Funktion der Strafe: Unterschied zwischen den Versionen

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Nehmen wir das naheliegende Beispiel des Transports von Personen über den Atlantik. Das war für eine lange Zeit eine Funktion von Segelschiffen, dann von Dampfschiffen. Ein solches Dampfschiff ging heute vor 100 Jahren und drei Tagen in den Fluten des Nordatlantik, südöstlich von Neufundland, unter. Sein Name war Titanic. Es dauerte noch einige Jahrzehnte, bis die Funktion, die seinerzeit die Dampfschiffe erfüllten - eben der Transport von Personen über den Atlantik - von anderen Verkehrsmitteln erfüllt wurde und bis die Ozeandampfer in ihrer Funktion als Linienverkehrs-Schiffe ausgedient hatten. Heute wird der fahrplanmäßige Personenfernverkehr über den Atlantik nicht mehr von Schiffen erledigt, sondern von Flugzeugen. Auch da kommt es gelegentlich zu Verkehrsunfällen. Aber die sind dann anderer Art - und sie sind, was das wichtigste ist, sehr viel seltener.
Nehmen wir das naheliegende Beispiel des Transports von Personen über den Atlantik. Das war für eine lange Zeit eine Funktion von Segelschiffen, dann von Dampfschiffen. Ein solches Dampfschiff ging heute vor 100 Jahren und drei Tagen in den Fluten des Nordatlantik, südöstlich von Neufundland, unter. Sein Name war Titanic. Es dauerte noch einige Jahrzehnte, bis die Funktion, die seinerzeit die Dampfschiffe erfüllten - eben der Transport von Personen über den Atlantik - von anderen Verkehrsmitteln erfüllt wurde und bis die Ozeandampfer in ihrer Funktion als Linienverkehrs-Schiffe ausgedient hatten. Heute wird der fahrplanmäßige Personenfernverkehr über den Atlantik nicht mehr von Schiffen erledigt, sondern von Flugzeugen. Auch da kommt es gelegentlich zu Verkehrsunfällen. Aber die sind dann anderer Art - und sie sind, was das wichtigste ist, sehr viel seltener.


Damit haben wir folgende Gleichung mit einer Unbekannten: Die Funktion der Strafe ist die postdeliktische Normbekräftigung. Und so wie die Funktion des transatlantischen Personenverkehrs früher durch Schiffe und heute durch Flugzeuge erfüllt wurde (und künftig vielleicht durch Raketen), so kann man sagen, dass die Funktion der postdeliktischen Normbekräftigung einst durch die Strafe ohne Behandlung, heute durch Strafe plus Behandlung (und künftig vielleicht durch Behandlung oder eine andere Validierung ohne Strafe) erfüllt wird.


Normvalidierend wirkt es ja auch, wenn der Täter um Entschuldigung bittet und wenn diese Bitte als ernsthaft und nachdrücklich wahrgenommen wird. Dies ist meist dann der Fall, wenn der Täter nicht nur verbal agiert, sondern auch über längere Zeit durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er die Folgen seiner Tat bereut und bereit ist, sich nach Kräften für eine Wiedergutmachung einzusetzen.
Doch was ich meine, ist ein anderes Ereignis, das sich ebenfalls vor rund 100 Jahren, am 6. September 1912, unweit von hier in Wien, nämlich im prächtigsten Saal der prunkvollen Hofbibliothek begab. Ein Mann namens Moritz Liepmann. Liepmann, seinerzeit Professor für Strafrecht, Strafprozess und internationales Recht in Kiel und nebenberuflich auch Dozent an der Marineakademie, äußerte sich vor den Teilnehmern des 31. deutschen Juristentages, der hier in Wien zusammengekommen war, zur Frage der Todesstrafe. Seine Wortmeldung erregte Aufsehen. Sie bestand aus einem flammenden Plädoyer für die Abschaffung der Todesstrafe: das sei machbar, das sei notwendig und das sei ein zivilisatorischer Fortschritt, meinte Liepmann - und alle Bedenken, dass die Kriminalität außer Kontrolle geraten könne, seien unbegründet.
Doch was ich meine, ist ein anderes Ereignis, das sich ebenfalls vor rund 100 Jahren, am 6. September 1912, unweit von hier in Wien, nämlich im prächtigsten Saal der prunkvollen Hofbibliothek begab. Ein Mann namens Moritz Liepmann. Liepmann, seinerzeit Professor für Strafrecht, Strafprozess und internationales Recht in Kiel und nebenberuflich auch Dozent an der Marineakademie, äußerte sich vor den Teilnehmern des 31. deutschen Juristentages, der hier in Wien zusammengekommen war, zur Frage der Todesstrafe. Seine Wortmeldung erregte Aufsehen. Sie bestand aus einem flammenden Plädoyer für die Abschaffung der Todesstrafe: das sei machbar, das sei notwendig und das sei ein zivilisatorischer Fortschritt, meinte Liepmann - und alle Bedenken, dass die Kriminalität außer Kontrolle geraten könne, seien unbegründet.


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