Folterdiskussion in Deutschland: Unterschied zwischen den Versionen

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== Die ältere Diskussion ==
== Die ältere Diskussion ==
Die Folter wurde in Deutschland bis ins 16. Jahrhundert hinein weitgehend willkürlich und ohne Beachtung der von der Rechtswissenschaft erarbeiteten Indizienlehre angewendet. Die Tendenz zur stärkeren Reglementierung fand ihren Niederschlag in der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Carolina) von 1532. [Vgl. Art. Carolina] Die Carolina übernahm weitgehend die Lehren der italienischen Rechtslehrer und bot den Ausgangs- und Bezugspunkt für die späteren Handbücher deutscher Autoren zum Strafprozessrecht. Obwohl die Carolina in fast allen deutschen Territorien als gültig betrachtet wurde, war ihre Anwendung in der Gerichtspraxis beeinträchtigt durch die unzureichende Ausbildung vieler Richter, das Fortleben alter Rechtstraditionen und die mangelnden Kontrollmöglichkeiten innerhalb der kompliziert strukturierten Gerichtsverfassungen. Die Folterpraxis in deutschen Territorien der Frühen Neuzeit ist bislang nur unzureichend erforscht. Selbst im 18. Jahrhundert scheinen Gesetzesnorm und Gerichtspraxis häufig noch nicht übereingestimmt zu haben.
Der nur begrenzt wirksamen Bemühung, die weitgehend willkürlich praktizierte Folter durch gesetzliche Vorschriften durch die Halsgerichtsordnung von 1543 ([[CCC]]) zu reglementieren, folgte im 17. Jahrhundert eine Folterdiskussion, die immer stärker auf deren Einschränkung und schließlich auf deren Abschaffung hinauslief. Die offizielle Abschaffung der Folter begann im 18. Jahrhundert (Preußen 1740 / 1754) und endete im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Baden 1831). Allerdings wurde die Folter zunächst durch Schläge und Beugehaft gegenüber den die Tat bestreitenden Verdächtigen ersetzt. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden auch diese "Ungehorsamsstrafen" abgeschafft.  
 
Obwohl man insbesondere in den Hexenprozessen langsam skeptisch wurde gegenüber den erzwungenen Geständnissen bezeichnete noch 1745 Zedlers Großes Universallexikon die Folter als „eine dem gemeinen Besten sehr nützliche, ja nothwendige Sache“, und die Abschaffung der Folter erfolgte in der Anfangsphase gegen den Widerstand vor allem der Juristen.
Die offizielle Abschaffung der Folter begann im 18. Jahrhundert (Preußen 1740 / 1754) und endete im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Baden 1831). Während man diese Entwicklung bislang vor allem mit Änderungen im Beweisrecht erklärt hat, scheint der Einfluss aufklärerischen Gedankenguts doch weit bedeutender gewesen zu sein. Für die Verurteilung zur Todesstrafe blieb der formale Vollbeweis durch Geständnis oder Tatzeugen weiterhin erforderlich. Der Verzicht auf das erfolterte Geständnis wurde aber dadurch erleichtert, dass an Stelle von Todesstrafen immer öfter langjährige Zwangsarbeitsstrafen verhängt wurden. In fast allen Territorien ersetzte man die Folter zunächst durch die Anwendung von Schlägen oder Beugehaft gegenüber leugnenden Verdächtigen. Diese "Ungehorsamsstrafen" blieben bis ins 19. Jahrhundert hinein gebräuchlich.  
 
Im Hexenprozess wurde die Anwendung der Folter bereits seit dem späten 17. Jahrhundert zunehmend eingeschränkt. Dies resultierte offenbar aus einer wachsenden Skepsis gegenüber dem Inhalt von erfolterten Hexereigeständnissen, führte aber nicht zu einer generellen Ablehnung der Folter als Mittel der Wahrheitserforschung. Noch 1745 bezeichnete Zedlers Großes Universallexikon die Folter als „eine dem gemeinen Besten sehr nützliche, ja nothwendige Sache“, und die Abschaffung der Folter erfolgte in der Anfangsphase gegen den Widerstand weiter Teile des Juristenstandes.
 
2. Indizienrecht
Die Folter war notwendig, weil im frühneuzeitlichen Strafprozess eine Verurteilung zu Leibes- oder Lebensstrafen nur zulässig war, wenn die Aussage zweier glaubwürdiger Tatzeugen oder ein Geständnis des Täters vorlag (Vollbeweis). Gefoltert werden sollte nur, wenn einerseits keine zwei Tatzeugen vorhanden waren, andererseits die Täterschaft des leugnenden Verdächtigen so gut wie bewiesen war (Halbbeweis). Bereits die Carolina wies auf die Unmöglichkeit hin, feste Regeln dafür aufzustellen, wann der zur Folterverhängung nötige Halbbeweis vorlag (Carolina Artikel 24). Grundsätzlich sollte die Folter zulässig sein, wenn ein Gegenstand aus dem Besitz des Verdächtigen am Tatort gefunden wurde, wenn ein einzelner glaubwürdiger Zeuge die Tat beobachtet hatte, wenn ein verurteilter Verbrecher einen anderen glaubwürdig als Komplizen angab ("Besagung"), wenn der Verdächtige ein außergerichtliches Geständnis ablegte oder wenn er das fragliche Verbrechen kurz vor seiner Ausführung angedroht hatte (Carolina Artikel 29-32). Diese Indizien machten jeweils für sich allein einen Halbbeweis aus. Andere Indizien, die jeweils mit zwei Zeugen zu beweisen waren, konnten zu diesem Zweck hinzugezogen werden: Neben verdächtigen Handlungen, dem Umgang mit verdächtigen Personen oder dem Besitz verdächtiger Gegenstände war dabei regelmäßig der Leumund des Verdächtigen entscheidend (Carolina Art. 25-26). Das Indizienrecht der Carolina wurde in den frühneuzeitlichen Strafrechtshandbüchern umfassend erläutert und ergänzt. Trotz allem blieb den Richtern in der Praxis ein breiter Ermessensspielraum, der - gerade auch in Hexenprozessen - eine ausufernde Folterpraxis ermöglichte.
 
3. Foltermethoden und Foltergrade 
Abgesehen von einzelnen Exzessen und lokalen Besonderheiten war das Repertoire der gebräuchlichen Foltermethoden begrenzt. Im frühneuzeitlichen Deutschland waren dies vor allem die Anwendung von Daumen- oder Schienbeinschrauben, das Zusammenquetschen der Unterarme mit Seilen ("Schnüren"), die Streckfolter mit Folterleiter, Streckbank oder Seilzug ("Aufziehen") und das Verbrennen von Teilen der Haut mit Schwefel, Kerzen oder Fackeln. [Vgl. Art. Folterinstrumente] In einzelnen Regionen kamen dazu noch das Auspeitschen oder das stundenlange Einspannen in Geräte, die nur äußerst unbequeme Körperhaltungen zuließen (zum Beispiel "Bock", "Mecklenburgisches Instrument"). Die verschiedenen Foltermethoden wurden vielerorts kombiniert; an manchen Orten beschränkte man sich aber auch auf eine einzelne Methode, deren Intensität dann durch die Dauer ihrer Anwendung variiert wurde.
 
Grundsätzlich unterlag die Folter einer Einteilung in verschiedene Grade, über deren Anwendung nach der Art der zu erwartenden Strafe, der Schwere der Indizien und der körperlichen Verfassung des Angeklagten entschieden werden sollte. Die Bezeichnung der Foltergrade war uneinheitlich. Grundsätzlich wurde unterschieden zwischen Territion und tatsächlicher Folter. Die Territion bestand in der Androhung der Folter durch den Scharfrichter und dem Vorzeigen der Foltergeräte (Verbalterrition) beziehungsweise im Entkleiden und Fesseln des Angeklagten und dem Anlegen der Geräte (Realterrition). Die tatsächliche Folter wurde wiederum meistens in drei Grade eingeteilt, die entweder als erster, zweiter oder dritter Grad der Folter bezeichnet oder mit Umschreibungen belegt wurden. Häufig wurde der erste Grad als "gelinde" und der zweite als "mäßig", "ziemlich" oder "menschlich" bezeichnet. Der dritte Grad hieß in der Regel ohne weiteren Zusatz "scharfe Frage". Wegen der regionalen und zeitlichen Abweichungen ist eine sichere Zuordnung solcher Umschreibungen nur im Kontext des Einzelfalls möglich.
 
Meistens waren dem ersten Foltergrad die Anwendung der Daumen- und Beinschrauben oder das Schnüren zugeordnet. Der zweite Grad bestand zumeist aus einer Form der Streckfolter, die auch mit dem Anlegen der Beinschrauben kombiniert werden konnte. Beim dritten Foltergrad waren prinzipiell alle gebräuchlichen Instrumente und Methoden zulässig. Häufig wurde hier die Streckfolter mit dem Brennen kombiniert.


== Die neue Diskussion ==
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