Funktion der Strafe: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Frage nach der '''Funktion der Strafe''' sollte man nicht mit der ganz anders gelagerten Frage nach ihrer Aufgabe oder ihrem Zweck verwechseln. Hinter letztgenannten steht immer eine kollektive Intention, die dieses oder jenes von der Strafe erwartet - doch genau davon ist die Frage nach der Funktion ganz und gar unabhängig. Eine Funktion kann auch dann erfüllt werden, wenn weit und breit keine Absicht vorhanden und kein Zweck definiert ist. Wenn die Sonne scheint, dann tut sie das ohne Aufgabe und ohne Zweck. Dennoch erfüllt sie - von der Ermöglichung des Pflanzenwachstums vermittels Photosynthese bis zum globalen Tourismus - eine ganze Reihe von Funktionen. In ganz ähnlicher Weise kann auch die Strafe eine oder mehrere Funktionen erfüllen - ganz unabhängig davon, was diese oder jene Philosophen, Theologen, Juristen oder Pädagogen ihr an Aufgaben und Zwecken alles zugeschrieben haben, heute noch zuschreiben und morgen zuschreiben mögen.
Die Frage nach der '''Funktion der Strafe''' sollte man nicht mit der ganz anders gelagerten Frage nach ihrer Aufgabe oder ihrem Zweck verwechseln. Hinter letztgenannten steht immer eine kollektive Intention, die dieses oder jenes von der Strafe erwartet - doch genau davon ist die Frage nach der Funktion ganz und gar unabhängig. Eine Funktion kann auch dann erfüllt werden, wenn weit und breit keine Absicht vorhanden und kein Zweck definiert ist. Wenn die Sonne scheint, dann tut sie das ohne Aufgabe und ohne Zweck. Dennoch erfüllt sie - von der Ermöglichung des Pflanzenwachstums vermittels Photosynthese bis zum globalen Tourismus - eine ganze Reihe von Funktionen. In ganz ähnlicher Weise kann auch die Strafe eine oder mehrere Funktionen erfüllen - ganz unabhängig davon, was diese oder jene Philosophen, Theologen, Juristen oder Pädagogen ihr an Aufgaben und Zwecken alles zugeschrieben haben, heute noch zuschreiben und morgen zuschreiben mögen.


In Bezug auf die Kriminalstrafe lautet die alles entscheidende Frage natürlich, ob Strafe sein muss - das heißt: ob sie eine unverzichtbare staatliche und/oder gesellschaftliche Funktion erfüllt, ob Staat und/oder Gesellschaft ohne sie nicht existieren könnten, ob es sich bei der Strafe also um ein "notwendiges Übel" handelt - und wenn ja, warum. Demgegenüber sind andere Fragen von deutlich nachrangigem Interesse, weil sie sich lediglich auf kleinere Subsysteme beziehen: so etwa die Frage nach der Funktion der Strafe für die Behandlung von Delinquenten (oder für die Behandler, die Bestrafer und/oder die Bestraften).
In Bezug auf die Kriminalstrafe lautet die alles entscheidende Frage, ob Strafe sein muss - das heißt: ob sie eine unverzichtbare staatliche und/oder gesellschaftliche Funktion erfüllt, ob Staat und/oder Gesellschaft ohne sie nicht existieren könnten, ob es sich bei der Strafe also um ein "notwendiges Übel" handelt - und wenn ja, warum. Demgegenüber sind andere Fragen von deutlich nachrangigem Interesse, weil sie sich lediglich auf kleinere Subsysteme beziehen: so etwa die Frage nach der Funktion der Strafe für die Behandlung von Delinquenten (oder für die Behandler, die Bestrafer und/oder die Bestraften).


== Zwei Grundfunktionen der Strafe ==
== Zwei Grundfunktionen der Strafe ==
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== Funktionsweise der Normvalidierung ==
== Funktionsweise der Normvalidierung ==


Welcher Voraussetzungen es bedarf, um eine durch einen Normbruch desavouierte Norm wirksam zu validieren, sie also in ihrem Geltungsanspruch zu bekräftigen, ist kaum erforscht. Klar scheint allenfalls, dass es sich dabei um eine von einem Publikum wahrnehmbare Reaktion auf den Normbruch handeln muss: das Publikum muss sehen (können), dass  
=== Strafe als Normvalidierung ===
Welcher Voraussetzungen es bedarf, um eine durch einen Normbruch desavouierte Norm wirksam zu validieren, sie also in ihrem Geltungsanspruch zu bekräftigen, ist kaum erforscht. Klar scheint allenfalls, dass es sich dabei um eine von einem Publikum wahrnehmbare Reaktion auf den Normbruch handeln muss: das Publikum muss sehen (können), dass sich die Verletzung des Verbots nicht lohnt. Das ist jedenfalls dann evident, wenn einem Übeltäter als Reaktion auf seine Tat ein Übel zugefügt wird, das ihn am Ende schlechter dastehen lässt als zuvor. Die radikalste Verschlechterung ist die Beendigung der physischen und moralischen Existenz: die Todesstrafe in Kombination mit dem Ausradieren der Erinnerung, dem Verbot des Totengedenkens und der Verweigerung einer Bestattung des Leichnams. Weniger dramatisch, aber immer noch wirkungsvoll, sind die vielfältigen Formen der Ächtung, also des gesellschaftlichen Ausschlusses von normalen Teilhaberechten - wie der Freiheitsentzug, das Berufsverbot und ähnliche Statusminderungen im Vergleich zu vorher. Die Funktion der Strafe ist also die durch eine Statusminderung des Täters bewirkte Wiedervergeltung eines Unrechts zwecks Wiederherstellung des Rechts. Der Verbrecher wird bestraft bedeutet also: dem Täter wird Leid angetan, und es muss ihm Leid zugefügt werden, damit das Recht, das er wiederum beleidigt hatte, trotz dieser Desavouierung seinen alten Geltungsanspruch beibehalten kann, als wäre nichts geschehen. Durch die Negation der Negation des Rechts ist alles wieder gut. Die Botschaft, die vom Rechtsbruch ausging - dass man nämlich das Gesetz nicht zu befolgen braucht - wird dadurch öffentlichkeitswirksam wieder einkassiert. Die Strafe sendet die Botschaft aus: wer glaubt, er könne sich über das Recht hinwegsetzen, der wird schon sehen, was er davon hat. Nämlich die Erfahrung, zwangsweise dem Rechtsbefehl unterworfen zu werden - und das ist für den, den es trifft, mit Sicherheit und übrigens auch absichtlich eine überaus leidvolle Erfahrung.


=== Normvalidierung ohne Strafe? ===
Gibt es auch Möglichkeiten der Normvalidierung ohne Strafe? Restorative Justice.




Strafe ist so gesehen nicht einfach der Akt, in dem auf eine Beschädigung noch eine weitere Beschädigung aufgepfropft, der durch den Täter bewirkte Schaden also verdoppelt wird, sondern Strafe ist der Nachteil, den der Täter erleiden muss, damit die Geltung der Norm und damit die Würde des Rechts wieder hergestellt werden kann: die Wiedervergeltung eines Unrechts zur Wiederherstellung des Rechts.
Der Verbrecher wird bestraft bedeutet also: dem Täter wird Leid angetan, und es muss ihm Leid zugefügt werden, damit das Recht, das er wiederum beleidigt hatte, trotz dieser Desavouierung seinen alten Geltungsanspruch beibehalten kann, als wäre nichts geschehen. Durch die Negation der Negation des Rechts ist alles wieder gut. Die Botschaft, die vom Rechtsbruch ausging - dass man nämlich das Gesetz nicht zu befolgen braucht - wird dadurch öffentlichkeitswirksam wieder einkassiert. Die Strafe sendet die Botschaft aus: wer glaubt, er könne sich über das Recht hinwegsetzen, der wird schon sehen, was er davon hat. Nämlich die Erfahrung, zwangsweise dem Rechtsbefehl unterworfen zu werden - und das ist für den, den es trifft, mit Sicherheit und übrigens auch absichtlich eine überaus leidvolle Erfahrung.


== Strafe und Behandlung: ein Widerspruch ==
== Strafe und Behandlung: ein Widerspruch ==
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