Erich Wulffen: Unterschied zwischen den Versionen

3.027 Bytes hinzugefügt ,  23:36, 31. Mär. 2022
K
keine Bearbeitungszusammenfassung
K
 
(15 dazwischenliegende Versionen von 4 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
Wolf Hasso Erich Wulffen (* 3. Oktober 1862 in Dresden; † 1936) war ein Kriminologe des frühen 20. Jahrhunderts und der Weimarer Republik.
'''Wolf Hasso Erich Wulffen''' (* 3. Oktober 1862 in Dresden; † 10. Juli 1936 ebenda) war ein bekannter deutscher Kriminologe des frühen 20. Jahrhunderts. Unter dem Einfluss [[Franz von Liszt|v. Liszts]] engagierte er sich für die Strafrechts- und Strafvollzugsreform. Zugleich war er von der Literatur fasziniert - und von der Häufigkeit, mit der diese sich kriminologisch-kriminalistischen Problemen und pathologischen Geisteszuständen zuwandten. Vor diesem Hintergrund entstand seine Studie "Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern". Dauerhaft bekannt wurde er für sein Werk "Der Sexualverbrecher" und andere kriminologische Werke.  


In seiner Kindheit war Wulffen viel krank. Zwei Jahre verbrachte er deshalb als einziger Junge in einer Klinik mit Schulunterricht, die sonst nur Mädchen aufnahm. Mit 23 Jahren begann er sein Studium, das durch die Parallelität von Rechtswissenschaften und theaterbezogenen Studien und Tätigkeiten charakterisiert war. Er veröffentlichte Gedichte und Theaterstücke, absolvierte eine dramaturgische Ausbildung und war z.B. 1888 Volontär am Leipziger Stadttheater.
In seiner Kindheit war Wulffen viel krank. Zwei Jahre verbrachte er deshalb als einziger Junge in einer Klinik mit Schulunterricht, die sonst nur Mädchen aufnahm. Mit 23 Jahren begann er sein Studium, das durch die Parallelität von Rechtswissenschaften und theaterbezogenen Studien und Tätigkeiten charakterisiert war. Er veröffentlichte Gedichte und Theaterstücke, absolvierte eine dramaturgische Ausbildung und war z.B. 1888 Volontär am Leipziger Stadttheater.
Zeile 6: Zeile 6:


== Wulffen als Kriminologe ==
== Wulffen als Kriminologe ==
Ab etwa 1901 trat die Leidenschaft für das Theater in den Hintergrund und Wulffen widmete sich unter dem Einfluss großer Leitbilder wie Franz von Liszt, Aschrott und Aschaffenburg der Kriminologie, dem materiellen Strafrecht, dem Strafprozessrecht, dem Strafvollzug und der Modernisierung des Strafrechts. In den Jahren 1905 bis 1913 erschienen in rascher Folge die Werke „Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten“, „Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich“, „Psychologie des Verbrechers“, „Der Sexualverbrecher“, „Das Kind. Sein Wesen und seine Entartung“ und „Reichspreßgesetz“.
Ab etwa 1901 trat die Leidenschaft für das Theater in den Hintergrund und Wulffen widmete sich unter dem Einfluss großer Leitbilder wie [[Franz von Liszt]], Aschrott und [[Gustav Aschaffenburg|Aschaffenburg]] der Kriminologie, dem materiellen Strafrecht, dem Strafprozessrecht, dem Strafvollzug und der Modernisierung des Strafrechts. In den Jahren 1905 bis 1913 erschienen in rascher Folge die Werke „Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten“, „Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich“, „Psychologie des Verbrechers“, „Der Sexualverbrecher“, „Das Kind. Sein Wesen und seine Entartung“ und „Reichspreßgesetz“.


Das 1905 erschienene zweibändige „Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten, für Geschworene und Schöffen, sowie für Strafanstaltsbeamte“ ist vom Geiste der Humanität erfüllt. Es beginnt mit der Mahnung: „Der Exekutivbeamte arbeite in seinem Berufe ohne Lust am Wehe, das er seinen Mitmenschen zufügen muß; er fühle jederzeit, daß auch der verworfenste Verbrecher immer noch sein, wenn auch für dieses Leben vielleicht verlorener Bruder ist, der durch geborene oder vererbte Veranlagung, durch Erziehung, Schicksal und Gelegenheiten des täglichen Lebens in Schuld geriet.“
Das 1905 erschienene zweibändige „Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten, für Geschworene und Schöffen, sowie für Strafanstaltsbeamte“ ist vom Geiste der Humanität erfüllt. Es beginnt mit der Mahnung: „Der Exekutivbeamte arbeite in seinem Berufe ohne Lust am Wehe, das er seinen Mitmenschen zufügen muß; er fühle jederzeit, daß auch der verworfenste Verbrecher immer noch sein, wenn auch für dieses Leben vielleicht verlorener Bruder ist, der durch geborene oder vererbte Veranlagung, durch Erziehung, Schicksal und Gelegenheiten des täglichen Lebens in Schuld geriet.“
Zeile 15: Zeile 15:


Mit prophetischem Blick sah Wulffen die künftige Entwicklung des Strafvollzugs voraus, wenn er schreibt: „Das neue Strafgesetzbuch wird mildere Strafen aufweisen als das jetzt geltende; es wird vor allem die Anwendung der Geldstrafe ausdehnen. Es ist ein Zeichen steigender Kultur, wenn sie ihre Strafen mildert. Die Geldstrafe wird die Hauptstrafe der Zukunft sein.“
Mit prophetischem Blick sah Wulffen die künftige Entwicklung des Strafvollzugs voraus, wenn er schreibt: „Das neue Strafgesetzbuch wird mildere Strafen aufweisen als das jetzt geltende; es wird vor allem die Anwendung der Geldstrafe ausdehnen. Es ist ein Zeichen steigender Kultur, wenn sie ihre Strafen mildert. Die Geldstrafe wird die Hauptstrafe der Zukunft sein.“
 
In den Jahren 1905 bis 1907 erschienen als Sonderabdrucke aus dem "Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik" die Studien "Die Strafzumessung unserer Gerichte", "Zur Ausbildung der praktischen
Von Erich Wulffen stammen einige Psychogramme bekannter Krimineller seiner Zeit, die wegen des literarischen Hintergrundes des Verfassers besonders gelungen sind. Die Studie „Manolescu und seine Memoiren“, Berlin 1907, zeichnet ein Charakterbild des Hochstaplers und Meisterdiebs Manolescu. Hierzu stand er in Briefkontakt mit Manolescu selbst, da andere Quellen auf Grund der Eitelkeit Manolescus zu unzuverlässig erschienen.
Kriminalisten" und "Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei in Deutschland. Beitrag für die Reform des Strafprozesses". Auch stammen von Wulffen einige Psychogramme bekannter Krimineller seiner Zeit, die wegen des literarischen Hintergrundes des Verfassers besonders gelungen sind. Die Studie „Manolescu und seine Memoiren“, Berlin 1907, zeichnet ein Charakterbild des Hochstaplers und Meisterdiebs Manolescu. Hierzu stand er in Briefkontakt mit Manolescu selbst, da andere Quellen auf Grund der Eitelkeit Manolescus zu unzuverlässig erschienen.


Wulffen wurde von Karl Mays Verleger E. A. Schmid vorgeschlagen, die Polizei- und Gerichtsakten zur Strafsache des Schriftstellers auszuwerten. Der Schriftsteller hatte vor seinem schriftstellerischen Durchbruch vier Jahre wegen Hochstapelei im Zuchthaus verbracht. Die Witwe des Schriftstellers willigte jedoch nicht in diese Untersuchung ein. In seiner „angewandten Kriminalpsychologie“ erklärt Wulffen den Zusammenhang zwischen schöpferischer Kraft und krimineller Energie so: „Alle drei - Psychopathen, Kriminelle, Geniale - leiden an egozentrischer Betrachtung und Zielsetzung, die aber beim Genialen in seinem “Werk” auch eine objektive sachliche Erweiterung finden. Daß in Kunst und Kulturgeschichte nicht viele kriminelle Ausbrüche Genialer zu verzeichnen sind, liegt daran, daß bei ihnen die kriminellen Regungen im psychisch verwandten genialen Schaffen mit aufgezehrt werden.“
Wulffen wurde von Karl Mays Verleger E. A. Schmid vorgeschlagen, die Polizei- und Gerichtsakten zur Strafsache des Schriftstellers auszuwerten. Der Schriftsteller hatte vor seinem schriftstellerischen Durchbruch vier Jahre wegen Hochstapelei im Zuchthaus verbracht. Die Witwe des Schriftstellers willigte jedoch nicht in diese Untersuchung ein. In seiner „angewandten Kriminalpsychologie“ erklärt Wulffen den Zusammenhang zwischen schöpferischer Kraft und krimineller Energie so: „Alle drei - Psychopathen, Kriminelle, Geniale - leiden an egozentrischer Betrachtung und Zielsetzung, die aber beim Genialen in seinem “Werk” auch eine objektive sachliche Erweiterung finden. Daß in Kunst und Kulturgeschichte nicht viele kriminelle Ausbrüche Genialer zu verzeichnen sind, liegt daran, daß bei ihnen die kriminellen Regungen im psychisch verwandten genialen Schaffen mit aufgezehrt werden.“
Zeile 32: Zeile 32:
* Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten, Dresden, 1905
* Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten, Dresden, 1905
* Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Dresden, 1905
* Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Dresden, 1905
* Zusammenst. d. gesetzl. Bestimmungen f.d.pol. Erörterungen von Brandstiftungen, Merseburg 1906
* Formularbuch für Brandstiftungsuntersuchungen, Merseburg 1907
* Psychologie des Verbrechers, Berlin, 1908 / 1913
* Psychologie des Verbrechers, Berlin, 1908 / 1913
* Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei in Deutschland, in: Der Gerichtssaal, 73. Jg., 1909: 381
* Der Sexualverbrecher, Berlin, 1910 / 1928
* Der Sexualverbrecher, Berlin, 1910 / 1928
* Shakespeares große Verbrecher. Richard III., Macbeth, Othello, Berlin, 1911
* Das Kind. Sein Wesen und seine Entartung, Berlin, 1913
* Das Kind. Sein Wesen und seine Entartung, Berlin, 1913
* Zusammenstellung der gesetzlichen Bestimmungen für die polizeilichen Erörterungen von
  Brandstiftungen, Merseburg 1906
* Formularbuch für Brandstiftungsuntersuchungen, Merseburg 1907
* Shakespeares große Verbrecher. Richard III., Macbeth, Othello, Berlin, 1911
* Shakespeares Hamlet. Ein Sexualproblem, Berlin, 1913
* Shakespeares Hamlet. Ein Sexualproblem, Berlin, 1913
* Frau Justitias Walpurgisnacht, Berlin, 1913
* Frau Justitias Walpurgisnacht, Berlin, 1913
* Psychologie des Hochstaplers, Leipzig, 1923
* Psychologie des Giftmordes, Wien, 1918
* Das Weib als Sexualverbrecherin, 1922
* Die Psychologie des Hochstaplers, Leipzig, 1923
* Verbrechen und Verbrecher. Hamburg: Hanseatischer Rechts- und Wirtschaftsverlag, 1925.
* Sexualspiegel von Kunst und Verbrechen, 1928
* Kriminalpsychologie. Psychologie des Täters. Ein Handbuch für Juristen, Justiz-, Verwaltungs- und Polizeibeamte, Ärzte, Pädagogen und Gebildete aller Stände", Berlin 1926; Hamburg 1931
* Wulffen, E. und E. Stenger u.a. (1930) Die Erotik in der Photographie. Die geschichtliche Entwicklung der Aktphotographie und des erotischen Lichtbildes und seine Beziehungen zur Psychopathia Sexualis. Wien: Verlag für Kulturforschung. Mit den Texten von Rudolf Brettschneider: Die Anfänge der erotischen Fotografie, Die Wandlungen der Aktfotografie und des erotischen Lichtbildes, Die Rolle der erotischen Fotografie in der Psychopathia sexualis, Erich Stenger: Die technische Entwicklung der Fotografie, Gustav Bingen: Die Organisation des geheimen Fotohandels, Otto Goldmann: Das Aktbild und die Zensur, Erich Wulffen: Die behördliche Verfolgung des geheimen Fotohandels, Paul Englisch: Die erotische Fotografie als Blickfang und Heinrich Ludwig: Die Erotik im Film.
 
== Über Wulffen ==
* Baumgarten u.a., Hg. (1932) Erich Wulffen. Festschrift zu seinem siebzigsten Geburtstag. Berlin: Hanseatischer Rechts- und Wirtschaftsverlag. Darin der Beitrag von Dingeldey (S. 12-40). Digitalisierte Version von Joachim Linder, aufg. am 30.11.2008 unter: http://www.joachim-linder.de/data/Dingeldey_Wulffen.pdf (hieraus sind ganze Textpassagen übernommen)
* Seul, Jürgen (2007) Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Juristische Zeitgeschichte. Abteilung 6: Recht in der Kunst. Berlin: BWV Berliner-Wissenschaft. Darin: Werkeverzeichnis von Erich Wulffen: 92-105; Über Wulffen: 106-110.


== Über Wulffen =
[[Kategorie:Kriminologe]]
*
[[Kategorie:Deutscher]]
[[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Jurist]]
[[Kategorie:Kriminologe (19. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Kriminologe (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Geboren 1862]]
[[Kategorie:Gestorben 1936]]
{{DEFAULTSORT:Wulffen, Erich}}