Filmische Aufarbeitung von Diktaturen in Südamerika: Unterschied zwischen den Versionen

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Für den renommierten Filmkritiker Georg Seeßlen gilt der Thriller als das innerhalb des populären Films sich am meisten einer eindeutigen Definition widersetzende Genre. Das gleiche gilt für die Variante des politischen Thrillers, worunter Horst Schäfer und Wolfgang Schwarzer „Kino-Spielfilme, die aus einer erkennbar partei-engagierten Position heraus authentische oder der Realität nahe politische Ereignisse, Prozesse oder Wirkungsmechanismen darstellen bzw. rekonstruieren“ verstehen. Diese parteiergreifende Filmgattung wendet sich mit der Zielsetzung „Betroffenheit, Anteilnahme oder Reaktionen“ bei einem Massenpublikum zu erzeugen. Die hier diskutierten Spielfilme sind diesem Genre zuzuordnen. Sie thematisieren im Auftrag von Regierungen begangene Menschenrechtsverletzungen in südamerikanischen Staaten.
Für den renommierten Filmkritiker Georg Seeßlen gilt der Thriller als das innerhalb des populären Films sich am meisten einer eindeutigen Definition widersetzende Genre. Das gleiche gilt für die Variante des politischen Thrillers, worunter Horst Schäfer und Wolfgang Schwarzer „Kino-Spielfilme, die aus einer erkennbar partei-engagierten Position heraus authentische oder der Realität nahe politische Ereignisse, Prozesse oder Wirkungsmechanismen darstellen bzw. rekonstruieren“ verstehen. Diese parteiergreifende Filmgattung wendet sich mit der Zielsetzung „Betroffenheit, Anteilnahme oder Reaktionen“ bei einem Massenpublikum zu erzeugen. Die hier diskutierten Spielfilme sind diesem Genre zuzuordnen. Sie thematisieren im Auftrag von Regierungen begangene Menschenrechtsverletzungen in südamerikanischen Staaten.
=='''Missing - Vermisst (1982)'''==
''Missing'' gilt als einer der ersten seriösen Spielfilme, welche die Rolle der amerikanischen Regierung bei Errichtung und Etablierung der Diktatur in Chile unter General Augusto Pinochet thematisieren. Am frühen Morgen des 11. September 1973 tötete sich der bis dahin amtierende sozialistische Präsident Salvador Allende, nachdem er von den bewaffneten Truppen Pinochets zum Rücktritt aufgefordert wurde. Die amerikanische Regierung unter Richard Nixon zeigte sich von der Errichtung einer Militärregierung begeistert, nicht zuletzt, da sie Allende als pro-sowjetisch einstufte und leistete sowohl Wirtschaftshilfe als auch mit hoher Wahrscheinlichkeit Unterstützung für die ‚Operation Condor’, den Decknamen für Geheimdienstaktivitäten gegen Oppositionelle (worunter vor allen deren Verschleppung und Tötung zu fassen ist). Außerdem verschwieg sie ihre Kenntnisse über die Ermordung des amerikanischen Journalisten '''Charles Horman''' im Nationalstadion von Santiago, die Grundlage für Thomas Hausers 1978 erschienenen Enthüllungsbericht ''The Execution of Charles Horman. An American Sacrifice'' und somit auch für Costa-Gavras Verfilmung lieferte. Hauser war ebenfalls am später mit dem Oscar ausgezeichneten Drehbuch mitbeteiligt.
==Handlung==
Der Vorspann wechselt von einem roten Hintergrund zu den Gesicht von Charles Horman (John Shea). Zunächst beobachtet er fußballspielende Kinder, dann erscheint Soldaten im Bild. Eine Stimme aus dem Off unterrichtet den Zuschauer, der Film basiere auf belegten, tatsächlichen Ereignissen, einige Namen seien zum Schutz der Betroffenen geändert. Unmittelbar nach dem Militärputsch (Charles vermerkt in seinen Notizen den 16.09.1973, 3:10 Uhr) sind Charles und Terry Simon auf den Weg zu Charles Frau Beth (Sissy Spacek), die sich aufgrund der Ereignisse kaum mehr aus dem Haus wagt: „Überall sind Leichen“. Charles und Terry beobachten sie wie Militärs zwei elegant gekleidete Frauen aus einer wartenden Menge an einer Bushaltestelle rufen und ihnen die Hosenbeine zerschneiden, da jetzt die „Frauen in diesen Land Röcke tragen“ sollen. Später sehen die beiden erschossene Menschen und junge Männer, die gezwungen werden, Hauswände von Aufschriften zu reinigen. In aller Öffentlichkeit entführen Militärs einen Mann in einem Restaurant, der eingreifende Charles wird niedergeschlagen. Beth möchte mit Charles Chile verlassen, verspätet sich jedoch, als sie sich von Bekannten verabschiedet. Sie flieht vor marodierenden Soldaten (zur Sperrstunde darf sich kein Zivilist in der Öffentlichkeit aufhalten) und kommt erst am darauffolgenden Tag in die gemeinsame Wohnung zurück, die mittlerweile verwüstet ist. Von Charles fehlt jede Spur. Zwei Wochen später fliegt Charles Vater, der calvinistisch geprägte Geschäftsmann Ed Horman (Jack Lemmon) nach Chile. Beim Flughafen muss er die mitgebrachten Bücher, darunter eine Bibel vorzeigen. Gegenüber Beth äußert er, sein Sohn habe sich selbst in Schwierigkeiten gebracht. Vertreter des amerikanischen Konsulats können keine Auskunft über den Verbleib von Charles geben, verlangen von Beth jedoch eine Liste mit seinen Freuden, was diese hartnäckig verweigert. Rückblende: Terry erzählt, wie sie und Charles den Tag nach dem Putsch (12.09.) erlebten, nicht telefonieren und Beth nicht erreichen konnten. Im Hotel lernten sie Amerikaner kennen, die nach Charles Ansicht bei Vorbereitungen an dem Umsturz mitbeteiligt waren. Beths Nachbarn berichten zwar übereinstimmend, dass Charles am Nachmittag des 16.09. zwar entführt wurde, können aber keine klare Beschreibung des Wagens, der abwechselnd als Militär- oder Zivilfahrzeug beschrieben wird, liefern, was mehrere komplizierte Rückblenden verdeutlichen. Beth erzählt Ed, dass Charles als Drehbuchautor und Journalist tätig war, primär für eine als links geltende Zeitschrift. Aus dessen Lieblingsbuch, ''Der kleine Prinz'' von Antoine de Saint-Exupery liest sie die Passage vor, man sehe nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche sei für Augen unsichtbar. Beth erklärt, sie habe deshalb keine Liste angefertigt, da die Freunde von Charles sonst sofort verhaftet werden würden. Eine weitere Zeugin führt die beiden zu dem Nationalstadion, wo angeblich bereits die amerikanischen Regierungsbeamten nach Charles gesucht haben. Zwei Mitarbeiter der illegalen Zeitung wurden dorthin verschleppt, einer von beiden beobachtet, wie ein unbekleideter Mann einen langen Gang hinuntergeführt wird, es kursieren Annahmen über Folter. Einer der beiden Freunde wird am nächsten entlassen, der andere, Frank, bleibt verschwunden. Von den Oppositionellen wird Ed unterricht, dass es in diesem Land möglich ist, ohne Grund festgenommen zu werden, was Ed als loyaler Bürger der USA für sein eigenes Land ausschließt. Die Konsulatsbeamten bestreiten ihm gegenüber jede Verstrickung in den Putsch, es gebe „keine amerikanischen Polizeihilfsoperationen“. Die Suche nach Charles in einem Krankenhaus bleibt erfolglos. Ed darf schließlich im Nationalstadion an einen Mikrofon zu seinen Sohn, von dem er hofft, er würde noch leben, sprechen. Sein verzweifelter Appell (und der von Beth) bleibt erfolglos. Ein chilenischer Polizist glaubt sich an eine Äußerung eines hochrangigen CIA-Vertreters erinnern zu können, der sagte, ein Mann namens Horman wisse zuviel und müsse weg. In einen Leichenschauhaus entdeckt Beth schließlich die Leiche von Frank, von dem das Konsulat behauptet, er befände sich in den USA. Die Annahme, Charles sei am 19.09. im Nationalstadion ermordet worden, wird zur traurigen Gewissheit. Der Tod des jungen Journalisten wird von Regierungsbeamten zynisch bestätigt: über 3.000 amerikanische Firmen seien in Chile ansässig, der ‚American Way of Life’ sei gefährdet, da Charles über die amerikanische Beteiligung am Putsch berichten wollte. Ein Sarg mit der Aufschrift ‚Charles Horman from Santiago’ wird sieben Monate später in die USA geflogen, für die Überführungskosten muss Ed aufkommen. Die Off-Stimme unterrichtet den Zuschauer, dass bei der Autopsie nicht einwandfrei die Todesursache geklärt werden konnte und die Klage von Ed Horman gegen elf Regierungsbeamte abgewiesen wurde.
==Hintergrund==
Der griechische Filmregisseur '''Constantin Costa-Gavras''' (* 12.02.1933) gilt als ein Wegbereiter des politischen Thrillers. Die Resonanz auf den, sich auf die Affäre Lambrakis in Griechenland beziehenden, kommerziell weltweit erfolgreichen Spielfilm ''Z'' (1969), der von einem fiktiven Staat in dem ein permanenter Ausnahmezustand herrscht, handelt, ist in allen diktatorisch regierten Ländern als „subversiv“ einzustufen: während der Aufführungen in Argentinien und Spanien fühlten sich die Zuschauer an reale Ereignisse erinnert. ''L’Aveu'' (1970) thematisiert den Slansky-Prozess während der stalinistischen Ära. In ''Betrayed'' (1988) verarbeitet Costa-Gavras den Mord an den jüdischen Rundfunkmoderator Alan Berg durch rechtsextreme Milizen in den USA. Für ''Music Box''  (1989) diente die Geschichte des Kriegsverbrechers John Demjanjuk als Vorbild, der bis in die späten 1970er Jahre unerkannt in den USA lebte.
=='''Kiss of the Spider Woman - Kuss der Spinnenfrau (1985)'''==
Als 1985 Hector Babencos Adaption des gleichnamigen Romans des Argentiniers '''Manuel Puig''' (zuerst 1976 erschienen) in den amerikanischen und europäischen Kinos gezeigt wurde, stellte dies einen Tabubruch in zweifacher Hinsicht dar: einerseits beinhaltete der überwiegend in Sao Paolo gedrehte Polit-Thriller das Thema Homosexualität generell, andererseits die Situation der Homo- und Transsexuellen in einer die sexuelle Selbstbestimmung unterdrückenden Diktatur. Puigs Roman entstand allerdings bereits zu Beginn der argentinischen Militärdiktatur (die Junta regierte bis 1983), während Babencos Spielfilm unmittelbar nach dem Ende der brasilianischen Diktatur entstand. Leonard Schrader, der Bruder von Paul Schrader (''Hardcore'', ''Cat People''), verfasste das Drehbuch.
==Handlung==
Der größte Teil der Handlung findet in einem brasilianischen Gefängnis während der Militärdiktatur (1965-1985) statt, genaue Daten werden nicht genannt. Valentin Arregui (Raul Julia) wird als führender Kader einer linksoppositionellen (vermutlich marxistischen) Organisation eingeführt. Seine Zelle teilt er sich mit transsexuellen Luis Molina (William Hurt), der wegen Verführung von Minderjährigen verurteilt wurde. Die Gefängnisleitung möchte Informationen über die regierungskritische Gruppe (die sich weitgehend aus Studenten rekrutiert, wie im weiteren Verlauf der Handlung ersichtlich wird) erfahren. In deren Auftrag versucht Molina Arregui, dessen Gesundheitszustand sich permanent verschlimmert, zu bespitzeln. Molina fühlt sich Arregui jedoch nicht nur sexuell hingezogen, er verliebt sich schließlich in ihn, was allerdings auch nicht der Aufmerksamkeit der Gefängnisleitung entgeht. Immer wieder erzählt Molina Ausschnitte aus einem kitschigen Nazi-Propagandafilm (die Szenen entstanden explizit für den Film und sind in Schwarzweiß-Aufnahmen gedreht), während Arregui ihm von seiner Liebe zu Marta berichtet. Als Molina schließlich entlassen wird (in der Nacht zuvor haben die beiden Männer erstmals Analverkehr), sucht er zunächst seinen ehemaligen Bekanntenkreis auf und kontaktiert schließlich die Oppositionellengruppe, wird allerdings von einen der Mitglieder erschossen, da diese ihn für einen Spitzel der Junta halten. Derweil wird Arregui im Gefängnis gefoltert, um Informationen zu erpressen. Bevor er stirbt, erscheint ihm die geheimnisvolle, auf einer einsamen Insel lebende Spinnenfrau, von der Molina ihm unmittelbar vor seiner Entlassung erzählte. Diese trägt unverkennbar die Züge Martas.
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