Erich Wulffen

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Wolf Hasso Erich Wulffen (* 3. Oktober 1862 in Dresden; † 10. Juli 1936 ebenda) war ein bekannter deutscher Kriminologe des frühen 20. Jahrhunderts. Unter dem Einfluss v. Liszts engagierte er sich für die Strafrechts- und Strafvollzugsreform. Zugleich war er von der Literatur fasziniert - und von der Häufigkeit, mit der diese sich kriminologisch-kriminalistischen Problemen und pathologischen Geisteszuständen zuwandten. Vor diesem Hintergrund entstand seine Studie "Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern". Dauerhaft bekannt wurde er für sein Werk "Der Sexualverbrecher" und andere kriminologische Werke.

In seiner Kindheit war Wulffen viel krank. Zwei Jahre verbrachte er deshalb als einziger Junge in einer Klinik mit Schulunterricht, die sonst nur Mädchen aufnahm. Mit 23 Jahren begann er sein Studium, das durch die Parallelität von Rechtswissenschaften und theaterbezogenen Studien und Tätigkeiten charakterisiert war. Er veröffentlichte Gedichte und Theaterstücke, absolvierte eine dramaturgische Ausbildung und war z.B. 1888 Volontär am Leipziger Stadttheater.

Als Rechtsreferendar war er in Leipzig, Waldheim, Chemnitz und Dresden tätig; nach der zweiten Staatsprüfung und Eheschließung mit der Tochter eines Gefängnisdirektors (beides 1895) ging er als Assessor zur Staatsanwaltschaft, wo er u.a. auch mit der Arbeit der Kriminalpolizei vertraut gemacht wurde. Am 1.4.1899 wurde er zum Staatsanwalt in Dresden ernannt und schon nach wenigen Jahren in die Generalstaatsanwaltschaft und als Hilfsarbeiter in das sächsische Justizministerium berufen.

Wulffen als Kriminologe

Ab etwa 1901 trat die Leidenschaft für das Theater in den Hintergrund und Wulffen widmete sich unter dem Einfluss großer Leitbilder wie Franz von Liszt, Aschrott und Aschaffenburg der Kriminologie, dem materiellen Strafrecht, dem Strafprozessrecht, dem Strafvollzug und der Modernisierung des Strafrechts. In den Jahren 1905 bis 1913 erschienen in rascher Folge die Werke „Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten“, „Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich“, „Psychologie des Verbrechers“, „Der Sexualverbrecher“, „Das Kind. Sein Wesen und seine Entartung“ und „Reichspreßgesetz“.

Das 1905 erschienene zweibändige „Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten, für Geschworene und Schöffen, sowie für Strafanstaltsbeamte“ ist vom Geiste der Humanität erfüllt. Es beginnt mit der Mahnung: „Der Exekutivbeamte arbeite in seinem Berufe ohne Lust am Wehe, das er seinen Mitmenschen zufügen muß; er fühle jederzeit, daß auch der verworfenste Verbrecher immer noch sein, wenn auch für dieses Leben vielleicht verlorener Bruder ist, der durch geborene oder vererbte Veranlagung, durch Erziehung, Schicksal und Gelegenheiten des täglichen Lebens in Schuld geriet.“

Mit dem zweibändigen Werk „Psychologie des Verbrechers“, Berlin 1908/1913, begann Wulffen eine Reihe kriminalistischer Schriften, in denen er neue Erkenntnisse der Psychologie in die Kriminologie einführte. Er gab dem Begriff des Sexualverbrechers einen völlig neuen, wesentlich erweiterten Inhalt. Er spricht von Sexualverbrechen nicht nur, wenn die Beweggründe offensichtlich geschlechtlicher Art sind, sondern in allen Fällen, in denen Motiv und Zweck der Straftat in ihren tiefsten und geheimsten Wurzeln irgendwie mit der Geschlechtssphäre zusammenhängen.

Der Studie „Reformbestrebungen auf dem Gebiete des Strafvollzugs“, Dresden 1905, sind die Worte aus Sophokles' Antigone vorangestellt: „Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da.“ Seine Vorschläge und Forderungen fasste Wulffen in die Schlusssätze zusammen: „Erziehung, Psychologie und Innerlichkeit, das sind die drei erhöhten Forderungen, die wir an den Strafvollzug der Zukunft zu stellen haben. Mit militärischer Disziplinierung, bürokratischem Formalismus und Handwerkerkenntnissen allein ist nichts gewonnen.“

Mit prophetischem Blick sah Wulffen die künftige Entwicklung des Strafvollzugs voraus, wenn er schreibt: „Das neue Strafgesetzbuch wird mildere Strafen aufweisen als das jetzt geltende; es wird vor allem die Anwendung der Geldstrafe ausdehnen. Es ist ein Zeichen steigender Kultur, wenn sie ihre Strafen mildert. Die Geldstrafe wird die Hauptstrafe der Zukunft sein.“ In den Jahren 1905 bis 1907 erschienen als Sonderabdrucke aus dem "Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik" die Studien "Die Strafzumessung unserer Gerichte", "Zur Ausbildung der praktischen Kriminalisten" und "Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei in Deutschland. Beitrag für die Reform des Strafprozesses". Auch stammen von Wulffen einige Psychogramme bekannter Krimineller seiner Zeit, die wegen des literarischen Hintergrundes des Verfassers besonders gelungen sind. Die Studie „Manolescu und seine Memoiren“, Berlin 1907, zeichnet ein Charakterbild des Hochstaplers und Meisterdiebs Manolescu. Hierzu stand er in Briefkontakt mit Manolescu selbst, da andere Quellen auf Grund der Eitelkeit Manolescus zu unzuverlässig erschienen.

Wulffen wurde von Karl Mays Verleger E. A. Schmid vorgeschlagen, die Polizei- und Gerichtsakten zur Strafsache des Schriftstellers auszuwerten. Der Schriftsteller hatte vor seinem schriftstellerischen Durchbruch vier Jahre wegen Hochstapelei im Zuchthaus verbracht. Die Witwe des Schriftstellers willigte jedoch nicht in diese Untersuchung ein. In seiner „angewandten Kriminalpsychologie“ erklärt Wulffen den Zusammenhang zwischen schöpferischer Kraft und krimineller Energie so: „Alle drei - Psychopathen, Kriminelle, Geniale - leiden an egozentrischer Betrachtung und Zielsetzung, die aber beim Genialen in seinem “Werk” auch eine objektive sachliche Erweiterung finden. Daß in Kunst und Kulturgeschichte nicht viele kriminelle Ausbrüche Genialer zu verzeichnen sind, liegt daran, daß bei ihnen die kriminellen Regungen im psychisch verwandten genialen Schaffen mit aufgezehrt werden.“

Eine tiefgründige Darstellung der zu seiner Zeit grassierenden Hochstapelei gab Wulffen in dem kleinen Buch „Die Psychologie des Hochstaplers“. In diesem Buch entwickelt Wulffen eine Art „Kulturkriminologie“. Die Ursprünge der Täuschung liegen nach Wulffen in der Triebausstattung des Menschen. Die Natur habe dem Menschen einen ursprünglichen Verheimlichungs- und Verstellungsinstinkt mitgegeben, der dem allgemeinen Selbsterhaltungstrieb zu Hilfe kommt. Er verfolgte diese Triebstrukturen bis in das Tierreich zurück und führt Bären, Affen, Pferde u.a. an, die schon bei Verstellungen beobachtet wurden.

In dem 1913 erschienenen Roman „Frau Justitias Walpurgisnacht“ zeichnete Wulffen ein Sittenbild des damaligen Justizwesens und fand damit ein lebhaftes Echo. Einige seiner Kollegen meinten sich in den Figuren des Romans zu erkennen. Es muss deshalb kein Zufall sein, dass Wulffen kurz nach dem Erscheinen des Buches als Zivilrichter an das Amtsgericht Zwickau versetzt wurde.

1919 wurde Wulffen durch den sächsischen Justizminister Harnisch „rehabilitiert“ indem er zum Landgerichtsdirektor in Dresden bestellt wurde und kurz darauf eine Ministerialkariere begann. Ab 1920 hatte er ein Mandat der gerade gegründeten Demokratischen Partei im sächsischen Landtag. Nun konnte er seine Reformideen sowohl auf ministerieller wie auch auf parlamentarischer Ebene vertreten.

Wulffen veröffentlichte neben seinen Hauptwerken eine ganze Reihe von rein kriminalistischen und literarischkriminalistischen Studien und Aufsätzen in besonderen Büchern und Heften, in Sonderdrucken, in der Tagespresse, in juristischen, medizinischen und pädagogischen Fachschriften, und zu diesem allen tritt weiterhin noch die Entfaltung einer reichhaltigen Vortragstätigkeit bei öffentlichen und behördlichen Veranstaltungen und in wissenschaftlichen, literarischen und kaufmännischen Vereinen, eine Tätigkeit, die Wulffen weit über die Grenzen Sachsens und des Reiches hinaus auch ins Ausland führte.

Werke

  • Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten, Dresden, 1905
  • Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Dresden, 1905
  • Zusammenst. d. gesetzl. Bestimmungen f.d.pol. Erörterungen von Brandstiftungen, Merseburg 1906
  • Formularbuch für Brandstiftungsuntersuchungen, Merseburg 1907
  • Psychologie des Verbrechers, Berlin, 1908 / 1913
  • Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei in Deutschland, in: Der Gerichtssaal, 73. Jg., 1909: 381
  • Der Sexualverbrecher, Berlin, 1910 / 1928
  • Shakespeares große Verbrecher. Richard III., Macbeth, Othello, Berlin, 1911
  • Das Kind. Sein Wesen und seine Entartung, Berlin, 1913
  • Shakespeares Hamlet. Ein Sexualproblem, Berlin, 1913
  • Frau Justitias Walpurgisnacht, Berlin, 1913
  • Psychologie des Giftmordes, Wien, 1918
  • Das Weib als Sexualverbrecherin, 1922
  • Die Psychologie des Hochstaplers, Leipzig, 1923
  • Verbrechen und Verbrecher. Hamburg: Hanseatischer Rechts- und Wirtschaftsverlag, 1925.
  • Sexualspiegel von Kunst und Verbrechen, 1928
  • Kriminalpsychologie. Psychologie des Täters. Ein Handbuch für Juristen, Justiz-, Verwaltungs- und Polizeibeamte, Ärzte, Pädagogen und Gebildete aller Stände", Berlin 1926; Hamburg 1931
  • Wulffen, E. und E. Stenger u.a. (1930) Die Erotik in der Photographie. Die geschichtliche Entwicklung der Aktphotographie und des erotischen Lichtbildes und seine Beziehungen zur Psychopathia Sexualis. Wien: Verlag für Kulturforschung. Mit den Texten von Rudolf Brettschneider: Die Anfänge der erotischen Fotografie, Die Wandlungen der Aktfotografie und des erotischen Lichtbildes, Die Rolle der erotischen Fotografie in der Psychopathia sexualis, Erich Stenger: Die technische Entwicklung der Fotografie, Gustav Bingen: Die Organisation des geheimen Fotohandels, Otto Goldmann: Das Aktbild und die Zensur, Erich Wulffen: Die behördliche Verfolgung des geheimen Fotohandels, Paul Englisch: Die erotische Fotografie als Blickfang und Heinrich Ludwig: Die Erotik im Film.

Über Wulffen

  • Baumgarten u.a., Hg. (1932) Erich Wulffen. Festschrift zu seinem siebzigsten Geburtstag. Berlin: Hanseatischer Rechts- und Wirtschaftsverlag. Darin der Beitrag von Dingeldey (S. 12-40). Digitalisierte Version von Joachim Linder, aufg. am 30.11.2008 unter: http://www.joachim-linder.de/data/Dingeldey_Wulffen.pdf (hieraus sind ganze Textpassagen übernommen)
  • Seul, Jürgen (2007) Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Juristische Zeitgeschichte. Abteilung 6: Recht in der Kunst. Berlin: BWV Berliner-Wissenschaft. Darin: Werkeverzeichnis von Erich Wulffen: 92-105; Über Wulffen: 106-110.