Funktion der Strafe: Unterschied zwischen den Versionen

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== Vorbemerkung ==
== Vorbemerkung ==
Die '''Funktion der Strafe''' liegt in der Aufrechterhaltung der Reziprozität: wer eine Norm verletzt hat, wird bestraft, damit der Geltungsanspruch der verletzten Norm wiederhergestellt wird. Insofern geht es um die Wiedervergeltung eines Unrechts zur Wiederherstellung des Rechts. Heutzutage wird im Kontext der Strafe allerdings auch behandelt. Das erlaubt noch einen anderen Blick auf die Funktion der Strafe. Das Thema [[Behandlung im Strafkontext: Funktion der Strafe]] lässt an die vielen Zielkonflikte und täglichen Reibungen denken, die es im Strafvollzug zwischen Straf- und Sicherheitsinteressen einerseits und Behandlungsinteressen andererseits gibt.  
Die '''Funktion der Strafe''' liegt in der Aufrechterhaltung der Reziprozität: wer eine Norm verletzt hat, wird bestraft, damit der Geltungsanspruch der verletzten Norm wiederhergestellt wird. Insofern geht es um die Wiedervergeltung eines Unrechts zur Wiederherstellung des Rechts. Heutzutage wird im Kontext der Strafe allerdings auch behandelt. Das erlaubt noch einen anderen Blick auf die Funktion der Strafe. Das Thema [[Behandlung im Strafkontext: Funktion der Strafe]] lässt zunächst einmal an die vielen Zielkonflikte und täglichen Reibungen denken, die es im Strafvollzug zwischen Straf- und Sicherheitsinteressen einerseits und Behandlungsinteressen andererseits gibt.  


Für die Behandlung kann es angezeigt sein, dass die Strafgefangenen ihre Haft- und Wohngruppenräume liebevoll ausgestalten, dass sie Zier- und Nutzpflanzen und Haustiere halten, damit sie Pflege, Achtsamkeit, Fürsorglichkeit und Empathie trainieren. Es kann angezeigt sein, dass sie möglichst viele Freiheiten üben und Ausführungen und Ausgänge haben, dass sie eigene Radiosendungen machen dürfen und eine eigene Zeitung. Und es kann auch sein, dass der Strafkontext - meist in eheähnlicher Gemeinschaft mit den Sicherheitsbeauftragten - die Haustierhaltung untersagt, die Reduktion der Zimmerpflanzen auf drei Stück, die Beweglichkeit des Mobiliars auf das Bett (Schränke und Regale werden angeschraubt) und die Möglichkeit der Aufstellung von Bücherregalen in den Wohngruppen oder auf den Fluren auf Null reduziert.  
Für die Behandlung kann es angezeigt sein, dass die Strafgefangenen ihre Haft- und Wohngruppenräume liebevoll ausgestalten, dass sie Zier- und Nutzpflanzen und Haustiere halten, damit sie Pflege, Achtsamkeit, Fürsorglichkeit und Empathie trainieren. Es kann angezeigt sein, dass sie möglichst viele Freiheiten üben und Ausführungen und Ausgänge haben, dass sie eigene Radiosendungen machen dürfen und eine eigene Zeitung. Und es kann auch sein, dass der Strafkontext - meist in eheähnlicher Gemeinschaft mit den Sicherheitsbeauftragten - die Haustierhaltung untersagt, die Reduktion der Zimmerpflanzen auf drei Stück, die Beweglichkeit des Mobiliars auf das Bett (Schränke und Regale werden angeschraubt) und die Möglichkeit der Aufstellung von Bücherregalen in den Wohngruppen oder auf den Fluren auf Null reduziert.  
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Wem fiele da nicht der Stoßseufzer jener Bitte um Gelassenheit ein, der auch als Gelassenheitsgebet bekannt ist und der da lautet: "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, - gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, - und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."
Wem fiele da nicht der Stoßseufzer jener Bitte um Gelassenheit ein, der auch als Gelassenheitsgebet bekannt ist und der da lautet: "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, - gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, - und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."


Wenn nicht alles täuscht, dann ist das eine Fragestellung, die zwar alle Menschen immer und überall betrifft, die aber kaum irgendwo so virulent ist und so viele Grenzkonflikte mit sich bringt wie im Verhältnis von Behandlung und Bestrafung, von Therapie und Gefängnisstrafe oder Maßregelvollzug.  
Im Strafvollzug wird von den Behandlern genau diese Weisheit so gut wie täglich gefordert. Man weiß, man müßte eigentlich zahllose Details des Vollzugsalltags und sogar Strukturen der Anstalten ändern, und man weiß oder wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das so einfach nicht geht, dass es Sicherheitsinteressen gibt, dass es einen Strafzusammenhang gibt, dass man mit seinen Behandlungsinteressen in einem Kontext operiert, der sich nicht nur am Wohl des Gefangenen orientiert. Es ist ein endloser Lernprozess zu erfahren, was in diesem Kontext eigentlich geändert werden müßte und auch könnte und was zwar geändert werden müßte, aber nicht zu ändern ist. Was nicht zu ändern ist, sollte man nicht zu ändern trachten: das wäre reine Zeit- und Energieverschwendung.


Man weiß, man müßte eigentlich zahllose Details des Vollzugsalltags und sogar Strukturen der Anstalten ändern, und man weiß oder wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das so einfach nicht geht, dass es Sicherheitsinteressen gibt, dass es einen Strafzusammenhang gibt, dass man mit seinen Behandlungsinteressen in einem Kontext operiert, der sich nicht nur am Wohl des Gefangenen orientiert. Es ist ein endloser Lernprozess zu erfahren, was in diesem Kontext eigentlich geändert werden müßte und auch könnte und was zwar geändert werden müßte, aber nicht zu ändern ist.
mmer wieder stehen sie vor der Frage: was muss ich seitens der Anstalt, seitens der Gefangenen, seitens des Ministeriums, seitens der Öffentlichkeit hinnehmen, was kann ich ändern, wo könnte, wo sollte, wo müsste ich mich engagieren - und wo hat es von vornherein keinen Sinn, etwas ändern zu wollen, wo würde man seine Kräfte letztlich nur in einem Kampf gegen Windmühlenflügel vergeuden?


Oft kommt es ja gar nicht darauf an, viel zu wissen, sondern eher darauf, die richtigen Fragen zu formulieren. Diese Frage mit den Windmühlenflügeln und dem, was man verändern kann und dem, was man nicht verändern kann, wo alle Liebesmüh von vornherein eigentlich vergeblich ist und wo es besser wäre, man würde das rechtzeitig erkennen und sich vor Vergeudung von Energie, Enthusiasmus und Lebenszeit bewahren, diese Frage ist - mit Verlaub - sicher recht gut.  
Oft kommt es ja gar nicht darauf an, viel zu wissen, sondern eher darauf, die richtigen Fragen zu formulieren. Diese Frage mit den Windmühlenflügeln und dem, was man verändern kann und dem, was man nicht verändern kann, wo alle Liebesmüh von vornherein eigentlich vergeblich ist und wo es besser wäre, man würde das rechtzeitig erkennen und sich vor Vergeudung von Energie, Enthusiasmus und Lebenszeit bewahren, diese Frage ist - mit Verlaub - sicher recht gut.  
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