrichtungen hinzugezählt werden.  Die evangelische Bundeskonferenz hat 259 Mitglieder -  davon sind 52 Frauen als Gefängnisseelsorgerinnen tätig (die katholische entsprechend). Die Konferenz wird von einem Vorstand geleitet, der von einem Beirat unterstützt wird (http://www.gefaengnisseelsorge.de/ und http://www.kath-gefaengnisseelsorge.de/).  
Sowohl die evangelische wie auch die katholische Seelsorge sind in Landeskonferenzen oder Zusammenschlüssen von Bistümern und in eine  Bundeskonferenz gegliedert.  In der Ev. Gefängnisseelsorge gibt es – nach Bundesländern unterteilt - 11 Regionalkonferenzen, die je nach Größe des Bundeslandes unterschiedlich viele Mitglieder haben.  Jeder Gefängnispfarrer ist  Mitglied der Konferenz. 2010 umfasst sie in Hessen 24  Mitglieder, wobei die SeelsorgerInnen aus zwei Maßregelvollzugsanstalten (§§ 63 und 64 StGB) und zwei Abschiebeinrichtungen hinzugezählt werden.  Die evangelische Bundeskonferenz hat 259 Mitglieder -  davon sind 52 Frauen als Gefängnisseelsorgerinnen tätig. Die Konferenz wird von einem Vorstand geleitet, der von einem Beirat unterstützt wird (http://www.gefaengnisseelsorge.de/ und http://www.kath-gefaengnisseelsorge.de/).  
Jede Regionalkonferenz hat einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter, der Mitglied des Beirates der Bundeskonferenz ist. Die Struktur erlaubt ein vernetztes und schnelles Arbeiten.  
Jede Regionalkonferenz hat einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter, der Mitglied des Beirates der Bundeskonferenz ist. Die Struktur erlaubt ein vernetztes und schnelles Arbeiten.  


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Anstellungsträger des Gefängnisseelsorgers ist in den meisten Fällen die Landeskirche bzw. das Bistum. Die Seelsorger sind nicht weisungsgebunden gegenüber der Gefängnisleitung, der unmittelbare Dienstvorgesetzte ist ein Kirchenbeamter. Damit wird eine Unabhängigkeit gewährleistet, gleichzeitig aber auch ein Spannungsverhältnis gegenüber der staatlichen Behörde aufgebaut. Aus Loyalitätsgründen ist daher der Gefängnisseelsorger manchmal „Diener zweier Herren“.  
Anstellungsträger des Gefängnisseelsorgers ist in den meisten Fällen die Landeskirche bzw. das Bistum. Die Seelsorger sind nicht weisungsgebunden gegenüber der Gefängnisleitung, der unmittelbare Dienstvorgesetzte ist ein Kirchenbeamter. Damit wird eine Unabhängigkeit gewährleistet, gleichzeitig aber auch ein Spannungsverhältnis gegenüber der staatlichen Behörde aufgebaut. Aus Loyalitätsgründen ist daher der Gefängnisseelsorger manchmal „Diener zweier Herren“.  
Anstellungsverhältnisse, die aus dem Pfarrer einen Staatbeamten machen (wie in NRW und Bayern möglich), können sich als problematisch erweisen.   
 
Anstellungsverhältnisse, die aus dem Pfarrer einen Staatsbeamten machen (wie in Baden-Württemberg bis auf zwei Außnahmen üblich und in Bayern und NRW möglich), können sich als problematisch erweisen.   


==Arbeitsbereiche innerhalb und außerhalb der Mauern==  
==Arbeitsbereiche innerhalb und außerhalb der Mauern==  
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*Gruppenarbeit (Gesprächskreise, Bibelkreise, kultureller Arbeit, körperorientierte Arbeit)
*Gruppenarbeit (Gesprächskreise, Bibelkreise, kultureller Arbeit, körperorientierte Arbeit)
*Gottesdienste
*Gottesdienste
Zusätzlich gibt es Zuwendungen für mittellose Gefangene in Form von Sachspenden oder die Übernahme von Fahrtkosten für Angehörige, die zum Besuch kommen wollen. Die kirchliche Sozialarbeit ist in den vergangenen Jahren auf die freie Straffälligenhilfe übergegangen.
Im Außenbereich kommen  
Im Außenbereich kommen  
*Unterricht, Berichte in Kirchengemeinden und Konventen,  
*Unterricht, Berichte in Kirchengemeinden und Konventen,  
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Eine kritische Gefängnisseelsorge hinterfragt das Gefängnissystem und sucht nach Alternativen. Theologisch geht es um die Neudefinition von Schuld und Vergebung, um die Frage nach der symbolischen Bedeutung von Sühne und Rache in einer gewalttätigen Gesellschaft.  
Eine kritische Gefängnisseelsorge hinterfragt das Gefängnissystem und sucht nach Alternativen. Theologisch geht es um die Neudefinition von Schuld und Vergebung, um die Frage nach der symbolischen Bedeutung von Sühne und Rache in einer gewalttätigen Gesellschaft.  


Auf der Suche nach Alternativen unterstützt die Gefängnisseelsorge Ansätze von „Restorative Justice“ Programmen, Methoden der gewaltfreien Kommunikation und Erfahrungen, wie die aus dem Hochsicherheitsgefängnis Kumla in Schweden, das die Möglichkeit spiritueller Erfahrungen in klosterähnlicher Umgebung zur Verfügung stellt. Auch eine Strafrechtsreform und die Entkriminalisierung gesellschaftlicher Bereiche werden diskutiert.  
Auf der Suche nach Alternativen unterstützt die Gefängnisseelsorge Ansätze von „[[Restorative Justice]]“ Programmen, Methoden der gewaltfreien Kommunikation und Erfahrungen, wie die aus dem Hochsicherheitsgefängnis Kumla in Schweden, das die Möglichkeit spiritueller Erfahrungen in klosterähnlicher Umgebung zur Verfügung stellt. Auch eine Strafrechtsreform und die Entkriminalisierung gesellschaftlicher Bereiche werden diskutiert.  


Juristisch konfrontiert sich die Gefängnisseelsorge mit der Aufweichung des Zeugnisverweigerungsrechtes und der seelsorgerlichen Verschwiegenheit durch Rechtssprechungen des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 15.11. 2006, StB 15/06) und des Bundesverfassungsgerichtes (Beschluss vom 25.1. 2007, 2 BvR 26/07). Hier wird definiert was zur Seelsorge gehört und was nicht. Bisher war dies den Kirchen selber überlassen. Die EKD reagierte mit einem Beschluss über ein Seelsorgegeheimnisgesetz, um ihre Definitionsmacht zu wahren. Das neue BKA Gesetz und das BGH Urteil zeigen deutlich die Grenze gesellschaftlich nicht kontrollierter und kontrollierbarer Bereiche auf.  In Zukunft wird es interessant sein, wie sich das Staats-Kirchenverhältnis in einem zentralen Punkt kirchlicher Praxis gestalten wird.  
Juristisch konfrontiert sich die Gefängnisseelsorge mit der Aufweichung des [[Zeugnisverweigerungsrecht]]es und der seelsorgerlichen Verschwiegenheit durch Rechtssprechungen des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 15.11. 2006, StB 15/06) und des Bundesverfassungsgerichtes (Beschluss vom 25.1. 2007, 2 BvR 26/07). Hier wird definiert was zur Seelsorge gehört und was nicht. Bisher war dies den Kirchen selber überlassen. Die EKD reagierte mit einem Beschluss über ein Seelsorgegeheimnisgesetz, um ihre Definitionsmacht zu wahren. Das neue BKA Gesetz und das BGH Urteil zeigen deutlich die Grenze gesellschaftlich nicht kontrollierter und kontrollierbarer Bereiche auf.  In Zukunft wird es interessant sein, wie sich das Staats-Kirchenverhältnis in einem zentralen Punkt kirchlicher Praxis gestalten wird.  


Als wohl wichtigste Veränderung wird in Zukunft eine multireligiöse und multiethnische Gefängnisseelsorge entstehen, wie in England und den Niederlanden, die die Veränderungen der Haftpopulation aufnimmt und der gegenwärtigen Europäisierung des Strafvollzuges entspricht.  
Als wohl wichtigste Veränderung wird in Zukunft eine multireligiöse und multiethnische Gefängnisseelsorge entstehen, wie in England und den Niederlanden, die die Veränderungen der Haftpopulation aufnimmt und der gegenwärtigen Europäisierung des Strafvollzuges entspricht.


==Literatur==  
==Literatur==  
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*Rassow, Peter (1998): Bibliographie Gefängnisseelsorge
*Rassow, Peter (1998): Bibliographie Gefängnisseelsorge
*Rassow, Peter (1987): 60 Jahre Blätter aus der Geschichte des Zusammenschlusses und der Tätigkeit der evangelischen Gefängnisseelsorger
*Rassow, Peter (1987): 60 Jahre Blätter aus der Geschichte des Zusammenschlusses und der Tätigkeit der evangelischen Gefängnisseelsorger
*Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz (Hrsg. ) (2008): Zeugenaussage, Zeugnisverweigerungsrecht und Schweigepflicht. Ein juristischer Leitfaden für Seelsorger zum Schutz des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses.
*Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz (Hrsg. ) (2008): Zeugenaussage, Zeugnisverweigerungsrecht und Schweigepflicht. Ein juristischer Leitfaden für Seelsorger zum Schutz des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses
*[https://www.gefaengnisseelsorge.de Gefängnisseelsorge.de]
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