Ersatzfreiheitsstrafe: Unterschied zwischen den Versionen

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Ersatzfreiheitsstrafen sind umgewandelte Geldstrafen. Die Geldstrafen werden zu Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt, wenn Personen, für die nach Meinung des Gerichts eine Freiheitsstrafe gar nicht erforderlich ist (und die ja nur deshalb mit einer Geldstrafen davongekommen sind), ihre Geldstrafe nicht zahlen können oder wollen. Verbüßer von Ersatzfreiheitsstrafen machen rund 5 - 10% aller Gefangenen, im offenen Vollzug rund 13% (neue Bundesländer) bis 33% (alte Bundesländer) der Inhaftierten aus (Quelle: Universität Greifswald, Lehrstuhl für Kriminologie, Greifswalder Inventar für Sanktionenforschung, 2003).
Ersatzfreiheitsstrafen sind umgewandelte Geldstrafen. Die Geldstrafen werden zu Ersatzfreiheitsstrafen (EFS) umgewandelt, wenn Personen, für die nach Meinung des Gerichts eine Freiheitsstrafe gar nicht erforderlich ist (und die ja nur deshalb mit einer Geldstrafen davongekommen sind), ihre Geldstrafe nicht zahlen können oder wollen. Verbüßer von Ersatzfreiheitsstrafen machen rund 5 - 10% aller Gefangenen, im offenen Vollzug rund 13% (neue Bundesländer) bis 33% (alte Bundesländer) der Inhaftierten aus (Quelle: Universität Greifswald, Lehrstuhl für Kriminologie, Greifswalder Inventar für Sanktionenforschung, 2003).




Das deutsche Strafgesetzbuch behandelt die Ersatzfreiheitsstrafen im Zusammenhang mit den Geldstrafen in seinem § 43: "An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt Freiheitsstrafe. Einem Tagessatz entspricht ein Tag Freiheitsstrafe. Das Mindestmaß der Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Tag." (Da Geldstrafen in Deutschland von vornherein in der Form von Tagessätzen verhängt werden, stellt die Umrechnung kein Problem dar: Wer zu 60 Tagessätzen à 50 Euro verurteilt wurde, dessen Ersatzfreiheitsstrafe beläuft sich dann auf 60 Tage Gefängnis.)  
Das deutsche Strafgesetzbuch behandelt die EFS im Zusammenhang mit den Geldstrafen in seinem § 43: "An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt Freiheitsstrafe. Einem Tagessatz entspricht ein Tag Freiheitsstrafe. Das Mindestmaß der EFS ist ein Tag." (Da Geldstrafen in Deutschland von vornherein in der Form von Tagessätzen verhängt werden, stellt die Umrechnung kein Problem dar: Wer zu 60 Tagessätzen à 50 Euro verurteilt wurde, dessen EFS beläuft sich dann auf 60 Tage Gefängnis.)  




==Verarmung und Ersatzfreiheitsstrafen==
==Verarmung und Ersatzfreiheitsstrafen==
In Zeiten der Verarmung größerer Bevölkerungsteile steigt die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen. Von rund 25.000 Verbüßern Anfang der 1990er Jahre stieg die Zahl der von Ersatzfreiheitsstrafen Betroffenen bis 2007 auf rund 50.000 (vgl. Kleinhubbert 2008).
In Zeiten der Verarmung größerer Bevölkerungsteile steigt die Zahl der EFS. Von rund 25.000 Verbüßern Anfang der 1990er Jahre stieg die Zahl der von Ersatzfreiheitsstrafen Betroffenen bis 2007 auf rund 50.000 (vgl. Kleinhubbert 2008).


==Kosten==
==Kosten==
Allerdings ist die Umwandlung von Geld- in Ersatzfreiheitsstrafen für den Staat eine kostspielige Angelegenheit. Ein Tag Vollzug kostet pro Person rund 90 Euro. "Etwa 100 Millionen Euro sind bundesweit pro Jahr nötig, um Menschen, die eigentlich zu Geldstrafen verurteilt wurden, vorübergehend einzusperren. Zehn deutsche Knäste könnten sofort geschlossen werden, wenn Ersatzfreiheitsstrafen durch andere Sanktionen ersetzt würden" (Kleinhubbert 2008).
Allerdings ist die Umwandlung von Geld- in EFS für den Staat eine kostspielige Angelegenheit. Ein Tag Vollzug kostet pro Person rund 90 Euro. "Etwa 100 Millionen Euro sind bundesweit pro Jahr nötig, um Menschen, die eigentlich zu Geldstrafen verurteilt wurden, vorübergehend einzusperren. Zehn deutsche Knäste könnten sofort geschlossen werden, wenn EFS durch andere Sanktionen ersetzt würden" (Kleinhubbert 2008).


Die Kostenproblematik und die häufig ausgesprochen negativen Auswirkungen des Gefängnisaufenthalts auf die Betroffenen ("kriminelle Ansteckung", Mobbing, Schikanen, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung durch Mitgefangene) führen immer wieder zu Überlegungen, ob und wie sich der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen vermeiden lassen könnte.  
Die Kostenproblematik und die häufig ausgesprochen negativen Auswirkungen des Gefängnisaufenthalts auf die Betroffenen ("kriminelle Ansteckung", Mobbing, Schikanen, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung durch Mitgefangene) führen immer wieder zu Überlegungen, ob und wie sich der Vollzug von EFS vermeiden lassen könnte.  


==Vermeidungsstrategien==
== Rechtspolitik ==
Ist es dem Verurteilten aufgrund seiner persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuzumuten, die Geldstrafe sofort zu zahlen, so kann ihm vom Gericht eine Zahlungsfrist eingeräumt werden (§ 42 StGB).
Die Ersatzfreiheitsstrafe in Deutschland folgt grundsätzlich dem schwedischen Vorbild. Allerdings war in Schweden vorgeschrieben, dass bei Nichtzahlung der Geldstrafe ein Richter darüber entscheiden musste, ob der/die Verurteilte die Geldstrafe nicht zahlen kann oder dies nicht will. Nur in letzterem Fall kam eine Ersatzfreiheitsstrafe in Frage. In Deutschland hat man stattdessen eine Automatik eingeführt: sobald der zuständige Rechtspfleger meldet, dass die Geldstrafe uneinbringlich ist, tritt Ersatzfreiheitsstrafe an die Stelle der Geldstrafe. Dies führt zu den bereits dargestellten Problemen.Deshalb erscheint es zwingend über weitergehende Vorschläge nachzudenken.
=== Tilgung der EFS durch freie Arbeit ===
Zunächst behalfen sich sämtliche Bundesländer mit Art. 293 EGStGB, worin die Landesregierungen ermächtigt werden, die Vollstreckung der EFS durch Tilgungsverordnungen abzuwenden: "Soweit der Verurteilte die freie Arbeit geleistet hat, ist die Ersatzfreiheitstrafe erledigt". Zumeist waren dabei sechs Stunden gemeinnützige Arbeit zur Tilgung eines Tages EFS erforderlich. In einzelnen Bundesländern wurde dieser Umrechnungsmaßstab auf bis zu drei Stunden herabgesetzt. In allen Bundesländern gibt es Organsiationen der freien Straffälligenhilfe, welche sich bemühen, geeignete Arbeitsplätze aufzutreiben. Die Ergebnisse sind desilusionierend: ein Rückgang der Zahl der EFS ist bundesweit nicht zu verzeichnen.
=== Ersatzstrafe ===
Der Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sanktionsrecht vom 17.03.2004 (BT Drs. 15/2725) wollte die Ersatzfreiheitsstrafe des § 43 StGB durch eine "Ersatzstrafe" ersetzen. Diese sollte, mit Zustimmung des Verurteilten, in der Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit bestehen. Nur wenn der Verurteilte die Zustimmung nicht erteilte oder "die gemeinnützige Arbeit nicht in angemessener Zeit oder nicht in ordnungsgemäßer Weise" erbrachte sollte an die Stelle der Geldstrafe Ersatzfreiheitsstrafe treten. Im übrigen sollte der Umrechnungsmaßstab verändert werden: "zwei Tagesssätze entsprechen einem Tag Freiheitsstrafe". Das Gesetz ist jedoch nie in Kraft getreten.
=== Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe ===
Zunehmend wird daher die Forderung erhoben, die EFS insgesamt abzuschaffen (vgl. zuletzt Guthke/Kitlikoglu 2015). Dem wird entgegengehalten, die EFS sei ein "notwendiges Strukturteil einer in der Praxis gut funktionierenden Geldstrafenverhängung - und Vollstreckung". Das gelte insbesondere für ein Land mit einem so hohen Anteil an Geldstrafe (OStA Olaf Boll als Berichterstatter der vom BMJ eingesetzten Kommission zu Reform des strafrechtlichen Sanktionssystems (Abschlußbericht der Kommission, 2000, 3.1.1). Inzwischen hat jedoch Schweden, was einen ähnlich hohen Geldstrafenanteil an allen Sanktionen aufweist, die EFS ersatzlos abgeschafft.  


Wenn der Verurteilte die Geldstrafe auch dann nicht zahlen kann oder will, dann kann die Umwandlung stattfinden.
Vermeiden kann man die Verbüßung dann immer noch durch eine auf Weisung der Strafvollstreckungsbehörde durchgeführte sog. "freie Arbeit". Sechs Stunden Arbeit täglich (in Bremen: vier) zählen dann für einen Tag. Diese Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe bringt allerdings auch wieder einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand mit sich, so dass viele Bundesländer diese Form der Vermeidung nicht attraktiv finden.
In der Praxis lässt sich in den letzten Jahren zunehmend beobachten, dass Verurteilte häufig Zeiträume von bis zu 2 Jahren vergehen lassen, ohne ihre Geldstrafen zu bezahlen, und stattdessen die Ersatzfreiheitsstrafe antreten.
In dieser Situation kann sich ein Verurteilter dann immer noch aus seiner bereits laufenden Ersatzfreiheitsstrafe auslösen lassen. Wenn eine dritte Person die noch nicht verbüßten Tagessätze während der Inhaftierung direkt bei der Justizvollzugsanstalt oder der zuständigen Landeskasse einzahlt, ist der Inhaftierte sofort zu entlassen.
Desweiteren besteht die Möglichkeit, innerhalb des Vollzuges die EFS im Rahmen einer gemeinnützigen Tätigkeit abzuleisten. D.h. ein Gefangener muss mindestens eine 6 stündige Tätigkeit nachgehen, um einen Tag gutgeschrieben zu bekommen. Leider ist dies nicht in allen JVAen der Bundesrepublik Deutschland möglich.


== Literatur ==
== Literatur ==
* Dünkel, Frieder & Jens Scheel (2006) Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit: das Projekt "Ausweg" in Mecklenburg-Vorpommern: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. Godesberg: Forum.
* Dünkel, Frieder & Jens Scheel (2006) Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit: das Projekt "Ausweg" in Mecklenburg-Vorpommern: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. Godesberg: Forum.
* [http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,557648,00.html Geld oder Knast] von Guido Kleinhubbert, Spiegel-Online, 07.06.2008
* [http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,557648,00.html Geld oder Knast] von Guido Kleinhubbert, Spiegel-Online, 07.06.2008
* Guthke, Kai & Lefter Kitlikoglu (2015) Die Ersatzfreiheitsstrafe muss weg! In: FREISPRUCH Nr. 6 (Februar 2015).
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