Frank Tannenbaum: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Kriminologe und Mexikanist '''Frank Tannenbaum''' (* 04.03.1893 in Brod, Österreich-Ungarn; heute [http://de.wikipedia.org/wiki/Brody_(Ukraine)| Brody, Ukraine]  † 01.06.1969 in New York City) war in seiner Jugend Anarchist und begann sich aufgrund eigener Gefängniserfahrungen (1914/15) für den Strafvollzug und die negativen Folgen der Strafjustiz zu interessieren. Nach seiner Haft studierte er an der Columbia University bei [http://de.wikipedia.org/wiki/John_Dewey| John Dewey]. Als erster wandte er die Theorie des [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbolischer_Interaktionismus| symbolischen Interaktionismus] auf abweichendes Verhalten und Kriminalität an. 1922 erschien seine Studie über das amerikanische Gefängnissystem. 1932 wurde er Professor für Kriminologie an der Cornell University. Als 1938 sein kriminologisches Hauptwerk "Crime and the Community" erschien, hatte er der Kriminologie schon den Rücken gekehrt und war als Professor für Lateinamerikanische Geschichte an der Columbia University auf dem Weg, ein weltbekannter Experte sowohl für Mexiko als auch für die Geschichte der Sklaverei zu werden. Lehrbücher der Kriminologie erwähnen Tannenbaum mit einer gewissen Regelmäßigkeit als Vorläufer des Labeling Approach.  
Der einstige Anarchist und Strafgefangene '''Frank Tannenbaum''' (* 04.03.1893 in Brod, Österreich-Ungarn; heute [http://de.wikipedia.org/wiki/Brody_(Ukraine)| Brody, Ukraine]  † 01.06.1969 in New York City), dem eine wohlhabende Philanthropin ein Studium ermöglichte und der von 1932-1934 Professor für Kriminologie an der Cornell University war, war der erste Kriminologe, der Abweichung und Kriminalität aus der Perspektive des [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbolischer_Interaktionismus symbolischen Interaktionismus] analysierte und die Etikettierung der Außenseiter durch die Instanzen sozialer Kontrolle zum Thema machte. Insofern war er der Begründer der Labeling-Perspektive, auch wenn viele seiner Nachfolger späterer Generationen sein Werk gar nicht kannten und den "Labeling Ansatz" gewissermaßen neu erfinden mussten.. Seine bedeutenden kriminologischen Schriften erschienen, bevor und nachdem er Kriminologieprofessor war, nämlich 1922 ("Wall Shadows" über das amerikanische Gefängnissystem) und 1938 - als in diesem Jahr "Crime and the Community" auf dem Buchmarkt erschien, war Tannenbaum selbst längst schon (seit 1935) Professor für Lateinamerikanische Geschichte an der Columbia University und engagierte sich als Berater der mexikanischen Regierung und als Erforscher der Geschichte der Sklaverei.  


== Leben ==  
== Leben ==  
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Im besonders kalten Winter von 1913/14, als US-Präsident Taft vor der Cooper Union in Manhattan auf die Frage eines Arbeitslosen, "If I need a job and there aren't any - what do I do?" seine berühmte Antwort gegeben hatte: "God knows - I don't", organisierte Tannenbaum sog. "sit-downs" von Arbeitslosen und Obdachlosen in Kirchen der Gutsituierten. Man drang in die Kirche ein - etwa in die Episcopal Church an der Lower Fifth Avenue - und verlangte nach Unterkunft und Essen. Am 4. März 1914 (seinem 21. Geburtstag) organisierte er die Besetzung der katholischen [http://en.wikipedia.org/wiki/Church_of_St._Alphonsus_Ligouri_%28New_York_City%29 Sankt-Alphonsus-Kirche] am West Broadway durch seine "army of unemployed". Das brachte ihm eine Haftstrafe von einem Jahr und eine Geldstrafe von 500 $ ein, die er nahezu vollständig im Gefängnis von [http://www.correctionhistory.org/html/chronicl/nycdoc/html/blakwel1.html Blackwell's (heute: Roosevelt) Island] verbüßte.
Im besonders kalten Winter von 1913/14, als US-Präsident Taft vor der Cooper Union in Manhattan auf die Frage eines Arbeitslosen, "If I need a job and there aren't any - what do I do?" seine berühmte Antwort gegeben hatte: "God knows - I don't", organisierte Tannenbaum sog. "sit-downs" von Arbeitslosen und Obdachlosen in Kirchen der Gutsituierten. Man drang in die Kirche ein - etwa in die Episcopal Church an der Lower Fifth Avenue - und verlangte nach Unterkunft und Essen. Am 4. März 1914 (seinem 21. Geburtstag) organisierte er die Besetzung der katholischen [http://en.wikipedia.org/wiki/Church_of_St._Alphonsus_Ligouri_%28New_York_City%29 Sankt-Alphonsus-Kirche] am West Broadway durch seine "army of unemployed". Das brachte ihm eine Haftstrafe von einem Jahr und eine Geldstrafe von 500 $ ein, die er nahezu vollständig im Gefängnis von [http://www.correctionhistory.org/html/chronicl/nycdoc/html/blakwel1.html Blackwell's (heute: Roosevelt) Island] verbüßte.


Der Bericht in der New York Times über seine Gerichtsverhandlung führte zu einem Wendepunkt in seiner Biographie. Die äußerst wohlhabende New Yorker Philanthropin Grace H. Childs zeigte sich beeindruckt, nahm Kontakt zu ihm auf und trug entscheidend dazu bei, ihm seinen Wunsch nach einem Studium nach der Haftentlassung zu erfüllen. Sie kontaktierte E. Stagg Whitin vom National Committee on Prisons and Prison Labor und den Geschichtsprofessor Carlton Hayes von der Columbia University. Auch der prominente Sing-Sing-Gefängniswärter [http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Mott_Osborne Thomas Mott Osborne] spielte eine Rolle (vgl. Tannenbaum 1933). Nach einem Gespräch mit dem Dekan Frederick P. Keppel erhielt Tannenbaum ein bescheidenes Stipendium von den Childses und erwarb nach seinem Studium an der Columbia University (1921) den PhD in Wirtschaftswissenschaften an der Brookings Institution in Washington, D.C. (1927). 1935 konnte er als Professor wieder an die Columbia University zurückkehren.
Der Bericht in der New York Times über seine Gerichtsverhandlung führte zu einem Wendepunkt in seiner Biographie. Die äußerst wohlhabende New Yorker Philanthropin Grace H. Childs zeigte sich beeindruckt, nahm Kontakt zu ihm auf und trug entscheidend dazu bei, ihm seinen Wunsch nach einem Studium nach der Haftentlassung zu erfüllen. Sie kontaktierte E. Stagg Whitin vom National Committee on Prisons and Prison Labor und den Geschichtsprofessor Carlton Hayes von der Columbia University. Auch der prominente Sing-Sing-Gefängniswärter [http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Mott_Osborne Thomas Mott Osborne] spielte eine Rolle (vgl. Tannenbaum 1933). Nach einem Gespräch mit dem Dekan Frederick P. Keppel erhielt Tannenbaum ein bescheidenes Stipendium von den Childses und erwarb nach seinem Studium an der Columbia University (1921), wo er bei [http://de.wikipedia.org/wiki/John_Dewey| John Dewey] studierte, einen PhD in Wirtschaftswissenschaften an der Brookings Institution in Washington, D.C. (1927). 1935 konnte er als Professor an die Columbia University zurückkehren.


*Sein erstes berufliches Engagement war die Beratung des mexikanischen Präsidenten Lázaro Cárdenas.  
*Sein erstes berufliches Engagement war die Beratung des mexikanischen Präsidenten Lázaro Cárdenas.  
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