Gefährderansprache: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Gefährderansprache wird im Bereich polizeilicher Kriminalitätskontrolle mittlerweile als "Allzweckwaffe" eingesetzt und ist ein Beispiel für die aktuellen, gesellschaftspolitischen Veränderungen in Richtung eines neoliberalen Präventions- und Überwachungsstaates ("Big Brother"). Das Instrument der Gefährderansprache entspricht seinem Wesen nach dem derzeitigen, kriminalpolitischen Interesse an täterorientierten Präventionsmodellen und ist als Reaktion auf die Sensibilisierung des allgemeinen Sicherheitsempfindens zu verstehen (insbesondere in den Bereichen terroristische Bedrohung, Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern/Jugendlichen, Amoktaten an Schulen). Die Vermittlung von Werten, Normen, Moral sowie die Frage nach den sozialen Ursachen von [[Kriminalität]] treten immer weiter in den Hintergrund, stattdessen rücken situations- und deliktspezifische (polizeiliche) Bewältigungsstrategien, wie die Gefährderansprache, in den gesellschaftlichen Fokus.  
Die Gefährderansprache wird im Bereich polizeilicher Kriminalitätskontrolle mittlerweile als "Allzweckwaffe" eingesetzt und ist ein Beispiel für die aktuellen, gesellschaftspolitischen Veränderungen in Richtung eines neoliberalen Präventions- und Überwachungsstaates ("Big Brother"). Das Instrument der Gefährderansprache entspricht seinem Wesen nach dem derzeitigen, kriminalpolitischen Interesse an täterorientierten Präventionsmodellen und ist als Reaktion auf die Sensibilisierung des allgemeinen Sicherheitsempfindens zu verstehen (insbesondere in den Bereichen terroristische Bedrohung, Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern/Jugendlichen, Amoktaten an Schulen). Die Vermittlung von Werten, Normen, Moral sowie die Frage nach den sozialen Ursachen von [[Kriminalität]] treten immer weiter in den Hintergrund, stattdessen rücken situations- und deliktspezifische (polizeiliche) Bewältigungsstrategien, wie die Gefährderansprache, in den gesellschaftlichen Fokus.  


In einem Spiegelinterview (7. Juli 2007) forderte der damalige Bundesinnenminister W. Schäuble eine gesetzliche Grundlage, nach der Gefährder wie Kombattanten aus dem Kriegsvölkerrecht behandelt und dementsprechend interniert werden sollten. Überlegungen wie diese zeigen, dass es in Abkehr vom bisherigen Gefahrenabwehrrecht Bestrebungen gibt, "potentielle" Verursacher bereits im Vorfeld staatlichen Eingriffsmaßnahmen zu unterwerfen, ohne das überhaupt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt.
In einem Spiegelinterview (7. Juli 2007) forderte der damalige Bundesinnenminister Schäuble eine gesetzliche Grundlage, nach der Gefährder wie Kombattanten aus dem Kriegsvölkerrecht behandelt und dementsprechend interniert werden sollten. Forderungen wie diese zeigen, dass es in Abkehr vom bisherigen Gefahrenabwehrrecht neuerdings Bestrebungen gibt, "potentielle" Gefährder mgl. frühzeitig staatlichen Eingriffsmaßnahmen zu unterwerfen, und zwar ohne, dass überhaupt eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt.


==Deliktsbereiche/Themenfelder==
==Deliktsbereiche/Themenfelder==
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==Risiken==
==Risiken==
*zunächst kurzfristige Eskalation der Lage
*zunächst kurzfristige Eskalation der Lage
*Bestärken des Gefährders in seinem Handeln, indem seine Taten polizeiliche Bedeutung erlangen
*Bestärken des Gefährders in seinem Handeln, indem seine Taten (polizeiliche) Bedeutung/Aufmerksamkeit erlangen
*Gefahrenerhöhung der [[Opfer]], da diese erneut im Mittelpunkt stehen
*Gefahrenerhöhung der [[Opfer]], da diese erneut im Mittelpunkt stehen
*Gefühl der "Unantastbarkeit" beim Adressaten, wenn angedrohte Konsequenzen ausbleiben
*Gefühl der "Unantastbarkeit" beim Adressaten, wenn angedrohte Konsequenzen ausbleiben
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==Wirkung==
==Wirkung==
Aktuell gibt es nur wenige Untersuchungen, die Aussagen über die Wirkung von Gefährderansprachen im Sinne einer Reduzierung kriminellen Verhaltens zulassen. Dies ist vor allem dem Umstand geschuldet, das bei Ergebnissen im Zusammenhang mit Gefährderansprachen berücksichtigt werden muss, dass sich deren Wirkung nicht isoliert betrachten lässt, sondern diese nur eine singuläre Maßnahme in einem komplexen Wirkungsgeflecht polizeilicher- und außerpolizeilicher Maßnahmen darstellen. Somit ist es grundsätzlich problematisch, Aussagen über die monokausale Wirkung von Gefährderansprachen zu treffen. Das Europäische Zentrum für Kriminalprävention (EKZ) hat das Projekt "Gefährderansprache" in NRW zweimal evaluiert (2004-2007 und 2008) und kam dabei zu dem Ergebnis, dass sich die Zahl ermittelter Tatverdächtiger, bezogen auf den Zuständigkeitsbereich/Projektzeitraum, nach entsprechenden Ansprachen um 11,3% verringert hat. (EKZ 2008:52). Laut EKZ wurde dadurch das Projektziel erreicht. (EKZ 2008:98). Die Evaluation des Projekts "Gefährderansprache des Polizeipräsidiums Gelsenkirchen im Bereich jugendlicher Mehrfachkriminalität" (Lesmeister 2008:133) kam nach Prüfung der Legalbewährung zu dem Ergebnis, dass die Gefährderansprache 4 von 24 jugendlichen Mehrfachtätern erreicht hatte und diese im weiteren Untersuchungszeitraum nicht mehr straffällig wurden. Weitere Evaluationen laufen zurzeit (u.a. in Rheinland-Pfalz).
Aktuell gibt es nur wenige Untersuchungen, die Aussagen über die Wirkung von Gefährderansprachen im Sinne einer Reduzierung kriminellen Verhaltens zulassen. Dies ist vor allem dem Umstand geschuldet, das bei Ergebnissen im Zusammenhang mit Gefährderansprachen berücksichtigt werden muss, dass sich deren Wirkung nicht isoliert betrachten lässt, sondern diese nur eine singuläre Maßnahme in einem komplexen Wirkungsgeflecht polizeilicher- und außer polizeilicher Maßnahmen darstellen. Somit ist es grundsätzlich problematisch, Aussagen über die monokausale Wirkung von Gefährderansprachen zu treffen. Das Europäische Zentrum für Kriminalprävention (EKZ) hat das Projekt "Gefährderansprache" in NRW zweimal evaluiert (2004-2007 und 2008) und kam dabei zu dem Ergebnis, dass sich die Zahl ermittelter Tatverdächtiger, bezogen auf den Zuständigkeitsbereich/Projektzeitraum, nach entsprechenden Ansprachen um 11,3% verringert hat. (EKZ 2008:52). Laut EKZ wurde dadurch das Projektziel erreicht. (EKZ 2008:98). Die Evaluation des Projekts "Gefährderansprache des Polizeipräsidiums Gelsenkirchen im Bereich jugendlicher Mehrfachkriminalität" (Lesmeister 2008:133) kam nach Prüfung der Legalbewährung zu dem Ergebnis, dass die Gefährderansprache 4 von 24 jugendlichen Mehrfachtätern erreicht hatte und diese im weiteren Untersuchungszeitraum nicht mehr straffällig wurden. Weitere Evaluationen laufen zurzeit (u.a. in Rheinland-Pfalz).


==Literatur==
==Literatur==
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