Funktion der Strafe: Unterschied zwischen den Versionen

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==Strafe als Heilung des beschädigten Geltung des Rechts ==
==Strafe als Heilung der Autorität==
Die '''Funktion der Strafe''' liegt in der symbolischen Heilung der Norm. Wer eine Norm verletzt, muss bestraft werden. Das ist der Widerspruch zum Normbruch. Es ist in der bekannten Formulierung Hegels die Negation der Negation des Rechts. Die Geltung der Norm wird durch die Strafe bekräftigt: die Strafe muss eine folgenreiche, ernsthafte und nachhaltige Wirkung haben. Dann ist auch der Geltungsanspruch der Norm hinreichend bekräftigt. Niemand kann sich mehr darauf berufen, dass die Norm doch verletzt worden sei und deshalb gar nicht wirklich gelte. Sie wurde verletzt, aber seht doch nur, was mit dem passierte, der sich gegen sie aufgelehnt hatte. Also lasst Euch gewarnt sein: mit so etwas ist nicht zu spaßen. Da gibt es kein Pardon. Das ist in etwa - in verbalisierter Form - die Botschaft, die allein von der Tatsache der Bestrafung ausgehen soll.  
Die '''Funktion der Strafe''' liegt in der symbolischen Heilung der Norm. Wer eine Norm verletzt, muss bestraft werden. Das ist der Widerspruch zum Normbruch. Es ist in der bekannten Formulierung Hegels die Negation der Negation des Rechts. Die Geltung der Norm wird durch die Strafe bekräftigt: die Strafe muss eine folgenreiche, ernsthafte und nachhaltige Wirkung haben. Dann ist auch der Geltungsanspruch der Norm hinreichend bekräftigt. Niemand kann sich mehr darauf berufen, dass die Norm doch verletzt worden sei und deshalb gar nicht wirklich gelte. Sie wurde verletzt, aber seht doch nur, was mit dem passierte, der sich gegen sie aufgelehnt hatte. Also lasst Euch gewarnt sein: mit so etwas ist nicht zu spaßen. Da gibt es kein Pardon. Das ist in etwa - in verbalisierter Form - die Botschaft, die allein von der Tatsache der Bestrafung ausgehen soll.  


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== Der Widerspruch zwischen Strafe und Behandlung ==
== Strafe und Behandlung: ein Widerspruch ==
Die Rolle des Täters im Strafkontext ist diejenige eines Mediums symbolischer Kommunikation. An ihm soll gezeigt werden, was demjenigen widerfährt, der sich gegen das Recht aufgelehnt hat. Der Sinn der Strafe impliziert also, dass dem Täter wegen seiner Tat ein Übel, eine schmerzhate und leidvolle Erfahrung zugefügt werden muss. Der Mensch, der sich selbst zum Herrn über das Recht aufgeschwungen hatte, wird also gedemütigt. Er wird zum Instrument eines staatlichen Schauspiels - eines Lehrstück - gemacht: sehet, was passiert, wenn ihr euch auflehnt. Dann werdet ihr euer Tun büßen müssen. Ihr müsst leiden.  
Die Rolle des Täters im Strafkontext ist diejenige eines Mediums symbolischer Kommunikation. An ihm soll gezeigt werden, was demjenigen widerfährt, der sich gegen das Recht aufgelehnt hat. Der Sinn der Strafe impliziert also, dass dem Täter wegen seiner Tat ein Übel, eine schmerzhate und leidvolle Erfahrung zugefügt werden muss. Der Mensch, der sich selbst zum Herrn über das Recht aufgeschwungen hatte, wird also gedemütigt. Er wird zum Instrument eines staatlichen Schauspiels - eines Lehrstück - gemacht: sehet, was passiert, wenn ihr euch auflehnt. Dann werdet ihr euer Tun büßen müssen. Ihr müsst leiden.  


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''Damit hätten wir schon eine erste These: die staatliche und gesellschaftliche Grundfunktion der Strafe hat keinen Platz für Behandlung. Behandlung ist der Bestrafung fremd.''
''Damit hätten wir schon eine erste These: die staatliche und gesellschaftliche Grundfunktion der Strafe hat keinen Platz für Behandlung. Behandlung ist der Bestrafung fremd.''


== Der Einbruch des Behandlungsgedankens ==
== Aufstieg und Fall des Behandlungsgedankens ==
Dennoch wird heute behandelt. Wie wir alle wissen. Und zwar innerhalb eines Rahmens, in dem den Menschen ganz absicht Schaden zugefügt werden soll. Behandlung im Strafkontext heißt eben: tut den Menschen Gutes innerhalb eines Bezugsrahmens, in dem es darum geht, ihnen Schlechtes widerfahren zu lassen. Und tut das mit aller Kraft, mit allem Wissen und allen professionellen Fähigkeiten, die ihr euch in eurer teuren Ausbildung angeeignet habt. Tut alles, um das Wohlbefinden und den Zustand derjenigen zu bessern, deren Zustand und Wohlbefinden wir gleichzeitig verschlechtern, indem wir sie für Jahre ihres Lebens aus der Freiheit herausreißen, aus ihren sozialen und emotionalen Bezügen, und sie in die Einsamkeit des Gefängnisses verfrachten. Gregory Bateson hätte womöglich diagnostiziert, dass hier nicht nur die Gefangenen, sondern auch die Behandler im Strafvollzug - wenn nicht sogar alle Bediensteten - einer Situation der [http://de.wikipedia.org/wiki/Doppelbindungstheorie Doppelbindung] ausgesetzt werden. Und wenn das so wäre, dann wäre damit zu rechnen, dass alle, die in dieser Situation mitzumachen haben, einer schweren Dauerbelastung unterworfen wären - und mit entsprechenden Folgen zu rechnen hätten. Für das System würde sich das in der Form von Qualitäts- und Krankheitskosten ausdrücken.  
Dennoch wird heute behandelt. Wie wir alle wissen. Und zwar innerhalb eines Rahmens, in dem den Menschen ganz absicht Schaden zugefügt werden soll. Behandlung im Strafkontext heißt eben: tut den Menschen Gutes innerhalb eines Bezugsrahmens, in dem es darum geht, ihnen Schlechtes widerfahren zu lassen. Und tut das mit aller Kraft, mit allem Wissen und allen professionellen Fähigkeiten, die ihr euch in eurer teuren Ausbildung angeeignet habt. Tut alles, um das Wohlbefinden und den Zustand derjenigen zu bessern, deren Zustand und Wohlbefinden wir gleichzeitig verschlechtern, indem wir sie für Jahre ihres Lebens aus der Freiheit herausreißen, aus ihren sozialen und emotionalen Bezügen, und sie in die Einsamkeit des Gefängnisses verfrachten. Gregory Bateson hätte womöglich diagnostiziert, dass hier nicht nur die Gefangenen, sondern auch die Behandler im Strafvollzug - wenn nicht sogar alle Bediensteten - einer Situation der [http://de.wikipedia.org/wiki/Doppelbindungstheorie Doppelbindung] ausgesetzt werden. Und wenn das so wäre, dann wäre damit zu rechnen, dass alle, die in dieser Situation mitzumachen haben, einer schweren Dauerbelastung unterworfen wären - und mit entsprechenden Folgen zu rechnen hätten. Für das System würde sich das in der Form von Qualitäts- und Krankheitskosten ausdrücken.  


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Seither haben wir ein System von Strafen, das Behandlung nicht aus-, sondern einschließt. Aus historischer Perspektive gibt es heute also nicht viel zu klagen und zu dem Thema [[Behandeln im Strafkontext]] nicht viel zu sagen. Außer vielleicht, dass wir froh sein können, dass wir - da die Strafe nun einmal sein muss - uns immerhin in einer Zeit befinden, in der man die Bestrafung mit einer psychologischen Zuwendung zu vereinbaren sucht, und in der man Vieles und Gutes tut, um sich auch um die Defizite und Leiden derjenigen zu kümmern, die man dann mit einiger Hoffnung auf Legalbewährung in einem für sie selbst und ihre Umwelt besseren Zustand freilässt.
Seither haben wir ein System von Strafen, das Behandlung nicht aus-, sondern einschließt. Aus historischer Perspektive gibt es heute also nicht viel zu klagen und zu dem Thema [[Behandeln im Strafkontext]] nicht viel zu sagen. Außer vielleicht, dass wir froh sein können, dass wir - da die Strafe nun einmal sein muss - uns immerhin in einer Zeit befinden, in der man die Bestrafung mit einer psychologischen Zuwendung zu vereinbaren sucht, und in der man Vieles und Gutes tut, um sich auch um die Defizite und Leiden derjenigen zu kümmern, die man dann mit einiger Hoffnung auf Legalbewährung in einem für sie selbst und ihre Umwelt besseren Zustand freilässt.


=== Sicherheit vs. Resozialisierung ===
=== Kosten des Fortschritts ===
Dieser historische Fortschritt war allerdings nicht kostenlos zu haben, und der Preis bestand und besteht heute noch in den Kosten, die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Resozialisierungsziel des Strafvollzugs einerseits und dem Erfordernis der Sicherheit des Vollzugs und der Allgemeinheit andererseits ergeben. Denn diese Kosten sind die Kosten des antagonistischen Verhältnisses zwischen Strafkontext und Behandlung.
Dieser historische Fortschritt war allerdings nicht kostenlos zu haben, und der Preis bestand und besteht heute noch in den Kosten, die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Resozialisierungsziel des Strafvollzugs einerseits und dem Erfordernis der Sicherheit des Vollzugs und der Allgemeinheit andererseits ergeben. Denn diese Kosten sind die Kosten des antagonistischen Verhältnisses zwischen Strafkontext und Behandlung.


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Oder aber die Behandler halten die Spannnungen auf Dauer aus. Das ist wohl der statistische Normalfall. Das heißt aber nicht, dass nichts passiert. Das ist eine Dauerbelastung, die bei Behandlern mehr als bei anderen Psychologinnen und Psychologen zu Stress und den entsprechenden Folgenproblemen führt: zu Aggressionen nach außen oder nach innen, zu Magen-, Rücken-, Kopf- und Schulterschmerzen, zu larvierten Depressionen, Alkoholkonsum, familiären Problemen und so weiter und so fort - letzte Ausfahrt: Burn-Out.
Oder aber die Behandler halten die Spannnungen auf Dauer aus. Das ist wohl der statistische Normalfall. Das heißt aber nicht, dass nichts passiert. Das ist eine Dauerbelastung, die bei Behandlern mehr als bei anderen Psychologinnen und Psychologen zu Stress und den entsprechenden Folgenproblemen führt: zu Aggressionen nach außen oder nach innen, zu Magen-, Rücken-, Kopf- und Schulterschmerzen, zu larvierten Depressionen, Alkoholkonsum, familiären Problemen und so weiter und so fort - letzte Ausfahrt: Burn-Out.


== Zwischen dem individuellen "Was tun?" und dem historischen Zukunftsentwurf ==
== Heilung als Normvalidierung ==
Für jeden einzelnen ist das Beste, was er oder sie tun kann, das Aushalten der Widersprüche, das Zähne-Zusammenbeißen und das Weitermachen wie bisher. Denn wem Gott die Weisheit gegeben hat, das Veränderbare von dem Hinzunehmenden zu unterscheiden, dem wird er auch klar gemacht haben, dass er oder sie als Einzelperson nichts an den Strukturen ändern kann.  
Für jeden einzelnen ist das Beste, was er oder sie tun kann, das Aushalten der Widersprüche, das Zähne-Zusammenbeißen und das Weitermachen wie bisher. Denn wem Gott die Weisheit gegeben hat, das Veränderbare von dem Hinzunehmenden zu unterscheiden, dem wird er auch klar gemacht haben, dass er oder sie als Einzelperson nichts an den Strukturen ändern kann.  


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