Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht: Unterschied zwischen den Versionen

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2. Die Legitimation des Erziehungsgedankens
2. Die Legitimation des Erziehungsgedankens
Zwar hat das Jugendstrafrecht eine eigene Gerichtsverfassung, eigene Sanktionen und partiell auch eigene Strafprozeßregeln bekommen; doch es hat den Verbrechensbegriff des allgemeinen Strafrechts beibehalten. Die Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und von Erwachsenen andererseits geschieht folglich durch die identische Typisierung ihres jeweiligen Verhaltens auf der Grundlage eines einheitlichen Katalogs von Straftatbeständen im Strafgesetzbuch einschließlich seiner Nebengesetze wie vor allem des Betäubungsmittelgesetzes. Entwicklungspsychologisch und erziehungswissenschaftlich kann dieses Konzept jedoch nicht überzeugen, weil die Normen des Strafgesetzbuches die jugendspezifischen Interaktionsformen nur unzureichend zu erfassen vermögen und unterschiedliche Verhaltensprägungen Erwachsener und Jugendlicher unzulässig eingeebnet werden. Wenn auch jugendliches delinquentes Verhalten formal die Voraussetzungen der entsprechenden Straftatbestände erfüllen mag, so widerspricht aber oft die Intentionalität dieser Handlungen der ratio legis der Norm.
Kriminologische Befunde der Gegenwart haben im Laufe der Zeit zu einem Wandel im Verständnis der Jugendkriminalität geführt. Bei Jugendkriminalität handelt es sich danach um ein ubiquitäres, bagatellhaftes und episodenhaftes Phänomen. Dabei bedeutet die geringere Handlungskompetenz Jugendlicher und Heranwachsender, daß sie in wenig rational und überlegter Art und Weise tendenziell unkomplizierte Delikte begehen. Die Annahme, abweichendes Verhalten sei regelmäßig als ein Symptom für tiefsitzende Erziehungsmängel anzusehen, ist mit diesen Befunden einfach nicht zu vereinbaren. Jugendkriminelles Verhalten erfordert mithin in der Regel keine zwingende erzieherische Aufmerksamkeit. Sogar für die meisten Mehrfach - und Intensivtäter gilt wegen der Episodenhafigkeit ihrer kriminellen Handlungen die Annahme, daß diese nicht a priori symptomatisch für eine defizitäre Erziehung seien. Jedenfalls führen Prozesse der Spontanbewährung im Rahmen des altersmäßigen Erfahrungs - und Reifungsprozesses in der weitaus überwiegenden Anzahl von Fällen zu einem Abklingen oder Verschwinden von offiziell registrierter Kriminalität. Jedenfalls bedeutet Jugenddelinquenz regelmäßig weder einen Einstieg in intensive oder schwere Formen der Kriminalität, noch drückt es zwingend Sozialisationsmängel und Erziehungsdefizite aus.
Der Erziehungsgedanke ist also strafrechtsdogmatisch und rechtstheoretisch bedenklich und sozialwissenschaftlich durch das Phänomen der Jugendkriminalität so nicht zu legitimieren. Mithin erscheint schon an dieser Stelle der Topos "Erziehung" im Jugendstrafrecht aus erziehungswissenschaftlicher und kriminologischer Sicht als fragwürdiger, wenn nicht gar untauglicher, Begriff.
3. Die stationären Maßnahmen in der Praxis
Anonymer Benutzer