Filmische Aufarbeitung von Diktaturen in Südamerika: Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''filmische Aufarbeitung von Diktaturen in Südamerika''' erfolgt vor allem im Genre des politischen Thrillers, also durch „Kino-Spielfilme, die aus einer erkennbar partei-engagierten Position heraus authentische oder der Realität nahe politische Ereignisse, Prozesse oder Wirkungsmechanismen darstellen bzw. rekonstruieren“ und das Ziel verfolgen, bei einem Massenpublikum „Betroffenheit, Anteilnahme oder Reaktionen“ zu erzeugen (Schäfer/Schwarzer 1991: 15).
 
Für den renommierten Filmkritiker Georg Seeßlen gilt der Thriller als das innerhalb des populären Films sich am meisten einer eindeutigen Definition widersetzende Genre. Das gleiche gilt für die Variante des politischen Thrillers, worunter Horst Schäfer und Wolfgang Schwarzer „Kino-Spielfilme, die aus einer erkennbar partei-engagierten Position heraus authentische oder der Realität nahe politische Ereignisse, Prozesse oder Wirkungsmechanismen darstellen bzw. rekonstruieren“ verstehen. Diese parteiergreifende Filmgattung wendet sich mit der Zielsetzung „Betroffenheit, Anteilnahme oder Reaktionen“ bei einem Massenpublikum zu erzeugen. (Schäfer/Schwarzer 1991: 15) Die hier diskutierten Spielfilme sind diesem Genre zuzuordnen. Sie thematisieren im Auftrag von Regierungen begangene Menschenrechtsverletzungen in südamerikanischen Staaten.


=='''Missing - Vermisst (1982)'''==
=='''Missing - Vermisst (1982)'''==
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===Hintergrund===
===Hintergrund===


* Ort und Zeit der Handlung werden nicht genannt. Das sich die Ereignisse während der brasilianischen Militärdiktatur (1965-1985) abspielen, lässt die brasilianische Flagge vermuten, die im Büro des Gefängnisleiters zu sehen ist.
* Ort und Zeit der Handlung werden nicht genannt. Das sich die Ereignisse während der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) abspielen, lässt die brasilianische Flagge vermuten, die im Büro des Gefängnisleiters zu sehen ist. Der 1964 gegründete Geheimdienst [[Serviço de Segurança Nacional]] (SNI) erzeugte mit zahlreichen Unterorganisationen ein Klima der Angst in der Bevölkerung, da niemand vor Bespitzelung sicher sein konnte. Ende der 1960er Jahre kursierte ein Flugblatt, wo in zehn Punkten erläutert wurde, wie verdächtige Personen denunziert werden könnten. Ab 1971 waren Verhaftungen möglich, ohne dass die Festgenommenen über die Gründe informiert wurden. Die Presse und Versammlungsfreiheit wurde bereits 1968 abgeschafft. Die im Film als Amt für politische Überwachung genannte Institution ist dem [[Departamento de Orden Político y Social]] (DOPS) nachempfunden, einen Polizeiverband, der außerhalb der offziellen Rechtssprechung souverän agieren konnte. Todesopfer von Misshandlungen und Folterungen wurden häufig auf Straßen und öffentlichen Plätzen abgelegt, um vorzutäuschen, diese seien von Kriminellen oder Angehörigen der eigenen Gruppe ermordet worden. [http://www.lateinamerika-studien.at/content/geschichtepolitik/brasilien/brasilien-83.html] 


* Als erster Darsteller, der einen homosexuellen Filmpart übernahm, erhielt William Hurt 1986 den Oscar für die beste Hauptrolle. (Russo 1990: 222)
* Als erster Darsteller, der einen homosexuellen Filmpart übernahm, erhielt William Hurt 1986 den Oscar für die beste Hauptrolle. (Russo 1990: 222)


* Der Regisseur Hector Babenco drehte bereits 1981 ''Pixote: A lai do mais fraco'', worin er in eindringlichen Bildern den Alltag von brasilianischen Straßenkindern schildert. Den von Harry M. Benshoff und Sean Griffin als "independent queer film hit" gefeierten Kiss of the Spider Woman inszinierte der heterosexuelle Filmemacher nach der Vorlage des sich offen zu seiner Homosexualität bekennenden Manuel Puig. Vito Russo kritisierte, der Film bediene sich üblicher Geschlechterzuschreibungen. Molina, der aus Liebe zu Valentin und nicht aus politischen Gründen ähnlich wie Leni stirbt, erscheine durch die Übernahme einer gefährlichen politischen Funktion als "männlicher".(Benshoff/Griffin 2006: 191 f., Russo 1990: 222-224)
* Der Regisseur Hector Babenco drehte bereits 1981 ''Pixote: A lai do mais fraco'', worin er in eindringlichen Bildern den Alltag von brasilianischen Straßenkindern schildert. Den von Harry M. Benshoff und Sean Griffin als „independent queer film hit“ gefeierten Kiss of the Spider Woman inszinierte der heterosexuelle Filmemacher nach der Vorlage des sich offen zu seiner Homosexualität bekennenden Manuel Puig. Vito Russo kritisierte, der Film bediene sich üblicher Geschlechterzuschreibungen. Molina, der aus Liebe zu Valentin und nicht aus politischen Gründen ähnlich wie Leni stirbt, erscheine durch die Übernahme einer gefährlichen politischen Funktion als „männlicher“. (Benshoff/Griffin 2006: 191 f., Russo 1990: 222-224)


* Die in Brasilien als "Sex-Symbol" geltende Darstellerin Sonia Braga ist in drei verschiedenen Rollen zu sehen: Leni, Marta und als titelgebende Spinnenfrau. Während Molina von der geheimnisvollen, auf einer einsamen Insel lebenden Spinnenfrau erzählt, erkennt der Zuschauer, dass diese unverkennbar die Züge Martas trägt, während der Schiffbrüchige Valentin ist. Kiss of the Spider Woman handelt sowohl von dem äußerlich sichtbaren Gefängnis, in dem Valentin und Molina Insassen sind, als auch von 'inneren Gefängnissen', die Molina Verstrickungen nennt. So fühlt er sich selbst im Körper eines Mannes gefangen, während die Spinnenfrau die Insel aufgrund ihres eigenen Netzes nicht verlassen kann. Die letzten Momente, in denen Valentin träumt, erscheinen als ein Akt der Befreiung in zweierlei Hinsicht: er und Marta verlassen gemeinsam das sichtbare Gefängnis und ebenso die geheimnisvolle Insel. (Parish 1993: 204-206)
* Die bereits während der Militärdiktatur in Brasilien als „Sex-Symbol“ geltende Darstellerin Sonia Braga ist in drei verschiedenen Rollen zu sehen: Leni, Marta und als titelgebende Spinnenfrau. Während Molina von der geheimnisvollen, auf einer einsamen Insel lebenden Spinnenfrau erzählt, erkennt der Zuschauer, dass diese unverkennbar die Züge Martas trägt, während der Schiffbrüchige Valentin ist. Kiss of the Spider Woman handelt sowohl von dem äußerlich sichtbaren Gefängnis, in dem Valentin und Molina Insassen sind, als auch von 'inneren Gefängnissen', die Molina Verstrickungen nennt. So fühlt er sich selbst im Körper eines Mannes gefangen, während die Spinnenfrau die Insel aufgrund ihres eigenen Netzes nicht verlassen kann. Die letzten Momente, in denen Valentin träumt, erscheinen als ein Akt der Befreiung in zweierlei Hinsicht: er und Marta verlassen gemeinsam das sichtbare Gefängnis und ebenso die geheimnisvolle Insel. (Parish 1993: 204-206)


=='''Dead and the Maiden - Der Tod und das Mädchen (1994)'''==
=='''Death and the Maiden - Der Tod und das Mädchen (1994)'''==


1991 veröffentlichte Ariel Dorfman sein Theaterstück Der Tod und das Mädchen. Bei Roman Polanskis gleichnamiger Verfilmung wirkte er als Co-Produzent mit.
1991 veröffentlichte Ariel Dorfman sein Theaterstück Der Tod und das Mädchen. Bei Roman Polanskis gleichnamiger Verfilmung wirkte er als Co-Produzent mit.
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===Handlung===
===Handlung===


Nach einen in schwarz gehaltenen Vorspann schwenkt die Kamera auf ein Geigenkonzert. Im Konzertsaal sitzen der Rechtanwalt Gerardo Escobar (Stuart Wilson) und seine Frau Paulina (Sigourney Weaver). Szenenwechsel in eine stürmische Nacht. Paulina wartet auf ihren Mann und hört in einer Radiomitteilung von einer Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen während der Militärregierung. Gerardo ist der Vorsitzender dieser Kommission. Verspätet kommt er im Auto eines Fremden an. Dr. Miranda (Ben Kingsley) war hierfür sogar einen Umweg gefahren. Paulina, beunruhigt durch die nächtlichen Scheinwerfer greift zu einer Schusswaffe. Sie scheint in ständiger Angst zu leben. Gerardo wirft sie vor, es handele sich um eine „Alibi-Kommission“ und auch die jetzige Regierung würde nicht im Sinne der Opfer handeln und die vollständige Wahrheit ans Licht bringen. Als sich ihr Mann weigert, mit ihr offen über seine Unterredung mit dem Präsidenten zu sprechen, wirft sie die beiden Brathähnchen, die sie lange zubereitet hat, in den Abfalleimer. Dem Zuschauer wird verständlich, dass die kinderlose Ehe (die beiden sprechen über eine mögliche Adoption) unter einer Krise leidet. In der Nacht kehrt Miranda zurück, der vordergründig Gerardo einen Reifen übergibt und ihm seine Bewunderung für sein politisches Engagement ausspricht. Dabei erwähnt er eine ‚Petition im Namen der Vermissten’, die er auch unterzeichnen möchte. Außerdem erkundigt er sich, ob Namen veröffentlicht werden sollen, was Gerardo verneint. Miranda entgegen, dass irgendetwas immer durchsickert. Zwischenzeitlich fährt Paulina in Mirandas Wagen davon, was Gerardo interpretiert, dass sie ihn verlassen hat. Die beiden Männer betrinken sich. Da Miranda nicht nach Hause zurückkehren kann, bietet Gerardo ihm an, auf dem Sofa zu übernachten. Derweil versenkt Paulina den Wagen im Meer. Anschließend kehrt sie zu Fuß zum Haus zurück und schlägt Miranda mit dem Pistolengriff nieder, fesselt ihn mit einem Kabel an den Stuhl, knebelt mit ihrer Unterhose und einem Klebeband. Dabei zeigt sie ihm das Bild seiner Familie und eine Kassette mit Franz Schuberts Der Tod und das Mädchen. Von dem Lärm erwacht Gerardo, dem sie erzählt, Miranda sei der Arzt gewesen, der immer dieses Streichquartett abspielen ließ, als sie gefoltert wurde. Zwar waren ihre Augen verbunden, aber sie hatte ihn an der Stimme und an verschiedenen Redewendungen, die Miranda benutzte, erkannt. Während der Militärdiktatur war Paulina verschleppt, mit Elektroschocks gefoltert, mehrfach vergewaltigt, ihre Brüste mit brennenden Zigaretten angesengt und zum Trinken von Urin gezwungen worden. Jetzt möchte sie den gefangenen Miranda den Prozess machen, wobei ihr Ehemann als dessen Verteidiger fungieren soll. Der verzweifelte Miranda nennt Paulina eine Geisteskranke und behauptet mehrfach während der Militärregierung in Barcelona gewesen zu sein. Unbeirrt erhebt Paulina eine Anklage gegen den Arzt, den sie Misshandlungen, Überwachen der Elektroschocks und der mehrfachen Vergewaltigung (auch mit einer Metallstange) bezichtigt. Im Frühjahr 1977 war Paulina mit dem Studentenführer Gerardo liiert, der illegale Zeitschriften der Opposition herausbrachte. Die Geheimpolizei entführte sie mitten auf der Straße, aber sie war nicht bereit, ihren Geliebten zu verraten. Paulina erinnert sich später an die ‚illegale Verhaftung’: zwei Männer zerrten sie vor zahlreichen Augenzeugen am Tag in einen Wagen. Sie hatte nicht geschrieen, Gerardo sagt, sie wäre dann auch erschossen worden. Dass sie auch vergewaltigt wurde, hatte sie Gerardo immer verschwiegen, da dies sonst immer zwischen ihnen gestanden hätte. Während Gerardo auf sie einredet, sie müssten sich von ‚Anderen’ unterscheiden, zieht Paulina zunächst in Erwägung, Miranda zu vergewaltigen. Dies verwirft sie, möchte aber ein Geständnis, das sie auf Video aufzeichnet, zeigt er Reue dürfe er gehen. Wäre er tatsächlich unschuldig, was auch ihr Mann immer wieder in Erwägung zieht, sei er „eben beschissen dran“. Schließlich muss Miranda zur Toilette. Paulina öffnet seinen Hosenschlitz und steht neben ihm. Miranda ist es aufgrund diesen Eingriffs in seine Intim- und Privatsphäre nicht möglich zu urinieren. Paulina wendet sich, die Internationale pfeifend, ab und Miranda kann urinieren. Währenddessen erhält Gerardo einen Anruf des Präsidenten, es habe Todesdrohungen gegen ihn gegeben und Polizisten seien unterwegs, um ihn zu schützen. Diese würden jedoch nicht vor 6 Uhr eintreffen. Paulina zieht in Erwägung Miranda zu töten, indem sie ihn von einer Klippe stößt. In den zermürbenden Dialogen offenbart sich schließlich, dass Gerardo während der Gefangenschaft Paulinas eine Geliebte hatte. Er entschuldigt sich, dass er Paulina für tot gehalten habe. Die Videoaufzeichnung beginnt. Miranda erklärt vor laufender Kamera, er habe den Gefangenen helfen wollen und stellte Nahrungsmittel zur Verfügung. Während seiner Dienstzeit habe es keine Todesfälle gegeben. „Ich verehre Frauen!“ ruft er plötzlich aus, dass Paulina schön gewesen wäre, die hässlichen habe er immer in Ruhe gelassen. Er gibt an, Paulina mit Kabeln gefesselt zu haben, eine Information, die er weder von ihr noch von ihren Mann haben kann. Für Paulina ist dies der Beweis für seine Schuld. In diesen Moment kann Miranda sich befreien und Paulina überwältigen, wird aber seinerseits von Gerardo niedergeschlagen. Es ist 5:10 Uhr. Miranda wird zu dem Abhang geschafft, während Gerardo ein Ferngespräch mit einem Klinikum in Barcelona führt, wo auch tatsächlich bestätigt wird, dass Miranda dort gearbeitet hat. Paulina zweifelt mit Verweisen auf Täuschungsmanöver der Junta: „Ist das die Wahrheit?“ Miranda gesteht schließlich, Paulina vierzehnmal vergewaltigt zu haben. Er habe immer dagegen angekämpft, aber der Drang, Macht über Wehrlose ausüben zu können war stärker. Er hatte gefoltert, einfach nur, weil er die Möglichkeit dazu hatte. Die Geheimpolizei habe ihm immer mit „Frischfleisch“ wie junge gefangene Frauen in deren Jargon genannt worden, versorgt. Er konnte jeden „zerbrechen“ und war getrieben von „morbider Neugier“. Escobar ist nicht fähig, Miranda zu töten, Paulina nimmt ihm die Fesseln ab. Es folgt eine lange Kameraeinstellung von der Klippe. Erneuter Szenenwechsel: Das Ehepaar Escobar sitzt im Konzertsaal. Dr. Miranda sitzt mit seiner Familie in der Loge und lächelt gelangweilt seinem Sohn zu.
Nach einen in schwarz gehaltenen Vorspann schwenkt die Kamera auf ein Geigenkonzert. Im Konzertsaal sitzen der Rechtanwalt Gerardo Escobar (Stuart Wilson) und seine Frau Paulina (Sigourney Weaver). Szenenwechsel in eine stürmische Nacht. Paulina wartet auf ihren Mann und hört in einer Radiomitteilung von einer Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen während der Militärregierung. Gerardo ist der Vorsitzender dieser Kommission. Verspätet kommt er im Auto eines Fremden an. Dr. Miranda (Ben Kingsley) war hierfür sogar einen Umweg gefahren. Paulina, beunruhigt durch die nächtlichen Scheinwerfer greift zu einer Schusswaffe. Sie scheint in ständiger Angst zu leben. Gerardo wirft sie vor, es handele sich um eine „Alibi-Kommission“ und auch die jetzige Regierung würde nicht im Sinne der Opfer handeln und die vollständige Wahrheit ans Licht bringen. Als sich ihr Mann weigert, mit ihr offen über seine Unterredung mit dem Präsidenten zu sprechen, wirft sie die beiden Brathähnchen, die sie lange zubereitet hat, in den Abfalleimer. Dem Zuschauer wird verständlich, dass die kinderlose Ehe (die beiden sprechen über eine mögliche Adoption) unter einer Krise leidet. In der Nacht kehrt Miranda zurück, der vordergründig Gerardo einen Reifen übergibt und ihm seine Bewunderung für sein politisches Engagement ausspricht. Dabei erwähnt er eine ‚Petition im Namen der Vermissten’, die er auch unterzeichnen möchte. Außerdem erkundigt er sich, ob Namen veröffentlicht werden sollen, was Gerardo verneint. Miranda entgeget, dass irgendetwas immer durchsickert. Zwischenzeitlich fährt Paulina in Mirandas Wagen davon, was Gerardo interpretiert, dass sie ihn verlassen hat. Die beiden Männer betrinken sich. Da Miranda nicht nach Hause zurückkehren kann, bietet Gerardo ihm an, auf dem Sofa zu übernachten. Derweil versenkt Paulina den Wagen im Meer. Anschließend kehrt sie zu Fuß zum Haus zurück und schlägt Miranda mit dem Pistolengriff nieder, fesselt ihn mit einem Kabel an den Stuhl, knebelt ihn mit ihrer Unterhose und einem Klebeband. Dabei zeigt sie ihm das Bild seiner Familie und eine Kassette mit Franz Schuberts Der Tod und das Mädchen. Von dem Lärm erwacht Gerardo, dem sie erzählt, Miranda sei der Arzt gewesen, der immer dieses Streichquartett abspielen ließ, als sie gefoltert wurde. Zwar waren ihre Augen verbunden, aber sie hatte ihn an der Stimme und an verschiedenen Redewendungen, die Miranda benutzte, erkannt. Während der Militärdiktatur war Paulina verschleppt, mit Elektroschocks gefoltert, mehrfach vergewaltigt, ihre Brüste mit brennenden Zigaretten angesengt und zum Trinken von Urin gezwungen worden. Jetzt möchte sie den gefangenen Miranda den Prozess machen, wobei ihr Ehemann als dessen Verteidiger fungieren soll. Der verzweifelte Miranda nennt Paulina eine Geisteskranke und behauptet mehrfach, während der Militärregierung in Barcelona gewesen zu sein. Unbeirrt erhebt Paulina eine Anklage gegen den Arzt, den sie Misshandlungen, Überwachen der Elektroschocks und der mehrfachen Vergewaltigung (auch mit einer Metallstange) bezichtigt. Im Frühjahr 1977 war Paulina mit dem Studentenführer Gerardo liiert, der illegale Zeitschriften der Opposition herausbrachte. Die Geheimpolizei entführte sie mitten auf der Straße, aber sie war nicht bereit, ihren Geliebten zu verraten. Paulina erinnert sich später an die ‚illegale Verhaftung’: zwei Männer zerrten sie vor zahlreichen Augenzeugen am Tag in einen Wagen. Sie hatte nicht geschrieen, Gerardo sagt, sie wäre dann auch erschossen worden. Dass sie auch vergewaltigt wurde, hatte sie Gerardo immer verschwiegen, da dies sonst immer zwischen ihnen gestanden hätte. Während Gerardo auf sie einredet, sie müssten sich von den ‚Anderen’ unterscheiden, zieht Paulina zunächst in Erwägung, Miranda zu vergewaltigen. Dies verwirft sie, möchte aber ein Geständnis, das sie auf Video aufzeichnet. Zeigt er Reue, dürfe er gehen. Wäre er tatsächlich unschuldig, was auch ihr Mann immer wieder in Erwägung zieht, sei er „eben beschissen dran“. Schließlich muss Miranda zur Toilette. Paulina öffnet seinen Hosenschlitz und steht neben ihm. Miranda ist es aufgrund diesen Eingriffs in seine Intim- und Privatsphäre nicht möglich zu urinieren. Paulina wendet sich, die Internationale pfeifend, ab und Miranda kann urinieren. Währenddessen erhält Gerardo einen Anruf des Präsidenten, es habe Todesdrohungen gegen ihn gegeben und Polizisten seien unterwegs, um ihn zu schützen. Diese würden jedoch nicht vor 6 Uhr eintreffen. Paulina zieht in Erwägung, Miranda zu töten, indem sie ihn von einer Klippe stößt. In den zermürbenden Dialogen offenbart sich schließlich, dass Gerardo während der Gefangenschaft Paulinas eine Geliebte hatte. Er entschuldigt sich, dass er Paulina für tot gehalten habe. Die Videoaufzeichnung beginnt. Miranda erklärt vor laufender Kamera, er habe den Gefangenen helfen wollen und stellte Nahrungsmittel zur Verfügung. Während seiner Dienstzeit habe es keine Todesfälle gegeben. „Ich verehre Frauen!“ ruft er plötzlich aus, dass Paulina schön gewesen wäre, die hässlichen habe er immer in Ruhe gelassen. Er gibt an, Paulina mit Kabeln gefesselt zu haben, eine Information, die er weder von ihr noch von ihren Mann haben kann. Für Paulina ist dies der Beweis für seine Schuld. In diesen Moment kann Miranda sich befreien und Paulina überwältigen, wird aber seinerseits von Gerardo niedergeschlagen. Es ist 5:10 Uhr. Miranda wird zu dem Abhang geschafft, während Gerardo ein Ferngespräch mit einem Klinikum in Barcelona führt, wo auch tatsächlich bestätigt wird, dass Miranda dort gearbeitet hat. Paulina zweifelt mit Verweisen auf Täuschungsmanöver der Junta: „Ist das die Wahrheit?“ Miranda gesteht schließlich, Paulina vierzehnmal vergewaltigt zu haben. Er habe immer dagegen angekämpft, aber der Drang, Macht über Wehrlose ausüben zu können war stärker. Er hatte gefoltert, einfach nur, weil er die Möglichkeit dazu hatte. Die Geheimpolizei habe ihm immer mit „Frischfleisch“ wie junge gefangene Frauen in deren Jargon genannt wurden, versorgt. Er konnte jeden „zerbrechen“ und war getrieben von „morbider Neugier“. Escobar ist nicht fähig, Miranda zu töten, Paulina nimmt ihm die Fesseln ab. Es folgt eine lange Kameraeinstellung von der Klippe. Erneuter Szenenwechsel: Das Ehepaar Escobar sitzt im Konzertsaal. Dr. Miranda sitzt mit seiner Familie in der Loge und lächelt gelangweilt seinem Sohn zu.


===Hintergrund===
===Hintergrund===


* Der Regisseur '''Roman Polanski''' (* 18. August 1933) wurde 1977 selbst wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen (der damals 13jährigen Samantha Geimer) angeklagt. (Jacke 2010: 11 f. u. 205 f.) Im August 1969 töteten Anhänger des Sektenführers [[Charles Manson]] seine erste, hochschwangere Frau Sharon Tate. (Bugliosi 2010)  
* Der Regisseur '''Roman Polanski''' (* 18. August 1933) wurde 1977 selbst wegen [[sexuellen Missbrauchs]] einer Minderjährigen (der damals 13jährigen Samantha Geimer) angeklagt. (Jacke 2010: 11 f. u. 205 f.) Im August 1969 töteten Anhänger des Sektenführers [[Charles Manson]] seine erste, hochschwangere Frau Sharon Tate. (Bugliosi 2010)  


* Lediglich den spanischen Namen der Beteiligten ist zu entnehmen, dass es sich bei dem Ort der Geschehnisse um ein südamerikanisches Land handelt, die Diktatur muss zeitlich zwischen 1975 und 1980 stattgefunden haben. Dies geschieht auch im Sinne der Vorlage Dorfmans, wo nicht explizit ein bestimmtes Land genannt wird, da es sich in sämtlichen Diktaturen so zugetragen haben könnte. Aus den Gesprächen ist zu entnehmen, dass die sich mit Ausnahme des Pro- und Epilogs zutragende Handlung in einer einzigen Nacht im April 1992 stattfindet.  
* Lediglich den spanischen Namen der Beteiligten ist zu entnehmen, dass es sich bei dem Ort der Geschehnisse um ein südamerikanisches Land handelt, die Diktatur muss zeitlich zwischen 1975 und 1980 stattgefunden haben. Dies geschieht auch im Sinne der Vorlage Dorfmans, wo nicht explizit ein bestimmtes Land genannt wird, da es sich in sämtlichen Diktaturen so zugetragen haben könnte. Aus den Gesprächen ist zu entnehmen, dass die sich mit Ausnahme des Pro- und Epilogs zutragende Handlung in einer einzigen Nacht im April 1992 stattfindet.  
* Das Misstrauen, welches Paulina der Kommission entgegenbringt, findet sich häufig bei Opfern und Angehörigen. So verweigerte beispielsweise im Jahr 1983 die [[Madres de Plaza de Mayo]], eine Vereinigung von Argentinierinnen, deren Kinder während der Junta-Regierung verschleppt und ermordet worden waren, die Kooperation mit der zur Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur eingesetzten Untersuchungskommission [[Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas]], da deren Mitglieder ausschließlich durch den damaligen Präsidenten ernannt wurden. (Stanley 2008: 89)


* Das Streichquartett Nr. 14 d-Moll D 810 ''Der Tod und das Mädchen'' entstand 1824. Im Film wird auf Schuberts frühen Tod mit 31 Jahren und seine Homosexualität verwiesen (Miranda verachtet ihn aus diesem Grund). Bei dem Tod und das Mädchen handelt es sich um ein Motiv des späten Mittelalters und der Renaissance, wobei der Tod als Verführer oder heimlicher Geliebter eines unerfahrenen oder unschuldigen Mädchens auftritt.  
* Das Streichquartett Nr. 14 d-Moll D 810 ''Der Tod und das Mädchen'' entstand 1824. Im Film wird auf Schuberts frühen Tod mit 31 Jahren und seine Homosexualität verwiesen (Miranda verachtet ihn aus diesem Grund). Bei dem Tod und das Mädchen handelt es sich um ein Motiv des späten Mittelalters und der Renaissance, wobei der Tod als Verführer oder heimlicher Geliebter eines unerfahrenen oder unschuldigen Mädchens auftritt.  
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In den ersten Einblendungen wird daraufhin hingewiesen, dass der Film auf realen Ereignissen und auf Aussagen von Opfern der argentinischen Militärregierung beruht. Ferner nennt der Vorspann, dass es aufgrund dieser Aussagen zur Verurteilung mehrerer Junta-Angehöriger im Jahr 1985 kam. Im Original trägt der Film den Titel Crónica de una fuga: Die Chronik einer Flucht.
In den ersten Einblendungen wird daraufhin hingewiesen, dass der Film auf realen Ereignissen und auf Aussagen von Opfern der argentinischen Militärregierung beruht. Ferner nennt der Vorspann, dass es aufgrund dieser Aussagen zur Verurteilung mehrerer Junta-Angehöriger im Jahr 1985 kam. Im Original trägt der Film den Titel Crónica de una fuga: Die Chronik einer Flucht.
23. November 1977, Buenos Aires. Ein Mann wird mit dem Kopf voran gewaltsam aus einem Auto gehalten und gefragt, ob in dem Haus der Gesuchte wohnt. Die ersten Minuten arbeitet der Film mit ständig wechselnden Schnitten: ein Fußballspieler wird beim Zusammenbrechen gezeigt, während zu einer Szene übergewechselt wird, die eine Frau in der gleichen gekrümmten Pose zeigt. Die Frau wird in ihrer Wohnung von mehreren Männern misshandelt und über ihren Sohn befragt, der ein „linker Terrorist“ sein soll. Ihr Sohn ist der Torwart Claudio Tamburrini, der gewaltsam auf der Straße entführt und dem die Augen verbunden werden. Seinen Peinigern geht es darum, zu erfahren, ob er eine Druckmaschine besitze, auf der Untergrundzeitschriften vervielfältigt wurden. Erst jetzt setzt der Vorspann des Films ein. Die Außenfassade einer alten Villa ist sichtbar. Es ist strahlend blauer Tag. Claudio ist mit einem anderen Gefangenen eingeschlossen, der ihm mitteilt, es handele sich um eine Prüfung Gottes, der sehen möchte, ob „wir stark genug sind, an ihm zu glauben“. 3. Tag. In einem Badezimmer (Waschbecken, Dusche und Toilette werden mehrfach in Großaufnahmen gezeigt) wird ein brutales Verhör durchgeführt: Claudios Peiniger, die jetzt nicht mehr maskiert sind, drücken ihn mehrfach unter Wasser. Ein stark abgemagerter Mitgefangener beschwört Claudio, der leugnet ein Guerilla zu sein, alles zuzugeben. Bei ihm handelt es sich um den Mann aus dem Wagen, ‚El Tano’, der Claudio bereits vorher denunziert hatte. Claudio wird mit einem Gewehrkolben blutig geschlagen. Zurück in der Zelle spricht sein Nachbar erneut davon, Gottes Prüfung zu bestehen, woraufhin Claudio entgegnet, sein Jesus könne ihn „kreuzweise“. Daraufhin werden sämtliche Gefangene unter Schlägen zum Beten gezwungen, damit Gott sie erhöre, so der zynische Kommentar der Wachen. 31. Tag. Claudio wird vorgegaukelt man ließe ihn frei. Sein Nachbar wird unter der Drohung, nichts über seinen Aufenthalt zu verraten, aber tatsächlich freigelassen. Den Satz „Es sind gute Menschen“ (bezogen auf die Wärter) muss er ständig wiederholen. Es ist der 24. Dezember. Claudio wird die Augenbinde erstmals abgenommen, aber er hält die Augen geschlossen. Beim gemeinsamen Essen beteuert der psychisch instabile El Tano, er sei stundenlang misshandelt worden, er habe keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als sich Claudio auszusuchen, der ihm entgegnet: „So macht ihr Revolutionen, indem ihr Leben zerstört!“ Die ständig anwesenden Wachen verkünden: „Wir befehlen, ihr gehorcht!“ 61. Tag. Claudio verlangt erstmals Besteck zum Essen, woraufhin tatsächlich Geschirr in dem Esssaal geworfen wird. Um einige wenige Nahrungsmittel entbrennt ein heftiger Streit unter den Gefangenen. El Tano wird jetzt auch von anderen Gefangenen vorgeworfen, er beschuldige willkürlich Unbeteiligte, insbesondere Studenten, die gar nicht in Verbindung zu der Guerilla-Bewegung stünden. Er erwidert, der Junta ginge es nur darum, „die Radikalen fertigzumachen“, die „einfachen Gefangenen“ seien nicht das Problem. 73. Tag. El Tano wird in eine Haftanstalt überstellt. Für den Ratschlag seines Bruders, Selbstmord zu begehen, fehlt ihm der Mut. Die Gefangenen werden mit verbundenen Augen, die Hände jeweils auf der Schulter des Vordermannes, in Autos verfrachtet und abtransportiert. 118. Tag. Ein Gefangener wird mit dem Hinweis, er solle seinen Eltern keinen Kummer bereiten, entlassen. Die Wärter führen willkürliche Gerichte durch, in welchen über Freilassung oder Tod entschieden wird. Dem Gefangenen wird suggeriert, er solle alles sagen, wenn er nicht wolle, dass seine Schädel wie eine Kokosnuss gespalten wird. Angeblich würde das FBI mit den gleichen Methoden agieren. Umgekehrt geben die Gefangenen beim Verhör nur Hinweise auf bereits ‚gesäuberte’ Häuser. In der Zelle werden den Gefangenen die Augenbinden abgenommen und ein Spiegel herumgeführt, der als Objekt der Demütigung fungiert: die Wärter beschimpfen die Insassen als „dreckig und verkommen“, einer wird mit schmutzigem Spülwasser übergossen und „blitzblank geschrubbt“, dass er „rein wie eine Jungfrau“ werde. 119. Tag. Unter den Gefangenen kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen aufgrund von Nichtigkeiten. Besonders nutzt den Wärtern die geringe Solidarität untereinander. Ein Fluchtversuch, bei dem ein Wärter durch den Schlag mit einer Pfanne unschädlich gemacht werden soll, scheitert kläglich. Am Abend wagen vier Gefangene schließlich die Flucht, während eine Personenkontrolle mit einer Liste durchgeführt wird. Während eines Gewitters seilen sich die Claudio und die Anderen aus Guillermos Zimmer ab. Das Fenster konnte er mit einer Schraube öffnen. Dabei beobachten sie, wie neu eintreffende Gefangene misshandelt werden. Die Fliehenden laufen unbekleidet durch die Straßen, einer klingelt bei einer ihm unbekannten Frau, behauptet überfallen worden zu sein und bittet um Kleider und etwas Geld, was diese ihm auch aushändigt. Guillermo, der noch immer die Schraube im Mund trägt, wird bei Tag in einem Taxi mitgenommen.
23. November 1977, Buenos Aires. Ein Mann wird mit dem Kopf voran gewaltsam aus einem Auto gehalten und gefragt, ob in dem Haus der Gesuchte wohnt. Die ersten Minuten arbeitet der Film mit ständig wechselnden Schnitten: ein Fußballspieler wird beim Zusammenbrechen gezeigt, während zu einer Szene übergewechselt wird, die eine Frau in der gleichen gekrümmten Pose zeigt. Die Frau wird in ihrer Wohnung von mehreren Männern misshandelt und über ihren Sohn befragt, der ein „linker Terrorist“ sein soll. Ihr Sohn ist der Torwart Claudio Tamburrini, der gewaltsam auf der Straße entführt und dem die Augen verbunden werden. Seinen Peinigern geht es darum, zu erfahren, ob er eine Druckmaschine besitze, auf der Untergrundzeitschriften vervielfältigt wurden. Erst jetzt setzt der Vorspann des Films ein. Die Außenfassade einer alten Villa ist sichtbar. Es ist strahlend blauer Tag. Claudio ist mit einem anderen Gefangenen eingeschlossen, der ihm mitteilt, es handele sich um eine Prüfung Gottes, der sehen möchte, ob „wir stark genug sind, an ihm zu glauben“. 3. Tag. In einem Badezimmer (Waschbecken, Dusche und Toilette werden mehrfach in Großaufnahmen gezeigt) wird ein brutales Verhör durchgeführt: Claudios Peiniger, die jetzt nicht mehr maskiert sind, drücken ihn mehrfach unter Wasser. Ein stark abgemagerter Mitgefangener beschwört Claudio, der leugnet ein Guerilla zu sein, alles zuzugeben. Bei ihm handelt es sich um den Mann aus dem Wagen, ‚El Tano’, der Claudio bereits vorher denunziert hatte. Claudio wird mit einem Gewehrkolben blutig geschlagen. Zurück in der Zelle spricht sein Nachbar erneut davon, Gottes Prüfung zu bestehen, woraufhin Claudio entgegnet, sein Jesus könne ihn „kreuzweise“. Daraufhin werden sämtliche Gefangene unter Schlägen zum Beten gezwungen, damit Gott sie erhöre, so der zynische Kommentar der Wachen. 31. Tag. Claudio wird vorgegaukelt, man ließe ihn frei. Sein Nachbar wird unter der Drohung, nichts über seinen Aufenthalt zu verraten, aber tatsächlich freigelassen. Den Satz „Es sind gute Menschen“ (bezogen auf die Wärter) muss er ständig wiederholen. Es ist der 24. Dezember. Claudio wird die Augenbinde erstmals abgenommen, aber er hält die Augen geschlossen. Beim gemeinsamen Essen beteuert der psychisch instabile El Tano, er sei stundenlang misshandelt worden, er habe keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als sich Claudio auszusuchen, der ihm entgegnet: „So macht ihr Revolutionen, indem ihr Leben zerstört!“ Die ständig anwesenden Wachen verkünden: „Wir befehlen, ihr gehorcht!“ 61. Tag. Claudio verlangt erstmals Besteck zum Essen, woraufhin tatsächlich Geschirr in dem Esssaal geworfen wird. Um einige wenige Nahrungsmittel entbrennt ein heftiger Streit unter den Gefangenen. El Tano wird jetzt auch von anderen Gefangenen vorgeworfen, er beschuldige willkürlich Unbeteiligte, insbesondere Studenten, die gar nicht in Verbindung zu der Guerilla-Bewegung stünden. Er erwidert, der Junta ginge es nur darum, „die Radikalen fertigzumachen“, die „einfachen Gefangenen“ seien nicht das Problem. 73. Tag. El Tano wird in eine Haftanstalt überstellt. Für den Ratschlag seines Bruders, Selbstmord zu begehen, fehlt ihm der Mut. Die Gefangenen werden mit verbundenen Augen, die Hände jeweils auf der Schulter des Vordermannes, in Autos verfrachtet und abtransportiert. 118. Tag. Ein Gefangener wird mit dem Hinweis, er solle seinen Eltern keinen Kummer bereiten, entlassen. Die Wärter führen willkürliche Gerichte durch, in welchen über Freilassung oder Tod entschieden wird. Dem Gefangenen wird suggeriert, er solle alles sagen, wenn er nicht wolle, dass sein Schädel wie eine Kokosnuss gespalten wird. Angeblich würde das FBI mit den gleichen Methoden agieren. Umgekehrt geben die Gefangenen beim Verhör nur Hinweise auf bereits ‚gesäuberte’ Häuser. In der Zelle werden den Gefangenen die Augenbinden abgenommen und ein Spiegel herumgeführt, der als Objekt der Demütigung fungiert: die Wärter beschimpfen die Insassen als „dreckig und verkommen“, einer wird mit schmutzigem Spülwasser übergossen und „blitzblank geschrubbt“, dass er „rein wie eine Jungfrau“ werde. 119. Tag. Unter den Gefangenen kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen aufgrund von Nichtigkeiten. Besonders nutzt den Wärtern die geringe Solidarität untereinander. Ein Fluchtversuch, bei dem ein Wärter durch den Schlag mit einer Pfanne unschädlich gemacht werden soll, scheitert kläglich. Am Abend wagen vier Gefangene schließlich die Flucht, während eine Personenkontrolle mit einer Liste durchgeführt wird. Während eines Gewitters seilen sich Claudio und die Anderen aus Guillermos Zimmer ab. Das Fenster konnte dieser mit einer Schraube öffnen. Dabei beobachten sie, wie neu eintreffende Gefangene misshandelt werden. Die Fliehenden laufen unbekleidet durch die Straßen, einer klingelt bei einer ihm unbekannten Frau, behauptet überfallen worden zu sein und bittet um Kleider und etwas Geld, was diese ihm auch aushändigt. Guillermo, der noch immer die Schraube im Mund trägt, wird bei Tag in einem Taxi mitgenommen.
Texttafeln klären über das weitere Schicksal der Betroffenen auf: Guillermo Fernandez floh nach Frankreich, wo er als Schauspieler arbeitete. 1985 sagte er gegen die Junta aus. El Vasco kann sich zunächst verstecken, wurde aber erneut verschleppt und erst 1983 freigelassen, auch er trat als Belastungszeuge gegen die Junta auf. El Gallego verließ Argentinien, sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Am 31. März 1978, dem Tag der Flucht, wurden die übrigen Gefangenen in Haftanstalten verlegt. Claudio Tamburinni sagte 1985 gegen die Junta aus. Abspann.
Texttafeln klären über das weitere Schicksal der Betroffenen auf: Guillermo Fernandez floh nach Frankreich, wo er als Schauspieler arbeitete. 1985 sagte er gegen die Junta aus. El Vasco kann sich zunächst verstecken, wurde aber erneut verschleppt und erst 1983 freigelassen, auch er trat als Belastungszeuge gegen die Junta auf. El Gallego verließ Argentinien, sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Am 31. März 1978, dem Tag der Flucht, wurden die übrigen Gefangenen in Haftanstalten verlegt. Claudio Tamburinni sagte 1985 gegen die Junta aus. Abspann.


===Hintergrund===
===Hintergrund===
* Zwischen 1976 und 1983 regierte in Argentinien eine Militärjunta, die sich selbst [[Proceso de Reorganización Nacional]] nannte, um eine Neuordnung der Gesellschaft nach katholisch-nationalen und patriarchalen Konzepten herbeizuführen. Die Zahl der Todesopfer während dieses Regime wird auf 30.000 geschätzt. Wie in anderen lateinamerikanischen Diktaturen übte auch die Militärregierung die berüchtige Praxis des Verschwindenlassens aus, was unter der Bezeichnung [[desaparecidos]] bekannt wurde. Die Entführung der meisten Opfer erfolgte auf öffentlichen Plätzen und Straßen, am Arbeitsplatz oder der eigenen Wohnung, wobei die Vorgänge meist von Zeugen beobachtet wurden. (Stanley 2008: 83-89)
* Die Erzählstruktur zeigt Parallelen zu den bis heute kontrovers diskutierten ''Salo o le 120 giornate di Sodoma'' aus dem Jahr 1975. Der Regisseur [[Pier Paolo Pasolini]] verlegte das 1785 zur Zeit des französischen Ancien Regime entstandene Romanfragment ''Les 120 Journees de Sodome ou L'Ecole du Libertinage'' des [[Marquis de Sade]] in die faschistische Republik von Salo während der letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges. (Hierzu allgemein Theweleit 2003: 141-269)
* Bereits das Spielfilmdebüt ''Pizza, birra, faso'' (1998) des Regisseurs Adrian Caetano zeigt den Alltag sozial benachteiligter Menschen in Buenos Aires und beinhaltet eine heftige Kritik an der Regierung Menem. Unter seiner Amtszeit begnadigte Carlos Menem zahlreiche Personen, die wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden waren. (Stanley 2008: 95 f.) Bei ''Buenos Aires 1977'' führte Caetano nicht nur Regie, sondern war auch am Drehbuch beteiligt.


==Quellen==
==Quellen==
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