Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht: Unterschied zwischen den Versionen

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3. Die stationären Maßnahmen in der Praxis
3. Die stationären Maßnahmen in der Praxis
Die Forschungslage zu der Frage, wie stationäre Sanktionen auf die betroffenen jugendlichen Häftlinge wirken, ist im Ausland zwar teilweise ergiebiger als hierzulande; doch erscheint eine Übertragung dort gewonnener Ergebnisse wegen anderer sozialer Verhältnisse und rechtlicher Grundlagen nicht unmittelbar möglich. Die Studien, die im folgenden zugrundegelegt werden, veranschaulichen auf der Grundlage intensiver Erfahrungen aber, wie der Vollzug tatsächlich ausgestaltet und praktiziert wird. Ob und inwieweit diese Stichproben den Anspruch umfassender Repräsentativität einzulösen vermögen, muß an dieser Stelle offenbleiben.
Die sogenannten "apokryphen", also versteckten, Haftgründe dürften die übertriebene Anordnung von Untersuchungshaft gerade im Jugendstrafrecht erklären. Unter dem Vorwand wohlmeinender Erziehung sollen insbesondere junge Tatverdächtige mit diesem Mittel vor einem weiteren Abgleiten in die Kriminalität bewahrt werden, obwohl so der gesetzliche Subsidiaritäts =
grundsatz nach § 72 I 1 JGG, wonach die U - Haft hinter erzieherischen Maßnahmen zurückzutreten habe, geradezu umgekehrt wird. Ferner besteht nach wie vor ein eklatanter Widerspruch zwischen den gesetzlichen Anforderungen an die Untersuchungshaft bei jungen Gefangenen und ihrem Vollzug; von erzieherischer Wirkung und Gestaltung dieser Haft kann nicht gesprochen werden. Sie wird vielmehr von den Häftlingen als besonders krisenhaft erlebt und empfunden.
Im Vordergrund der Kritik des Arrestvollzuges steht die sog. "Arrestideologie". Diese verlangt eine Besinnung auf Mittelschichtnormen, obwohl viele Angehörige der Unterschicht inhaftiert sind und in ihrer Sozialisation kaum gelernt haben, sich zu besinnen. Isolierung und Druck bewirkten eine signifikante Zunahme an destruktiven Emotionen und psychosomatischen Zuständen. Sofern besondere erzieherische Maßnahmen durchgeführt werden, liegt deren Wert bestenfalls in der Neutralisation oder Abschwächung der negativen Auswirkungen desw Arrestes.
Das Erscheinungsbild des Jugendstrafvollzugs hat sich seit den 60er Jahren erheblich gewandelt. Aus dem ehemaligen Verwahrvollzug ist - terminologisch und vielfach auch faktisch -
der sogenannte modernere Behandlungsvollzug geworden. Dennoch gelangt das in der Vollzugsforschung nachgewiesene Mängelprofil des Behandlungsvollzugs zu folgenden Ergebnissen:
a) Das Angebot schulischer und beruflicher Aus - und Fortbildung sei nicht geeignet, die ökonomischen und sozialen Zukunftschancen der deklassierten Insassen wirksam zu verbessern.
b) Das "Lernmodell Arbeit" entwerte systematisch die Arbeitskraft der Gefangenen. Stets müßten diese diszipliniert werden, weil eine Motivation für das geforderte Verhalten weder aus den Arbeitsbedingungen noch aus den Arbeitsinhalten abgeleitet werden könne.
c) Die pädagogisch - therapeutischen Intentionen des Vollzugs zehrten sich in der Gleichzeitigkeit des Anspruchs von Strafe und Behandlung vollständig auf. Das Sicherheits - und Ordnungsdenken in Verbindung mit der Einbindung der Delinquenten in die Knastökonomie und
-kultur behinderten sinnvolle pädagogische Maßnahmen und Interventionen.
d) Da ein Verhalten eingeübt werde, das äußere Anpassung mit innerer Ablehnung verbindet und die Beziehungen zu dem Vollzugspersonal sich als ambivalent und widersprüchlich darstellten, entwickele sich regelmäßig bei den jungen Delinquenten ein ungesundes, durch Diffusion gekennzeichnetes Identitätskonzept.
e) Folglich drohe eine Behandlung dieser durch die Vollzugsforschung belegten Art, den Betroffenen die letzten Reste von Selbsbestätigung und Identität zu nehmen. Zur sozialen Deklassierung nach der Entlassung geselle sich dann noch ein durch staatliche Intervention weitgehend gestörtes Selbstbewußtsein und psychische Wehrlosigkeit.
Jenseits einer Begriffsbestimmung, was man denn nun unter Erziehung zu verstehen habe, ergibt sich aus diesen Befunden ein Fazit schon von selbst: Die praktische Umsetzung und Ausgestaltung der stationären Maßnahmen gemäß dem Jugendgerichtsgesetz läßt sich mit einem modernen Verständnis von Erziehung sicherlich nicht vereinbaren.
Anonymer Benutzer