Filmische Aufarbeitung von Diktaturen in Südamerika

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Die filmische Aufarbeitung von Diktaturen in Südamerika erfolgt vor allem im Genre des politischen Thrillers, also durch „Kino-Spielfilme, die aus einer erkennbar partei-engagierten Position heraus authentische oder der Realität nahe politische Ereignisse, Prozesse oder Wirkungsmechanismen darstellen bzw. rekonstruieren“ und das Ziel verfolgen, bei einem Massenpublikum „Betroffenheit, Anteilnahme oder Reaktionen“ zu erzeugen (Schäfer/Schwarzer 1991: 15).

Missing - Vermisst (1982)

Missing gilt als einer der ersten seriösen Spielfilme, welche die Rolle der amerikanischen Regierung bei Errichtung und Etablierung der Diktatur in Chile unter General Augusto Pinochet thematisieren. Am frühen Morgen des 11. September 1973 tötete sich der bis dahin amtierende sozialistische Präsident Salvador Allende, nachdem er von den bewaffneten Truppen Pinochets zum Rücktritt aufgefordert wurde. Die amerikanische Regierung unter Richard Nixon zeigte sich von der Errichtung einer Militärregierung begeistert, nicht zuletzt, da sie Allende als pro-sowjetisch einstufte und leistete sowohl Wirtschaftshilfe als auch mit hoher Wahrscheinlichkeit Unterstützung für die ‚Operation Condor’, den Decknamen für Geheimdienstaktivitäten gegen Oppositionelle (worunter vor allen deren Verschleppung und Tötung zu fassen ist). Außerdem verschwieg sie ihre Kenntnisse über die Ermordung des amerikanischen Journalisten Charles Horman im Nationalstadion von Santiago, die Grundlage für Thomas Hausers 1978 erschienenen Enthüllungsbericht The Execution of Charles Horman. An American Sacrifice und somit auch für Costa-Gavras Verfilmung lieferte. (Frey 2008: 171) Hauser war ebenfalls am später mit dem Oscar ausgezeichneten Drehbuch mitbeteiligt.

Handlung

Der Vorspann wechselt von einem roten Hintergrund zu den Gesicht von Charles Horman (John Shea). Zunächst beobachtet er fußballspielende Kinder, dann erscheinen Soldaten im Bild. Eine Stimme aus dem Off unterrichtet den Zuschauer, der Film basiere auf belegten, tatsächlichen Ereignissen, einige Namen seien zum Schutz der Betroffenen geändert. Unmittelbar nach dem Militärputsch (Charles vermerkt in seinen Notizen den 16.09.1973, 3:10 Uhr) sind Charles und Terry Simon auf den Weg zu Charles Frau Beth (Sissy Spacek), die sich aufgrund der Ereignisse kaum mehr aus dem Haus wagt: „Überall sind Leichen!“ Charles und Terry beobachten wie Militärs zwei elegant gekleidete Frauen aus einer wartenden Menge an einer Bushaltestelle rufen und ihnen die Hosenbeine zerschneiden, da jetzt die „Frauen in diesen Land Röcke tragen“ sollen. Später sehen die beiden erschossene Menschen und junge Männer, die gezwungen werden, Hauswände von Aufschriften zu reinigen. In aller Öffentlichkeit entführen Militärs einen Mann in einem Restaurant, der eingreifende Charles wird niedergeschlagen. Beth möchte mit Charles Chile verlassen, verspätet sich jedoch, als sie sich von Bekannten verabschiedet. Sie flieht vor marodierenden Soldaten (zur Sperrstunde darf sich kein Zivilist in der Öffentlichkeit aufhalten) und kommt erst am darauffolgenden Tag in die gemeinsame Wohnung zurück, die mittlerweile verwüstet ist. Von Charles fehlt jede Spur. Zwei Wochen später fliegt Charles Vater, der calvinistisch geprägte Geschäftsmann Ed Horman (Jack Lemmon) nach Chile. Beim Flughafen muss er die mitgebrachten Bücher, darunter eine Bibel vorzeigen. Gegenüber Beth äußert er, sein Sohn habe sich selbst in Schwierigkeiten gebracht. Vertreter des amerikanischen Konsulats können keine Auskunft über den Verbleib von Charles geben, verlangen von Beth jedoch eine Liste mit seinen Freunden, was diese hartnäckig verweigert. Rückblende: Terry erzählt, wie sie und Charles den Tag nach dem Putsch (12.09.) erlebten, nicht telefonieren und Beth nicht erreichen konnten. Im Hotel lernten sie Amerikaner kennen, die nach Charles Ansicht bei Vorbereitungen an dem Umsturz mitbeteiligt waren. Beths Nachbarn berichten zwar übereinstimmend, dass Charles am Nachmittag des 16.09. zwar entführt wurde, können aber keine klare Beschreibung des Wagens, der abwechselnd als Militär- oder Zivilfahrzeug beschrieben wird, liefern, was mehrere komplizierte Rückblenden verdeutlichen. Beth erzählt Ed, dass Charles als Drehbuchautor und Journalist tätig war, primär für eine als links geltende Zeitschrift. Aus dessen Lieblingsbuch, Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupery liest sie die Passage vor, man sehe nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche sei für Augen unsichtbar. Beth erklärt, sie habe deshalb keine Liste angefertigt, da die Freunde von Charles sonst sofort verhaftet werden würden. Eine weitere Zeugin führt die beiden zu dem Nationalstadion, wo angeblich bereits die amerikanischen Regierungsbeamten nach Charles gesucht haben. Zwei Mitarbeiter der illegalen Zeitung wurden dorthin verschleppt, einer von beiden beobachtete, wie ein unbekleideter Mann einen langen Gang hinuntergeschleift wurde. Es kursieren Annahmen über Folter. Einer der beiden Freunde wird am nächsten Morgen entlassen, der andere, Frank, bleibt verschwunden. Von den Oppositionellen wird Ed unterricht, dass es in diesem Land möglich ist, ohne Grund festgenommen zu werden, was Ed als loyaler Bürger der USA für sein eigenes Land ausschließt. Die Konsulatsbeamten bestreiten ihm gegenüber jede Verstrickung in den Putsch, es gebe „keine amerikanischen Polizeihilfsoperationen“. Die Suche nach Charles in einem Krankenhaus bleibt erfolglos. Ed darf schließlich im Nationalstadion an einen Mikrofon zu seinen Sohn, von dem er hofft, er würde noch leben, sprechen. Sein verzweifelter Appell (und der von Beth) bleibt erfolglos. Ein chilenischer Polizist glaubt sich an eine Äußerung eines hochrangigen CIA-Vertreters erinnern zu können, der sagte, ein Mann namens Horman wisse zuviel und müsse weg. In einen Leichenschauhaus entdeckt Beth schließlich die Leiche von Frank, von dem das Konsulat behauptet, er befände sich in den USA. Die Annahme, Charles sei am 19.09. im Nationalstadion ermordet worden, wird zur traurigen Gewissheit. Der Tod des jungen Journalisten wird von Regierungsbeamten zynisch bestätigt: über 3.000 amerikanische Firmen seien in Chile ansässig, der ‚American Way of Life’ sei gefährdet, da Charles über die amerikanische Beteiligung am Putsch berichten wollte. Ein Sarg mit der Aufschrift ‚Charles Horman from Santiago’ wird sieben Monate später in die USA geflogen, für die Überführungskosten muss Ed aufkommen. Die Off-Stimme unterrichtet den Zuschauer, dass bei der Autopsie nicht einwandfrei die Todesursache geklärt werden konnte und die Klage von Ed Horman gegen elf Regierungsbeamte abgewiesen wurde.

Hintergrund

Der griechische Filmregisseur Constantin Costa-Gavras (* 12.02.1933) gilt als ein Wegbereiter des politischen Thrillers. Die Resonanz auf den, sich auf die Affäre Lambrakis in Griechenland beziehenden, kommerziell weltweit erfolgreichen Spielfilm Z (1969), der von einem fiktiven Staat in dem ein permanenter Ausnahmezustand herrscht handelt, ist in allen diktatorisch regierten Ländern als „subversiv“ einzustufen: während der Aufführungen in Argentinien und Spanien fühlten sich die Zuschauer an reale Ereignisse erinnert. L’Aveu (1970) thematisiert den Slansky-Prozess während der stalinistischen Ära. In Betrayed (1988) verarbeitet Costa-Gavras den Mord an den jüdischen Rundfunkmoderator Alan Berg durch rechtsextreme Milizen in den USA. Für Music Box (1989) diente die Geschichte des Kriegsverbrechers John Demjanjuk als Vorbild, der bis in die späten 1970er Jahre unerkannt in den USA lebte. (Siehe hierzu das Kapitel Das exemplarische Beispiel für den Polit-Thriller: 'Z' und Costa-Gavras in Schäfer/Schwarzer 1991: 24-45)

Kiss of the Spider Woman - Kuss der Spinnenfrau (1985)

Als 1985 Hector Babencos Adaption des gleichnamigen Romans des Argentiniers Manuel Puig (zuerst 1976 erschienen) in den amerikanischen und europäischen Kinos gezeigt wurde, stellte dies einen Tabubruch in zweifacher Hinsicht dar: einerseits beinhaltete der überwiegend in Sao Paolo gedrehte Polit-Thriller das Thema Homosexualität generell, andererseits die Situation der Homo- und Transsexuellen in einer die sexuelle Selbstbestimmung unterdrückenden Diktatur. Puigs Roman entstand allerdings bereits zu Beginn der argentinischen Militärdiktatur (die Junta regierte bis 1983), während Babencos Spielfilm unmittelbar nach dem Ende der brasilianischen Diktatur entstand. Leonard Schrader, der Bruder von Paul Schrader (Hardcore, Cat People), verfasste das Drehbuch.

Handlung

Während des Vorspanns wird im Hintergrund der Titel in übergroßen Buchstaben immer wie eingeblendet, die an Spinnenfäden erinnern. Zu Beginn fährt die Kamera durch eine Gefängniszelle, zwei Bettgestelle, Handtücher, Wandbemalungen und zahlreiche Fotos von blonden Schauspielerinnen und Sängerinnen umgeben von gemalten Wolken und Sternen sind erkennbar, die Stimme des Erzählers setzt ein. Die Frau, die er beschreibt sei „schlank...anders als die anderen Frauen, vollkommen und in sich verstrickt, verloren, umgeben von Schönheit und Luxus“, von ihrem Fenster aus könne man den Eiffelturm sehen. Der Erzähler, der sich offenbar mit dieser Figur identifiziert, schreitet durch die Zelle, wobei er sich ein Handtuch wie einen „Turban“ um den Kopf bindet. Während Leni, die beschriebene Sängerin kurz in einer schwarz-weiß Aufnahme eingeblendet wird, unterbricht der andere Mann in der Zelle den Erzähler: Lenis Augen seien nicht grün, sondern schwarz. Wütend fährt er seinen Nachbarn an, er solle weder über Essen noch Frauen sprechen. Der Erzähler fährt fort: „hübsche Soldaten“ ziehen durch den Arc de Triomphe, in einer weiteren Szene nehmen „prächtige deutsche Soldaten“ Schmuggler fest, während zwei Angehörige der Resistance die Vorgänge beobachten. Der Erzähler wird damit konfrontiert, er schwärme von einen antisemitischen und kitschigen Nazi-Propagandafilm, der während der deutsche Besatzung in Frankreich spiele. Nun käme die eigentliche Liebesgeschichte, entgegnet dieser daraufhin. Weitere Personen werden in dem Film im Film eingeführt, „Werner“, der für die Spionageabwehr in Frankreich zuständig ist und Michele, das 'Zigarrenmädchen'.

Außenaufnahmen zeigen die Umrisse des Gefängnisses bei Nacht. Ein Mann, der eine Kapuze trägt und offensichtlich bereits schwer verletzt ist, wird misshandelt, durch den Gang geschleift und in eine Zelle gegenüber gebracht, was von den beiden Insassen beobachtet wird. Der größte Teil der Handlung findet in diesen Gefängnis im Zellentrakt Pavilhao IV statt. Am nächsten Tag führen die Wärter wie offensichtlich jeden Morgen eine bürokratische Erfassung der Insassen durch. Jetzt erfährt der Zuschauer erstmals die Namen der beiden Protagonisten: es handelt sich um den Journalisten und politischen Gefangenen Valentin Arregui (Raul Julia), der einer linksoppositionellen, wahrscheinlich marxistischen Gruppe angehört. Später wird er sagen, er lebt nur, weil die Gefängnisleitung Informationen über diese Organisation erhalten möchte. Seine Zelle teilt er sich mit dem homosexuellen, wegen der Verführung eines Minderjährigen verurteilten Luis Molina (William Hurt). Über dieses Missbrauchsdelikt sei damals auch nach eigener Auskunft ausführlich in den Medien berichtet worden. Am Abend fährt Molina fort, den Propagandafilm weiter zu erzählen: Michele vertraut sich Leni an, dass sie von einem deutschen Offizier ein Kind erwarte und ihn heiraten möchte, zugleich aber für die Resistance arbeite. Molina kommentiert, dass Liebe keine Grenzen kenne. Den politisch aktiven Valentin sagt er, ihr Atheisten redet nur von Gott, während dieser ihm entgegnet, „ihr Schwulen verdrängt die Realität“. Wider Erwarten für Valentin identifiziert sich Molina am stärksten mit der Sängerin Leni, auch weil diese in den für ihn attraktiven Werner verliebt ist. „Was ist schlimm daran, wie eine Frau zu sein? Wenn mehr Männer wie Frauen wären, gebe es nicht so viel Gewalt!“ Molina wird zum Direktor (Jose Lewgoy) bestellt, wo er nach eigener Angabe erfahren hat, dass sein Antrag auf vorzeitige Entlassung abgelehnt wurde. Außerdem erwähnt er erstmals die schwere Herzerkrankung seiner Mutter. Er erzählt weiter: Michele möchte ihren heimlichen Geliebten besuchen, wird aber von Resistance-Mitgliedern tödlich überfahren. Bei der Erzählung fängt Valentin an zu weinen, da ihn der Tod des Mädchens an eine geliebte Person erinnert. Daraufhin zeigt er Molina seine Narben am Oberkörper, die von Folterungen stammen. Erneut werden die Gefangenen namentlich erfasst. Bei der Essensausgabe gibt Valentin Molina einen Teller, der mehr als doppelt so viel enthält wie auf den anderen Teller liegt. Er begründet seine Wahl, weil die Wärter Konfrontationen unter den Insassen erzeugen wollen. Auch Kontakt nach außen ist nicht möglich, da er die anderen Gruppenmitglieder gefährden würde. Für Molina ist ersichtlich, dass Valentin häufig an eine Frau denkt: „Es ist wunderbar, wenn Liebende zusammen sind“ und erzählt, dass er oft darunter gelitten habe, einen Mann zu finden. Von Beruf sei er eigentlich Schaufensterdekorateur, aber die Arbeit mit Puppen habe ihn immer nur die eigene Leere spüren lassen. Eines Abends lernte er in einen Restaurant den Kellner Gabriel (Nuno Leal Maia) kennen. Fasziniert von dessen „weißer Jacke, seiner Gangart und dem traurigen Lächeln“ blieb er nach Dienstschluss und sah ihm beim Putzen des Lokals zu, während er gleichzeitig Angst hatte, erneut verletzt zu werden. Es dauerte ein Jahr, bis sich eine Freundschaft zwischen den beiden Männern entwickelte. Molina tröstete den verheirateten Gabriel, als dessen Ehe sich in einer Krise befand und versprach ihm, er wolle ihm helfen, eine besser bezahlte Stelle zu bekommen, damit er seine Schulden begleichen könne. Molina spricht melancholisch davon, er warte auf den richtigen Mann, was unmöglich sei, denn ein richtiger Mann wolle eine richtige Frau. Auf Valentins Frage, was ein richtiger Mann sei, antwortet Molina, er müsse blendend aussehen und stark sein, ohne damit anzugeben. Valentin entgegnet, in dieser Gesellschaft gehe niemand aufrecht, der nicht die Macht hinter sich hätte. Einen richtigen Mann zeichnet aus, dass er sich von niemanden, auch nicht den Mächtigen, etwas gefallen lassen würde. Er erniedrigt nicht die Anderen und gibt ihnen nicht das Gefühl, weniger wert zu sein. Molina bricht mit einem heftigen Magengeschwür zusammen. Unter Schmerzen erzählt er den Film weiter: Leni erhält von der Resistance den Auftrag, von Werner eine Karte zu stehlen. Molina wird auf die Krankenstation gebracht, kehrt aber bald in seine Zelle zurück, wo er Valentin fragt, ob dieser schon einmal einen Menschen geliebt habe, den er nicht lieben wollte. Als Beispiel nennt er Leni, die sich in Werner verliebte, und zu ihm flüchtete, als sie vom Tod ihrer besten Freundin erfuhr. Valentin wird erneut Zeuge, als die Wärter den maskierten Mann misshandeln und beschimpft diese durch das Gitter als „faschistische Mörder“. Ein Teil der übrigen Gefangenen schließt sich den Rufen an, woraufhin auch diese mit Stöcken malträtiert werden. Einer der Wärter uriniert in die Zelle. Aufgebracht durch Molinas Erzählungen, fragt Valentin ihn, ob er den „gar nichts wisse“, was die Nazis mit „Juden, Marxisten, Katholiken, Homosexuellen“ getan hätten, wirft ihm vor, er nutze den Film, um sich „einen abzuwichsen“ und vergleicht Molinas Situation mit der der Homosexuellen während des Dritten Reiches. An dieser Stelle erfolgt eine Rückblende, die Molinas Verurteilung und dessen verzweifelte Mutter zeigt. Molina weint in seiner Zelle, während draußen ein heftiges Gewitter tobt.

Erneut ist Essensausgabe, beide Teller enthalten die gleichen Portionen. Diesmal erleidet Valentin starke Magenkrämpfe. Er glaubt vergiftet worden zu sein, damit er unter Drogeneinfluss Informationen weiter gebe. Valentin schläft ein und flüstert mehrfach den Namen Marta. Am nächsten Morgen spricht Molina ihn mit Valentina an, was dieser sich verbittet. Molina beteuert daraufhin, den Beweis, dass Valentin ein Mann sei, habe er nie gesehen. Aus Fruchtschalen formt Molina zwei Brüste, mit denen er Valentin zum Lachen bringt. Außerdem versorgt er den an heftigen Schüttelfrost leidenden Valentin, wäscht ihn und hilft ihm beim Beseitigen von Exkrementen. Des Weiteren findet Molina einen an Lydia gerichteten Brief, was ihn verwundert. Er glaubte, Valentins Geliebte heiße Marta. Nach anfänglicher Empörung erzählt dieser Molina, Lydia gehöre zu der gleichen Gruppe wie er. Während der Folter habe Valentin aber an Marta gedacht, obwohl er mit Lydia liiert war. Marta gehört zur gesellschaftlichen Oberschicht, sie habe „Geld, Bildung, Schönheit, Freiheit“. Valentin versteckte sich bei Marta, während täglich seine Freunde verschwanden. Beim Abschied sagte Marta ihm, sie hielte es nicht mehr aus, immer alleine zu sein, auf das Telefon zu starren. Wenn er jetzt ginge, solle er nicht wieder kommen. Valentin hatte als Journalist von illegalen Folterungen und geheimen Verhaftungen erfahren und gab diese Informationen an das Ausland weiter. Bei dem Auftrag, einen der letzten Überlebenden der ursprünglichen Bewegung, Dr. Americo (Fernando Torres), am Flughafen einen Reisepass zu überreichen, damit dieser fliehen könne, kam es zu Valentins Verhaftung. Während der Folterungen habe er jedoch nur Namen genannt, die ohnehin bekannt waren. Traurig resümiert Valentin, er werde Marta nie wiedersehen.

Molina, der den Auftrag hat, Valentin zu bespitzeln, wird zum Gefängnisdirektor zitiert. Ihm und Pedro (Milton Concalves), einen hochrangigen Beamten des Geheimdienstes (aus der Rückblende weiß der Zuschauer, das dieser an Valentins Verhaftung beteiligt war) gegenüber behauptet Molina, bisher habe Valentin noch nichts erzählt. Tatsächlich war das Essen vergiftet, aber Molina, der davon wusste, aß selbst von der größeren Portion, damit Valentin nicht Verdacht schöpfe. Molina klagt, dass Valentin sehr krank sei. Mit der Aussicht, seine Mutter freue sich auf dessen Entlassung, versuchen die beiden Männer Molina für weitere Spitzeldienste zu motivieren. Auf die Frage, ob Valentin den Namen des maskierten Mannes genannt habe, entgegnet Molina, dies sei schon deshalb nicht möglich, da dieser immer eine Kapuze trage. Außerdem verlangt Molina Lebensmittel, die ihm seine Mutter bei Besuchen immer mitbringt. Zurück in der Zelle gibt er Valentin einen Großteil der Speisen. Außerdem hat er verschmutzte Bettwäsche heimlich gewaschen und getrocknet. Auf Valentins Bitte erzählt er den Film weiter. Leni sagt Werner, sie könne keinen Mann lieben, der „Frankreich in ein Schlachthaus verwandelt“, woraufhin dieser ihr einen Propagandafilm vorführen lässt, worin die Oberschicht künstlich Hungersnöte erzeugt, um die Menschen zu versklaven. Daraufhin ist Leni entgültig bereit, Werner zu unterstützen. Sie vereinbart ein Treffen mit dem Anführer der Widerstandsgruppe, um diesen die gewünschte Karte zu überreichen. Als der Mann sie sexuell bedrängt, ersticht sie ihn, wird aber von dessen Komplizen erschossen, während sie Werner umarmt. Die Erzählung Molinas wird durch Schreie unterbrochen. Der Gefangene trägt keine Kapuze mehr, es ist Dr. Americo, der in derselben Nacht von den Wärtern ermordet wird. Am nächsten Tag beschimpft der verzweifelte Valentin Molina als „verdammte Schwuchtel“. Später kehrt Molina mit einer Pralinenschachtel in Herzform in die Zelle zurück. Valentin entschuldigt sich bei ihm. Er sei immer so freundlich zu ihm, aber Valentin möchte sich nicht verpflichtet fühlen, ihn ebenso zu behandeln. Molina wünscht sich nichts mehr als die Freundschaft zu Valentin. In Rückblenden wird das unmittelbar zuvor stattfindende Gespräch Molinas mit dem Gefängnisleiter und Pedro gezeigt. Der Anstaltsleiter kündigt an, Valentin wieder foltern zu lassen. Molina entgegnet, Valentin würde die Folter nicht überleben, da er körperlich bereits zu geschwächt sei. Daraufhin schlägt er vor, entlassen zu werden, da er von Valentin dann eventuell Informationen bekommen könnte. Der Direktor schlägt vor, Molina zur Bewährung in eine andere Zelle zu verlegen. Später erzählt Molina von „einer tropischen Insel“, einer „sonderbaren Insel“. Eine Frau ist dort gefangen durch ein riesiges Spinnennetz, welches aus ihren eigenen Körper entstanden ist. Eines Tages wird ein Schiffbrüchiger an den Strand gespült. Die Spinnenfrau gibt ihm zu essen und pflegt seine Wunden. Als der Mann erwacht, erkennt er eine Träne in ihren Augen. Auf Valentins Frage, warum dies so sei, weiß Molina keine Antwort. Molina gesteht Valentin seine Liebe. Valentin berührt ihn daraufhin zärtlich, während Molina dessen Narbe im Gesicht streichelt. Molina: „Du bist so lieb zu mir!“ Valentin erwidert: „Nein, Du bist so lieb zu mir!“ Die Männer haben Sex miteinander. Am nächsten Tag erwacht Molina und fasst sich an die Stirn, um Valentins Narbe zu fühlen. Dem verwunderten Valentin sagt er, er sei jetzt wie er. Molina fährt fort, er sei so „vollkommen glücklich“, es sei das „schönste Gefühl, sich vorstellen zu können, nie wieder unglücklich zu sein“. Molina wird erneut zum Gefängnisleiter gerufen, wo ihn Pedro offen damit konfrontiert, in Valentin verliebt zu sein, da er weiterhin behaupte, Valentin hätte nichts gesagt. Molina wird daraufhin auf Bewährung entlassen. In der Zelle versucht Valentin Molina beim Abschied zu überreden, telefonisch eine Nachricht an Lydia weiterzugeben. Molina weigert sich zunächst und gesteht schließlich unter Tränen, dass er am liebsten bei Valentin bleiben würde. In seinen Leben habe er nur zwei Menschen wirklich geliebt, seine Mutter und Valentin. Valentin verspricht beim Einschlafen an Molina und dessen „verrückten Filmen“ zu denken. Molina muss ihm versprechen, sich nie mehr von jemanden demütigen und erniedrigen zu lassen. Die Männer umarmen sich und küssen sich schließlich leidenschaftlich.

Molina wird entlassen und durch Mitarbeiter des Amtes für politische Ordnung observiert, da diese, wie eine Stimme aus dem Off mitteilt. Diese erwarten, dass Molina sie zu Valentins Kader führt. Molina geht zunächst zu seiner Mutter und sucht am Abend seinen früheren Bekanntenkreis in einer Variete-Show auf. Auf der Bühne stimmt ein Transvestit ein Lied für „Schwester Luisa“ an, von der eine „verlogene Gesellschaft“ eine „unsinnige Buße“ verlangte. Nach einer kurzen Begegnung mit Gabriel verbringt Molina die nächsten Tage apathisch und isoliert vor dem Fenster seiner Dachgeschosswohnung sitzend, was auch seine Bewacher verwundert. Eines Abends führt er von einer Telefonzelle in einer U-Bahn ein kurzes Gespräch, um eine Nachricht von Valentin zu überbringen. Ein persönliches Treffen wird vorgeschlagen, wobei Molina als Erkennungszeichen sein rotes Halstuch vereinbart. Am nächsten Tag trifft er Lydia in der Innenstadt. Als er zu ihr ins Taxi steigen möchte, versucht die Geheimpolizei Lydia und ihn festzunehmen. Das Taxi fährt davon, während Molina durch Seitenstraßen läuft. Als er den Wagen einholt, schießt Lydia mehrmals auf ihn, vermutlich da sie ihn für einen Spitzel der Junta hält. Molina wird in das Auto der Geheimpolizei gezerrt, wo ihm suggeriert wird, er werde in ein Klinikum gebracht, wenn er die Telefonnummer verrate. Der schwer verletzte Molina stirbt, ohne etwas zu sagen. Sein Leichnam wird auf einer Müllhalde abgelegt. Aus dem Off ertönt erneut eine Stimme: die Zielperson sei von Extremisten getötet worden, mit denen sie vermutlich fliehen wollte. Molina war, nach Ansicht des Geheimdienstes, tiefer als bisher vermutet in die Gruppe verstrickt. Im Gefängniskrankenhaus verabreicht ein Pfleger dem schwer verletzten Valentin verbotenerweise Morphium. Plötzlich erscheint Marta, die in bei der Hand nimmt. Gemeinsam laufen sie durch den Zellentrakt. Valentin fragt nach Molina, woraufhin Marta entgegnet, er allein wisse, ob er traurig oder glücklich war, als er starb. Die beiden öffnen das Tor und verlassen, ohne von jemanden aufgehalten zu werden, das Gefängnis. Die letzten Szenen zeigen das Paar auf der einsamen Insel aus Molinas Erzählung. Sie rudern auf das Meer hinaus, während Marta davon spricht, es sei ein kurzer, aber ein glücklicher Traum. Abspann. Dem Zuschauer ist bewusst, dass es sich um die Phantasien eines Sterbenden handelt.

Hintergrund

  • Ort und Zeit der Handlung werden nicht genannt. Das sich die Ereignisse während der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) abspielen, lässt die brasilianische Flagge vermuten, die im Büro des Gefängnisleiters zu sehen ist. Der 1964 gegründete Geheimdienst Serviço de Segurança Nacional (SNI) erzeugte mit zahlreichen Unterorganisationen ein Klima der Angst in der Bevölkerung, da niemand vor Bespitzelung sicher sein konnte. Ende der 1960er Jahre kursierte ein Flugblatt, wo in zehn Punkten erläutert wurde, wie verdächtige Personen denunziert werden könnten. Ab 1971 waren Verhaftungen möglich, ohne dass die Festgenommenen über die Gründe informiert wurden. Die Presse und Versammlungsfreiheit wurde bereits 1968 abgeschafft. Die im Film als Amt für politische Überwachung genannte Institution ist dem Departamento de Orden Político y Social (DOPS) nachempfunden, einen Polizeiverband, der außerhalb der offziellen Rechtssprechung souverän agieren konnte. Todesopfer von Misshandlungen und Folterungen wurden häufig auf Straßen und öffentlichen Plätzen abgelegt, um vorzutäuschen, diese seien von Kriminellen oder Angehörigen der eigenen Gruppe ermordet worden. [1]
  • Als erster Darsteller, der einen homosexuellen Filmpart übernahm, erhielt William Hurt 1986 den Oscar für die beste Hauptrolle. (Russo 1990: 222)
  • Der Regisseur Hector Babenco drehte bereits 1981 Pixote: A lai do mais fraco, worin er in eindringlichen Bildern den Alltag von brasilianischen Straßenkindern schildert. Den von Harry M. Benshoff und Sean Griffin als „independent queer film hit“ gefeierten Kiss of the Spider Woman inszinierte der heterosexuelle Filmemacher nach der Vorlage des sich offen zu seiner Homosexualität bekennenden Manuel Puig. Vito Russo kritisierte, der Film bediene sich üblicher Geschlechterzuschreibungen. Molina, der aus Liebe zu Valentin und nicht aus politischen Gründen ähnlich wie Leni stirbt, erscheine durch die Übernahme einer gefährlichen politischen Funktion als „männlicher“. (Benshoff/Griffin 2006: 191 f., Russo 1990: 222-224)
  • Die bereits während der Militärdiktatur in Brasilien als „Sex-Symbol“ geltende Darstellerin Sonia Braga ist in drei verschiedenen Rollen zu sehen: Leni, Marta und als titelgebende Spinnenfrau. Während Molina von der geheimnisvollen, auf einer einsamen Insel lebenden Spinnenfrau erzählt, erkennt der Zuschauer, dass diese unverkennbar die Züge Martas trägt, während der Schiffbrüchige Valentin ist. Kiss of the Spider Woman handelt sowohl von dem äußerlich sichtbaren Gefängnis, in dem Valentin und Molina Insassen sind, als auch von 'inneren Gefängnissen', die Molina Verstrickungen nennt. So fühlt er sich selbst im Körper eines Mannes gefangen, während die Spinnenfrau die Insel aufgrund ihres eigenen Netzes nicht verlassen kann. Die letzten Momente, in denen Valentin träumt, erscheinen als ein Akt der Befreiung in zweierlei Hinsicht: er und Marta verlassen gemeinsam das sichtbare Gefängnis und ebenso die geheimnisvolle Insel. (Parish 1993: 204-206)

Death and the Maiden - Der Tod und das Mädchen (1994)

1991 veröffentlichte Ariel Dorfman sein Theaterstück Der Tod und das Mädchen. Bei Roman Polanskis gleichnamiger Verfilmung wirkte er als Co-Produzent mit.

Handlung

Nach einen in schwarz gehaltenen Vorspann schwenkt die Kamera auf ein Geigenkonzert. Im Konzertsaal sitzen der Rechtanwalt Gerardo Escobar (Stuart Wilson) und seine Frau Paulina (Sigourney Weaver). Szenenwechsel in eine stürmische Nacht. Paulina wartet auf ihren Mann und hört in einer Radiomitteilung von einer Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen während der Militärregierung. Gerardo ist der Vorsitzender dieser Kommission. Verspätet kommt er im Auto eines Fremden an. Dr. Miranda (Ben Kingsley) war hierfür sogar einen Umweg gefahren. Paulina, beunruhigt durch die nächtlichen Scheinwerfer greift zu einer Schusswaffe. Sie scheint in ständiger Angst zu leben. Gerardo wirft sie vor, es handele sich um eine „Alibi-Kommission“ und auch die jetzige Regierung würde nicht im Sinne der Opfer handeln und die vollständige Wahrheit ans Licht bringen. Als sich ihr Mann weigert, mit ihr offen über seine Unterredung mit dem Präsidenten zu sprechen, wirft sie die beiden Brathähnchen, die sie lange zubereitet hat, in den Abfalleimer. Dem Zuschauer wird verständlich, dass die kinderlose Ehe (die beiden sprechen über eine mögliche Adoption) unter einer Krise leidet. In der Nacht kehrt Miranda zurück, der vordergründig Gerardo einen Reifen übergibt und ihm seine Bewunderung für sein politisches Engagement ausspricht. Dabei erwähnt er eine ‚Petition im Namen der Vermissten’, die er auch unterzeichnen möchte. Außerdem erkundigt er sich, ob Namen veröffentlicht werden sollen, was Gerardo verneint. Miranda entgeget, dass irgendetwas immer durchsickert. Zwischenzeitlich fährt Paulina in Mirandas Wagen davon, was Gerardo interpretiert, dass sie ihn verlassen hat. Die beiden Männer betrinken sich. Da Miranda nicht nach Hause zurückkehren kann, bietet Gerardo ihm an, auf dem Sofa zu übernachten. Derweil versenkt Paulina den Wagen im Meer. Anschließend kehrt sie zu Fuß zum Haus zurück und schlägt Miranda mit dem Pistolengriff nieder, fesselt ihn mit einem Kabel an den Stuhl, knebelt ihn mit ihrer Unterhose und einem Klebeband. Dabei zeigt sie ihm das Bild seiner Familie und eine Kassette mit Franz Schuberts Der Tod und das Mädchen. Von dem Lärm erwacht Gerardo, dem sie erzählt, Miranda sei der Arzt gewesen, der immer dieses Streichquartett abspielen ließ, als sie gefoltert wurde. Zwar waren ihre Augen verbunden, aber sie hatte ihn an der Stimme und an verschiedenen Redewendungen, die Miranda benutzte, erkannt. Während der Militärdiktatur war Paulina verschleppt, mit Elektroschocks gefoltert, mehrfach vergewaltigt, ihre Brüste mit brennenden Zigaretten angesengt und zum Trinken von Urin gezwungen worden. Jetzt möchte sie den gefangenen Miranda den Prozess machen, wobei ihr Ehemann als dessen Verteidiger fungieren soll. Der verzweifelte Miranda nennt Paulina eine Geisteskranke und behauptet mehrfach, während der Militärregierung in Barcelona gewesen zu sein. Unbeirrt erhebt Paulina eine Anklage gegen den Arzt, den sie Misshandlungen, Überwachen der Elektroschocks und der mehrfachen Vergewaltigung (auch mit einer Metallstange) bezichtigt. Im Frühjahr 1977 war Paulina mit dem Studentenführer Gerardo liiert, der illegale Zeitschriften der Opposition herausbrachte. Die Geheimpolizei entführte sie mitten auf der Straße, aber sie war nicht bereit, ihren Geliebten zu verraten. Paulina erinnert sich später an die ‚illegale Verhaftung’: zwei Männer zerrten sie vor zahlreichen Augenzeugen am Tag in einen Wagen. Sie hatte nicht geschrieen, Gerardo sagt, sie wäre dann auch erschossen worden. Dass sie auch vergewaltigt wurde, hatte sie Gerardo immer verschwiegen, da dies sonst immer zwischen ihnen gestanden hätte. Während Gerardo auf sie einredet, sie müssten sich von den ‚Anderen’ unterscheiden, zieht Paulina zunächst in Erwägung, Miranda zu vergewaltigen. Dies verwirft sie, möchte aber ein Geständnis, das sie auf Video aufzeichnet. Zeigt er Reue, dürfe er gehen. Wäre er tatsächlich unschuldig, was auch ihr Mann immer wieder in Erwägung zieht, sei er „eben beschissen dran“. Schließlich muss Miranda zur Toilette. Paulina öffnet seinen Hosenschlitz und steht neben ihm. Miranda ist es aufgrund diesen Eingriffs in seine Intim- und Privatsphäre nicht möglich zu urinieren. Paulina wendet sich, die Internationale pfeifend, ab und Miranda kann urinieren. Währenddessen erhält Gerardo einen Anruf des Präsidenten, es habe Todesdrohungen gegen ihn gegeben und Polizisten seien unterwegs, um ihn zu schützen. Diese würden jedoch nicht vor 6 Uhr eintreffen. Paulina zieht in Erwägung, Miranda zu töten, indem sie ihn von einer Klippe stößt. In den zermürbenden Dialogen offenbart sich schließlich, dass Gerardo während der Gefangenschaft Paulinas eine Geliebte hatte. Er entschuldigt sich, dass er Paulina für tot gehalten habe. Die Videoaufzeichnung beginnt. Miranda erklärt vor laufender Kamera, er habe den Gefangenen helfen wollen und stellte Nahrungsmittel zur Verfügung. Während seiner Dienstzeit habe es keine Todesfälle gegeben. „Ich verehre Frauen!“ ruft er plötzlich aus, dass Paulina schön gewesen wäre, die hässlichen habe er immer in Ruhe gelassen. Er gibt an, Paulina mit Kabeln gefesselt zu haben, eine Information, die er weder von ihr noch von ihren Mann haben kann. Für Paulina ist dies der Beweis für seine Schuld. In diesen Moment kann Miranda sich befreien und Paulina überwältigen, wird aber seinerseits von Gerardo niedergeschlagen. Es ist 5:10 Uhr. Miranda wird zu dem Abhang geschafft, während Gerardo ein Ferngespräch mit einem Klinikum in Barcelona führt, wo auch tatsächlich bestätigt wird, dass Miranda dort gearbeitet hat. Paulina zweifelt mit Verweisen auf Täuschungsmanöver der Junta: „Ist das die Wahrheit?“ Miranda gesteht schließlich, Paulina vierzehnmal vergewaltigt zu haben. Er habe immer dagegen angekämpft, aber der Drang, Macht über Wehrlose ausüben zu können war stärker. Er hatte gefoltert, einfach nur, weil er die Möglichkeit dazu hatte. Die Geheimpolizei habe ihm immer mit „Frischfleisch“ wie junge gefangene Frauen in deren Jargon genannt wurden, versorgt. Er konnte jeden „zerbrechen“ und war getrieben von „morbider Neugier“. Escobar ist nicht fähig, Miranda zu töten, Paulina nimmt ihm die Fesseln ab. Es folgt eine lange Kameraeinstellung von der Klippe. Erneuter Szenenwechsel: Das Ehepaar Escobar sitzt im Konzertsaal. Dr. Miranda sitzt mit seiner Familie in der Loge und lächelt gelangweilt seinem Sohn zu.

Hintergrund

  • Der Regisseur Roman Polanski (* 18. August 1933) wurde 1977 selbst wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen (der damals 13jährigen Samantha Geimer) angeklagt. (Jacke 2010: 11 f. u. 205 f.) Im August 1969 töteten Anhänger des Sektenführers Charles Manson seine erste, hochschwangere Frau Sharon Tate. (Bugliosi 2010)
  • Lediglich den spanischen Namen der Beteiligten ist zu entnehmen, dass es sich bei dem Ort der Geschehnisse um ein südamerikanisches Land handelt, die Diktatur muss zeitlich zwischen 1975 und 1980 stattgefunden haben. Dies geschieht auch im Sinne der Vorlage Dorfmans, wo nicht explizit ein bestimmtes Land genannt wird, da es sich in sämtlichen Diktaturen so zugetragen haben könnte. Aus den Gesprächen ist zu entnehmen, dass die sich mit Ausnahme des Pro- und Epilogs zutragende Handlung in einer einzigen Nacht im April 1992 stattfindet.
  • Das Misstrauen, welches Paulina der Kommission entgegenbringt, findet sich häufig bei Opfern und Angehörigen. So verweigerte beispielsweise im Jahr 1983 die Madres de Plaza de Mayo, eine Vereinigung von Argentinierinnen, deren Kinder während der Junta-Regierung verschleppt und ermordet worden waren, die Kooperation mit der zur Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur eingesetzten Untersuchungskommission Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas, da deren Mitglieder ausschließlich durch den damaligen Präsidenten ernannt wurden. (Stanley 2008: 89)
  • Das Streichquartett Nr. 14 d-Moll D 810 Der Tod und das Mädchen entstand 1824. Im Film wird auf Schuberts frühen Tod mit 31 Jahren und seine Homosexualität verwiesen (Miranda verachtet ihn aus diesem Grund). Bei dem Tod und das Mädchen handelt es sich um ein Motiv des späten Mittelalters und der Renaissance, wobei der Tod als Verführer oder heimlicher Geliebter eines unerfahrenen oder unschuldigen Mädchens auftritt.
  • Paulina erkennt Miranda aufgrund eines Nietzsche-Zitates, nachdem es für einen Mann unmöglich sei, die weibliche Seele in Besitz zu nehmen. Gerardo entgegnet ihm, es stamme in Wahrheit von Sigmund Freud. Im Gegensatz zu der Vorlage Dorfmans wird eindeutig geklärt, dass Miranda jener Arzt ist, der Paulina quälte. (Jacke 2010: 207 f.)

Crónica de una fuga - Buenos Aires 1977 (2006)

Handlung

In den ersten Einblendungen wird daraufhin hingewiesen, dass der Film auf realen Ereignissen und auf Aussagen von Opfern der argentinischen Militärregierung beruht. Ferner nennt der Vorspann, dass es aufgrund dieser Aussagen zur Verurteilung mehrerer Junta-Angehöriger im Jahr 1985 kam. Im Original trägt der Film den Titel Crónica de una fuga: Die Chronik einer Flucht. 23. November 1977, Buenos Aires. Ein Mann wird mit dem Kopf voran gewaltsam aus einem Auto gehalten und gefragt, ob in dem Haus der Gesuchte wohnt. Die ersten Minuten arbeitet der Film mit ständig wechselnden Schnitten: ein Fußballspieler wird beim Zusammenbrechen gezeigt, während zu einer Szene übergewechselt wird, die eine Frau in der gleichen gekrümmten Pose zeigt. Die Frau wird in ihrer Wohnung von mehreren Männern misshandelt und über ihren Sohn befragt, der ein „linker Terrorist“ sein soll. Ihr Sohn ist der Torwart Claudio Tamburrini, der gewaltsam auf der Straße entführt und dem die Augen verbunden werden. Seinen Peinigern geht es darum, zu erfahren, ob er eine Druckmaschine besitze, auf der Untergrundzeitschriften vervielfältigt wurden. Erst jetzt setzt der Vorspann des Films ein. Die Außenfassade einer alten Villa ist sichtbar. Es ist strahlend blauer Tag. Claudio ist mit einem anderen Gefangenen eingeschlossen, der ihm mitteilt, es handele sich um eine Prüfung Gottes, der sehen möchte, ob „wir stark genug sind, an ihm zu glauben“. 3. Tag. In einem Badezimmer (Waschbecken, Dusche und Toilette werden mehrfach in Großaufnahmen gezeigt) wird ein brutales Verhör durchgeführt: Claudios Peiniger, die jetzt nicht mehr maskiert sind, drücken ihn mehrfach unter Wasser. Ein stark abgemagerter Mitgefangener beschwört Claudio, der leugnet ein Guerilla zu sein, alles zuzugeben. Bei ihm handelt es sich um den Mann aus dem Wagen, ‚El Tano’, der Claudio bereits vorher denunziert hatte. Claudio wird mit einem Gewehrkolben blutig geschlagen. Zurück in der Zelle spricht sein Nachbar erneut davon, Gottes Prüfung zu bestehen, woraufhin Claudio entgegnet, sein Jesus könne ihn „kreuzweise“. Daraufhin werden sämtliche Gefangene unter Schlägen zum Beten gezwungen, damit Gott sie erhöre, so der zynische Kommentar der Wachen. 31. Tag. Claudio wird vorgegaukelt, man ließe ihn frei. Sein Nachbar wird unter der Drohung, nichts über seinen Aufenthalt zu verraten, aber tatsächlich freigelassen. Den Satz „Es sind gute Menschen“ (bezogen auf die Wärter) muss er ständig wiederholen. Es ist der 24. Dezember. Claudio wird die Augenbinde erstmals abgenommen, aber er hält die Augen geschlossen. Beim gemeinsamen Essen beteuert der psychisch instabile El Tano, er sei stundenlang misshandelt worden, er habe keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als sich Claudio auszusuchen, der ihm entgegnet: „So macht ihr Revolutionen, indem ihr Leben zerstört!“ Die ständig anwesenden Wachen verkünden: „Wir befehlen, ihr gehorcht!“ 61. Tag. Claudio verlangt erstmals Besteck zum Essen, woraufhin tatsächlich Geschirr in dem Esssaal geworfen wird. Um einige wenige Nahrungsmittel entbrennt ein heftiger Streit unter den Gefangenen. El Tano wird jetzt auch von anderen Gefangenen vorgeworfen, er beschuldige willkürlich Unbeteiligte, insbesondere Studenten, die gar nicht in Verbindung zu der Guerilla-Bewegung stünden. Er erwidert, der Junta ginge es nur darum, „die Radikalen fertigzumachen“, die „einfachen Gefangenen“ seien nicht das Problem. 73. Tag. El Tano wird in eine Haftanstalt überstellt. Für den Ratschlag seines Bruders, Selbstmord zu begehen, fehlt ihm der Mut. Die Gefangenen werden mit verbundenen Augen, die Hände jeweils auf der Schulter des Vordermannes, in Autos verfrachtet und abtransportiert. 118. Tag. Ein Gefangener wird mit dem Hinweis, er solle seinen Eltern keinen Kummer bereiten, entlassen. Die Wärter führen willkürliche Gerichte durch, in welchen über Freilassung oder Tod entschieden wird. Dem Gefangenen wird suggeriert, er solle alles sagen, wenn er nicht wolle, dass sein Schädel wie eine Kokosnuss gespalten wird. Angeblich würde das FBI mit den gleichen Methoden agieren. Umgekehrt geben die Gefangenen beim Verhör nur Hinweise auf bereits ‚gesäuberte’ Häuser. In der Zelle werden den Gefangenen die Augenbinden abgenommen und ein Spiegel herumgeführt, der als Objekt der Demütigung fungiert: die Wärter beschimpfen die Insassen als „dreckig und verkommen“, einer wird mit schmutzigem Spülwasser übergossen und „blitzblank geschrubbt“, dass er „rein wie eine Jungfrau“ werde. 119. Tag. Unter den Gefangenen kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen aufgrund von Nichtigkeiten. Besonders nutzt den Wärtern die geringe Solidarität untereinander. Ein Fluchtversuch, bei dem ein Wärter durch den Schlag mit einer Pfanne unschädlich gemacht werden soll, scheitert kläglich. Am Abend wagen vier Gefangene schließlich die Flucht, während eine Personenkontrolle mit einer Liste durchgeführt wird. Während eines Gewitters seilen sich Claudio und die Anderen aus Guillermos Zimmer ab. Das Fenster konnte dieser mit einer Schraube öffnen. Dabei beobachten sie, wie neu eintreffende Gefangene misshandelt werden. Die Fliehenden laufen unbekleidet durch die Straßen, einer klingelt bei einer ihm unbekannten Frau, behauptet überfallen worden zu sein und bittet um Kleider und etwas Geld, was diese ihm auch aushändigt. Guillermo, der noch immer die Schraube im Mund trägt, wird bei Tag in einem Taxi mitgenommen. Texttafeln klären über das weitere Schicksal der Betroffenen auf: Guillermo Fernandez floh nach Frankreich, wo er als Schauspieler arbeitete. 1985 sagte er gegen die Junta aus. El Vasco kann sich zunächst verstecken, wurde aber erneut verschleppt und erst 1983 freigelassen, auch er trat als Belastungszeuge gegen die Junta auf. El Gallego verließ Argentinien, sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Am 31. März 1978, dem Tag der Flucht, wurden die übrigen Gefangenen in Haftanstalten verlegt. Claudio Tamburinni sagte 1985 gegen die Junta aus. Abspann.

Hintergrund

  • Zwischen 1976 und 1983 regierte in Argentinien eine Militärjunta, die sich selbst Proceso de Reorganización Nacional nannte, um eine Neuordnung der Gesellschaft nach katholisch-nationalen und patriarchalen Konzepten herbeizuführen. Die Zahl der Todesopfer während dieses Regime wird auf 30.000 geschätzt. Wie in anderen lateinamerikanischen Diktaturen übte auch die Militärregierung die berüchtige Praxis des Verschwindenlassens aus, was unter der Bezeichnung desaparecidos bekannt wurde. Die Entführung der meisten Opfer erfolgte auf öffentlichen Plätzen und Straßen, am Arbeitsplatz oder der eigenen Wohnung, wobei die Vorgänge meist von Zeugen beobachtet wurden. (Stanley 2008: 83-89)
  • Die Erzählstruktur zeigt Parallelen zu den bis heute kontrovers diskutierten Salo o le 120 giornate di Sodoma aus dem Jahr 1975. Der Regisseur Pier Paolo Pasolini verlegte das 1785 zur Zeit des französischen Ancien Regime entstandene Romanfragment Les 120 Journees de Sodome ou L'Ecole du Libertinage des Marquis de Sade in die faschistische Republik von Salo während der letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges. (Hierzu allgemein Theweleit 2003: 141-269)
  • Bereits das Spielfilmdebüt Pizza, birra, faso (1998) des Regisseurs Adrian Caetano zeigt den Alltag sozial benachteiligter Menschen in Buenos Aires und beinhaltet eine heftige Kritik an der Regierung Menem. Unter seiner Amtszeit begnadigte Carlos Menem zahlreiche Personen, die wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden waren. (Stanley 2008: 95 f.) Bei Buenos Aires 1977 führte Caetano nicht nur Regie, sondern war auch am Drehbuch beteiligt.

Quellen

  • Harry M. Benshoff and Sean Griffin: Queer Images. A History of Gay and Lesbian Film in America. Lanham: Rowman & Littlefield 2006
  • Vincent Bugliosi mit Curt Gentry: Helter Skelter. Der Mordrausch des Charles Manson. Eine Chronik des Grauens. München: riva Verlag 2010
  • Ariel Dorfman: Der Tod und das Mädchen. Stück in drei Akten. Frankfurt am Main: Fischer 1992
  • Eric Frey: Schwarzbuch USA. Frankfurt am Main: Ullstein 2008
  • Thomas Hauser: Missing. The Execution of Charles Horman. New York: Pocket Books 1988
  • Andreas Jacke: Roman Polanski – Traumatische Seelenlandschaften. Gießen: Psychosozial-Verlag 2010
  • James Robert Parish: Gays and Lesbians in Mainstream Cinema. Jefferson: McFarland & Company 1993
  • Manuel Puig: Der Kuss der Spinnenfrau. Roman. Berlin: Suhrkamp 1998
  • Vito Russo: Die schwule Traumfabrik - Homosexualität im Film. Berlin: Bruno Gmünder Verlag 1990
  • Horst Schäfer und Wolfgang Schwarzer: Von „Che“ bis „Z“. Politthriller im Kino. Frankfurt am Main: Fischer 1991
  • Ruth Stanley: Makrokriminalität zwischen Straflosigkeit und Strafverfolgung: Zur strafjustiziellen Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen in Argentinien. In: Cornelius Prittwitz et al. (hrsg.): Kriminalität der Mächtigen. Baden-Baden: Nomos 2008
  • Klaus Theweleit: Deutschlandfilme. Godard. Hitchcock. Pasolini. Filmdenken & Gewalt. Frankfurt am Main und Basel: Stroemfeld Verlag 2003