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Der Begriff Feindstrafrecht wurde 1985 vom Bonner Strafrechtsprofessor Günther Jakobs geprägt. Im Gegensatz zum klassischen Bürgerstrafrecht, das auf die Motivation des straffällig gewordenen Mitbürgers abzielt und ihn zu (re-) sozialisieren trachtet, richtet sich das Feindstrafrecht gegen Individuen, die hartnäckig und unbelehrbar rechtsfeindlich eingestellt sind und die deshalb eine dauerhafte Gefahrenquelle darstellen. Wegen seiner konstant rechtsfeindlichen Einstellung ist der Feind keine Person im Sinne des Rechts. Es geht nicht um Resozialisierung von Personen, sondern um Bekämpfung von Gefahren: „Bürgerstrafrecht erhält die Normgeltung, Feindstrafrecht (...) bekämpft Gefahren“, bzw.: "Der prinzipiell Abweichende bietet keine Garantie personalen Verhaltens; deshalb kann er nicht als Bürger behandelt, sondern muß als Feind bekriegt werden" (Jakobs 2004: 90). Elemente des Feindstrafrechts fand Jakobs schon 1985 im geltenden Strafgesetzbuch, etwa in der Sicherungsverwahrung (§ 61 Nr. 3 und § 66 StGB) und der Strafbarkeit der bloßen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB).

Nach dem 11. September 2001 stand der Begriff des Feindstrafrechts im Mittelpunkt einer Kontroverse um die Bewahrung rechtsstaatlicher Garantien im Kampf gegen den Terrorismus. Die große Mehrheit der deutschsprachigen Strafrechtswissenschaftler, die sich an der Diskussion beteiligten, lehnten feindstrafrechtliche Regelungen strikt ab (vgl. Vormbaum 2009).

Während Jakobs das Feindstrafrecht erstens in außergewöhnlichen Gefährdungslagen für zulässig und zweitens die Voraussetzungen einer solchen Gefährdungslage spätestens seit dem 11. September 2001 auch empirisch für gegeben hält, hatte der spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda (1966: 11), schon im Rahmen der Diskussion um die Notstandsgesetze in den 1960er Jahren festgestellt: „Gegen den Notstand muß Vorsorge getroffen werden; aber das darf nicht so geschehen, daß hierdurch die freiheitlich demokratische Grundordnung, deren Schutz alle Verteidigungsmaßnahmen dienen sollen, verloren geht. Sonst könnte der Rechtsstaat (...) vielleicht nach außen erfolgreich verteidigt werden, würde aber zugleich im Inneren tödlich getroffen werden und müßte so auch dann untergehen (...).“

Kennzeichen des Feindstafrechts

  1. Weite Vorverlegung der Strafbarkeit (Wendung des Blicks von der geschehenen auf eine kommende Tat). Beispiel: Tatbestände der Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen (§§129, 129a StGB) oder des Anbaus von Betäubungsmitteln (§§30 Abs.1 Nr.1, 31 Abs.1 Nr.1 BtMG). Jakobs (1985: 753) schreibt dazu: "Der Täter wird nur dadurch definiert, dass er dem Rechtsgut gefährlich werden kann, wobei sich der Beginn der Gefahr potentiell grenzenlos vorverlagern lässt. Der Täter hat keine Privatsphäre, keinen Bereich eines noch-nicht-sozial-relevanten Verhaltens, sondern ist nur Gefahrenquelle, mit anderen Worten, Feind des Rechtsguts."
  2. Keine der Vorverlagerung proportionale Reduktion der Strafe.
  3. Übergang von der Strafrechtsgesetzgebung zur Bekämpfungsgesetzgebung. Beispiele: Wirtschaftskriminalität, Terrorismus, organisierte Kriminalität und auch Sexualdelikte.
  4. Abbau prozessualer Garantien. Beispiel: Kontaktsperre (§§31 ff. EGGVG)

Literatur

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Weblinks

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