Funktion der Strafe: Unterschied zwischen den Versionen

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Im Strafvollzug wird von den Behandlern genau diese Weisheit so gut wie täglich gefordert. Man weiß, man müßte eigentlich zahllose Details des Vollzugsalltags und sogar Strukturen der Anstalten ändern, und man weiß oder wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das so einfach nicht geht, dass es Sicherheitsinteressen gibt, dass es einen Strafzusammenhang gibt, dass man mit seinen Behandlungsinteressen in einem Kontext operiert, der sich nicht nur am Wohl des Gefangenen orientiert. Es ist ein endloser Lernprozess zu erfahren, was in diesem Kontext eigentlich geändert werden müßte und auch könnte und was zwar geändert werden müßte, aber nicht zu ändern ist. Was nicht zu ändern ist, sollte man nicht zu ändern trachten: das wäre reine Zeit- und Energieverschwendung.
Im Strafvollzug wird von den Behandlern genau diese Weisheit so gut wie täglich gefordert. Man weiß, man müßte eigentlich zahllose Details des Vollzugsalltags und sogar Strukturen der Anstalten ändern, und man weiß oder wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das so einfach nicht geht, dass es Sicherheitsinteressen gibt, dass es einen Strafzusammenhang gibt, dass man mit seinen Behandlungsinteressen in einem Kontext operiert, der sich nicht nur am Wohl des Gefangenen orientiert. Es ist ein endloser Lernprozess zu erfahren, was in diesem Kontext eigentlich geändert werden müßte und auch könnte und was zwar geändert werden müßte, aber nicht zu ändern ist. Was nicht zu ändern ist, sollte man nicht zu ändern trachten: das wäre reine Zeit- und Energieverschwendung.


== Historischer Fortschritt ==


Oft kommt es ja gar nicht darauf an, viel zu wissen, sondern eher darauf, die richtigen Fragen zu formulieren. Diese Frage mit den Windmühlenflügeln und dem, was man verändern kann und dem, was man nicht verändern kann, wo alle Liebesmüh von vornherein eigentlich vergeblich ist und wo es besser wäre, man würde das rechtzeitig erkennen und sich vor Vergeudung von Energie, Enthusiasmus und Lebenszeit bewahren, diese Frage ist - mit Verlaub - sicher recht gut.  
Dass wir uns heute mit dem Konflikten zwischen Behandlungs- und Bestrafungsimperativen überhaupt auseinanderzusetzen haben, ist allerdings aus historischer Perspektive sicherlich auch als ein großer Fortschritt zu feiern, für den wir dankbar sein sollten. Als Fortschritt vielleicht nicht im Vergleich zu "ganz früher", wohl aber im Vergleich zum späten Mittelalter und zur sogenannten Blutgerichtsbarkeit der Neuzeit, bei der es darum ging, zu "straffen biss ann das blut“, bzw. „straffen, so an das blut gandt und das läben kostendt“. Die peinlichen Strafen bestanden in erster Linie ja aus dem An- oder Abschneiden von Gliedmaßen und den vielen Variationen der Todesstrafen. Irgendeine psychologische Behandlung verbot sich da schon aus der Natur der Sache. Auch hier ging es zwar unter anderem um Spezialprävention.  


Sehr viel mehr gibt es zu dem Thema, das Sie mir zugedacht haben, vielleicht gar nicht zu sagen. Jedenfalls nicht für mich, der ich kein Praktiker bin und auch sonst nicht auf den großen Durchblick oder die großen wissenschaftlichen Erkenntnisse verweisen kann.


Aber wenn ich an Behandlung und Strafe denke, dann fällt mir doch noch etwas ein. Ein Grund zur Dankbarkeit nämlich. Das hat mit der historischen Perspektive und dem historischen Ort zu tun, an dem wir uns hier befinden.  
Aber wenn ich an Behandlung und Strafe denke, dann fällt mir doch noch etwas ein. Ein Grund zur Dankbarkeit nämlich. Das hat mit der historischen Perspektive und dem historischen Ort zu tun, an dem wir uns hier befinden.  
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Der erste Grund ist derjenige, den ich schon erwähnte: die Dankbarkeit. Ich persönlich bin dankbar dafür, in einer Gesellschaft leben zu dürfen, in der es die Todesstrafe nicht gibt. Nicht mehr gibt. In der sie also abgeschafft worden ist: im einen Teil des Landes 1949, im anderen 1987. Aber immerhin. Abgeschafft ist abgeschafft.
Der erste Grund ist derjenige, den ich schon erwähnte: die Dankbarkeit. Ich persönlich bin dankbar dafür, in einer Gesellschaft leben zu dürfen, in der es die Todesstrafe nicht gibt. Nicht mehr gibt. In der sie also abgeschafft worden ist: im einen Teil des Landes 1949, im anderen 1987. Aber immerhin. Abgeschafft ist abgeschafft.


Der zweite Grund besteht darin, dass ich auch die Dankbarkeit anderer verstehe, dass wir heute ein System von Strafen haben, das die Behandlung nicht ausschließt, sondern einschließt. Die Todesstrafe war ja der letzte Rest der sogenannten Blutgerichtsbarkeit als eines Strafrechts, dem es darum ging, zu "straffen biss ann das blut“, bzw. „straffen, so an das blut gandt und das läben kostendt“. Diese Art des Strafvollzugs hatte aus leicht einsehbaren Gründen keinen Raum für großartige Behandlungsprogramme für Dissoziale, für neurotische oder narzisstische Täter, für Gewalt- und Sexualdelinquenten und so weiter. Aus dieser historischen Perspektive betrachtet gibt es heute nicht viel zu klagen. Insofern ist zum Thema [[Behandeln im Strafkontext]], bzw.  auf den ersten Blick gar nicht viel zu sagen. Außer vielleicht, dass wir froh sein können, dass wir - da die Strafe nun einmal sein muss (nicht zuletzt, weil sie seit unvordenklichen Zeiten tief im Alltag unserer Hoch- und Populärkultur, in Dichtung und Filmen, im Recht und im Gerechtigkeitsbewusstsein der Bevölkerung verankert ist) - uns immerhin in einer Phase der Zivilisation befinden, in der man nicht einfach pur und simpel durch das An- oder Abschneiden von Körperteilen zu strafen pflegt, sondern das Übel der Strafe so human wie möglich zufügt, die Verurteilten nicht ihres Lebens, sondern allenfalls ihrer Bewegungsfreiheit beraubt und vielleicht nicht alles und nicht einmal genügend, aber doch sehr vieles mit sehr großem Engagement tut, um die vom rechten Wege abgekommenen Mitbürger wieder auf den richtigen Weg zu bringen und damit ihnen und ihrer sozialen Umwelt letztlich doch einen großen Dienst zu erweisen.
Der zweite Grund besteht darin, dass ich auch die Dankbarkeit anderer verstehe, dass wir heute ein System von Strafen haben, das die Behandlung nicht ausschließt, sondern einschließt. Die Todesstrafe war ja der letzte Rest der sogenannten Blutgerichtsbarkeit als eines Strafrechts, dem es darum ging, zu Diese Art des Strafvollzugs hatte aus leicht einsehbaren Gründen keinen Raum für großartige Behandlungsprogramme für Dissoziale, für neurotische oder narzisstische Täter, für Gewalt- und Sexualdelinquenten und so weiter. Aus dieser historischen Perspektive betrachtet gibt es heute nicht viel zu klagen. Insofern ist zum Thema [[Behandeln im Strafkontext]], bzw.  auf den ersten Blick gar nicht viel zu sagen. Außer vielleicht, dass wir froh sein können, dass wir - da die Strafe nun einmal sein muss (nicht zuletzt, weil sie seit unvordenklichen Zeiten tief im Alltag unserer Hoch- und Populärkultur, in Dichtung und Filmen, im Recht und im Gerechtigkeitsbewusstsein der Bevölkerung verankert ist) - uns immerhin in einer Phase der Zivilisation befinden, in der man nicht einfach pur und simpel durch das An- oder Abschneiden von Körperteilen zu strafen pflegt, sondern das Übel der Strafe so human wie möglich zufügt, die Verurteilten nicht ihres Lebens, sondern allenfalls ihrer Bewegungsfreiheit beraubt und vielleicht nicht alles und nicht einmal genügend, aber doch sehr vieles mit sehr großem Engagement tut, um die vom rechten Wege abgekommenen Mitbürger wieder auf den richtigen Weg zu bringen und damit ihnen und ihrer sozialen Umwelt letztlich doch einen großen Dienst zu erweisen.


In Dankbarkeit und Genugtuung können wir heute auf ein Jahrhundert des Fortschritts zurückblicken. Noch 1912 - vor genau 100 Jahren - gab es noch die Todesstrafe und wenn von der Funktion der Strafe die Rede war, dann war das Paradebeispiel die Todesstrafe. Mit der Frage, ob die Gesellschaft es sich leisten können, auf diese Strafe zu verzichten, setzten sich damals die hervorragendsten Geister überaus konfliktreich auseinander. Unvergessen ist das flammende Plädoyer des Kriminologen Moritz Liepmann zur Abschaffung der Todesstrafe im Jahre 1912 - hier in Wien. Es war der prächtigste Saal der Hofbibliothek, wo Liepmann am Freitag, den 6. September 1912, einen ersten mutigen Versuch machte, die einflussreiche deutschen Juristenschaft zu einer Resolution zur Abschaffung der Todesstrafe im Deutschen Reich zu bewegen - und wo er die Abstimmung verlor. zu sagen, denn auch wenn natürlich nie alle ganz zufrieden sind, wenn es nicht genügend Personal und für das Personal nicht genügend Wertschätzung, nicht genügend Gehalt und nicht genügend Supervision und Weiterbildungsanreize gibt, wenn es immer wieder Konflikte zwischen Behandlungs- und Sicherheitserfordernissen gibt, so ist doch im allgemeinen Bewußtsein im Grunde genommen an den heutigen Verhältnissen, so wie sie nun einmal sind, nicht allzu viel auszusetzen. Alles hat seinen Platz und seine Funktion. Dabei gibt es immer einige Reibungen und Konflikte, aber das muss eben auch sein. Und so gesehen lässt sich eine bessere Welt, die prinzipiell anders organisiert wäre, gar nicht vorstellen. Eine Gesellschaft ohne Strafe ist eine schöne, aber in der Realität eine gefährliche Utopie, auf die sich niemand gerne einließe, wenn sie denn vor der Tür stünde, und wenn schon gestraft werden muss, dann soll es so human, so gerecht, so menschlich und so gesellschaftlich nützlich sein wie nur eben möglich. Und das und nichts anderes ist doch, was wir heute haben.  
In Dankbarkeit und Genugtuung können wir heute auf ein Jahrhundert des Fortschritts zurückblicken. Noch 1912 - vor genau 100 Jahren - gab es noch die Todesstrafe und wenn von der Funktion der Strafe die Rede war, dann war das Paradebeispiel die Todesstrafe. Mit der Frage, ob die Gesellschaft es sich leisten können, auf diese Strafe zu verzichten, setzten sich damals die hervorragendsten Geister überaus konfliktreich auseinander. Unvergessen ist das flammende Plädoyer des Kriminologen Moritz Liepmann zur Abschaffung der Todesstrafe im Jahre 1912 - hier in Wien. Es war der prächtigste Saal der Hofbibliothek, wo Liepmann am Freitag, den 6. September 1912, einen ersten mutigen Versuch machte, die einflussreiche deutschen Juristenschaft zu einer Resolution zur Abschaffung der Todesstrafe im Deutschen Reich zu bewegen - und wo er die Abstimmung verlor. zu sagen, denn auch wenn natürlich nie alle ganz zufrieden sind, wenn es nicht genügend Personal und für das Personal nicht genügend Wertschätzung, nicht genügend Gehalt und nicht genügend Supervision und Weiterbildungsanreize gibt, wenn es immer wieder Konflikte zwischen Behandlungs- und Sicherheitserfordernissen gibt, so ist doch im allgemeinen Bewußtsein im Grunde genommen an den heutigen Verhältnissen, so wie sie nun einmal sind, nicht allzu viel auszusetzen. Alles hat seinen Platz und seine Funktion. Dabei gibt es immer einige Reibungen und Konflikte, aber das muss eben auch sein. Und so gesehen lässt sich eine bessere Welt, die prinzipiell anders organisiert wäre, gar nicht vorstellen. Eine Gesellschaft ohne Strafe ist eine schöne, aber in der Realität eine gefährliche Utopie, auf die sich niemand gerne einließe, wenn sie denn vor der Tür stünde, und wenn schon gestraft werden muss, dann soll es so human, so gerecht, so menschlich und so gesellschaftlich nützlich sein wie nur eben möglich. Und das und nichts anderes ist doch, was wir heute haben.  
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